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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Anekdoten vs. Komplexität

Die Kindheitsromane von Anna Baar und Dana Grigorcea könnten unterschiedlicher
nicht sein. Das betrifft auch deren literarische Qualitäten.

Von Lothar Struck

Samstag, 4. Juli, der letzte Tag der Lesungen zum Bachmannpreis 2015. Um 11 Uhr las Anna Baar einen Auszug aus ihrem Roman "Die Farbe des Granatapfels". Später dann, als Abschluss, Dana Grigorcea mit "Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit". Beide Texte erzählen von einer Kindheit, aber das war auch schon fast die einzige Gemeinsamkeit. Baar las ruhig, ohne Rampensau-Gestus so mancher VorleserInnen  davor (und danach). Ihr Text wirkte hermetisch; der Vortrag bestach durch Ernsthaftigkeit. Es ging um eine weibliche Ich-Erzählerin, die sich an ihre Sommeraufenthalte in der Kindheit und Jugend mit einer übervorsorgenden Großmutter in Kroatien erinnert. Die anschließende Jurydiskussion verlief schleppend, die unleugbare Sprachwucht des Textes stellte niemand in Zweifel, wurde aber auch nicht besonders gewürdigt. Mehr als wohlwollende Gleichgültigkeit mochte sich nicht einstellen.

Zwei Stunden später Dana Grigorcea. Die vorgelesene Geschichte spielt im Rumänien der Nachwendezeit. Es war ein leichter, anekdotischer Text. Die Personen wirken in ihrem sorglosen Alltagspragmatismus ein bisschen putzig, etwa wenn eine Figur farbige Streifen auf seinen Fernseher klebt ("das obere Drittel leuchtete blau, das mittlere rot, das untere grün") und dies dann als Farbfernsehen ausgibt. Oder man erinnert sich an die Zeichentrickserie "Fram, der Polarbär" und den Securitate-Oberst, dessen Marotten für Amüsement sorgten. Grigorcea las kongenial zum Text, mit leichtem, charmantem Akzent, der einen der Götter der Literaturkritik, die Authentizität, heraufbeschwor. Kern der vorgelesenen Geschichte ist der Hype um Michael Jackson, der sich 1992 zu einem Konzert in Bukarest angesagt hatte. Erzählt wird zunächst die Verehrung des Popstars, die sich in der Zahl der Raubkopie-Cassetten zeigte, die man wie Augäpfel hütete. Und dann ein ziemlicher Dämpfer als dieser zur Begrüßung "Hello, Budapest!" rief. Diese Pointe bleibt haften. Sie wird vom Feuilleton inzwischen zum Erkennungs-Narrativ dieses Buches verwendet.

Grigorceas Text wurde in der Jury positiv, vor allem aber engagiert besprochen. Ein Juror hatte sich auf Youtube das Michael-Jackson-Konzert angeschaut, was man natürlich toll fand. So etwas gilt ja inzwischen als Rechercheleistung. Die Jury blühte so kurz vor dem Ende der Lesungen noch einmal auf. Der Michael–Jackson-Missgriff als Aperitif. Anna Baars literarisch-anspruchsvoller, dennoch aber schwebend-leichter Text schien vergessen. Beide kamen zwar auf die Shortlist. Aber dann zeigte sich Bedeutsamkeit der richtig ausgesuchten Passage, wenn aus einem Romanauszug gelesen wird. Aus Baars vielschichtigem Werk einen ohne Vorkenntnisse des Geschehens verständlichen und wirkungsvollen, gleichzeitig aber repräsentativen Ausschnitt zu finden war ungleich schwerer als aus der episodenhaften Erzählweise Grigorceas eine knallig-pointierte Story zu komponieren. Das Ergebnis: Baar ging leer aus, Grigorcea bekam immerhin den 3. Preis.     

Lindenduft, Demis Roussos, ein Mord

Fast zeitgleich sind nun die Romane erschienen. Man kann nun jenseits von Anekdotenpossierlichkeit und Vorleserhetorik die Erinnerungen der beiden Autorinnen in voller Länge lesen.

