Die Frage, die zur Zeit
nicht nur Militärs beschäftigt, wird zum Kristallisationspunkt im Buch des
israelischen Militärhistorikers Martin van Creveld "Die Gesichter des Krieges":
Gibt es einen Ausweg, oder sind reguläre, staatliche Armeen zukünftig zur
Ohnmacht gegenüber kleinen, häufig schlecht organisierten Gruppen von
Terroristen verdammt? In Bezug auf die derzeit einzig verbliebene Supermacht
USA und deren aktueller Kriegsführung im Irak stellt sich die Frage pointierter:
Was, wenn nicht einmal eine derart hochgerüstete Militärmacht gegen Terroristen
und Guerillas reüssieren kann?
Will man die
Gegenwart verstehen, so studiere man die Vergangenheit
sagt sich van Creveld und analysiert die Kriege des 20. Jahrhunderts und damit
den "Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute" (so der Untertitel). Das
Ungewohnte dabei ist, dass nicht nur, wie im Vorwort erläutert, die
militärischen Operationen selbst…der zentrale Strang der Fragestellung bleiben,
sondern (insbesondere was die Behandlung des Zweiten Weltkriegs angeht) die
politischen und sozialen Implikationen fast immer ausgeblendet werden. Dieses
speziell für den deutschen Leser ungewohnte Verfahren wurde wohl einerseits
gewählt, weil ansonsten der Rahmen der Untersuchung gesprengt worden wäre,
andererseits setzt van Creveld schlichtweg ein gewisses historisches Basiswissen
voraus.
So wird der Leser zunächst
in die Welt des beginnenden 20. Jahrhunderts mit seinen acht Großmächten
(inklusive Italien), davon fünf in Europa (wenn man Russland nicht hinzurechnet;
nur zwei Großmächte waren außerhalb des "alten" Kontinents: die USA und
Japan) versetzt. Dabei wird deutlich, dass der Einfluss der Politik auf das
Militär damals nur sehr eingeschränkt war. Van Creveld spricht wohl ohne
Übertreibung von Parallelwelten, die in der Praxis kaum Berührungspunkte
miteinander hatten. Oberkommandierende und Generalstäbe waren hinsichtlich ihrer
Entscheidungen vollkommen autark; die Mittelgewährung geschah ohne Auflagen oder
Kontrolle. Über die Ausstattung ihrer Armee entschieden sie weitgehend alleine.
Im Verlauf der Ersten Weltkrieges (aber auch in den letzten Jahren
Nazideutschlands) sollte sich diese "Arbeitsteilung" als schwerwiegender Fehler
erweisen, denn erst einmal "ausgebrochen" waren die politischen Akteure nahezu
vollständig an den Rand gedrängt (was sich unter anderem in Deutschland 1914
zeigte; Wilhelm II. war danach sowohl militärisch als auch politisch praktisch
"machtlos").
Van Creveld spricht das
Wort der "Militärdiktatur" nicht aus, es wird jedoch nahegelegt mindestens was
die Jahre ab 1916 in einigen kriegsführenden Staaten angeht. Hinzu kam, dass die
Gesellschaften durchaus militarisiert waren; die Armee galt als "Schule der
Nation", Krieg als legitimes Mittel der internationalen Politik. In
der Bevölkerung wie unter Intellektuellen gab es eine gewisse kindliche
Faszination dem bewaffneten Kampf gegenüber.
Man erfährt von der damals wachsenden Bedeutung der Eisenbahn für die
militärische Planung und Entwicklung (und gleichzeitig deren Schwächen) und vom
"Lobbyismus" der berittenen Kavallerie, die noch sehr lange (bis hinein in den
Zweiten Weltkrieg) technologische Entwicklungen aufhalten und verzögern sollte.
Militärs aller Seiten verfochten fast dogmatisch die These, Kriege müßten
kurz, heftig und entscheidend sein, was ein verheerender (sic!)
Fehler war; man hatte, wie van Creveld deutlich herausarbeitet, die falschen
Lehren aus dem preußisch-französischen Krieg 1870/71 gezogen. Indem allseits auf
schnelle Kriege gesetzt wurde, vernachlässigte man die Planung für eine
kontinuierliche industrielle Produktion von Waffen, die Organisation von
Nachschub der kämpfenden Truppe und Implementierung belastungsfähiger
Kommunikationsnetze.
Die politischen
Zusammenhänge werden nur gestreift, um die hieraus entstehenden
unterschiedlichen militärischen Bündnisse herauszuarbeiten. Der Ausbruch des
Ersten Weltkrieges wird nicht unbedingt als Fatum betrachtet, aber die immensen
Rüstungsvorbereitungen auf nahezu allen (europäischen) Seiten (einschließlich
Russland) ließen den Krieg irgendwann als logische Konsequenz erscheinen. So war
denn auch die Begeisterung bei Kriegsausbruch in der Bevölkerung über alle
Schichten hinweg groß; es schien, als gebe es ein kurzes, reinigendes Gewitter.
