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Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

Die menschliche Komödie
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Die Leere des Guten

Haben die Kultur tragenden und Identität stiftenden moralischen Kategorien von Gut und Böse ausgedient? Welche Alternativen ethischer Handlungsgrundlagen gäbe es?

Von Klaus-Jürgen Bremm

Weshalb halten heute noch viele moderne Menschen so unbeirrt an ihren überkommenen Vorstellungen von Gut und Böse fest? Weshalb tun sich die meisten von uns immer noch so schwer mit der Vorstellung, dass zum Beispiel Hitler und Stalin für ihre Jahrhundertverbrechen nicht im klassischen Sinne verantwortlich gemacht werden könnten, da sie und natürlich auch die Attentäter von New York schlicht so handelten, wie sie handeln mussten?
Obwohl sich zumindest in Europa inzwischen eine beachtliche Zahl von Menschen ihre religiösen Bindungen und Vorstellungen abgelegt hat, bleibt doch bei vielen eine residuale Grauzone von mentalen Prägungen zurück, die ihren Ursprung in der Religion haben. Daran haben auch die drei großen „Kränkungen“ des modernen Menschen, der heliozentrische Kosmos, die Evolutionstheorie und Freunds Psychologie des Unbewussten offenbar nur wenig ändern können.

Immer noch prägt uns die Vorstellung der Willensfreiheit, die nicht nur längst von vielen Philosophen, sondern inzwischen auch von der modernen Hirnforschung in den Bereich der Legenden verwiesen wurde. Das damit eng verbundene Konzept einer entscheidungsfähigen und daher für ihr Tun verantwortlichen Persönlichkeit ist gar nicht einmal so alt. Noch in den homerischen Mythen wird das Handeln der Menschen in ganz anderer Weise beschrieben. In einer prämonotheistischen Welt ging es nicht aus einem als autonom gedachten Willen hervor, sondern aus dem Widerstreit verschiedener Regungen, von denen sich schließlich quasi mechanistisch die stärkste durchsetzte.

Der Philosoph und Agnostiker Michael Schmidt Salomon versucht nun in seinem Buch nachzuweisen, dass Moral und Schuld, zwei zentrale religiöse Kategorien, uns von einem besseren und humanerem Leben abhalten und daher genau so auf den Müllhaufen der Ideen gehören wie die altbackenen Vorstellungen von Himmel und Hölle.
Dabei führt der Mitbegründer und Sprecher der religionskritischen Giordano Bruno-Stiftung seine Leser durch eine beängstigende Fülle von geistigen Hinterlassenschaften vor allem der monotheistischen Weltreligionen, die immer noch in unserer modernen Welt das tägliche Leben und selbst die Medien beeinflussen. So kommt auch eine sonst so liberale Zeitung wie die ZEIT in einem Artikel, der über eine brutale Mordtat zweier Jungendlicher berichtet, nicht ohne die Kategorie des „Bösen“ aus. Im Vergleich zu der politischen Renaissance derartiger Vorstellungen in den Vereinigten Staaten erscheint dieser numinose Rückgriff jedoch noch als harmlose Verirrung.
Wenn aber die Administration einer Nuklearmacht in neomanichäistischer Manier die Welt in Gut und Böse aufteilt und zugleich große Teile der Bevölkerung nach zwei Dekaden massiver evangelikaler Propaganda auf sämtlichen Kanälen dieser Betrachtungsweise zustimmen, kann man durchaus, wie es der Autor tut, von einer apokalyptischen Matrix sprechen.

Nun lassen sich alle überkommenen geistigen Prägungen aus der Perspektive eines aufgeklärten und kritischen Humanismus hinterfragen. Müssen moderne Gesellschaften tatsächlich noch auf den Prinzipien von persönlicher Schuld und Strafe, die ja nichts anderes als Vergeltung ist, beruhen? Lässt sich ohne die Anwendung moralischer Kategorien nicht eine bessere, eine ethische und damit auch faire Gesellschaft schaffen, die durch Herkommen und Prägungen benachteiligte Menschen nicht doppelt bestraft? Ließe sich nicht ohne die eitle Hoffnung auf einer das irdische Leben transzendierenden Sphäre und ohne die Annahme eines großen göttlichen Planes, der die Welt in Gut und Böse unterteilt, ein freieres und auch gelasseneres Leben führen? Man kann dem Anliegen des Autors und auch dem von ihm vorgeschlagenen Weg grundlegender gesellschaftlicher Reformen nicht ohne Sympathie begegnen. Vielleicht liegt das tatsächliche Problem ja in dem richtigen Wollen? Möglicherweise kann sich die Menschheit evolutionär und damit auch gewissermaßen schon revolutionär selbst bestimmen, indem sie die dazu zweckmäßigen Bewusstseinsinhalte – Schmidt-Salomon spricht hier in Anlehnung an Richard Dawkins von „Memplexen“ – kreiert.

