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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Seitwert


Sprachspiel und ideale Kommunikationsgemeinschaft

Karl-Otto Apel zum 90. Geburtstag

Von Peter V. Brinkemper

© Suhrkamp Verlag
Karl-Otto Apel, mittlerweile 90 Jahre alt, hat zusammen mit Jürgen Habermas die deutsche Nachkriegs-Philosophie in den 80ern Jahren aus dem historistischen Dornröschenschlaf der Seins- und Politikvergessenheit, des geistigen Elfenbeinturms und der positivistischen Lähmung befreit und zu einem breiten Spektrum interdisziplinärer und dabei stringenter Diskurse beispielhafter Analyse zwischen Engagement und Legitimation inspiriert. Wenn Willy Hochkeppel in der Süddeutschen Zeitung, 15. März 2012, behauptet, die großen Konstanten Apels seien Kant, Heidegger und Peirce gewesen, so ist dies nur zum Teil richtig. Vor allem ein Name fehlt, der die angeführten Denker in ebenso flüssiger wie erhellender Weise verbindet: Wittgenstein II, also jener Philosoph, der Wien verlassen und in Cambridge eine neue geistige Heimat gefunden hatte. Der frühe Wittgenstein I bezog sich im „Tractatus“ noch auf das positivismusverdächtige Wissenschafts-Modell einer konstruktivistischen Idealsprache mit einem atomistisch reduzieren Kalkül, um daraus gegen die eigene Intention die logisch-reflexiven Aporien und Widersprüche im Verhältnis zur realen Welt (der Tatsachen und Handlungen) zu entfalten und ein mechanisch erstarrtes, blindes und isoliertes Erkenntnis-Subjekt abzuleiten. Die poetische Metapher von der Leiter, die es nach Gebrauch und Aufstieg hinter sich umzustürzen gelte, wurde zur Signatur des formallogisch camouflierten Denkens, das umschlug in die rein ästhetische Reflexion einer nicht mehr haltbaren Luftakrobatik im Vakuum zahlloser verschwiegener Voraussetzungen im dunklen Tunnel einer zu Ende gebrachten Aufklärung.

Der spätere Wittgenstein II begab sich, vor allem in den posthumen „Philosophischen Untersuchungen“ auf den scheinbar bescheideneren und doch anspruchsvolleren Weg, eine fast unwissenschaftliche und unphilosophische Philosophie der ganz realen Alltagssprache zu entwickeln, als unprätentiöse Beobachtung, in Form einer fast unauffälligen und doch revolutionären Erkundung, in der das konkrete kommunikative Gewebe von Sprechakten in ihrer ganzen anschaulichen Vielfalt von subtilen Handlungsschritten und dabei jederzeit schlagartig geteilten Bedeutungsnuancen zwischen objektiven Behauptungen, intersubjektiven Appellen und subjektiven Ansprüchen beobachtet werden sollte, um die ernsthafte Verständigung und Kommunikation als eine intersubjektive Landkarte von mannigfaltigen, ineinander greifenden Sprachspielen zwischen wechselseitigem Austausch und abgrenzender Strategie zu begreifen. Die Subtilität und Differenzierung, mit der Wittgenstein hier zu Werke ging und sicherlich seine Mitphilosophen und Nachfolger zu weiterer nichtbarbarischer Empirie und Theoriebildung aufforderte, hat Karl-Otto Apel als anders als Habermas genutzt.

Jürgen Habermas machte sich aufgrund des Oxforder Mainstream der Ordinary Language Philosophy die Mittel der Präsuppositionsanalyse Austins und die klassifikatorische Sprechakt-Schematik eines Searle zunutze, um seine sozialphilosophisch ausgelegte Theorie der kommunikativen Rationalität als Zusammenspiel mehrerer Geltungsansprüche sprechakttheoretisch zu untermauern und sie durch systemtheoretische Gegengewichte der Funktionalität und Entfremdung durch Macht, Technik, Stategie und Geld zu einem posthegelianischen und kontra-luhmannianischen Paradigma gesamtgesellschaftlicher Handlungsrationalität, auf der Grenze zwischen politisch steuerbarer Lebenswelt und einem wie auch immer eigendynamischem System mit kolonisatorischen Effekten zu verwandeln.

Karl-Otto Apel dagegen blieb in seinen frühen Aufsätzen und späteren Studien immer philosophie-historisch und philosophisch-reflexiv: Er hielt an einer scheinbar überschwänglich utopischen Idee der idealen Kommunikationsgemeinschaft fest, deren transzendentalphilosophische Begründung sich aber seit den 80er Jahren bis heute als immer bedeutsameres Paradigma erwies. Wittgensteins Sprachspiel-Gedanke war für Apel ein immerwährendes Untergrund- und Hintergrundmotiv. Das Konzept des Sprachspiels gab dem Verweis auf die existentialhermeneutische Analyse des menschlichen Daseins in Heideggers "Sein und Zeit" ein sprachanalytisches und dabei philosophiehaltiges Unterfutter, das dem Einsamkeitspathos der deutschen Durchhaltephilosophie zwischen Sorge und Tod die gesellschaftliche Lebendigkeit einer diskurs- und kritikfähigen Rede und Gegenrede einhauchte. Das Sprachspielargument brachte zugleich Apels Reflexionen zu Kants Ethik und zur Kritik an dem latent protestantisch-monologischen Charakter des Kategorischen Imperativs und seines innerlichen Freiheitsbegriffes auf die richtige Spur, die Universalisierung von Normen mit der Voraussetzung einer politikrelevanten und beizeiten auch rebellisch einsetzbaren Diskursethik zu verbinden, in der die Normenlegitimation überlieferte Ethikfiguren zwischen Tugend, Utilität, Norm, Wert, Gesetz und Verantwortung aufgriff und integrierte, vor allem aber gobal-universell-dialogische Form annahm, bestenfalls als offene, ideale Argumentationsgemeinschaft zukunftsfähiger Weltbürger, denen die Begründung und Widerlegung von Maximen, Regeln und Gesetzen kein Hinterzimmer- oder Stammtischgespräch war, sondern ein philosophisches, öffentlichkeitsfähiges, kooperativ-rivalisierendes Sprachspiel jenseits von Ideologie, Macht, Herrschaft und Unterdrückung im grauen Alltag realer, noch von einander abgegrenzter Kommunikationsgruppierungen und Parteien. Nicht zuletzt hat die feinschrittige, unakademische und spekulativ spätromantische Semiotik von Charles Sanders Peirce mit ihrer subtilen Verbindung von epistemologischen, ästhetischen und ethischen Argumenten dazu geführt, Apels Ansatz zwischen Existenz, Ethik und Sprachwerdung zu einem originellen Ansatz einer unbegrenzten intersubjektiven Diskursivität ausreifen zu lassen, der auch heute noch den Maßstab einer begrifflich ausformulierbaren Modernität und Aktualität abgibt, weil er weder in die Falle der stumm-positivistischen Technokratie, noch des emotional-hysterischen Medienbeschleunigung, oder in die Unverbindlichkeit  eines realitätsfernen Idealismus oder in die fatale Hinnahme eines Privatleute und Staatsträger ausbeutenden Raubtierkapitalismus geht, sondern den Sinn der Anwendung ethischer und politischer Geltungsansprüche für die Gewaltenteilung von System und Lebenswelt überzeugend entfaltet.  
 







Verfügbare Bücher von Karl-Otto Apel


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