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Öffentlichkeit als Lebenselixier
des Terrorismus

Gregor Keuschnig kommentiert Andreas Elters lesenswerte Analyse über
»Die RAF und die Medien«


Andreas Elter, seit Oktober 2007 Professor für Journalistik an der macromedia-fachhochschule zu Köln, entwirft in seinem Buch "Propaganda der Tat – Die RAF und die Medien" zunächst eine Art Psychogramm terroristischer Gruppen, wobei er es merkwürdigerweise vermeidet, eine Definition des Terrorismus an sich vorzunehmen und die gruppendynamischen Prozesse innerhalb der Gruppe(n) mit aufführt. Das zeigt sich im Laufe des Buches manchmal als kleine Schwäche und wenn er am Ende meint, der Terrorismus habe sich in den letzten dreissig Jahren verändert, weil jetzt nicht nur unbeteiligte Personen sozusagen "zufällig" Opfer von Anschlägen werden, sondern diese Zivilisten inzwischen mit Vorsatz umgebracht werden, so spricht Elter einen wesentlichen Punkt an, der – das zeigt er auch im Buch – der RAF im Laufe ihrer "Aktivitäten" enorme Sympathien gekostet hat. Das stellt er zwar durchaus anhand der einzelnen Anschläge auch fest, dennoch vermeidet er eine direkte Dekonstruktion der Selbsteinschätzung der RAF als Guerilla. Dies vermutlich deshalb, weil er zumindest den Anfängen der RAF, diesem Zerfallsprodukt der Studentenbewegung, eine gewisse moralische Legitimation (und Autorität) nicht per se abspricht.

Vergleicht man Elters Punkte mit den Merkmalen des Terrorismus, wie sie Louise Richardson in "Was Terroristen wollen" formuliert hat, ergeben sich im für dieses Buch entscheidenden Punkt – der medialen "Vermarktung" des Terrors – deutliche  Parallelen. Überraschend hierbei ist dann, dass Richardsons Charakteristikum der medialen Komponente deutlicher formuliert ist als bei Elter. Sie schreibt: "Zweck von Terrorismus ist nicht, den Feind zu besiegen, sondern eine Botschaft zu verkünden." Bei Elter klingt das ein bisschen nebulöser: Terroristische Gruppen setzen primär auf physische Gewalt (die aber gleichzeitig psychische Wirkungen intendiert) und spektakuläre Aktionen, welche die massenmediale Verbreitung sicherstellen, die Öffentlichkeit erreichen und einen langfristigen Schockeffekt herbeiführen sollen

Dynamit und Rotationsdruck
Weiter konstatiert Elter, dass Terroristen sich sowohl der "Propaganda der Tat" als auch der "Propaganda des Worts" bedienen und sich zu gewaltsamen Aktionen bekennen. Sie verfolgen somit das Ziel, eine Eskalationsspirale in Gang zu setzen und Meinungen und Handlungen zu beeinflussen. Das ist jener Mechanismus, den Richardson als eine der "drei Rs" ausmacht – die "Reaktion". Auch sie verwendet den Begriff der "Propaganda durch die Tat" und stellt fest: "Das, wenn man so will, Geniale am Terrorismus ist […], dass er Reaktionen hervorruft, die öfter im Interesse der Terroristen sind als in dem der Opfer."

Elter kommt in seiner Studie über die massenmediale Wirkung der RAF zum gleichen Urteil und belegt dies an vielen Beispielen. Seine Definition der "Propaganda der Tat" entlehnt er bei dem deutschen Anarchisten Johannes Most (nach einem interessanten Exkurs in die Anarchistenszene des ausgehenden 19./beginnenden 20. Jahrhunderts; auch die Geschichte des Terrorismus insgesamt von den politischen Morden in der Antike über die Assassinen bis zu dem Staatsterrorismus in der französischen Revolution wird kursorisch gestreift).

Als wichtigste "Innovationen" für eine "Propaganda der Tat" macht Elter zwei neue Erfindungen aus der damaligen Zeit aus: das Dynamit und der Rotationsdruck. Terroristische Organisationen des 20. und 21. Jahrhunderts haben – unbewusst oder bewusst – dies inzwischen weiterentwickelt. Folgende Punkte sind dabei für Elter essentiell:
   
Die Tat als solche stellt bereits eine Form der Kommunikation dar; mit ihr soll die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erreicht werden.
  