Es wäre allerdings zu fragen, ob dieser sich selbst neu erschaffende Prozess nicht bereits einen archimedischen Punkt des Menschen außerhalb des Evolutionsprozesses voraussetzen würde. Konsequenterweise muss Schmidt-Salomon alle seine evolutionären Voraussetzungen auch metakritisch auf die eigenen Aussagen beziehen. Dann aber hören sie auf, Aussagen zu sein, sondern sind wie alle anderen vorangegangen Memplexe nur Produkte einer als blind gedachten Evolution. Schon die Bestreitung der Willensfreiheit lässt sich nicht als Aussage mit Wahrheitsanspruch treffen, denn sie ist ja selbst vollkommen determiniert und damit erkenntnistheoretisch belanglos.
Was also macht nun Schmidt-Salomons Memplexe besser als alle anderen bisher durch  soziokulturelle Evolutionsprozesse erzeugten mentalen Prägungen? Ohne einen absoluten Maßstab, den er ja mit offenbar guten und ethischen Gründen bestreitet, scheint diese Frage nicht beantwortbar. Wenngleich auch der Autor von mehr Freiheit und größerer Humanität spricht, sind dies doch nur Sprachspiele, die das eigentliche Problem zu umgehen versuchen.
Alle evolutionären Produkte existieren einfach nur, gewissermaßen als „factum brutum“, einige von ihnen erweisen sich als resistent, andere sind zum Verschwinden bestimmt. Unter dem somit einzig verbliebenen Kriterium der Effizienz oder der Überlebensfähigkeit von Gruppen und Gattungen lässt sich allerdings auch dem religiös geprägten „Gut-Böse-Memplex“ einiges abgewinnen, stabilisiert und stärkt er doch fraglos Gesellschaften mit seiner strikten Trennung in Innen und Außen. Ob ihre humanitären Missstände, also geistige Stagnation, Kontrolle, Unterdrückung und ständiger Konformitätszwang langfristig diejenigen Nachteile überwiegen, welche die offenen Gesellschaften Europas bei erodierender Außenabgrenzung und wachsender Fremdbestimmung zu erwarten haben, bleibt abzuwarten.
Auch aus naturwissenschaftstheoretischer Perspektive ließe sich zuletzt Schmidt-Salomons mechanistisch-deterministischer Ansatz kritisieren, da er ganz offensichtlich die Erkenntnisse der Quantenphysik ignoriert. „Der Alte würfelt nicht“ hatte Albert Einstein noch Ende der 1920iger Jahre indigniert einer revolutionären Jeunesse Dorée um den dänischen Atomphysiker Nils Bohr entgegen galten. Aber immerhin scheint doch die „Evolution“ zu würfeln, denn über atomare Teilchen lassen sich nur Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen und vielleicht ist diese grundsätzliche Unbestimmtheit der Materie, jene mikroskopische und sich offenbar immer wieder erneuernde „Freiheit“ die unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass überhaupt Bewegung und damit auch Evolution möglich ist. Würde daher unter den Bedingungen eines von Schmidt-Salomon reklamierten vollständigen Determinismus nicht nur die Willensfreiheit verschwinden, sondern alles Leben überhaupt?

Vielleicht haben er und seine zahlreichen Gewährsleute aus Philosophie und Forschung nicht ganz unrecht, aber mit den durch religiös-metaphysische Memplexe geprägten Sprachen lassen sich derartige Positionen nun einmal nicht widerspruchsfrei formulieren. Vielleicht wäre ja hierzu Platons Instrument des Mythos geeigneter. Klaus-Jürgen Bremm

A.d.R:
Hierzu empfhöhle sich vielleicht wieder einmal in
Adornos Minima Moralia zu schauen und seine Reflexionen aus dem beschädigten Leben auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Es fände sich etwas. HD

 

Michael Schmidt-Salomon
Jenseits von Gut und Böse
Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind
Pendo Verlag München 2009
349 Seiten
ISBN 978 3 86612 212 3
19,90 €


 


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