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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Artikel online seit 29.12.12

Philosophie heißt gegen Windmühlen kämpfen

Der Ritter von der traurigen Gestalt in seinem Kampf gegen
Windmühlen – treffender als Jürgen Beetz hat noch keiner
die Bewusstseinsstörung namens Philosophie und die von
ihr Betroffenen versinnbildlicht. Konsequenterweise bleibt
sein Vorhaben hinter den Erwartungen zurück.


von Timotheus Schneidegger

 

Hinter dem wohl abscheulichsten Cover der Buchgeschichte verbirgt sich Jürgen Beetz’ literarisch-philosophische Umsetzung einer charmanten Idee: Der verträumte Herr von der Mancha und sein lebenstüchtiger Knappe Sancho Pansa sind unsterblich und haben alle Zeit der Welt, um sich mit deren Fragen zu beschäftigen. Wer sich weder vom Cover noch vom kaum ansehnlicheren Textsatz von »Eine phantastische Reise durch Wissenschaft und Philosophie – Don Quijote und Sancho Pansa im Gespräch« abschrecken lässt, wundert sich schon nach wenigen Seiten, wieso noch niemand früher auf diese Idee gekommen ist: Der Ritter von der traurigen Gestalt in seinem mit Sinnlichkeit und Melancholie geführten Kampf gegen Windmühlen – schöner sind die durch übermäßige Lektüre und Grübelei verursachte Bewusstseinsstörung namens Philosophie und die von ihr Betroffenen nicht zu versinnbildlichen. Wie sich weiland Thales von Milet nach seinem Brunnensturz beim Sternegucken von der thrakischen Magd auslachen lassen musste, so hat auch Quijote seinen mal spöttelnden, mal entnervten Widerpart: Sancho Pansa tritt bei Beetz als Personfikation der (harten) Wissenschaft auf, welche sich längst von ihrer Herrin oder Mutter emanzipiert, wenn nicht gar über sie erhoben hat.

Beide sind dank des Internetzugangs ihres Autors auf dem neuesten Stand von Forschung und Technik. So beginnt das Buch mit einem Rückblick auf die Ideengeschichte der vier Jahrhunderte, um die der Hidalgo und sein Knappe ihren ursprünglichen Schöpfer bisher überlebt haben. Beetz bleibt dabei der platonischen Dialogform treu, einzig in den Einleitungen wird beschrieben, wo wir den Zwiegesprächen zwischen Don Quijote und seinem augenrollenden Handlanger lesend zuhören dürfen. Denn wie damals sind sie ständig unterwegs – der Ritter von der traurigen Gestalt in seinem klapprigen Renault R4 (Rosinante ist vom Fluch der Unsterblichkeit verschont geblieben.), sein Knappe hinterher auf einem Moped mit Navigationsgerät. Es wird viel gegessen und getrunken in ganz Spanien. Auf ihren Reisen machen sie aus unerfindlichen Gründen auch einen Abstecher an die Nordseeküste, wo Quijote – noch unerfindlicher – die Windradplage rund um das ostfriesische Neuharlingersiel unerwähnt und unbekämpft lässt.

Es gibt aber auch Dringenderes zu tun, schließlich haben die Personifikationen von Philosophie und Wissenschaft über sämtliche Menschheitsfragen zu streiten, oft genug mit der Einigung darauf, sich nicht einig zu sein: Logik, Ontologie, Kausalität, Epistemologie, Sprache, Denken, Wissen, Fühlen, freier Wille, Ethik, Wirtschaft und der Sinn des Lebens – Beetz hat sich für seine Helden viel vorgenommen. Wenn Quijote oder Pansa dabei mal ungenau werden, kann das mit der Dialogform und Beetz’ Bemühen um zeitgemäße und allgemeinverständliche Sprache entschuldigt werden. Aber auch in den Einleitungen kommt Beetz mitunter ins Schleudern, wenn etwa Paradoxien als Verletzungen der logischen Gesetze bestimmt werden, obschon sie sich aus ihrer übergenauen Befolgung ergeben, oder wenn Logik als gemeinsame Basis von Evolution und Denken beschrieben wird und der Leser selber zusehen muss, wie er sein Stirnrunzeln darüber in den Griff kriegt.