Die terroristische Gruppe muss deutlich machen, dass sie die Tat verübt hat. Sie macht mit einem Bekennerschreiben oder auf einem anderen Weg (zum Beispiel durch Pamphlete oder durch Internetvideobotschaften) klar, was sie mit der Tat beabsichtigt hat.

Die Tat muss so spektakulär sein, dass die Medien sie nicht ignorieren können.

Elter fächert die Geschichte der RAF chronologisch auf. Von den Studentenunruhen 1967, dem Tod Benno Ohnesorgs bis zu den ersten Anschlägen Anfang der 70er Jahre über Baader-Befreiung, die ja inzwischen fast einhellig als die "Geburt der RAF" bezeichnet wird, über die Gefangennahme von Baader, Meinhof, Raspe und Meins, den Hungerstreiks (speziell 1974; hierüber wird noch zu reden sein), den militanten Aktionen und Anschlägen, die fast ausschliesslich der Befreiung von Gefangenen dienten und in den "deutschen Herbst" 1977 mündeten. Das Kapitel über die dritte Generation der RAF bis zur Selbstauflösung 1998 fällt sowohl in Quantität als auch in Qualität ein bisschen ab, was u. a. daran liegen dürfte, dass die Taten grösstenteils weder aufgeklärt, geschweige denn die Verdächtigen inhaftiert sind und sichere Aussagen und Bewertungen hierüber nicht möglich sind. (Die Kapitel über die RAF in Kunst und Literatur hätte man besser weggelassen, da sie unvollständig und somit arg selektiv erscheinen.) 

Die RAF dominiert in den Medien
Trotz unterschiedlicher äusserer Bedingungen und gelegentlich veränderter Lage erkennt Elter im Handeln der RAF sehr wohl die Bedingungen der "Propaganda der Tat". Er zeigt dabei auch, wie die RAF ganz schnell Aktionen von anderen linksextremistischen bzw. linksterroristischen Vereinigungen wie den "Revolutionären Zellen" und der "Bewegung 2. Juni" (die sich sogar als anarchistisches Korrelativ zur RAF verstand) für sich "vereinnahmte" und sich somit medial in den Hintergrund schob. So ist beispielsweise wenig bekannt, dass die "Revolutionären Zellen" weit mehr Anschläge ausführten als die RAF. Die RAF hatte allerdings die weitaus spektakuläreren Attentate verübt. Und in der allgemeinen Aufmerksamkeit wurde beispielsweise die Entführung des CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz, von der "Bewegung 2. Juni" begangen, später der RAF zugeordnet. Auch der Mord an dem Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann wurde vom "2. Juni" verübt (ursprünglich als Entführung geplant). Elter sieht darin den Drang zur Simplifizierung in den Medien und macht Parallelen zur Rezeption der aktuellen Terroranschläge aus, die fast immer – sofern sie einen islamistischen Hintergrund haben, al-Qaida als Verursacher nennen.

Die Dominanz der RAF als Urheber des Terrors rührt vor allem daher, dass spätestens nach Inhaftierung des "harten Kerns" (der ersten Generation, also Baader, Meinhof, Ensslin et al.) verstärkt und noch effizienter agitiert werden konnte. Das klingt zunächst paradox, aber da die Anführer nicht mehr im Untergrund waren, und man sehr schnell ein konspiratives und vor allem effizientes (übrigens stark hierarchisches) Informationssystem implementiert hatte ("RAF-info"), war eine umfassendere und zeitnahe Agitation und Verbreitung von Kommuniques und Botschaften an die Sympathisantenszene und – wenn notwendig – die Öffentlichkeit möglich. Und auch das gefangeneninterne Kommunikationsnetz funktionierte prächtig – sowohl auf legalem als auch auf illegalem Weg. In beiden Fällen spielten einige Anwälte eine wichtige Rolle. Elter bemüht – leider!- hauptsächlich (den inzwischen verstorbenen) Klaus Croissant, der später strafrechtlich wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde; andere, heute prominente ehemalige Anwälte wie Ströbele und Schily werden nur sehr kursorisch behandelt.

