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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Unendlicher Spaß – Grenzenlose Trauer

Zum Tod von Robin Williams (1951-2014)

Peter V. Brinkemper

Robin Williams war und ist ein radikaler und exzentrischer US-Komiker, ein beherzter, dabei gebrochener Comedian, ein aus dem scheinbar heiteren Fach stammender Charakterschauspieler, dessen Obsessionen Drehbücher improvisatorisch sprengten und dessen fragmentierte Rollen und dissoziierte Figuren, nicht nur für das Filmgewerbe, sondern auch für sein eigenes Leben längst hätten aufhorchen lassen sollen. Mit hohem Aufwand und der Aufbietung aller Finessen füllte er in seinen besten Arbeiten die bei manchen Kollegen auftretende Kluft zwischen Bühnensketch und abendfüllenden Kinospielfilmen mit einzigartigen Performances und spontanen Medienreflexionen, ohne den Geist seines filmreifen Humors zu verraten.

Es hat ihn dahingerafft, sein Talent, zwischen Manie, Aufschwung, Depression und Melancholie. Das war mehr als nur körperliche oder seelische Schwäche, mehr als Flucht in Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit, mehr als der Kampf mit dem inneren und äußeren Aufmerksamkeitsterror und der Promi-Einsamkeit. Es ging nicht nur um passive Anfälle und Ausfälle, sondern um subversive Wogen zwischen Ebbe und Flut, Widerstand und Kapitulation, Euphorie und Sinnverlust. Um gewollte und erbeutete Lebensfreude aus purem Übermut an der Übertreibung und an der Klippe selbstquälerischer Satire. Eine Rolle spielte auch der allseits sichtbare Lebensüberdruss, angesichts seines gleichzeitigen Erfolges und fast planvollen Scheiterns in einer kommerziellen Medienwelt, die sich schon in den 1980er Jahren von sich selbst zu verabschieden schien, indem sie die Phantasie und Kreativität flächendeckend liquidierte.

Wenn man genauer hinsieht, waren in Robin Williams Gesicht zuletzt Züge von Stan Laurel, dem Gehirn von Laurel und Hardy, eingeschrieben, zu dem er in vielen befreiend tollpatschigen Situationen zurück in die Stummfilmzeit der aus ihren bürgerlichen Rollen fallenden Tramps und Vagabunden zurückfand. Aber umgekehrt war es Williams improvisatorischer Ursprung in der Stand-Up-Comedy und Sitcom (der auf ABC laufenden Sci-Fi-Sitcom »Mork vom Ork«, 1978-82) mit allen ihren mimischen, gestischen und verbalen Mitteln und Manierismen, die ihn in eine ersatztheatralische Filmwelt mit tragikomischen Stoffen und ihren eigenen Produktions- und Vermarktungsgesetzen katapultierte.

Ein Debüt war die Rolle des vaterlosen Soldaten-Bastardas «Garp« unter George Roy Hills Regie nach John Irvings Roman (1982), ein Programmkino-Achtungserfolg. Der kommerzielle Durchbruch kam mit Barry Lewinsons «Good Morning Vietnam« (1987) als rebellisch-populärer American-Forces-Moderator, frei nach dem historischen verbürgten Adrian Cronauer, der hinter der Kulisse von Zensur, Unterhaltung und Siegesparolen die schmutzige Seite des Krieges und die Botschaft von Frieden und Verständigung für alle Hörer, jenseits von Freund und Feind, greifbar offenlegt. In Peter Weirs gleichfalls kassenträchtigem »Der Club der toten Dichter« (1989) verführt Robin Williams als Englischlehrer John Keating die Schüler eines konservativen Internats der späten 1950er Jahre zum subversiven Umgang mit Literatur im Geist von Thoreau, Whitman und Lincoln. Es geht dabei um die Anti-Tugenden von Existenzialismus, Rückzug, Protest, Nonkonformismus, Ungehorsam, Widerstand, Selbstdenken und Autodidaktik, jenseits der vorhandenen zivilisatorischen Zwangssysteme, die hier in überzeugender Weise angeklagt und parodiert werden. Sanktionen folgen für Keating und Cronauer auf den Fuß. Terry Gilliams erste Monty-Python-freie Produktion »König der Fischer« (1991) warf den Blick auf Jeff Bridges und Robin Williams als Skandal-Radiomoderator Jack und Obdachlosen-Literaturprofessor Henry »Parry«, wie sie nackt unter dem Sternenhimmel im Central Park lagen, nachdem sie eine prall-poetische Komödie höchster Irrungen, Wirrungen, Unfälle und Abstürze rund um die Hoffnung auf einen Gral angesichts ihrer verpfuschten Leben in modernen Zeiten absolviert hatten. Als mittlerweile alt gewordener und modernisierter Peter Pan, in Steven Spielbergs uninspirierter, aber kommerziell erfolgreicher Realverfilmung »Hook« (1991), besetzte Robin Williams mit Widerpart und Pirat Dustin Hoffman die pseudo-disneyfizierte Neverland-Tabuzone der Phantasie zwischen Kind und Erwachsenem, die später auch anderen Prominenten wie Michael Jackson mehr als zu schaffen machte.  Das komödiantische Talent setzte gefährlich Plastik an. Dazu passte auch der Spielzeug-Soldaten-Flop »Toys« ( Barry Levinson, 1992).

