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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

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Balsam auf die Leserseele

Lose Gedanken
aus dem »Handschriftlichen Nachlass«
des Immanuel Kant

Von Gregor Keuschnig




 

»Kant ist kein Aphoristiker gewesen.» So beginnt Jens Kulenkampff sein Vorwort zu dem Bändchen »Köche ohne Zunge«, welches dann doch irgendwie ein aphoristisches Buch werden soll – und geworden ist. Kulenkampff beschreibt detailliert und instruktiv das Vorgehen, die behutsame und oft genug schwierige Entkontextualisierung aus dem »Handschriftlichen Nachlass« Kants, den Bänden 14 bis 20 der Gesamtausgabe. Jedes der verwendeten Zitate wird ausgewiesen und philologisch belegt. Man glaubt einerseits das schlechte Gewissen des Herausgebers förmlich zu spüren, andererseits jedoch auch das große Vergnügen, möglichst authentisch lose Gedanken des Philosophiegenies auf diese populäre Art und Weise herauszubringen.

Um es vorweg zu sagen: Es ist wunderbar gelungen; schonend und rücksichtsvoll in Bezug auf Kants Gedankengebäude, die durch verzerrtes Zitieren nicht zu putzigen Baumhäusern degradiert werden. Damit ist dieses Buch – dem Autor entsprechend – eben trotz der kurzen Form keine leichte Lektüre. Wer glaubt, die knapp einhundert Seiten schnell konsumieren zu können, irrt. Das Tempo gibt weiterhin Kant vor. Manche Notate beschäftigen den Leser und lassen ihn für lange Zeit nicht mehr in Ruhe, so verwickelt sind sie. Es gibt dann eine solide 50:50 Chance, dem Gedankengang Kants auf die Spur zu kommen. Bei anderen Aussprüchen nickt man hingegen sofort; gelegentlich zu früh. 

Und so sieht man Kant beim Denken zu. Es geht um Freundschaft und Liebe, dem gefährlichen Zustand der »Einbildungen«, dem Elend des Vergleichens (»Es ist…leichter«) und Urteilens. Gedanken zum Häßlichen und Schönen, den Deutschen (»von Talent Nachahmer«), über Genies (»viel Blendwerk«), dem Unterschied zwischen Buch- und Zeitungslektüre (nebst vier Punkten, was er »bei jedem Buch« sucht), den »Weibern« (»Ob das weibliche Geschlecht wohl Weiber zu Richtern wählen würde?«) und dem Unterschied zwischen dem Unwissenden und dem Einsehenden (»Der Unwissende weiß nicht zu fragen, der Einsehende weiß nicht zu antworten«). Es geht natürlich immer wieder um Ethik, Moral und »Sitte« und um die Freiheit, eine Idee, die man nicht erklären könne. Und es geht um das Leben gemäß der Natur, was nicht bedeute »den Trieben der Natur« nachzugeben, »sondern der Idee, welche der Natur zum Grunde liegt«. 

Manches Aperçu verblüfft den heutigen Leser, etwa wenn von den »Schäden, welche die Sündflut von Büchern« anrichten, die Rede ist. Oder wenn da einfach steht: »Es ist schon Ehre, nicht verachtet zu werden.« Und dann formuliert er Fragen, deren Antworten heute mehr denn je unbekannt sind: »Warum betrinken sich vornehmlich nordische Völker so gern?«

Das bibliophil gemachte Büchlein ist gerade in diesen Zeiten Balsam auf die oftmals geschundene Leserseele. Zuerst sollte man es sich selber schenken. Und dann anderen. Möglichst jenen, die verdächtig sind, mindestens ein wenig davon zu verstehen.

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Artikel online seit 22.12.14
 

Immanuel Kant
Köche ohne Zunge
(Hrsg. Jens Kulenkampff)
104 Seiten
Steidl
Leineneinband
€ 14,80
978-3-86930-836-4

 


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