Die Klagenfurt-Geschichte von Dana Grigorcea findet sich im Roman an zwei Stellen: Zum einen auf Seite 133 und dann ab Seite 204. Die Passagen sind im Roman leicht bearbeitet, einige Worte verändert (aus "Strohgeruch" wurde beispielsweise "Heugeruch"), die Figur Rapineu heißt im Roman Rapineau. Die Ich-Erzählerin Victoria ist Rumänin, lebt inzwischen in der Schweiz und arbeitet seit kurzem in einer Bankfiliale in Rumänien. Der Roman beginnt mit einem Banküberfall. Victoria wird aufgrund der psychischen Belastung arbeitsunfähig geschrieben und muss wöchentlich Therapiestunden nehmen. Diese Zeit nutzt sie zu Exkursionen durch Bukarest mit und ohne ihren Freund, die unterschiedlich starke Erinnerungsströme hervorrufen. Die Großstadt versinkt im Lindenduft, was nicht verwunderlich ist, denn Rumänien "ist ein Land der alten Linden und Eichen". Auf Schritt und Tritt begegnet Victoria Freunden, Nachbarn, ehemaligen Liebhabern und sogar Bankräubern oder längst Verstorbenen. Sie lässt die Vergangenheit mit ihnen Revue passieren und wo es möglich ist wird die aktuelle Lebenssituation eingefangen oder einfach imaginiert.

Victoria wuchs im ehemaligen Regierungsviertel auf – was das bedeutet, bleibt im Dunkeln. Die Eltern halten sich in der Nachwendezeit auch schon mal in Nizza auf. Wie waren sie mit der Ceausescu-Nomenklatura verbunden? Womöglich will man das alles so genau auch nicht mehr wissen. Und so wird brav im komödiantisch-nostalgischen "War-doch-alles-nicht-so-schlecht"-Ton erzählt, der Securitate-Mann ist ein hilfsbereiter Kümmerer, Mémé, eine Großmutter, schwärmt für Rapid Wien und Jean-Paul Belmondo und sogar ein jahrelang zurückliegender Mord gerät zur Posse. Ganz Rumänien war eine Familie, liebenswert und zuweilen ein bisschen vertrottelt. Da ist "die Hübsche", der "dicke Wachmann", ein "Kaskadeur", ein Zigeunerjunge, der Müllmann. Der Musikgeschmack reichte von Demis Roussos bis Michael Jackson. Die Zigeunerkinder waren bunt angezogen und laufen heute zerlumpt herum. Eine ehemalige Miss Rumänien lebt jetzt vergessen in einer Ein-Zimmer-Wohnung. So trägt dann jeder sein Päckchen.

Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich, wobei man kurz geneigt ist von einem "magischen Realismus" zu sprechen. Aber das ist es dann irgendwie doch nicht, weil die Magie zu oft in kleinteiligen wie überflüssigen Abschweifungen abdriftet. Die Handlungsstränge verschlingen sich wie ein Kopfhörerkabel, das man einst sorgfältig aufgewickelt wähnte, am Ende jedoch nahezu unentwirrbar ist. Dabei ist es von Vorteil, dass die einzelnen Kapitel nicht zu lang sind; zur Not könnte man womöglich auch das ein oder andere auslassen, denn Redundanzen – bei solchen Erinnerungskorpora durchaus dazugehörend – gibt es genug. 