Vincent Wards weitschweifiges Seelenwanderungsepos »Hinter dem Horizont« (1998, nach dem Roman von Richard Matheson) ließ Robin Williams als Verkehrsunfallopfer in ein recht imposantes digitales Jenseits zwischen Himmelskitsch und Höllenverdammnis verschwinden, um seine aus Liebe via nachträglichem Selbstmord eingeschleuste Frau am Ende im gemeinsamen Lebensneustart zu erlösen. Die Einkapselung des Schauspielers in eine zum Teil ikonisch falsche Richtung, die ihn und das Publikum sichtlich unterforderte und zum Markenartikel verdinglichte, war längst im vollen Gang und feierte mit dem sentimental von Chris Columbus 1999 inszenierten »200 Jahre Mann«, nach Isaac Asimovs genialer Robot-Erzählung, einen weiteren Triumph. Dabei hätte diese Kinogeschichte ein ganz großer Wurf werden können. Die Story enthielt viele doppelbödige Aspekte, vor allem im Thema der radikal vergehenden Zeit und der nostalgischen Zeitschleifen. Williams trat als mechanisches Androiden-Modell »Andrew« auf, als Butler, Ruhestörer und Spielzeug der Familie Martin, das dann in der Folge mit biomorphen Einzelteilen nachgerüstet wird, um dem sehr menschenähnlichen Drang Andrews nach Freiheit und Anerkennung nachzukommen und in der zweiten Generation sogar eine sterbliche Verbindung mit der Enkelin der menschlichen Martins zu ermöglichen.

Im heute noch populären Kassenschlager »Mrs. Doubtfire« (1993, Regie gleichfalls Chris Columbus) bewegte sich Robin Williams als Stimmenimitator und Synchronsprecher Daniel Hillard wiederum in einer anderen Identität, aber diesmal absichtlich, in der ältlichen Maske der gleichnamigen Haushälterin, um sich in das Heim seiner geschiedenen Frau und der gemeinsamen Kinder einzuschleichen und so wenigstens ein Stück Nähe zurückzugewinnen. Beachtenswerte Neuauflagen von französischen und deutschen Filmerfolgen, die beliebte Travestie-Komödie »Birdcage« (1996, Regie Mike Nichols, mit Gene Hackman als konservativer Gegenfigur) und das Ghettostück »Jakob der Lügner« (1999, unter Leitung von Peter Kassovitz) nach dem Roman von Jurek Becker, kamen hinzu. Auch hier ging es um Kostümierung, Verschleierung und Camouflage, Umgehung und Infiltration. Den Oscar bekam Robin Williams als bester Nebendarsteller in dem zugleich erfolgreichen und differenzierten Film »Good Will Hunting« (Regie Gus van Sant, 1997), in der nun plötzlich realistischen Rolle des sensiblen bärtigen Psychologen Sean Maguire. Er soll den sozial gefährdeten, aber hochbegabten Will Hunting (Matt Damon) als ordentlichen Mathematikstudenten für das MIT retten. Williams bietet eine starke, vor allem auf die jungen Partner eingehende Darstellung, eine angenehm unauffällige und immer wieder überraschend abwechslungsreiche Performance statt absehbarer Gebärden und grober Gesten wie etwa in »Patch Adams« (Regie Tom Shadyac, 1998).

Einer der vielleicht bemerkenswertesten Filme ist Mark Romaneks »One Hour Photo« (2002), in dem Robin Williams – wie auch in Christopher Nolans Remake »Insomnia« (2002) – keinen heiteren, sondern düster getönten Charakter spielt. Düster und dabei vor allem aber differenziert. Jenseits von Gut und Böse. Seymour Parrish, ein einsamer Fotoentwickler in einer Supermarktfiliale (ein aussterbender Job angesichts der Entwicklung von Digitalkameras) nimmt illegal teil am Leben einer unbekannten Familie, die er als Kunden auf ihren eigenen Aufnahmen und auf für sich abgezogenen Kopien verfolgt. Auf diese Weise dringt er hinter die Fassade von angeblicher Treue und Geborgenheit, überschreitet die Grenzen des Privaten und übt allmählich, in bester Absicht, die Tyrannei einer erzwungenen Intimität aus. In dem Making-of zur DVD wird deutlich, wie stark Williams und das Team um Romanek daran arbeiteten, den einstigen redseligen Radiokomödianten zu dem im entscheidenden Moment schweigsamen, stummen und unheimlichen Charakter Parrishs aufzubauen, der bis zuletzt ein beklemmendes Geheimnis mit sich trägt.

Robin Williams war Schauspieler auf ganzer Breite zwischen Humor und Ernst, Kunst und Kommerz. Jetzt ist er von uns gegangen, in Verzweifelung oder Entschlossenheit, die tiefer als Spaß waren.

Artikel online seit 13.08.14



Foto von Eva Rinaldi
→ Flickr [CC-BY-SA-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)]via Wikimedia Commons

 


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