Der Stellungskrieg -
die Überlegenheit der Defensive über die Offensive
Dabei zeigte sich früh, dass die Verbündeten Österreich-Ungarn und
Deutschland erhebliche Koordinationsschwierigkeiten hatten, was detailliert
ausgeführt wird. Zudem bemerkt van Creveld, dass der Vielvölkerstaat
Österreich-Ungarn selber mit erheblichen logistischen Problemen zu kämpfen
hatte. So mussten beispielsweise Marschbefehle in 15 Sprachen abgefasst werden,
damit alle Soldaten die Anweisungen verstanden. Scheinbar nebensächliche
Bemerkungen dieser Art gibt es häufig in diesem Buch; sie verleihen den
gelegentlich bizarr erscheinenden Thesen des Autors durchaus Nachdruck.
Nahezu alle Aspekte dieses Krieges aus militärischer Sicht (die Politik hatte
sich ja fast "abgemeldet") werden angesprochen: Die Versuche, Flugzeuge in die
kriegerischen Auseinandersetzungen zu integrieren (zunächst als Luftaufklärer,
später dann als Kampfobjekte Flieger gegen Flieger; begrenzt auch schon als
Bomber); die wachsende Bedeutung der Maschinengewehre; der Seekrieg (als
"Ablenkung" zum festgefahrenen Landkrieg); die anfängliche, heute eher pervers
anmutende Begeisterung für den Einsatz von Giftgas (die "Effizienz" von
Gasgriffen beurteilt van Creveld als eher gering, unter anderem weil früh
entsprechende Schutzmaßnahmen entwickelt wurden; nur drei Prozent aller Toten
kamen durch Gas ums Leben); Spionage und die damit verbundene (ungewohnte) Flut
von Informationen, mit denen man weder rechnete, noch diese richtig einordnen
konnte; Frauen in den Armeen (eher selten) und ihre Bedeutung an der
"Heimatfront" (die als eher zweitrangig eingestuft wird; in Großbritannien
waren, so der Autor, gegen Ende des Krieges noch 60% der Arbeiter Männer, was
allerdings übersieht, dass die verstärkt notwendige Krankenbetreuung verwundeter
Soldaten durch Frauen vorgenommen wurde).
Es gibt überraschende Erkenntnisse, so beispielsweise dass der Lebensstandard
der Arbeiterklasse in Großbritannien während des Ersten Weltkrieges sogar
gestiegen war (im Gegensatz zu den Hungerjahren in Deutschland) und dies trotz
der fragilen Insellage, die eine Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen
auf dem Seewege sicherzustellen und aufrecht zu erhalten hatte.
Die Schlacht als
ein auf einen Ort konzentrierter Kampf Mann gegen Mann hatte ausgedient. Die
Soldaten an der Front machten einen immer geringer werdenden Bruchteil aller
Armeen aus. Es war schon angesichts der modernen Feuerkraft notwendig
geworden, die Truppen an der Front zu zerstreuen, so dass schließlich jeder
Mann durchschnittlich etwa zwanzigmal soviel Platz einnahm wie ein Soldat zur
Zeit Napoleons. Während in Kriegen des 19. Jahrhunderts in einer Schlacht
noch rund 20-30% der gesamten Truppenstärke auf beiden Seiten
niedergemetzelt wurden, lagen die Opferraten im Verhältnis zur
Gesamttruppenstärke selbst bei den blutigsten Schlachten weit niedriger. Das
führte dazu, dass jeder Tag, an dem mehr als ein oder zwei Prozent einer
Armee verloren gingen, als eine Katastophe galt.
Die Folge war ein lang
andauernder, furchtbarer Stellungs- und Zermürbungskrieg mit langsam, aber
stetig ansteigenden Opferzahlen, während die Rüstungsindustrien mit einem
bislang unvorstellbaren Tempo militärische Ausrüstung produzierten. Es
zeigte sich eine vorher nicht für möglich gehaltene Überlegenheit der
Defensive über die Offensive. Zeitgewinn wurde zu einem wichtigen Ziel,
damit Verpflegung und Waffen an die Front gebracht werden konnten. Der Krieg
wandelte sich zu einem gigantischen Versuch, alle nationalen Ressourcen zu
koordinieren – von der Fabrik bis zur Arbeit und vom Rohstoff bis zur
Werkzeugmaschine. Mit Ausnahme Russlands hätten die meisten Kriegsteilnehmer
dies durchaus so effizient wie möglich praktiziert.
Van Creveld bilanziert, dass jene Seite den Sieg davontrug, welche die
größten demografischen und wirtschaftlichen Ressourcen besaß und auf externen
Linien operierte, die meisten Bataillone aufstellte und diese mit der größten
Zahl leistungsfähiger, wenn auch nicht gerade revolutionärer Waffen ausrüstete.
Wichtig war die Überlegenheit der britischen Seestreitkräfte, die nicht nur ihre
eigene Versorgung sicherte, sondern auch Frankreich zu Hilfe kommen konnte.
Dennoch spricht van Creveld von einer Überraschung, als das Ende schließlich
fast gleichzeitig an allen Fronten eintrat, nachdem im Juni 1918 die
deutschen Armeen wieder in der Offensive gewesen waren. Im August
wendete sich dann das Schicksal. Zwar wäre die Fortsetzung des zermürbenden
Stellungskrieges durchaus noch möglich gewesen (was auch von einigen deutschen
Heerführern beabsichtigt war), aber der Zusammenbruch der Verbündeten
Deutschlands (Österreich-Ungarn, Bulgarien, das osmanische Reich), die
innerhalb von knapp drei Wochen besiegt waren, gab wohl den Ausschlag zur
Kapitulation.