Selbstviktimisierung
Hinzu kam – das ist nicht unwichtig – der elitäre und überhebliche Ton, den die RAF anschlug. Die RAF usurpierte hierdurch die Führerrolle innerhalb der linken Szene, versuchte auch an die legale Linke anzudocken (ein gravierender Fehler – auch in der Selbstreflexion der RAF von 1998 - liegt wohl darin, keinen "legalen Ableger" gegründet zu haben, der institutionell verankert gewesen wäre). Sie betrachtete sich als Speerspitze und ihre Pamphlete spiegelten dies in oft rüdem Befehlston wieder. Elter vermutet, dass viele potentielle Sympathisanten auf Dauer weder den Ton noch diesen avantgardistische Anspruch akzeptierte und das die RAF deshalb sukzessive an Zustimmung verlor, was sich zunehmend als Problem herausstellte.

Gestoppt wurde dieser Exitus allerdings zunächst durch den Tod des hungerstreikenden Holger Meins. Elter widmet dieser Causa viel Raum. Erhellend dabei, wie er vorführt, dass terroristische Kommunikationsstrategie ohne jegliche Manipulation oder Beeinflussung allein durch Berichterstattung über einen bestimmten Sachverhalt aufgehen kann. Indem seriöse Presseorgane wie beispielsweise die "FAZ" oder die "Süddeutsche Zeitung" neben der gängigen, offiziellen Erklärung für den Hungertod von Meins eben auch über die Vorwürfe, die in Presse- oder Hungerstreikerklärungen der RAF erhoben wurden und durch Anwälte publiziert wurden, und kolportierten, man habe Meins absichtlich verhungern lassen, wurden diese Äusserungen – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – ein sehr effektives Mittel in der Aussenkommunikation der RAF. Die Medien wurden dabei zu den Transporteuren der Sichtweise der RAF, obwohl sie lediglich ihre Pflicht zur neutralen Berichterstattung erfüllten, zu der es natürlich keine Alternative gab. Aus dem blossen Übermittler wurde – ungewollt - ein Akteur. Der Ausweg aus diesem Dilemma wäre gewesen, wenn die Journalisten die tatsächlichen Begebenheiten aufgedeckt und so die Version der RAF entkräftet hätten, wie dies beispielsweise der "Spiegel" versuchte, der einen Gefängnisarzt interviewte.  

Mit dem Tod von Holger Meins hatte die RAF erstmals die Möglichkeit einen der ihren als Opfer zu stilisieren und ihre These von den "unmenschlichen Haftbedingungen" zu unterfüttern (schöner Kontrast: die Bücherlisten von Ulrike Meinhof [PDF; 2,11 MB]). Dieser Punkt der Selbstviktimisierung spielt, das beweist Elter eindrucksvoll, eine nicht unwesentliche Rolle in der Kommunikationsstrategie der RAF, obwohl sie sich hiermit von der "Propaganda der Tat" abwendete. Indem die Gefangenen sich selber stets als Opfer darstellten, hatte die Befreiung der einsitzenden Häftlinge für die im Untergrund lebenden Aktivisten oberste Priorität. Eine eventuell andere "Taktik", d. h. andere Ziele oder Strategien kamen gar nicht mehr infrage (zumal es an "Personal" mangelte). Die RAF wurde nur noch selbstreferentiell, was sie jedoch sehr gut verbarg.

Einige Medien forcierten in der ohnehin schon aufgeheizten Stimmung die Tonlage noch. In dem die Bouleveardzeitungen "BZ" und "Bild"…auf ihre Weise einiges dafür taten, dass das Thema aktuell blieb, also "Bild" vom "süssen Leben hinter Gittern" [sprach], … die "BZ"… schon einige Wochen Artikel mit Formulierungen wie "Hungern als Hobby" veröffentlicht und die "Bild" mit dem Titel "Rache" aufmachte, der in Anlehnung an Äusserungen von Beerdigungsteilnehmern nahm, stimulierte "Bild" die Sympathisantenszene zusätzlich und leistete damit der Kommunikationsstrategie der RAF Vorschub. Denn genau dieses Gefühl der Rache oder – bei weniger aggressiven Zielgruppen – des Mitleids sollte durch die Rede von der "Vernichtungshaft" hervorgerufen werden. Elter spricht nicht nur hier vom symbiotischen Verhältnis zwischen der RAF und ihrem Gegner "Bild".

Symbiose zwischen "Bild" und RAF?
Diese These von der (besonders engen) Symbiose ist eine wichtige Klammer in diesem Buch, die in einem interessanten Exkurs über das Verhältnis APO bzw. später dann RAF und Springer mündet und auf die Elter im Buch immer wieder zurückkommt. Elter behauptet, dass APO bzw. RAF ihrem grössten Feind in der Medienlandschaft somit ungewollt zu wirtschaftlichem Erfolg [verhalf], dieser sicherte der RAF jedoch wiederum höchste Popularität. Er führt Belege dafür auf, in dem er die Wechselwirkungen zwischen der demagogischen Panikmache insbesondere durch die "Bild"-Zeitung aufzeigt, die aber damit Bestandteil der Propaganda der RAF wird.