Drollige Folklore

All dies würde einem bei dieser Melange aus Schweijkiade und Folklore noch das Attribut "gefällig" entlocken, wenn es nicht die Versuche der Autorin geben würde, ihre Prosa zuweilen zwanghaft durch Lyrismen und pseudopoetische Bilder aufzuwerten. Den "funkelnde[n] Staub" in einem Lichtstrahl mag man noch goutieren. Aber das gelbe Licht "des geschwungenen Deckenfensters", welches "die Passage Macca-Villacrosse mit einer trüben Viskosität" füllt, ist maximal komisch. Der Roman beginnt schon mit einem unverständlich-sperrigen ersten Satz (dieser würde in einer Liste der schlechtesten ersten Sätze der Literaturgeschichte sicherlich ganz weit oben stehen). Auch die Versuche Victorias ihr (erzählerischen) Verfahren zu reflektieren, misslingen. Exemplarisch dafür die Szene, in der die Figur, die "die Hübsche" genannt wird, die Hände Victorias "in die ihren" nimmt, "zum ersten Mal, seit wir uns kennen" und Victoria "wird schlagartig klar, dass die Intimität, die man mit 'Menschen von früher' herzustellen versucht, eine Selbsttäuschung einsamer Menschen ist, gleichzeitig wage ich es nicht, diese Feststellung in einen weiteren Zusammenhang mit der Hübschen zu bringen, besteht doch die Möglichkeit, dass mir ihre Achtung, um die ich als Kind buhlen musste, doch noch zuteilgeworden ist."

In diesem Stil findet sich auch der Titel des Romans. Unbeschwerte Kindheit und Jugend dieses "taumelnde Gefühl der Schwerelosigkeit" wird zum "primären Gefühl der Schuldlosigkeit". Einzuwenden wäre hier, dass es, wenn es eine Schuldlosigkeit gibt, auch so etwas wie "Schuld" geben müsste. Hierzu liest man jedoch nichts. Grigorceas Victoria wirkt drollig und harmlos, changiert zwischen Naivität und Cleverness. Spät erfährt man noch, dass  sie eine talentierte Schachspielerin gewesen sein soll. Und sie verwendet dann auch noch Vokabeln wie "Immensität", "Dexterität" und "Remailleuse" (zwei Mal), die sie vermutlich als vielschichtige Persönlichkeit zeigen wollen.

Natürlich gibt es auch gelungene Szenen. Etwa wenn Victoria wie so häufig mit dem Bus durch Bukarest fährt und plötzlich einmal die permanente Musikbeschallung aufhört. Verblüfft stellt sie fest, dass die Stadt ohne Musik ganz anders aussieht. Oder wenn nassforsch konstatiert wird, dass die orthodoxen Popen eine bessere Physis haben als die Katholiken, weil sie sich laufend niederwerfen müssen. Da ahnt man, was es für ein Buch hätte werden können, wenn man der Autorin rigoros die zweiten Teile der verschachtelten Sätze einfach gestrichen hätte.

Die Großmutter und das "rastlose Bälgchen"

Wo Grigorcea Poetisierungen glaubt einstreuen zu müssen und dabei zu oft scheitert, gelingt dies Anna Baar mit eleganter Dezenz und großer Könnerschaft. Während bei Grigorcea die Großmutter eine eher diffuse Rolle spielt, ist in Anna Baars "Die Farbe des Granatapfels" Nada, die Großmutter mütterlicherseits, die wichtigste Figur.

Aber schon diese Zuschreibung wird der Komplexität des Romans nicht gerecht. Tatsächlich gibt es drei "Hauptfiguren": Zum einen Anuschka, die zunächst in der "Es-"Form als "das Kind" bezeichnet wird, bevor sie dann von der Pubertät an als Ich-Erzählerin abgelöst wird. Dann vor allem natürlich "Nada", die eigentlich Nona heißt. Nada war Partisanin und lebt mit ihrem Mann Beppe in Zagreb sowie, im Sommer, auf einer dalmatinischen Insel. Der dritte Protagonist ist ein Ort: diese jugoslawische Insel mit Nadas und Beppes Haus mitsamt den sorgsam gepflegten Blumenbeeten, der Allee, dem faszinierenden wie unheimlichen Friedhof und dem "Übermaß an Schönheit und Licht" im unerträglich heißen, fast immer regenlosen Sommer. Benannt wird die Insel nie, im Klappentext ist von Brač die Rede, auf der die Autorin, Anna Baar, neben Wien und Kärnten ihre Kindheit und Jugend verbracht habe.