Zeit des
Waffenstillstands
Die
Zeit nach 1918 wird nicht ohne Hintersinn Zeit des Waffenstillstands
genannt. Am Großmachtgefüge hatte sich nicht viel geändert, außer dass es
Österreich-Ungarn nicht mehr gab. Van Creveld kommt zu dem verblüffenden Schluss,
dass dieser Zusammenbruch und die Gründung einer ganzen Reihe kleiner
Nachfolgestaaten…die Position Deutschlands stärkte. Großbritannien und
Frankreich vergrößerten ihre Kolonialmacht (auf Kosten der Türken und
Deutschen), wobei dies den anhaltenden, relativen Niedergang Frankreichs
vorerst kaschierte. Geostrategisch mag die Einschätzung der deutschen Position
stimmen – für die Bevölkerung war jedoch von einer Stärkung nichts zu spüren;
der Versailler Vertrag sah zudem teilweise Besatzung und Reparationen vor.
So hielt sich der
geopolitische Wandel, den 9,5 Millionen Soldaten mit dem Tod bezahlt hatten, in
Grenzen. In Europa (insbesondere in Großbritannien) gab es zunächst eine
Mischung zwischen Kriegsmüdigkeit und Antimilitarismus; in den USA war die
Kriegsbeteiligung sehr bald als Fehler angesehen worden und mündete in einen
außenpolitischen Isolationismus, der unter anderem dazu führte, dass es erst des
japanischen Angriffs auf Pearl Harbor bedurfte, bis die Vereinigten Staaten in
den Zweiten Weltkrieg aktiv eingriffen.
Sehr bald wandelte sich jedoch sowohl bei den Militärs als auch in der Politik
die Meinung und eine Aufrüstung sondergleichen begann bei allen Großmächten (bei
Deutschland eher im Verborgenen, da es aufgrund des Friedensvertrages eigentlich
kein schlagendes Militär geben durfte; was allerdings zum Beispiel die
Kooperation Deutschlands mit Russland nicht verhinderte). Aber schon 1938 war
Deutschland das Land mit dem höchsten "Verteidigungshaushalt" (7415 Millionen
Dollar nach dem damaligen Kurs), gefolgt von der UdSSR (5429 Millionen),
Großbritannien (1863 Millionen), Japan (1740 Millionen), den Vereinigten Staaten
(1131 Millionen) und Frankreich (919 Millionen). In der Statistik der
Produktionsmenge von Stahl lag die USA mit 28,8 Millionen Tonnen vor
Deutschland (23,2 Millionen) und der UdSSR (18 Millionen).
Van Creveld verdeutlicht
die militärischen Überlegungen von strategischen Denkern in der
Waffenstillstandszeit, die alle die gleiche Frage stellten: Wie wäre ein
neuerlicher Krieg, der sehr bald mehr oder weniger als unvermeidbar angesehen
wurde, zu gewinnen? Abermals nur sehr oberflächlich streift er dabei die
politischen Veränderungen in den einzelnen Ländern. Überraschend werden weder
die ökonomischen Probleme (Massenarbeitslosigkeit und Inflation) noch die
militärische Propaganda der rechtsnationalen und völkischen Kräfte (Stichwort:
Dolchstoßlegende) in Deutschland erwähnt. Auch gibt es keine Überlegungen zu Art
und Form des Versailler Vertrages.
Geradezu prophetische Eigenschaften was den Verlauf eines zukünftigen Krieges
angeht, erkennt van Creveld bei Erich Ludendorff, der den totalen Krieg
prognostizierte; ein Kampf auf Leben und Tod. Dennoch werde der
kommende Krieg…im Großen und Ganzen dem vorangegangenen ähneln und wie sein
Vorläufer zu einem gigantischen und langwierigen Ringen ausarten. Dies wird
auch in der Nachbetrachtung zum Zweiten Weltkrieg das Fazit des Autors sein.
Deutschland war Ende der
30er Jahre (wie 1914) zum gefährlichsten Staat von allen geworden, nicht
zuletzt weil es sich unumwunden zu Aggression und territorialer Expansion
bekannte. Gleichzeitig wird festgestellt, dass das Land ähnlich wie Frankreich
längst im Niedergang begriffen war – trotz der großen und inzwischen
wieder stark aufgerüsteten Armee. Aber gemessen an den wichtigsten
Wirtschaftsindikatoren war es bereits hinter Japan zurückgefallen (wobei
später deutlich wird, wie abhängig Japan von Importen auf nahezu allen Gebieten
und wie zurückgeblieben es hinsichtlich militärtechnologischer Entwicklungen
war; van Creveld vermutet sogar, dass dies einer der Gründe für den Eintritt des
Kaiserreiches in den Krieg war).
