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Artikel online seit 11.02.14

Eine Art Spiel mit Etiketten?

Über Peter Sloterdijks »Reflexionen eines nicht mehr Unpolitischen«

Von Gregor Keuschnig

»Reflexionen eines nicht mehr Unpolitischen« lautet der Titel der Dankrede Peter Sloterdijks anlässlich der Verleihung des Börnepreises 2013. Sofort fühlt man sich erinnert an Thomas Manns »Betrachtungen eines Unpolitischen« von 1918 und fragt sich, wie diese Anspielung zu verstehen ist. Mann hatte damals mit einem über 600 seitigen Konvolut zum einen die Verderbnis der Literatur durch die Beschäftigung mit der Politik konstatiert (und seinen Bruder Heinrich mehr oder weniger offen als abschreckendes Beispiel eines »Zivilisationsliteraten« inszeniert) und gleichzeitig exakt dies mit seinem Bekenntnis zum reinigenden Krieg – Kultur versus Zivilisation - selber betrieben. Dabei war Thomas Mann mindestens zu Beginn des Großen Krieges eigentlich nur das, was man heute Mainstream nennt. Und, um es ein bisschen salopper zu formulieren: Unabhängig davon, dass Thomas Mann in den 1930er Jahren (nach einiger Zeit des Abwartens) zum scharfen Gegner der Nationalsozialisten wurde, war er politisch nicht unbedingt ein Visionär. Kann sich ein Denker wie Sloterdijk sozusagen freiwillig in diese Tradition stellen?

Eine andere Möglichkeit wäre, dass es sich um eine besondere Form der Koketterie handelt. Eine Art Spiel mit Etiketten. Schließlich ist Sloterdijks Rede mit knapp 35 großzügig bedruckten Seiten gar nicht mit Manns voluminösem Text vergleichbar. Die ersten etwas mehr als 20 Seiten diesem »Sonderdruck edition suhrkamp« nimmt Hans Ulrich Gumbrechts Laudatio ein, in der er immerhin am Ende die selbstironische Volte platziert, sich selber zu seiner Wahl zu gratulieren, denn die Statuten des Preises sehen vor, dass nur eine Person den Preisträger bestimmt, und dies war eben Gumbrecht.     

Sloterdijks Rede beginnt wie ein Rückblick auf sein (medial-publizistisches) Leben. Er erzählt von dem für ihn unerwarteten Echo auf seinen Menschenpark-Text 1999, der ihn schließlich zum »Medientheoretiker…im Auge des Zyklons« werden lässt. Und überrascht konstatiert er, dass die »mediogene Hysterie« nach wenigen Wochen »schlagartig« zurückging: »Nicht einmal Aufräumarbeiten waren nötig, die Angehörigen der rechthabenden Klasse […] in ihren verglasten Redaktionen – ließen…von einer Minute auf die nächste von der Causa 'Menschenpark' ab, um sich anläßlich der Frankfurter Buchmesse auf andere Objekte zu konzentrieren, Objekte, die neue leichte Siege der Lektüre über den Text in Aussicht stellten.«

Aber die Eskalationsschraube in den Medien dreht sich in Zeiten des Billigtransportmittels Internet immer weiter und, vor allem, heftiger. Sloterdijk konstatiert: »Massenkommunikation organisiert das permanente Plebiszit gemeinsamer Sorgen und liefert auch gleich die Ablenkung von diesen mit.« Man muss ihn nicht mögen, um diese Beobachtungen über die »Einspritzung mentaler Infektionen« durch zum »Verzerrer« mutierter Journalistendarsteller als ziemlich gelungenen medienphänomenologischen aber auch gesellschaftspolitischen Befund zu empfinden. Gesellschaft existiert, so die These, nur noch als »massenmedial integrierte, zumeist polythematische Stress-Kommune«. Wichtig ist nur noch, die Balance zwischen Ablenkung und Stress, zwischen »lockeren unterhaltungsgemeinschaftlichen« und »dichten kampfgemeinschaftlichen« Zuständen zu finden. Der unterhaltungsgemeinschaftliche Pol reicht am Ende immerhin »bis hin zur Lizenz fürs unpolitische Leben«.

Daher weht also der Wind bzw. rührt der Titel. Sloterdijk beschreibt nichts Geringeres als seine Wandlung des Unpolitischen (oder ist es immer noch Koketterie?) zum politischen Wesen. Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre hätte man dies mit dem saloppen Rubrum »Politisierung« versehen, was damals im Allgemeinen mit langen Haaren, endlosen Diskussionen und rüdem Benehmen verknüpft wurde.

