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Literatur und Zeitkritik


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Verirrt im finstren Tal

Der Herausgeber von Heideggers »Schwarzen Heften«, Peter Trawny,
ringt in einem weiteren Essay mit den menschlichen Abgründen, in die
ein radikales Denken nicht nur im Dritten Reich stürzen kann.

Von Timotheus Schneidegger


 

Zu Beginn des Jahres hat Peter Trawny etwas geschafft, was bislang noch niemandem vergönnt war, der an der Edition der auf 100 Bände ausgelegten Martin-Heidegger-Gesamtausgabe beteiligt war: Trawny wurde durchs Feuilleton gereicht, zu Interviews gebeten und mit Folgeaufträgen überschüttet.

Allerdings waren bisherige Bände auch nicht so brisant wie die von Trawny im Frühjahr 2014 herausgegebenen Nummern 94-96, in denen die »Schwarzen Hefte« versammelt sind, also Heideggers Notizen aus den Jahren 1931-42. Ein erstes Nebenprodukt der Editionsarbeit war das schmale Bändchen »Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung«, in dem Trawny sich mit den antisemitischen Einlassungen auseinandersetzt, die sich in den Schwarzen Heften finden und die alte Diskussion wiederaufleben ließen, ob Heidegger als Denker jetzt noch zu retten sei. In nämlicher Diskussion wusste sich Trawny erfolgreich als neue Instanz in der Heidegger-Community zu positionieren, indem er den Finger auf die Wunde legt anstatt die bisher übliche Apologetik zu betreiben (oder sich – wie die Alten – in Schweigen zu hüllen). Heidegger habe den Antisemitismus bewusst in sein Denken aufgenommen, drum sei in der Auseinandersetzung damit größere Vorsicht denn je angebracht. Dafür – was Trawny bestimmt nicht abstreiten würde – ist das von ihm gegründete Heidegger-Institut in Wuppertal weit besser geeignet als der den ererbten Nachlass hütende südwestdeutsche Familienbetrieb mit seinen akademischen Hilfskräften.

Inzwischen hat Trawny nachgelegt mit einem weiteren Werk, das der Form nach voll im Trend liegt, der weg vom voluminösen Weltentwurf hin zum 100-seitigen Denkvergnügen fürs Wochenende geht. In »Irrnisfuge« setzt sich Trawny mit dem Leitsatz der Heidegger-Apologetik auseinander: »Wer groß denkt, muss groß irren.«

Damit spielte Heidegger nicht auf das schwierige Verhältnis von Ambition und Integrität an, schon gar nicht auf sein eigenes nationalsozialistisches Engagement. Stattdessen ging es dem Todtnauberger darum, dass zur Bewegung des Denkens, das für ihn mehr mit Wandern als mit Problemlösung zu tun hatte, das Irren dazugehört – wenn es sich denn tatsächlich ins Tiefe, Dunkle und Unbekannte der Seinsgeschichte wagt. Trawny erklärt diese eigentliche Bedeutung des Satzes und nimmt dessen apologetische Praxis ernst.

»Irrnisfuge« ist als Titel klug gewählt, verweist er doch auf Celans berühmtes Gedicht »Todesfuge« und damit wieder auf Heidegger, den Meister aus Deutschland, der in der Dichtung den einzig unverstellten Weltbezug sah und sich gegenüber dem Holocaust-Überlebenden Celan aller kollegialen Verbundenheit zum Trotz mit keiner Silbe zu seinem Verhältnis zum Nationalsozialismus erklärte.

Dieses tut Trawny nicht als »Verirrung« Heideggers ab, belegen die Schwarzen Hefte doch zur Genüge, wie Heidegger eben auch seine philosophische Hoffnung in Hitler gelegt hatte und sich von der mangelnden Radikalität der Nazis enttäuscht sah. Stattdessen versucht Trawny herauszufinden, wie es dazu kommen konnte. Der Essay findet seine Antwort in »Heideggers An-archie«, so der Untertitel. Faszination und Gefährlichkeit Heideggers liegen in der Freiheit von jedem Prinzip und Zweck, die er für sein Denken beansprucht. Das heißt ausdrücklich auch jenseits von Gut und Böse Philosophie zu betreiben, die sich selbst für ein affirmatives Verhältnis zu Rassenwahn und Massenmord nicht zu rechtfertigen bräuchte.

Was Heidegger für ein Streben nach der Wahrheit um jeden Preis hält, ist der Kampf »mit allen philosophischen und un-philosophischen Mitteln« gegen die Entzauberung der Welt. »Das Seyn selbst ist tragisch«, weshalb das moderne, d.h. technisch-naturwissenschaftliche Weltbild es mit seinen bloß oberflächlichen Tatsachen verstellt. Nur ein dichterisches Denken kann der Bedeutungstiefe des Seyns gerecht werden.

Heideggers Wahrheit aus Offenbarung und Verbergen bedingt eine »Entmächtigung des Subjekts«, das seit der Neuzeit die Hauptrolle in der Philosophie spielt. Zu diesem falschen Denken, das er wie ein rasender Mystiker verachtet, gehören auch alle moralischen und logischen Kriterien.

»Die Wirklichkeit wird erzählt«, und zwar als Drama und Tragödie. Trawny macht Exkurse in die antike Mythen- und Sagenwelt und zu den alt-griechischen Dichtern. Ihnen meint Heidegger das »Narrativ eines tragischen Seyns« ablauschen zu können, zu dem nun einmal der Schmerz, der Holocaust und die Wasserstoffbombe dazugehören: Es hat so kommen müssen; irgendetwas am abrollenden Ereignis des Seyns kontrollieren zu wollen, macht alles nur noch schlimmer. »Schlimmer« wäre für Heidegger aber nicht die Potenzierung von Leid und Elend, sondern die Leugnung des tragischen Wesens des Seyns: »Das erste Schreckliche nach Heidegger ist nicht, dass wir töten, sondern dass wir nicht darauf achten, woher die Freiheit des Tötens stammt.«

Die Fraglosigkeit und Oberflächlichkeit des falschen Denkens hatte die entzauberte Welt in den totalen Krieg geführt, der – so Heideggers Hoffnung – die katastrophale Klimax der Seinsgeschichte darstellt und dem Mythos wieder Geltung verschafft.

Trawnys Essay zeigt Heidegger einmal mehr als einen radikalen Vor-gänger in die Irre, dem zu folgen ein gesundes Gewissen verbietet, was freilich zur Anziehungskraft dieses wahrhaft antimodernen Denkens beiträgt.

Artikel online seit 26.12.14
 

Peter Trawny
Irrnisfuge
Heideggers An-archie
Matthes & Seitz Berlin 2014
89 Seiten
10,00 €

Leseprobe


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