Aber auch die formal
größte Armee der Welt, die Rote Armee der UdSSR (die jedoch in puncto
Qualität hinterherhinkte) gesteht van Creveld ein durchaus aggressives
Potential zu (wobei er die stalinistischen "Säuberungen" innerhalb der Armee als
großen Aderlaß sieht). So widerspricht er überraschenderweise nicht explizit der
allgemein verworfenen These, dass Hitler einem Angriff Stalins 1941
zuvorgekommen sein könnte. Die USA besaß zwar die größte Luftstreitmacht auf der
Welt; die Armee erreichte jedoch nur den 18. Platz. Die gigantische
industrielle Basis der Vereinigten Staaten, die im Laufe des Zweiten
Weltkrieges angeworfen wurde, stellt rückwirkend wohl den Hauptgrund für den
Sieg der Alliierten dar.
Politische Entwicklungen im Zweiten Weltkrieg streift van Creveld nur in halben
Sätzen, was in Anbetracht der Tatsache, dass militärisch organisierte deutsche
Kräfte (SS und Wehrmacht) systematisch Millionen von Juden ermordeten bzw. dazu
beitrugen, gewöhnungsbedürftig ist. Natürlich wird kein Zweifel daran gelassen,
dass Hitlers Krieg im Osten ein Vernichtungskrieg war. Aber wenn man sich schon
auf die rein militärischen Aspekte konzentriert, hätte der Leser zumindest
Erörterungen über Auswirkungen und Folgen dieses Verbrechens auf die
militärischen Gegebenheiten erwartet.
Ein Weltkrieg
unterbrochen von einem Waffenstillstand?
Der
vergleichsweise kurzen Blitzkriegära der deutschen Wehrmacht, die mit
gepanzerten und motorisierten Truppen agierten, die es…ermöglichten,
weitgreifende operative Bewegungen auszuführen und ganze Länder zu überrennen
folgte wie schon Jahrzehnte vorher ein lähmender und aufreibender Stellungskrieg
(insbesondere im Osten, aber auch in Afrika). Die deutschen Siege dürften am
16. Oktober 1941 ihren Höhepunkt erreicht haben, was allerdings nicht
bedeutet, dass der Krieg von da an schon verloren war.
Da van Creveld für die jeweiligen Vorkriegszeiten und die beiden Kriege fast
paritärisch jeweils 50 Seiten verwendet, kommen angesichts der Dimension des
Krieges die Auswertungen von bestimmten Schlachten ein bisschen zu kurz. Er
beschränkt sich auf exemplarische Ereignisse, wobei der Leser manch
liebgewordene Meinung auf den Prüfstand geschickt sieht. Etwa, wenn der Verlust
der "Ölbasis" Rumänien einen höheren militärstrategischen Status bekommt als die
Niederlage von Stalingrad. Oder das Ausbleiben strategisch wichtige[r]
Materialien wie Chrom die Produktion von hochwertigen Waffen
schrittweise unmöglich machte – ein Aspekt, den man selten zu hören bekommt.
Gleichzeitig scheut sich der Autor nicht, die Kampfkraft der deutschen Wehrmacht
als in vielen Punkten durchaus überlegen zu bezeichnen. Und entgegen
anderslautenden Meinungen vertritt van Creveld die These, dass die
strategischen Bombardements der Alliierten unabhängig von ihrer moralischen
Bewertung ab 1944 allmählich Wirkung zeigten. Die Industrieproduktion
Deutschlands im allgemeinen und die Waffenproduktion im besonderen litten enorm
unter den zugefügten Schäden; letztere, die lange gut funktionierte, konnte
irgendwann nur noch unterirdisch betrieben werden, was enorme Ressourcen
verbrauchte.
Dem gegenüber stand eine enorme Produktion qualitativ nicht besonders
hochwertiger Waffen der UdSSR entgegen. Die enormen Menschenmassen, die nach den
anfangs hohen Verlusten der Roten Armee "mobilisiert" wurden (die
"sowjetische Dampfwalze") spielten eine entscheidende Rolle. Am Rande wirft
van Creveld die Frage auf, warum Japan zur Unterstützung Nazideutschlands in
Russland keine zweite Front aufmachte, sondern sich auf seine (ausnehmend
brutalen und ebenfalls teilweise rassistisch motivierten) Eroberungsfeldzüge
beschränkte. Die Industrie- und Waffenproduktion der USA und die Unterstützung
Großbritanniens versteht van Creveld eindrucksvoll zu dokumentieren. Am Ende des
Krieges war Großbritannien wirtschaftlich ruiniert.
Die oberflächliche Betrachtung suggeriert, dass das Zweite Weltkrieg anders
verlaufen sei als der Krieg von 1914. Van Creveld widerspricht dem auf einer
tieferen Ebene. Tatsächlich gab es Unterschiede. Am deutlichsten betrafen
sie die immer weiter fortschreitenden technischen Entwicklungen wie Funk, Radar,
Sonar und Peilung. Gepanzerte Fahrzeuge wurden immer mehr perfektioniert. Der
Luftkrieg wurde weiter entwickelt und professionalisiert. Die Rolle der
Flugzeuge zur See wird als noch wichtiger eingestuft. Der Einsatz von Luft-
und Seestreitkräften galt vielen Militärexperten lange als exemplarisch, um
mittlere Mächte mit einem gezielten Schlag zu treffen (beispielsweise wurde dies
von Israel im Jahr 1967 mit Ägypten praktiziert und sogar von den USA im Irak
1991 und 2003).
