Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 

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Bücher für untern Baum

10 Lesetipps mit Qualitätsgarantie

Von Herbert Debes

Opulenter Gesellschaftsroman

Wir befinden uns in Lissabon um 1870. Carlos de Maia stammt aus einer der vornehmsten Familien des Landes und hat alles: Er sieht blendend aus, ist reich, intelligent und hat ambitionierte Pläne. Er und sein bester Freund João brillieren in der feinen Gesellschaft, über deren Rückständigkeit sie sich gleichzeitig lustig machen. Carlos studiert im Ausland Mdizin, wird Arzt und richtet sich eine luxuriöse Praxis ein, doch schon bald stürzt er sich in eine Affäre mit der rätselhaften Maria Eduarda, die das Zeug dazu hat, nicht nur ihn, sondern seine ganze Familie zu ruinieren.
Die »Maias« gelten als das portugiesische Pendant zu den »Buddenbrooks«
. Marianne Gareis hat die »Episoden aus dem romantischen Leben« neu übersetzt und damit neuen Lesegenerationen zugänglich gemacht. Der größte Klassiker der portugiesischen Literatur ist ein opulenter Familien- und Gesellschaftsroman voll unvergleichlichem Witz und Menschenkenntnis.
José Maria Eça de Queirós wurde 1845 geboren und starb 1900 in Paris. Er war Jurist, Diplomat, und wurde zum berühmtesten portugiesischen Schriftsteller seiner Zeit. Die ebenso ambitionierte wie erfolgreiche Klassiker Reihe des Hanser Verlages ist mit »Die Maias« auch buchgestalterisch um ein Schmuckstück reicher.

José Maria Eça de Queirós - Die Maias - Episoden aus dem romantischen Leben - Übersetzt aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis - Hanser - 944 Seiten - 44,00 € - 978-3-446-28126-4 Leseprobe & Infos

P
ortugals Trauma

In seinem neuen Roman begibt sich António Lobo Antunes zu den Anfängen des portugiesischen Kolonialkriegs gegen Angola und beschreibt einfühlsam die scheinbar unsausweichlichen Schicksale von drei vereinsamten Menschen.
Als im Januar 1961 die Arbeiter der Baumwollplantagen in der Baixa do Cassanje für bessere Arbeitsbedingungen und eine gerechtere Bezahlung protestieren, wird der Aufstand vom portugiesischen Militär mit brutalster Gewalt niedergeschlagen. Es sind diese Ereignisse, auf die die drei Protagonisten in »Am anderen Ufer des Meeres« zurückschauen – ein hochrangiger Soldat, ein Bezirksverwalter und die Tochter eines Plantagenbesitzers. Lobo Antunes blickt tief hinein in die Gefühlswelt seiner Charaktere, legt Schichten von Gewalt und Rassismus frei und lässt in inneren Monologen die Vergangenheit spuken und die Erinnerungen schwirren.
Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkriegs 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als dreißig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander.

António Lobo Antunes - Am anderen Ufer des Meeres - Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann - Luchterhand - 448 Seiten - 26,00 € - 978-3-630-87735-8 - Leseprobe & Infos


Momente einer Biographie

Mit ihrem neuen Roman
»Die Welt zwischen den Nachrichten« zieht Judith Kuckart ihre LeserInnen in den atemlosen Gang der Jahre hinein, erzählt in einer sprachlichen Dichte anhand von Momentaufnahmen und Schlaglichtern entlang ihrer Biografie und beleuchtet damit eine ganze Generation. Das liest sich wirklich gut weg.
Alles ist gewesen, nichts war genau so.
»Am 17. Juni, Tag der Deutschen Einheit, wurde ich geboren. Ich blieb das einzige Kind.
Am 2. Juni 1967 saß ich im Trikot des Kinderballetts vor der Tagesschau. Benno Ohnesorg war erschossen worden. Ich schlug meinem Vater während der Meldung auf's Knie: Papi, wenn ich groß bin, erschieß ich dich auch. 1977 schenkte mir meine Großmutter, Fließbandarbeiterin in einer Fabrik für Babybadewannen aus Plastik, zum Abitur 1.000 DM.
1989 stand ich in der Oper Duisburg zum letzten Mal als Tänzerin auf der Bühne. Eine wichtige und schüchterne Verlegerin saß im Publikum und meinte: Sie könnten auch mal einen Roman schreiben, Judith.
Am 17. Juni 2024 steht der Titel für meinen neuen Roman fest. Und ich weiß, ab jetzt habe ich noch zwanzig grandiose Sommer vor mir - oder?«

Judith Kuckart - Die Welt zwischen den Nachrichten - DuMont - 192 Seiten - 24,00 € - 978-3-8321-6846-9
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Tröstliche Geschichte