Dennoch ist der Begriff der Symbiose problematisch; vielleicht wäre es besser gewesen, von einer Interdependenz (bzw. Konterdependenz) zu sprechen. Eine Symbiose impliziert ein irgendwie bestehendes Verhältnis, gar so etwas wie ein stillschweigendes Übereinkommen. Es ist schon deshalb etwas ungenau, weil die Abhängigkeiten auf beiden Seiten doch unterschiedlich waren. Während die "Bild"-Zeitung die Berichterstattung über den Terrorismus nicht zwingend brauchte (sie hätte leicht andere Themen finden können bzw. hat sie ja auch gefunden, wenn es entsprechend wenig über die RAF zu berichten gab), war die RAF dagegen stark auf eine entsprechende Berichterstattung – und sei sie auch noch so polarisierend oder negativ – angewiesen. Daher war die RAF sehr viel stärker von "Bild" abhängig als umgekehrt.

Das Dilemma der RAF bestand darin, dass die Medien (und nicht nur die Springer-Medien) Teil des "Establishments" war, was man ja bekämpfte. Der Begriff Symbiose ist auch ungenau, weil der Springer-Konzern direkt selbst zum Gegenstand der intellektuellen Auseinandersetzung und auch des RAF-Terrorismus wurde, also "Partei" war.

Immerhin streift Elter die unumstössliche Tatsache, dass – auch hier wieder insbesondere die Springer-Presse – der RAF-Terrorismus als Hebel verwendet wurde, um die ungeliebte sozial-liberale Regierung im Bund zu desavouieren. Das RAF-Phänomen [sei] von einigen demokratischen Politikern in unverantwortlicher Form zu politischen Zwecken instrumentalisiert worden (namentlich nennt Elter nur den späteren Innenminister Friedrich Zimmermann). Durch eine hysterische Darstellung der Bedrohungslage sah sich die Regierung zu Massnahmen veranlasst, die ihrer Intention ("Mehr Demokratie wagen" – Willy Brandt) eigentlich widersprach. Dies nur, um nicht als "schwach" oder auf dem "linken Auge" blind diskreditiert zu werden.

In dem der "Spiegel" den letzten Brief von Holger Meins abdruckte, trug er bedeutend zur Märtyrisierung Meins' gerade in einer bestimmten Masse der Unentschlossenen bei. Elter zitiert aus einem (erst nach Meins' Tod bekanntgewordenen) Brief Baaders [PDF; 1,58 MB] "Es werden Typen dabei [bei den Hungerstreiks] kaputtgehen". Eine Strategie der Führungsriege der RAF wird allerdings negiert: Dass die RAF während des Hungerstreiks bewusst auf den Tod von Mitgliedern setzte, um damit einen Mitleids- oder Solidarisierungseffekt zu erzielen, lässt sich daraus aber nicht direkt ableiten. Beweise für einen Befehl, "sich zu Tode zu hungern", existieren nicht.

Und es gibt den Beweis
Wenn Elter einen direkten Befehl in dieser Hinsicht meint, hat er recht. Aber das hätte sich selbst Baader & Co. wohl nicht herausgenommen. Er irrt dennoch, wenn er von einem eher zufälligen Hungertod ausgeht. Denn wenige Tage vor dem Tod Meins' schrieb Gudrun Ensslin an ihn: hm. ohne zu trauern. das - das ziel. du bestimmst wann du stirbst. freiheit oder tod. [PDF; 175 kb] Eine subtile, aber deutliche Aufforderung; da brauchte es keines Imperativs mehr. Die RAF brauchte einen Märtyrer – brauchte neue Dynamik; Zulauf – und ein "Opfer", der den anderenorts von den Gefangenen lasch gehandhabten Hungerstreik (Baader brach ihn mehrfach mit durch Anwälte mitgebrachte Speisen) durchzog. Meins' Bericht, wie er sich der Zwangsernährung mit allen Mitteln widersetzte [PDF; 246 kb], ist ein zusätzliches, indirektes Dokument in dieser Richtung: Er wollte sich einerseits als treuen "Genossen" zeigen – und andererseits seine Ausweglosigkeit ob der dann doch "geglückten" Zwangsernährung dokumentieren.