Nach einem kurzen Prolog (eine Binnenerzählung) beginnt die Geschichte mit Nada und Anuschka. Beide "sitzen auf der Veranda" und rauchen, wobei der alten Nada die Asche immer wieder auf das "glutvernarbte Tischtuch" fällt. Anuschka drängt Nada aus ihrem Leben, das nun bald zu Ende zu gehen droht, zu erzählen. Aber stattdessen erzählt Anuschka, "das rastlose Bälgchen". Von der überängstlichen, manchmal lieblosen und dann wieder aufdringlichen Großmutter mit ihrem "Übermaß an Zärtelei", den Beschwörungsformeln und Selbstvergewisserungen, der übertriebenen Sparsamkeit (die in Geiz ausartet), ihren Panik auslösenden Totstell-Spielen, dem bei Verfehlungen strafenden Schweigen, der Blinddarmangst, Lungenentzündungs-Gewissheit und den Knochenfraß-Bedrohungen, die dazu führen, dass das Kind "sich am meisten davor fürchtet, nichts zu spüren". Schließlich Nadas für das Kind zunächst unverständliche Ekel auf alles Deutsche und "Esterreichische" (so wird der "Umlaut zu[m] Unlaut"), also dem, was Anuschka "Vaterland" nennt – das Land ihres Vaters.

Das Kind, die Jugendliche, lebt in zwei Welten. Im Winter in Kärnten in "Nebel und Schwermut", das Klavier im Wohnzimmer. Ein Konservatorium mit Strenge, Frieren, Schall und Unruhe. Seltene Momente mit den Eltern, aber ständig wechselnde Kindfrauen. So begann Anuschka Nada zu vermissen, "ein Leichtes…die Abwesende zu lieben". Dann der Sommer. "Bei Nada war der Himmel groß, und bei seinem Anblick kam man sich klein vor, und das Meer atmete im Rhythmus der Natur, ein Werden und Vergehen." Es gab "kein schöneres Land als das ihrige". Aber auch "Kopfschmerzwetter" und vor allem Nadas unkalkulierbare Wechselspiele zwischen "Rabenliebe" und "Affenliebe", so dass manchmal das "Kitzeln der Fliegen" auf den Beinen die "einzige Zärtlichkeit" blieb.

Mit großer Sprachlust erzählt Baar diese Sommer. Dabei entsteht keine Idyllenprosa, keine Schrebergartenherrlichkeit. Fast im Gegenteil: Immer dann, wenn es zu heimelig zu werden droht, werden Assoziationen aus anderen Zeit- und Ortsebenen als Korrektiv eingeflochten. Der erste richtige Schock ist der Tod des verehrten Marschalls, der wie Nada und Beppe für  ihr Land gelebt und gekämpft hatte.

Das Ende des Zaubers

Einen weiteren Bruch gibt es ziemlich genau in der Mitte des Buches mit dem "Abschied von der Kindheit", als das Wünschen nicht mehr geholfen hat und der Kosmos "verödet" war. Von nun sagt Anuschka "Ich". "Die Blenden hatten sich geöffnet" und der Zauber der Sommeraufenthalte war "nur noch Nachgeschmack". Das Zusammenleben mit Nada wird immer schwieriger und ein letztes Refugium der Jugendlichen ist das stille Örtchen. Anuschka pubertiert und rebelliert -  auch gegen sich selbst. Sie "will diesen Körper nicht", knebelt sich die aufkommende Brust ab. Sie empfindet Befreiung und Bedrückung zugleich. Befreiung dort, wo Nada entzaubert wird, ihre immergleichen Sprüche und vor allem das fast zelebrierte Tagwerk, das als wichtiges Symbol das Kämmen der Teppichfransen vorsieht (das Cover des Romans zeigt das "Chaos"). Bedrückend ist dann genau diese Ernüchterung und die Entdeckung, dass sich in der Kontrollmanie Nadas, ihrem Rechthaben, der Grad ihrer Zuneigung zeigt. Aber: "Es fiel mir immer schwerer, ihre Liebe zu schultern". Die als Kind hingenommenen Marotten werden zu Geißeln. Hinzu kommt, dass Nada mit dem Alter nachlässiger, und vor allem: "schwachsichtiger" wird. Die "Insignien ihrer Macht" – Armaturen in der Küche, die Fernbedienung, Haushaltsgeräte – sind nun "voller Tomatensauce und Kartoffelteig". Geblieben war ihr "widerborstige[r] Stolz, der die Armut zur Tugend erhebt".