Die Parallelen zwischen beiden Kriegen, die van Creveld letztlich sogar dazu
veranlasst von einem Krieg zu reden, der nur von rund zwanzig Jahren
Waffenstillstand unterbrochen gewesen sei (wenn auch diese Ruhe nicht überall
galt), hält er jedoch für wirkungsmächtiger als alle Unterschiede.
Die Wurzeln dieses Konflikts lagen, so die These, (unabhängig von der
Beschleunigung durch den ein oder anderen Despoten) in einem Wettstreit der
Großmächte, der bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Gewonnen wurden die
Konflikte von der Seite, die mit der größten demografischen, wirtschaftlichen
und industriellen Basis ausgestattet waren. Daher musste Deutschland mit
Österreich-Ungarn 1914 und Nazideutschland mit Japan und Italien (kein gutes
Wort findet van Creveld für Italien als "Verbündeten") scheitern, auch wenn der
Erfindungsreichtum der Deutschen enorm war. Tatsächlich behaupten manche,
fast jedes Waffensystem, das von 1945 bis 1991 zum Einsatz kam…sei schon 1944/45
auf deutschen Reißbrettern entworfen worden. Es gab jedoch keine Mittel
mehr, diese umzusetzen.
Die Atombombe als
Friedensstifter
Dieser
"Wettstreit" der Großmächte wurde brachial unterbrochen:
Vor 1945 hatte sich das
Ringen, das von den ständig wechselnden Ressourcen der Mächte selbst geschürt
wurde, seit einem Vierteljahrtausend unablässig ausgeweitet. Es besteht aller
Grund zu der Annahme, dass, wäre die Atombombe nicht gewesen, der Kampf nach
einer angemessenen Pause auch nach 1945 noch größere Kreise gezogen hätte.
Diese These ist
zweifellos in den Ohren friedensbewegter Europäer (zumal, wenn sie die
Geschichte des Kalten Krieges beispielsweise mangels Sozialisation nicht mehr
miterlebt haben) eine Provokation. Mit den militärischen Gründen für den Abwurf
der beiden Atombomben beschäftigt sich der Autor kaum; auch nimmt er (auch hier)
keine moralische Bewertung vor (es klingt allerdings Mitgefühl an). Vorher hatte
es einen "konventionellen" Bombenangriff auf Tokio mit 100.000 Toten gegeben.
Die Atombomben, die 1945 auf Hiroshima und später auf Nagasaki fielen, haben die
geostrategische Lage auf der Welt dauerhaft verändert und, so van Creveld, für
die Zeit nach 1945 nicht nur im "alten" Kontinent Europa Frieden erhalten,
sondern eine deutliche Reduzierung auch konventioneller Kriege nebst Opfern
weltweit zur Folge gehabt (wobei die stalinistischen, maoistischen und
kambodschanischen Genozide offensichtlich nicht als Kriege rubriziert werden),
da keine Großmächte mehr gegeneinander kämpften (höchstens in
Stellvertreterkriegen in der sogenannten Dritten Welt, die meist mit
abgewrackten Waffen geführt wurde):
Vor allem aufgrund der
Weiterverbreitung von Kernwaffen wurden die bewaffneten Konflikte der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts, ohne eine einzige Ausnahme, entweder unter dritt-
und viertrangigen Staaten oder von einem erstrangigen Staat gegen einen dritt-
oder viertrangigen ausgetragen. Und schon alleine deshalb waren die Konflikte im
Hinblick auf ihre Größe nicht zu vergleichen mit den kriegen, die sich in der
ersten Hälfte des Jahrhunderts ereignet hatten.
Die Änderung in der
Militärgeschichte kann mit dem Schlagwort der Abschreckung auf den Punkt
gebracht werden. Von den Erstschlagdoktrin der USA, die man erst Mitte der 50er
Jahre aufgab, obwohl die UdSSR 1949 ebenfalls die Bombe "hatte", bis zur
Geschichte der Hochrüstung, die schnell in absurde Dimensionen stieg (1961 hatte
der übliche "strategische" US-Sprengkopf eine Sprengkraft von 15 Megatonnen
–…hundertmal so stark wie die Hiroshima-Bombe) und letztlich Arsenale schuf,
die hunderte Male die Erde vernichten konnten (eine einzige sowjetische
SS-18-Rakete hätte in den 80er Jahren durchaus ein Land wie Frankreich
"ausschalten" können). 1952 stieß Großbritannien in den "Club" der Atommächte
auf; 1960 Frankreich. Die militärische Bedeutung dieser beiden Potentiale blieb
immer gering; die Länder glaubten damit eher ihren längst verlorenen Status als
"Großmächte" reaktivieren zu können.