Ulrike Edschmids Bücher sind meist schmale Bände mit Geschichten, die an die eigene Substanz gehen, und meist bleibt danach eine gar nicht unangenehme Gefühlsmelange aus Wehmut, Trauer und Zuneigung hängen. Denn ihre Geschichten betreffen immer auch mich, selbst wenn ich für die meisten Ihrer erzählten Schicksale eine halbe Generation zu spät dran bin. Edschmid ist eine Meisterin des Weglassens, sie braucht nicht viele Worte, um Wesentliches zu sagen.
In Ihrem neuen Buch »
Die letzte Patientin« zeichnet die Erzählerin das Leben einer Frau nach, die 1973 in ihre Frankfurter WG kam. Nach jahrelangen Reisen durch die halbe Welt und unzähligen »verzweifelten Liebesversuchen«, wendet sie sich der Traumaforschung zu. Eines Tages kommt eine junge Frau zu ihr in die Praxis, die nicht spricht. Erst nach Jahren werden die ersten Wörter aus ihr herausbrechen. Ist sie Opfer eines realen oder eines eingebildeten Verbrechens? Fest steht: diese Patientin wird ihr, der inzwischen an Krebs erkrankten Therapeutin, die Liebe geben, die sie an keinem Ort der Welt hatte finden können.  Lebenshunger und Reiselust, die Grenzen des therapeutischen Berufs, die Ungewissheit, das Gegenüber jemals zu begreifen – Ulrike Edschmid erzählt diese berührende, verstörende, am Ende tröstliche Geschichte, wie wir es von ihr kennen, lapidar, mit Aussparungen, dicht und leichthändig zugleich.

Ulrike Edschmid - Die letzte Patientin - Roman - Suhrkamp - 111 Seiten - 23,00 € -
978-3-518-43183-2 Leseprobe & Infos


Tanz auf dem Atom

Vor hundert Jahren entstand eine neue Wissenschaft, die die Grenzen der Vorstellungskraft sprengte: die Quantenphysik. Vier Forscher und ein unablässiges Hin und Her der Ideen: Max Planck, Albert Einstein, Niels Bohr und Werner Heisenberg. Sie ergründeten das Innere der Atome und rangen mit einer scheinbar einfachen Frage: Was ist Licht? – zu einer Zeit, in der Elektrizität erstmals die Städte erhellte und Kino und Fotografie ihren Siegeszug antraten. Thomas de Padova lässt die fieberhafte Suche nach Antworten anhand der Begegnungen der Forscher lebendig werden. Was hat ihre Kreativität beflügelt? Welche Ideen führten sie zum Welle-Teilchen-Dualismus und zur Unschärferelation? Eine fesselnde Geschichte über die Freude am Denken, über Glanz und Abgründe der zwanziger Jahre und den Tanz auf dem Atom.

Thomas de Padova - Quantenlicht - Hanser  - 432 Seiten - 28,00 € - 978-3-446-28134-9

 

Die Erde als politische Herausforderung

»Wir, die 8 Milliarden Menschen, wohnen auf einem unbedeutenden Planeten, der sich um einen ganz gewöhnlichen Stern dreht. Aber dieser Planet hat eine Besonderheit, die bislang noch nirgendwo sonst beobachtet wurde: Er birgt Leben. Natürlich sind wir nur eine Variante im bunten Strauß der Lebensformen auf diesem Planeten, aber immerhin eine, die sich als besonders eroberungsfreudig erwiesen hat, um nicht zu sagen, invasiv. Die wachsende Umweltangst angesichts des Klimawandels, des Artensterbens und der schweren Umweltverschmutzung spielte bei der Entwicklung dieses Atlas eine zentrale Rolle. Sein Interesse gilt unseren heutigen Anforderungen und Fragestellungen – was in diesem Bereich etwas vollkommen Neues ist.«
In über 300 farbigen Karten, Grafiken und Schaubildern schildert dieser Band den Weg von den Anfängen des Universums bis zu den schweren Zerstörungen unserer Umwelt in der Gegenwart. Astrophysiker, Archäologen, Historiker, Geologen, Biologen, Klimawissenschaftler, Ozeanographen, Zoologen – Christian Grataloup hat 30 von ihnen zusammengeholt und einen Atlas geschaffen, wie es ihn noch nie gab.

Christian Grataloup - Die Geschichte der Erde - Ein Atlas - C.H. Beck - 320 Seiten - durchgehend illustriert - 38,00 € - 978-3-406-82230-8 Leseprobe & Infos
 

Pflichtlektüre

1945 war das Jahr zwischen Katastrophe und Neuanfang. Die Deutschen schicken ein letztes Aufgebot an jungen und alten Männern in die Schlacht, die Alliierten rücken näher, Zivilisten sind auf der Flucht oder suchen im Trümmerfeld des Krieges Schutz. Im Mai ist der Krieg zu Ende, die Menschen kriechen aus den Ruinen, vor sich eine ungewisse Zukunft. Der Alltag geht weiter, aber die Welt ist eine andere.
Volker Heise legt eine vielstimmig erzählte Chronik vor, die das ganze Schicksalsjahr 1945 umspannt, von Silvester bis Silvester. Tagebücher, Briefe, Erinnerungen, aber auch unveröffentlichtes Archivmaterial, darunter Augenzeugenberichte, erlauben eine einzigartige Perspektive. Stimmen, Beobachtungen und Geschichten werden zu einer großen Erzählung verwoben, die unterschiedlichste Schicksale unmittelbar miteinander verknüpft. Das Porträt eines Jahres, wie wir es noch nicht gesehen haben. Wer sich mit Heise an Kempowskis »Echolot«-Propjekt erinnert glaubt, der liegt hier richtig, beides sind Pflichtlektüren für ZeitgenossInnen.