Und so wird jemand - notgedrungen - zum Apologeten eines dritten Weges. Denn das Gegenstück zur unpolitischen seicht-hedonistischen »Unterhaltungsgemeinschaft« tendiert bedauerlicherweise zur »monothematischen Kommune« und wird – durch die »gleichgeschalteten Medien« – »synchron aufgewühlt…von der Vorstellung gemeinsamer Bedrohtheit« und zwar völlig unabhängig von der tatsächlichen Bedrohungssituation. Dabei berücksichtigt Sloterdijk noch nicht einmal die potenzierten Hyperventilationen in den sozialen Netzwerken, die von seinem Kollegen Byung-Chul Han so luzide und mit großer Strenge analysiert wurden.

Derart am abschreckenden Beispiel der rechthabenden Klassen aller Art geschult geht es nun an die Diagnose der geopolitischen Probleme. Zunächst Europa. Hier entdeckt Sloterdijk ein »hinter autohypnotischen Floskeln« einer »diplomatischen Parallelgesellschaft« künstlich beatmetes Gebilde mit schwindendem Rückhalt innerhalb der jeweiligen Bevölkerungen. Die rein ökonomisch ausgerichtete »Wohlstandsgemeinschaft« – bisher Gewähr für halbherzig-desinteressierte Akzeptanz der EU und ihrer Institutionen - stößt mit jeder Wirtschafts- und/oder Währungskrise an ihre Grenzen. Weitere politische Pflöcke wurden ja nicht bzw. nur ungenügend eingeschlagen.  

In den USA sieht es nicht besser aus, nur anders. Die »Nonsense-Formel vom Krieg gegen den Terror«, geschaffen nach dem 11. September, hat inzwischen fast die ganze Welt in eine »Kettenreaktion der sekuritären Selbstvergiftung« geführt. En passant weist Sloterdijk darauf hin, dass »99% aller terroristischen Übergriffe im 20. Jahrhundert auf das Konto von Staatsterroristen gegangen sind.« All dies stört die diversen amerikanischen Regierungen nicht – sie pumpen sich um den Preis des Bankrotts zur militärischen Großmacht auf. Sloterdijks These: »Das europäische Projekt steht vor dem Zerfall, das amerikanische Projekt an der Grenze zur Depression.« Die Europäer seien uneinig und zersplittert, was er »agenturschwach« nennt. Die Amerikaner dagegen sind »agenturstark«, aber nur auf dem militärischen Gebiet.

Sloterdijk bietet nun eine Lösung an; getarnt als Frage, aber unmissverständlich als einzigen Ausweg verstanden: »Ist es nicht denkbar, daß die Überwindung der Krisen hier und dort in der gegenseitigen Behebung der reziproken Stärken bestünde? Sollten nicht die Amerikaner endlich europäisch Farbe bekennen und die Europäer atlantisch?« Sloterdijk spricht sich ernsthaft, Régis Debray dabei paraphrasierend, für eine »reelle politische Einheit« Europas mit den USA aus. Dies übrigens deutlich jenseits der gerade verhandelten »Freihandelsabkommen«, die am Ende nur den ökonomischen Grossisten in die Hände spielen dürfte. Seine Ideen gehen weiter. Gegenseite Bürgerrechte beispielsweise. Aber da ist die Rede dann auch schon aus. Aber man sollte diesen Gedanken wenigstens einen Moment lang auf sich wirken lassen – unter Vermeidung jeglicher Witzchen oder realpolitischer Bedenken.

Ob Sloterdijk im Angesicht der Snowden-Enthüllungen auch heute noch für eine Art multikulturellen Transatlantikraum eintreten würde? Zeigen doch die kontroversen Positionen mehr als nur Mentalitätsunterschiede. Die USA und Europa (mit Ausnahme von  Großbritannien) sind sich fremder, als man gemeinhin annimmt. Dies zeigt sich vielleicht auch darin, wie man mit den diversen ökonomischen, ökologischen und politischen Krisen umzugehen gedenkt. Die lachenden Dritten könnten andere sein.

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Foto by Rainer Lück

Peter Sloterdijk

Reflexionen eines nicht mehr Unpolitischen
edition suhrkamp
Broschur, 64 Seiten
7,00 €
978-3-518-06070-4

 


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