Elter insinuiert, dass die Behörden Meins' Tod nicht mit allen Mitteln verhindert hätten. Vielleicht gab und gibt es hierfür tatsächlich Indizien [PDF; 291 kb], aber wenn beispielsweise andere Gefangene, die zwangsernährt wurden, gegen das Personal Strafanzeigen ob dieser Massnahmen erstatteten [PDF; 655 kb], kann man vielleicht verstehen, warum aus der Situation heraus Pflichten laxer gehandhabt wurden.

Der Tod Meins' und die mediale Darstellung dieses Ereignisses wurde von den Behörden und der Politik hinsichtlich der Dynamik auf die Sympathisantenszene völlig unterschätzt. In der Betrachtung der nachfolgenden Ereignisse, die Elter versteht, packend zu rekapitulieren, wird deutlich, wie die Medien (bzw. die politischen Entscheidungsträger) aus ihren Fehlern lernten.

So weigerte man sich beispielsweise bei der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm, die Forderung der Terroristen zu erfüllen, die Livebilder von der Botschaft permanent zu senden. Im Fall des entführten Hanns-Martin Schleyer strahlte man das erste Entführervideo nicht aus. Auch die weiteren Videos und Bilder wurden nur sehr selektiv in der Öffentlichkeit gezeigt. Elter zeigt hier exemplarisch, wie die RAF gelegentlich in der Einschätzung ihrer Inszenierungen auch scheiterte bzw. einen für sie kontraproduktiven Effekt erzielte. Aus dem medialen "Volksgerichtshof", mit dem man Schleyer den "Prozess" machen wollte, wurde nichts, weil der rhetorisch überlegene Schleyer sich nicht zu verräterischen Aussagen hinreissen liess, im Gegenteil: In seinen Äusserungen entlarvte er vielmehr die Strategie der Terroristen als unmenschlich und sinnlos (Kronzeuge hierfür ist neben - dem auch von Elter als unzuverlässig eingestuften – Peter-Jürgen Boock vor allem Silke Maier-Witt).

Das Verschwinden der Deutungshoheit: Schleyer - der geschundene Mensch
Im Fall Schleyer gibt es auch ein für alle sichtbares Beispiel für ein Scheitern der Kommunikationsstrategie der RAF. Auf dem ersten Video ist er in Unterhemd und Trainingsjacke zu sehen. Die Symbolik dieser Kleidung war allerdings ambivalent: Die RAF hatte durch die mediale Verbreitung der Videos zwar den entmachteten Schleyer exponiert, allerdings verlor sie mit der Veröffentlichung der Aufnahmen die Deutungshoheit über die Bilder. Anstelle des beabsichtigten Solidarisierungseffekts und die Vorführung einer "Bestie des Kapitals"…trat in der Öffentlichkeit das genaue Gegenteil davon ein. Schleyer wurde nun als geschundener Mensch wahrgenommen und verstärkt wurde dies noch durch die "Bild" vom 10. September 1977, die auf der Titelseite das RAF-Foto von Schleyer im Unterhemd und ein altes Bild von ihm in seiner üblichen "Arbeitskleidung", also mit Hemd, Jackett und Krawatte nebeneinander abdruckte. Eigentlich entsprach diese Kontrastierung genau der Überlegung der RAF, so Elter. Aber der Text dazu – und das ist das Entscheidende – lautete: "Schleyer – Ein Bild, bei dem man weinen möchte". Bilder sagen also nicht immer mehr als tausend Worte – in diesem Fall reichten genau acht Worte und ein weiteres Foto, um die Interpretation in eine vollkommen andere Richtung zu lenken als von den Terroristen gewünscht.

Es wäre überhaupt ein falscher Eindruck zu suggerieren, dass Elter die Kommunikationsstrategien der RAF als Erfolgsgeschichte darstellen wollte. Das ist ganz und gar nicht der Fall. Er zeigt aber akribisch und anschaulich, wie die RAF die mediale "Vermarktung" ihrer "Aktionen" nicht nur stattfinden lassen wollte, sondern aktiv versucht hat, ihre Darstellung zu beeinflussen und für sich zu nutzen.