Volker Heise - 1945 - Rowohlt - 464 Seiten - 28,00 € -
978-3-7371-0201-8 Leseprobe & Info
 

Meister des Lichts

Von seinen Zeitgenossen wurde er entweder gefeiert oder für verrückt erklärt. Heute gilt William Turner längst als der bedeutendste Künstler Großbritanniens. Kein anderer Maler des 19. Jahrhunderts hat die weitere Entwicklung der Kunst stärker geprägt als er. Gleich ob Impressionismus, Abstraktion oder Futurismus, William Turner hat in der Malerei vieles vorweggenommen, was erst Jahrzehnte nach seinem Tod Furore machen sollte.

William Turner (1775-1851), Sohn eines Barbiers, verfolgte seinen Traum von Anerkennung und Wohlstand erfolgreich mit den Mitteln der Kunst. Wohl keiner reiste und zeichnete so viel wie er, bediente einerseits gekonnt den Kunstmarkt und schuf zugleich Werke, von denen der Autor und Sammler William Beckford sagte, Turner »malt, als ob sein Hirn und seine Fantasie auf der Palette mit Seifenlauge und Schaum vermischt wären.«
Zu seinem 250. Geburtstag folgt Boris von Brauchitsch dem exzentrischen Maler in dieser atmosphärisch dichten Biografie vor gesellschaftspolitisch geweitetem Horizont auf seinen abenteuerlichen Reisen durch Europa, beobachtet ihn bei seinem Wettstreit mit den Großen der Kunstgeschichte, begleitet ihn beim Kampf für die Ebenbürtigkeit der Landschaftsmalerei und geht so manchem Geheimnis nach, das ihn umgibt.

Boris von Brauchitsch - William Turner - Biografie - Insel Verlag - 256 Seiten - 26,00 € -
978-3-458-64470-5 Leseprobe & Infos
 

Wie alles begann, damals in Paris

In ihrem preisgekrönten Roman, in dem man die Boheme und das Literaturmilieu der Pariser Rive Gauche in St. Germain wiederzuerkennen meint, skizziert Simone de Beauvoir meisterhaft das Klima im Nachkriegsfrankreich.
Den Klassiker der französischen Moderne haben nun
Amelie Thoma und Claudia Marquardt für die Generationen der Nachgeborenen neu übersetzt.
Schauplatz der Geschehen ist das
Paris nach dem Ende der deutschen Besatzung. Die Mandarins, das sind die Caféhaus-Intellektuellen, die über Politik und Literatur die Köpfe debattieren. Und mittendrin Anne Dubreuilh, die feststellen muss, dass sie als Akademikerin bei den langen Abenden voller Zigarettenrauch und Alkoholdunst wohl mitreden darf, aber dennoch den schmerzhaften Riss spürt, der zwischen männlich und weiblich, zwischen öffentlich und privat verläuft.
Die Neuordnung der Linken, die Zeit der großen politischen Umbrüche und vor allem des Feminismus in einer Zeit, in der patriarchale und nationalistische Tendenzen wieder erstarken: Die Aktualität dieses Romans ist kaum von der Hand zu weisen.

Simone de Beauvoir - Die Mandarins von Paris - Übersetzt von Amelie Thoma und Claudia Marquardt - Rowohlt - 1024 Seiten - 45,00 € - 978-3-498-00436-1 Leseprobe & Infos


Afrika neu entdecken & verstehen

Daß wir eine eine afrikanische Geschichte frei von kolonialen Narrativen der Unterdrückung und der Ohnmacht dringend nötig haben, steht außer Zweifel.
Afrika ist dreimal so groß wie Europa, sein wirtschaftliches und ökologisches Potential liegt aufgrund der bis heute nachwirkenden Verbrechen der früheren Kolonialmächte größtenteils brach.
Von der Geschichte dieses riesigen Kontinents aber wissen wir – vom Faktum des Kolonialismus und den Verheerungen des Sklavenhandels abgesehen – so gut wie nichts!
»Große Königreiche Afrikas« räumt mit diesem Defizit auf und hebt die afrikanische Geschichte dahin, wo sie hingehört: auf europäische Augenhöhe. In diesem auch gestalterisch gelungenen Buch präsentieren neun führende, vornehmlich aus Afrika stammende Historikerinnen und Historiker erstmals neun mächtige, hochentwickelte Königreiche aus mehr als zwei Jahrtausenden und erlauben so einen vollkommen neuen, nicht kolonialen Blick auf die faszinierende Geschichte des unbekannten Kontinents.

John Parker - Große Königreiche Afrikas - Von den Nubiern bis zu den Zulu - Übersetzt von Thomas Bertram, Elsbeth Ranke, Oliver Lingner - 400 Seiten - 35,00 € - 978-3-534-61011-2 Leseprobe & Infos

Artikel online seit 21.11.24

 

 


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