1963 zeigte China, dass auch für ein (damals) gering entwickeltes Land die
Technik relativ problemlos beherrschbar ist. Israel spricht man seit 1967 die
Waffe zu. Seit 1977 zog Pakistan mit Indien gleich, welches seit Mitte der 60er
Jahre offensichtlich nuklearwaffenfähig war (einen Test machte Pakistan erst
1998). Van Creveld vertritt die These, dass eine Eskalation um Kaschmir zwischen
den verfeindeten Staaten durch das atomare Gleichgewicht verhindert wurde. Zur
Untermauerung seiner These, dass die Verbreitung von Atomwaffen eher
deeskalierend wirkt, führt er auch die Entwicklungen im Nahen Osten heran (er
glaubt, dass ohne die Annahme der israelischen Bombe, dort stärkere
konventionelle Kriege ausgebrochen wären) und natürlich auch das Beispiel des
Irak, der (gezwungenermassen) nach dem Krieg 1991 sein Atomprogramm habe
aufgeben müssen und auch deswegen 2003 von den USA im Handstreich besetzt werden
konnte – während Nordkorea nicht angegriffen wurde.
Ländern wie dem Iran oder
Nordkorea spricht van Creveld konsequenterweise nicht per se die Sinnhaftigkeit
der Atomprogramme ab und fügt ein bisschen schnippisch an:
Als das Land, das als Erstes
die Atomwaffen eingeführt hat (und bisher als Einziges gegen einen Feind
einsetzte), haben die Vereinigten Staaten allen Grund, andere Länder daran zu
hindern, dem Club der Atommächte beizutreten. Jedes mal, wenn sich der Club
wieder vergrößert hatte, begann Washington deshalb, apokalyptische Bilder von
den Konsequenzen zu zeichnen, die diese Entwicklung nach sich ziehen würde. […]
In puncto Atompolitik, wie in so vielen anderen Dingen, halten die Amerikaner
ihr Land für das einzig auserwählte und einzig moralische. Doch man könnte
sicher auch argumentieren, dass sich die Vereinigten Staaten, lange vor der
erwähnten nationalen Sicherheitsdoktrin der Bush-Administration,
verantwortungsloser als alle Länder der Erde verhalten hatten. Wenn sie auch
seit Nagasaki keine Atomwaffen mehr einsetzten, so haben sie zweifellos mehrmals
und nicht nur einem Gegner gegenüber gedroht, sie einzusetzen. Nicht umsonst ist
der Begriff "brinkmanship", also eine Politik des äußersten Risikos, eine
amerikanische Erfindung.
Leider kann van Creveld in
seinem Buch, dass im Original 2007 fertiggestellt wurde, nicht auf die Vision
Barack Obamas einer atomwaffenfreien Welt eingehen. Seiner These zufolge würde
eine vollkommene Eliminierung von Atomwaffen (nimmt man dies einmal kurz
theoretisch als Möglichkeit an; praktisch dürfte der Geist nicht mehr in die
Flasche zurück zu holen sein) die Welt nicht unbedingt friedlicher machen,
sondern die Gefahr großflächiger konventioneller Kriege erhöhen. Ein Aspekt, der
in der allgemeinen Euphorie unterzugehen scheint.
Aufstandsbekämpfung als
neue Herausforderung
Kriege waren also (aufgrund der Verbreitung von Nuklearwaffen und deren
Abschreckungspotential) nach 1945 lokal begrenzte Konflikte, die nicht mehr
automatisch die ganze Welt in Brand setzten. Van Creveld zeigt nun an einigen
Beispielen wie hochgerüstete und technologisch überlegene Armeen dennoch
unterliegen – und zwar gegen guerillastrategisch agierende Kämpfer. 400.000
Franzosen versuchten in den 60er Jahren 8 Millionen Algerier zu "befrieden" –
erfolglos. 1969 waren rund eine Million amerikanische Soldaten in Vietnam, um
das südvietnamesische Regime gegen den kommunistischen Vietcong zu verteidigen -
erfolglos. Insgesamt verloren zweieinhalb Millionen Vietnamesen ihr Leben
(gegenüber rd. 58.000 toten Amerikanern). Zum erfolgreichsten Guerillakämpfer
des 20. Jahrhunderts macht er Mao Tse-tung, dessen Schrift zum "Volkskrieg"
noch heute häufig als "Vorbild" für Aufstandskämpfer gilt. Die neue
Herausforderung ist die wirksame Aufstandsbekämpfung (die Herfried Münkler mit
dem Plastikwort des "asymmetrischen Krieges" als Neuheit verkaufen wollte – im
Buch fällt dieser Begriff kein einziges Mal).
Demnach wird die
Ordnungsmacht nie in einem direkten Kampf gestellt. Die Aufständischen werden
also andere Formen des Kampfes wählen, in denen sie der Ordnungsmacht
nadelstichartig Schaden zufügen. Wenn die Zivilbevölkerung in den Konflikt
absichtlich und kalkuliert hineingezogen wird, nennt man dies Terrorismus.
Wichtig ist: Die Zeit spielt für den vermeintlich Schwachen. Mit jedem Toten
wird sich die Ordnungsmacht neu die Frage nach dem Sinn ihres Vorgehens stellen.
Kissingers Bonmot trifft ins Schwarze: Die Ordnungskräfte…verlieren, weil sie
nicht gewinnen. Rebellen hingegen gewinnen dadurch, dass sie nicht verlieren.