Das Buch strotzt nur vor Details. Etwa aus der Anfangsphase, die Bekennerschreiben zu den Anschlägen immer erst einige Tage später zu veröffentlichen (Elter gibt einen genauen Einblick, wann wer warum über die Aktionen informiert wurde; mal wurden die Nachrichtenagenturen direkt informiert – mal zog man die indirekte Kommunikation vor). Zunächst war somit der Anschlag in den Medien, wurde ausgiebig diskutiert und als dann das Interesse nachzulassen drohte, wurde die Selbstbezichtigung "nachgeschoben" – und schon war die RAF wieder im Fokus der Öffentlichkeit.

Oder die vermeindliche Internationalisierung, mit anderen Terrorgruppen in Europa und auch im Nahen Osten, mit der die RAF sich schmückte, die letztlich aber nur mehr oder weniger behauptet wurde, um eine Vernetzung vorzutäuschen, die es so nicht gab (und nur einmal gab es dann tatsächlich diese "Globalisierung" – als 1977 der Ferienflieger "Landshut" von palästinensischen Terroristen als flankierende Massnahme zur Schleyer Entführung entführt wurde).  

Viele Exkurse
"Propaganda der Tat" liefert daneben noch eine Analyse über die Muster der Bekennerschreiben und dokumentiert den ideologischen Leerlauf innerhalb der RAF, als zwischen 1972 und 1982 keine einzige dogmatisch-politische Schrift der RAF mehr erschien. Aspekte der Mythenbildung durch die RAF (Benennung der Kommandos nach Personen oder Daten), Analyse von Sprache und Aussagen der insgesamt fünf "Kampfschriften", insbesondere von "Dem Volke dienen" von 1972 und dem sogenannten "Mai-Papier" 1982 (der bereits eine Selbsthistorisierung vornimmt), ein luzider Exkurs über das Attentat bei den olympischen Spielen von München 1972 und die propagandistische Wirkung für die "Sache" der Palästinenser hieraus, ein kurzer Exkurs über den stets aktuellen Stand der Technik, mit dem sich die RAF umgab (Polaroid-Bilder wenige Jahre nach der Einführung in Deutschland und auch hinsichtlich des VHS-Videosystems, welches bei der Schleyer-Entführung benutzt wurde, handelte es sich um eine erst kurz vorher verfügbare technische Neuerung) – um nur einiges zu erwähnen.

Elter zeigt, dass es in dem Alarmismus von damals und heute durchaus Parallelen gibt und warnt ausdrücklich davor. Er lehnt die auch bereits damals von führenden Politikern häufig benutzte Kriegsmetaphorik definitiv ab, da sie die Terroristen in politische Kategorien katapultiert. Warum er allerdings dann trotzdem selber Münklers Modell des "asymmetrischen Krieges" bei der Charakterisierung u. a. des aktuellen Terrorismus herbeizitiert, bleib unklar und ist leider inkonsequent. Auch das es am Ende bei bisschen Begriffsverwirrung zwischen Erklärungsterrorismus und Handlungsterrorismus gibt, vermag den insgesamt sehr positiven Eindruck des Buches nicht zu trüben.

Daher soll es hier darum gehen, den "Mythos RAF"…weiter zu dekonstruieren und den Aspekt ihrer Kommunikationsstrategien und damit letztlich auch ihre mediale Wirkung zu thematisieren. Diesem Anspruch wird Andreas Elter was die Darstellung der Kommunikationsstrategien der RAF (mindestens der ersten und zweiten "Generation") angeht, sehr gut gerecht. Und natürlich wird dadurch indirekt ein "Mythos" entzaubert, der ja immer dann gerne entsteht, wenn sich Halbwissen und Wunschdenken vermengen und die Fakten leidlich ignoriert werden. Obwohl es nicht das Ziel der Studie war, hätte man sich mehr Widmung zur Entwicklung einer "medialen Deeskalationsstrategie" gewünscht - und zwar von allen Diskursteilnehmern, um nicht letztlich direkt oder indirekt das Geschäft der Terroristen zu betreiben. Trotzdem ist "Propaganda der Tat" ein aufklärerisches Buch und hilft, Strukturen zu erkennen und zu durchschauen. Gregor Keuschnig               

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Alle kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus:
Andreas Elter - Propaganda der Tat
Die RAF und die Medien - edition suhrkamp 2514

 

Andreas Elter
Propaganda der Tat
Die RAF und die Medien
edition suhrkamp 2514
287 Seiten, Broschur
Euro 10,00 [D] / Euro 10,30 [A] / sFr 18.00
ISBN 978-3-518-12514-4

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