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Orientierung und keine

 

Jürgen Nielsen-Sikora über Amin Maaloufs Essay »Die Auflösung der Weltordnungen«

»
Daß man sich verliert, ist noch nicht schlimm, sondern daß man sich hinterher nicht wieder zurechtfinden kann« diagnostizierte Marcel Proust einst treffend die gesellschaftliche Situation seiner Zeit. Ein Jahrhundert später ist seine Einschätzung noch immer aktuell. Die Kulturmärkte und Erlebnisindustrien, der ganze Jahrmarkts-Bumbum in Politik und Gesellschaft, die thematische Geiselnahme durch ungezählte Feuilletonhorden bringen die Massen zum Torkeln und Taumeln in einer sich immer schneller wandelnden Welt. Wir sind derart nervös geworden, dass uns bereits der kleinste Störfall im Tageshoroskop zu Panikhandlungen treibt. Folglich schreit alles nach Orientierung; Orientierung jedoch, die der Trödelware gleicht und an jeder Straßenecke feilgeboten wird. Sie ist zur Sache von religiösen Sekten und politischen Scharlatanen, von Hobby-Philosophen und Navigationsgeräten, von Meinungsmachern und Nachwuchsdemagogen geworden.

Ursprünglich geht das Lehnwort Orientierung auf oriens zurück und bedeutet Ausrichtung gen Osten. Konsequent formulierte Immanuel Kant: »Sich orientieren heißt, in der eigentlichen Bedeutung des Worts: aus einer gegebenen Weltgegend (in deren vier wir den Horizont einteilen) die übrigen, namentlich den Aufgang zu finden.« Den Aufgang finden meint demnach, ein Verständnis für den Osten herauszubilden. Und es ist dieses Verständnis, das hilft, uns wieder zurechtzufinden, falls wir uns, ob selbst verschuldet oder nicht, wirklich verloren haben sollten.

Allgemeine Orientierungslosigkeit, wie Amin Maalouf sie in seinem Buch über die Auflösung der Weltordnungen gleich zu Beginn konstatiert, ist also ein Synonym für den Verlust unseres Verständnisses für den Orient. Dieser Verlust ist ursächlich für die kulturellen Konflikte dieser Tage.

Maalouf, Anhänger der Aufklärung und Verfechter der Freiheit, schreibt aus diesem Grunde sein Buch als Warnung vor den Konsequenzen eines solchen Verlusts. Er nennt in diesem Zusammenhang den Groll der Muslime gegen den Rest der Welt, beschreibt die Machtphantasien ehemaliger Supermächte, die inzwischen müde und erschöpft wirkten, und er macht auf die zahlreichen Bürgerkriegsopfer auf dem afrikanischen Kontinent aufmerksam.

Gravierendste Folge des Orientierungsverlusts sei eine Krise der Legitimität. Legitimität sei das, was erlaube, die Autorität einer Institution als Trägerin gemeinsamer Werte anzuerkennen. So habe beispielsweise nach dem Ende des Kalten Krieges der Kapitalismus keinen moralischen Gegenspieler mehr, kein Korrektiv gehabt. Maalouf spricht von der Obszönität des siegreichen Systems und der Krise unserer Wertvorstellungen. Gerade in einer verwandelten Welt mit ihrem Arsenal an Atomwaffen, den Pandemien, dem Klimawandel, Hunger und Terror, bedürfe es jedoch mehr denn je gemeinsamer Wertvorstellungen wie einer demokratischen Gesellschaftsordnung und der Achtung der Menschenwürde. Stattdessen habe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sowie der Freisetzung globaler Dynamiken die alles beherrschende Frage nach (religiöser) Identität das Dilemma einer fehlenden (politischen) Legitimität kaschiert. Der Islamismus sei so zum Auffangbecken krisengeschüttelter Gesellschaften geworden. Eine damit einhergehende Entfesselung des Religiösen ohne zentrale Institution macht Maalouf als weitere Folge fehlgeleiteter Orientierung ausfindig. Hinzu komme, dass die (militärischen) Niederlagen des Nahen Ostens in der jüngsten Vergangenheit die Suche nach Orientierung in der eigenen Geschichte verstärkt hätten. Wer keine Siege in der Gegenwart nachweisen könne, berufe sich deshalb auf Kult und Tradition.

Auch der Westen habe gravierende Fehler in der Behandlung der übrigen Welt gemacht und mit dazu beigetragen, dass die Welt zum Dschungel mutiert sei, in dem das Recht des Stärkeren, Tyrannei und Chaos herrschten.

Maalouf, exzellenter Kenner der arabischen Welt, debattiert intensiv die Geschichte des Nahen Ostens und sieht in dem Jahrzehnte dauernden Krieg zwischen Israel und Palästina das Hauptproblem für eine stabile Weltordnung heute. Wenn er allerdings davon spricht, die Katastrophen unserer Tage seien von der Vergangenheit vorgegeben, überstrapaziert er womöglich den Begriff der Geschichte wie er zudem die soziale Situation in Europa als Adoptivgesellschaft meines Erachtens unzutreffend deutet. Gerade das Adoptionsverhältnis kann, anders als das Phänomen der Migration, von einer rechtlich klar definierten Legitimität ausgehen. Weil eben dies nicht gegeben sei, gelte es, so Maalouf, eine gemeinsame Zivilisation aufzubauen. Andernfalls fiele auch der Westen der Barbarei zum Opfer. Dem hoch geschätzten französisch-libanesischen Romancier geht es insbesondere um eine Neuerfindung von Identitäten und Werten, von Solidarität und Legitimität. Vorrang gebührt hierbei der Bildung und der Kultur.

Der deutsche Titel ist bewusst zweideutig: Auflösung im Sinne von Zerstörung und Verfall der Weltordnungen als auch im Sinne von Erklärung und Bewältigung. Unklar bleibt bis zum Schluss, was konkret es heißt, den »Aufgang«, also Orient und Orientierung wiederzufinden. Mit Hilfe welcher politischen, pädagogischen, ökonomischen und strategischen Maßnahmen kann Orientierung gelingen? Und wie lassen sich Orientierung und Legitimität zusammendenken?

Maaloufs Text kommt in dieser Frage über ein gut gemeintes Plädoyer nicht hinaus. Vor allem zu Beginn reihen sich zahlreiche Vereinfachungen im Hinblick auf die gegenwärtige »Weltordnung« aneinander. Vieles bleibt unbegründet. So stößt, wer über die für den Verlag untypischen, aber nicht wenigen Tippfehler hinwegliest, auf den zwar ambitionierten, aber letzten Endes gescheiterten Versuch, eine Antwort auf den Verlust politischer Orientierung und gesellschaftlicher Ordnung zu finden.
 

Amin Maalouf
Die Auflösung der Weltordnungen
Essay
Aus dem Französischen von Andrea Spingler
Suhrkamp
Gebunden, 248 Seiten
24,80
ISBN: 978-3-518-42162-8

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