Rebellen oder
Aufständische haben auch eine andere Motivation als eine Ordnungsmacht, die
häufig Besatzungsmacht ist und deren Soldaten oft tausende Kilometer von ihrem
Zuhause entfernt dem Einsatz wenig emotional begegnen. Zudem haben Aufständische
häufig die wenn auch meist nur passive Unterstützung der einheimischen
Bevölkerung und fühlen sich dadurch moralisch legitimiert. Heftig wehrt sich van
Creveld übrigens gegen die Schuldzuweisung der Militärs, die Medien würden durch
ihre Aufmerksamkeit die Aufstände erst befördern bzw. erzeugen. Er hält dies für
Ausreden von Leuten, die an ihren Aufgaben gescheitert seien.
Und somit kommt man zur
eingangs formulierten Problematik: Wie können Armeen, die in jeder
konventionelle Kriegsführung haushoch überlegen sind, gegen Aufständische oder
Terroristen bestehen und gewinnen? Da 99% der Literatur über diese Thematik von
Verlierern verfasst sei, müsse man ganz neu denken, so van Creveld ein bisschen
nassforsch. Er entwickelt zwei Handlungswege, von dem es insbesondere der zweite
in sich an und illustriert diese jeweils an einem Beispiel, in dem die
Aufstandsbekämpfung gelungen ist.
Zwei Möglichkeiten zur
Bekämpfung von Guerillas
Zunächst untersucht er die Methoden der britischen Polizei und Truppen in
Nordirland. In einem kurzen historischen Abriss (auch dieser Konflikt hat sehr
weit zurückreichende Wurzeln) kommt natürlich unweigerlich der "Blutsonntag" von
Londonderry zur Sprache, in dem britische Armeeangehörige das Feuer auf eine
demonstrierende Menge eröffneten und dreizehn Menschen dabei getötet wurden.
Dieser Vorgang hat den Konflikt zunächst radikalisiert und terroristische
Aktionen befördert (Anschläge gab es bis ins Herz Großbritanniens, London). Van
Creveld zeigt in sechs Punkten, wie die Briten aus den damaligen Fehlern gelernt
und die richtigen Maßnahmen ergriffen haben.
Der Konflikt blieb stets ein strafrechtliches Problem; ein "Krieg", wie
ihn beispielsweise Bush 2001 nach dem 11. September ausrief, wurde nicht
erklärt. Daher gab es auch kein Ausnahmerecht, d. h. im Großen und Ganzen (es
gab vereinzelt natürlich Ausnahmen und Exzesse) wurden rechtstaatliche
Grundsätze bei der Bekämpfung eingehalten (und nicht einfach ausgesetzt) und man
hielt sich an die Gesetze; der Punkt, den van Creveld als den wichtigsten
hervorhebt (anfängliche Versuche, Gefangene bei Verhören zu foltern, wurden 1972
eingestellt). Desweiteren verblieb die polizeiliche Routinearbeit bei den
örtlichen Kräften, die sich besser mit den lokalen Gegebenheiten auskannten.
Kollektivstrafen wie Ausgangssperren, das Unterbrechen der Strom- und
Wasserversorgung, die Zerstörung von Gebäuden unterblieben ausnahmslos.
Soweit wie möglich traten Polizei und Armee als Beschützer der Bevölkerung auf,
nicht als ihre Peiniger. Dabei wurden von Seiten der Armee keine schwere
Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge oder gar Flugzeuge eingesetzt.
Diese äußerste
Selbstdisziplin der Briten führte dazu, dass den Aufständischen das
Feindbild sukzessive entzogen wurde und dadurch die Unterstützung in der
Bevölkerung nachließ, die sich mit den Zielen der Rebellen nicht mehr
ausreichend identifizierten. Den zweiten Schritt, die Einbindung der
(gemäßigten) Rebellen in Verhandlungen, die in einen Friedensprozess mündeten,
behandelt van Creveld konsequenterweise für seine Studie nicht.
Neben dieser - salopp
formuliert - "rechtsstaatlichen Variante" von Aufstandsbekämpfung, die einen
langen Atem verlangt (interessanterweise verkehrt sich die Bedeutung des Faktors
"Zeit" - bei den gescheiteren Vorgehensweisen "spielt" sie für den Schwachen,
jetzt jedoch plötzlich für die Ordnungsmacht) entwickelt van Creveld auch noch
eine diktatorisch-brutale Variante. Beispielhaft hierfür wird die Bekämpfung
einer aufständischen Muslimbruderschaft in Syrien im Jahr 1982 angeführt, die
sich in der Ortschaft Hama ereignete. Der damalige syrische Präsident Hafis
al-Assad schlug die Revolte mit furchtbaren Mitteln nieder. Der
Muslimbruderschaft wurde so bis heute "nicht nur das militärische Rückgrat"
gebrochen, sondern diente auch anderen oppositionellen Gruppen "als
eindrückliche Warnung, auf weitere Aktionen des Ungehorsams zu verzichten".