Mitte der Neunziger hat Jeff Goldblum als cooler Chaostheoretiker in »Jurassic Park« diesem Zweig der Mathematik zum populärwissenschaftlichen Durchbruch verholfen. Was vor einer Denkergeneration der Dekonstruktivismus war, das ist heute die Komplexität. In größerem Maße als es einem als Philosophie-Einführung gedachten Buch anstünde, weist Beetz in den Dialogen von Philosoph Quijote und Wissenschaftler Pansa die systemtheoretische Rückkopplung als neues Urprinzip des Seins aus. Es ist durchaus interessant, wie überall in Leben und Denken Rekursivität, Selbstbezüglichkeit und Schleifen zu finden sind, die Zufall gebären. Komplexität tritt aber doch nur die Nachfolge von Heisenbergs Unschärfe und Gödels Unvollständigkeit an, wenn die Populärwissenschaft das sokratische Wissen ums Nichtwissen als nun endlich technisch beweisbar ausruft.

Das mindert den Charme des Buchs nicht, allerdings verblasst dieser vor Beetz’ Ehrgeiz. Das Konzept, die Philosophie in Gestalt Don Quijotes und die harten Wissenschaften in der Sancho Pansas erste und letzte Dinge klären zu lassen, wird auf 300 Seiten ausgewalzt. Als Grundlagenkurs ist das nur mäßig umgesetzt. Die Protagonisten hauen einander vorrangig Exzerpte aus Wikipedia-Artikeln um die Ohren, darunter gleichwohl so schöne wie »Wurstkatastrophe«. Auch wo dem Hidalgo oder seinem Knappen die Worte lebender und toter Philosophen und Wissenschaftlern in den Mund gelegt werden, wird die Quelle sorgfältig verzeichnet. Bei knapp 500 Endnoten sollte der interessierte Leser immer den Daumen zwischen den hinteren Buchseiten lassen. Denn zwischen unsinnigen Anmerkungen wie der Stichwortliste zu Beginn jeden Kapitels – als gelte es, ein Proseminar zu indexieren! – verbirgt sich da auch manch ein Hinweis, für den es sich lohnt, eine über drei Zeilen gehende URL Buchstabe für Zahl für Sonderzeichen sorgsam in den Browser abzutippen.

Viel ennervierender als solche Lässlichkeiten der Form und das ambitionierte Scheitern aber ist der Defätismus, in dem sich die Philosophie von der PR-Kraftmeierei der harten (allen voran: Neuro-)Wissenschaften einschüchtern lässt. Die ritterliche Würde des Don Quijote war schon bei Cervantes eine bloß angelesene und auch Beetz’ Don Quijote kommt kaum über seine ursprüngliche Hanswurstigkeit hinaus. Pansa ist der nüchterne Pragmatiker, der sich von seinem schwätzenden Herren gar nichts sagen lassen muss. Erst und einzig im Ethik-Kapitel darf der Hidalgo glänzen und die Philosophie sich als vielleicht doch nicht komplett nutzlos präsentieren, womit sie sich eben auch bei Beetz auf das Todesspiel einlässt anstatt dessen Regeln (oder gar Sinn) in Frage zu stellen.

Die lustigen Momente versöhnen mit dem Buch, etwa wenn Quijote in der Diskussion um den Sinn des Lebens seinen Knecht Pansa, der sich qua Wissen um die Bedienung des Geldautomaten unersetzlich wähnt – gut hegelianisch abwatscht: »Wenn einer von uns beiden stirbt, gehe ich auf mein Landgut zurück.«

So einfach können letzte Dinge sein.

 

Jürgen Beetz
Eine phantastische Reise durch Wissenschaft und Philosophie.
Don Quijote und Sancho Pansa im Gespräch.
Alibri Verlag, 326 Seiten, kartoniert
ISBN 978-3-86569-083-8
19,- Euro

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