Die ersten Bomben der jugoslawischen Volksarmee auf Zagreb (im Oktober 1991) erlebt Anuschka in Wien als Studentin. In wilden Bildassoziationen versucht Baar die divergierenden Eindrücke, die Flüchtlingsströme, den Verlust des einst unter Schmerzen von Nada und ihrem Mann erkämpften Staates Jugoslawien und die Kriegsgeschichten aus Nadas Partisanenzeit zu verarbeiten. "Unser Land" geht verloren. Anuschka bemerkt die neue Sprache der Cousins, Begriffe bezeichnet man jetzt plötzlich anders, sogar ihr Geburtsmonat. Geheuer ist ihr dies "aus sicherer Entfernung" nicht, sie möchte "Zaungast bleiben" zum neuen Staat.

Mit ruppiger Zärtlichkeit

Nada verändert sich, ist nicht mehr die "Grundgütige und mehr denn je "trotzig wie ein alter Feigenbaum". Es wird "immer schwerer, den Frieden zu wahren". Oft steckt Anuschka zurück, berücksichtigt den fragilen Gesundheitszustand der Großmutter. Nada bekommt eine Hilfe, was sie jedoch in "Untätigkeitserschöpfung" stürzt. "Die Frauen sind einander ausgeliefert auf Gedeih und Verderb. Doch ein Gedeihen gibt es nicht mehr." Der Sommer geht Anuschka nur noch "auf die Nerven". Nada übersiedelt schließlich ins Erinnern, richtet sich dort ein. Anuschka befragt sie mit der gleichen ruppigen Zärtlichkeit, die Nada ihr als Kind hat angedeihen lassen. Jetzt endlich soll sie erzählen. Unwillig und unprätentiös berichtet sie vom Partisanenleben. Kein Anflug von Heldentum und wenn es doch droht, dann fragt Anuschka ganz schnell, was denn in Bleiburg geschehen war. Keine Antwort. Aber anderes wird ausgesprochen. Wie es war, als Nada erfuhr, dass ihre Lieblingsschwester von den Deutschen erschossen wurde. Und vieles klärt sich auf: Ihre "Dunkelangst", der Hass auf den Winter, die Manie auch noch den letzten Rest von Lebensmitteln aufzuheben und zu konsumieren, auch wenn sich schon Verderbnis eingestellt hat. Und trotzdem: "Ich hatte doch ein reiches Leben", so Nadas Bilanz, die Anuschka rührt.

Es gibt wunderbare, elegische Liebeserklärungen an diese Frau, die sich, und das ist Baars Kunst, nicht in zuckersüßer Sentimentalität verlieren. Anuschka kann es kaum ertragen, dass Nada in einem Altenheim bleiben muss, ihre Orte nicht mehr aufsuchen kann. Die Besuche in den Wohnungen werden für Anuschka fast als Schändungen an der Vergangenheit der Großmutter gesehen, so notwendig sie auch sein mögen.

"Die Farbe des Granatapfels" von Anna Baar ist ein wunderbares, ein großartiges Buch, mit dem man, um ein Notat Peter Handkes aufzugreifen, "'durch die Zeit'" gehen kann "wie durch Fluchten von Räumen, die im Durchgehenkönnen erst schön werden". Ein epischer, mäandernder Abgesang auf eine Epoche und auf ein Leben in einem untergegangenen Land. Diese Prosa ist sprachgewandt, aber nicht aufdringlich. Kunstvoll und dennoch nie gekünstelt. Präzise und trotzdem warmherzig. Sie ist ergreifend, ohne pathetisch zu werden. Das alles konnte man auch schon in Klagenfurt hören. Wenn man es denn gewollt und genau zugehört hätte.

Artikel online seit 13.09.15
 

Anna Baar
Die Farbe des Granatapfels
Roman
Wallstein Verlag
320 S., geb., Schutzumschlag
€ 19,90 (D)
978-3-8353-1765-9

Dana Grigorcea
Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit
Roman
Dörlemann Verlag

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