Die Vorgehensweise war von
äußerster Brutalität und Grausamkeit. Die Armee bombardierte die Stadt, in der
sich die Aufständischen aufhielten, flächendeckend, ohne Schonung und rückte
dann mit schwerer Artillerie vor. Man machte lieber zu viele Opfer als zu
wenige. Für van Creveld eine Notwendigkeit für den Erfolg einer solchen Tat. Die
Aktion geschah schnell und unerwartet, d. h. es gab vorher keine Drohungen oder
Ultimaten, die die Aufständischen zur Organisation eines Rückzugs hätten nutzen
können. Die mediale Verbreitung wurde dahingehend gesteuert, dass man bewusst
die Opfer und die Folgen der Angriffe (als Abschreckungselement) zeigte. Die
Operation wurde von einem Bruder Assads kommandiert; im Falle des Scheiterns
wäre nicht der Präsident selber gescheitert.
Die moralische Entrüstung
über diese Aktion relativiert van Creveld. Hätte Assad den Aufstand nicht
niedergeschlagen wäre Syrien vielleicht ähnlich wie der Libanon in einen
Bürgerkrieg verwickelt worden und eine unstabile Macht in Nahen Osten geworden.
Aufgezeigt wird, dass Assad rund zehn Jahre später ein willkommener Koalitionär
des Westens gegen Saddam Hussein war – moralische Bedenken gab es also damals
nicht, obwohl insbesondere die Amerikaner um die Brutalität des damaligen
syrischen Machthabers wussten.
Zweifellos ist diese brutale Bekämpfung von Aufständischen in demokratisch
organisierten Staaten schwierig umzusetzen. In gewissen Grenzen erkennt er
Parallelen zum Vorgehen der israelischen Armee im Umgang mit den Palästinensern.
Er stellt fest, dass diese Methode allerdings nicht konsequent durchgeführt
würde und dann letztlich scheitern müsste. Wobei offen bleibt, ob man im
israelisch-palästinensischen Konflikt nicht einmal die die rechtsstaatliche
Variante versuchen sollte.
Bedauerlicherweise belässt es van Creveld bei der Beschreibung der beiden
Modelle. Wie ein Militär meldet er in beiden Fällen: Mission erledigt. Aber ob
er ernsthaft glaubt, dass die brutale Variante dauerhaft zur Befriedung einer
Gesellschaft führen kann? Sie vermag für einige Zeit eine gewisse Ruhe zu
garantieren (zumal in einer Diktatur) – aber ist diese Friedhofsruhe
beispielsweise mit der Gefahr, die Aufständischen zu Märtyrern zu machen nicht
zu teuer erkauft? Hier zeigt sich die Schwäche in van Crevelds Betrachtung
überdeutlich: Seine Fokussierung liegt auf Aufstandsbekämpfung, nicht auf einer
nachhaltigen Befriedung. Nur so kann diese rustikale "Hau-drauf-Methode",
normalerweise eher ein Produkt zu fortgeschrittener Stunde in Offiziercasinos
"entwickelt", überhaupt nur in Erwägung gezogen werden.
Am Schluß betrachtet er
das Vorgehen der USA (und deren Verbündeter) im Irak. Er konstatiert hier eine
fatale Mischung beider Varianten. Mal entschlösse man sich zu brutalem Vorgehen
– welches dann plötzlich abgemildert oder zurückgenommen würde. Insgesamt gibt
es keine durchgängige Linie der Streitkräfte; das Vorgehen variiere von Einheit
zu Einheit. Die Alleinschuld für diese falsche Handlungsweise läge bei der
Bush-Administration. Kein gutes Wort findet er für die sogenannten "Think-Tanks",
die er in heftiger Polemik angreift. Oft genug gescheiterte ehemalige Offiziere
geben Ratschläge über Sachverhalte, von denen sie keine Ahnung haben und weil
sie den jeweiligen Auftraggebern schmeicheln wollen, redeten sie ihnen nach dem
Mund.
Um maximal 30.000 Rebellen im Irak zu bekämpfen legten die USA zwischenzeitlich
450 Milliarden US-Dollar im Jahr aus. Dabei gibt es weder eine Strategie, wie
man mit den Aufständischen umgeht noch ein Plan, wie dies umzusetzen ist. Nicht
einmal an eine ausreichende Zahl von Übersetzern habe man gedacht.
Konventionelle Armeen haben sich genau so überlebt wie der blinde Glaube an
hochtechnisierte Waffen, die in Wirklichkeit reparaturanfällig sind und den
Anforderungen der neuen Herausforderungen oft genug nicht gewachsen sind.
Mit seinem Erzählstil und der fast durchweg für einen militärhistorischen und
–strategischen Laien verständlichen Wortwahl gelingt es van Creveld,
den Leser zu fesseln. Die Fokussierung auf militärstrategische Aspekte ist
mitunter zu eindimensional, manchmal geradezu altmodisch (man denke an die
Parallelwelten zwischen Militär und Politik Anfang des 20. Jahrhunderts).
Eine stärkere interdisziplinäre Sicht wäre zuweilen wünschenswert. Dennoch: Auch
wenn einem bei der Lektüre manchmal der Atem stockt und sich neben Zustimmung
gelegentlich heftiger Widerspruch regt – lohnend und in höchstem Maße anregend
ist die Lektüre von "Gesichter des Krieges" allemal. Lothar Struck
Die kursiv gedruckten
Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
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Martin van Creveld
Gesichter des Krieges
Der Wandel bewaffneter Konflikte
von 1900 bis heute
Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz
Siedler Verlag
€ 22,95
ISBN: 978-3-88680-895-3
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