Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme





Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


Anzeige

Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

Ohne Versandkosten bestellen!
 



Ein wunderbarer englischer Exzentriker erzählt

Dave Goulsons eigenartiges Mixtum Compositum über die Hummeln (& ihn)

Von Wolfram Schütte

 

»Von nichts kommt nichts«, lautet ein Sprichwort. Auf die Idee, Dave Goulsons Buch »Und sie fliegt doch« anzusehen & zu lesen, bin ich durch ein anderes Buch von einem Briten gekommen: Dan Kierans »Slow Travel«. Darin entwickelt der sympathisch-exzentrische Autor seine Philosophie des entschleunigten Reisens & erzählt, wie er mit zwei Freunden in einem Elektroauto, das früher in GB zur morgendlichen Anlieferung der täglichen Milch benutzt wurde, gemächlich quer durch England fährt. Einmal, beim  Aufstieg eines Hügels, sind die drei Männer in ihrem Elektrogefährt so langsam, dass sie dabei »von einer Hummel überholt werden«.

Das ebenso eindrucksvolle Bild, wie auch diese (humoristische) Metapher, erinnerten mich an manche Naturbeobachtung der unübersehbaren Insekten. Sie wurden vom Kind so geliebt wie die Bienen gefürchtet oder die Wespen gehasst. Waren die seltenen Hornissen das Gefährlichste, was einem fliegend in der ländlichen Kultur begegnen konnte, so die Hummeln die sympathischsten, harmlosen Brummer. Nie kamen einem diese liebenswerten Dickerchen zu nahe, wurden sie aufdringlich oder gar aggressiv. Auch drohte von ihnen kein schmerzhafter Stich wie von den Bienen & Hornissen oder das Unglück, sie womöglich unwillentlich beim Kuchenessen oder Safttrinken zu verschlucken (wie die Wespen).

Das Shakespearehafte in der Welt der Hummeln  

Unter den fliegenden Insekten glichen Hummeln  den »fat men«, die Cäsar in Shakespeares Drama am liebsten um sich haben wollte. weil ihm von Dicken am wenigsten Unbill drohte, Brutus aber war ein ehrenwerter Mann & schlank, wie sie alle, die sich gegen Cäsar verschworen.

Lasst Hummeln um uns sein, denn sie bleiben auf Distanz & bei sich (als einzelne & nicht als bedrohlicher Schwarm). Dabei haben auch sie Stacheln & wenn sie mit ihnen stechen, gehen sie nicht wie die Bienen daran automatisch zugrunde. Und auch die Hummeln leben wie die Bienen, mit denen sie die Liebe zu Nektar & Pollen teilen, oft in Nestern zusammen, wenn auch die Bienen komplexere Staatengebilde entwickelt haben.

Die gewissermaßen »bäuerlichen« Hummeln formen im Vergleich mit dem sechseckigen Serialismus der Bienen-Künstler unexakter ausgeführte Waben & Nester, die meist unter der Erde in verlassenen Mäusehöhlen zu finden sind – wenn man sie denn suchen würde. Aber die Hummel-Königin, die eine Zeit lang von ihren »Töchtern«, den Arbeiterinnen, mit Nahrung versorgt wird, wenn sie das Nest nicht mehr verlässt, weil sie ununterbrochen Eier legt, wird  am Ende ihrer Reproduktionstätigkeit von ihren Töchtern umgebracht – falls sie nicht schon vorher dem Angriff einer anderen schwangeren Königin zum Opfer gefallen ist, ohne dass die Arbeiterinnen es bemerkt hätten. «In der dämmrigen Grenze des Nests spielen sich gewalttätige Kämpfe ab, sind Kannibalismus, Kindsmord und Mord an der Tagesordnung«.  Die Hummelwelt hat offenbar mehr mit Shakespeares Königsdramen zu tun als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.

Aber diese Kenntnisse stammen alle aus Dave Goulsons Hummel-Brevier, einem ebenso informativen wie literarisch seltsamen Buch. Sein Autor »ist Hummelforscher und einer von Englands bekanntesten Naturschützern«, teilt sein deutscher Verlag mit. Er hat in Großbritannien den »Bumblebee  Conservation Trust« gegründet. Wahrscheinlich wird man auf der Welt keinen zweiten finden, der mehr weiß über die im Englischen so treffend onomatopoetisch »Bumblebee« genannte Hummel.  »Baumelbiene« wäre auf Deutsch eine entsprechende Übersetzung.

Goulson gehört zu jenem besonders im britischen Kulturkreis häufiger als anderswo auftretenden Typus des sympathischen Fach-Idioten, bzw. -Narren, der als Spezialist auf seinem Gebiet »alles weiß«. Als passionierter Liebhaber seiner wissenschaftlichen Disziplin  versteht er es, durch erzählerische Lust & humoristische Laune einen fesselnden Charme als Autor zu entfalten. Er gibt einem als Leser das angenehme Gefühl, bei ihm in jeder Hinsicht »gut aufgehoben« zu sein & auch noch zugleich ebenso belehrt wie unterhalten zu werden.

Belehrt nicht nur über den erstaunlichen Energiehaushalt des mit 35° Celsius mit dem Menschen etwa gleich warmblütigen Insekts, das aber ununterbrochen fressen muss, weil es (in der bildhaften Darstellung des Forschers) »mit vollem Magen nur 40 Minuten von seinem Tod entfernt ist«. Ohnehin ist die Hummel ein seltsam Ding – speziell, wenn man sie sich einmal in Menschengröße vorstellen würde: dann verbrauchte sie nämlich die Kalorien eines »Mars«-Riegels in weniger als einer halben Minute, wohingegen ein laufender Mensch eine ganze Stunde davon zehren könnte. Nicht verwunderlich ist dieser gigantische Kalorienverbrauch, wenn man den Belehrungen des britische Autors folgt, wonach diese »Zeppeline unter den Insekten« ihre Flügel 200 x pro Sekunde bewegen müssen, um sich in der Luft zu halten. Das entspricht laut Goulson den 12.000 Umdrehungen eines Motorradmotors.

Bei seinen detaillierten Beobachtungen, welche Blüten die Hummeln auf ihrer Nahrungssuche auslassen & überfliegen, hat er den »Stinkefuß« der Hummeln entdeckt, die jede von ihnen dort hinterlässt, wo sie fündig geworden war & vollständig »abgeräumt« hatte. (Allerdings habe ich kürzlich beobachtet, dass eine Hummel, von der ich annehme, dass es immer dieselbe war, in Abständen jedes Mal zuerst dieselbe Blume in einem Strauß angeflogen hat, bevor sie den Rest inspizierte. Hätte sie sich, laut Goulson, das nicht wegen ihres »Stinkefußes« ersparen können? Oder wurde sie nicht eher von ihm dazu verführt?)

Hitlers Schuld am Tod der englischen Erdhummel

Die Hummeln wissen aber auch, wie unterschiedlich lange die für sie wichtigen Blumen, bzw. Blüten brauchen, um wieder neue Hummelnahrung zu produzieren - & richten sich sozusagen nach diesen Ernte- bzw. Reifezeiten. Das ist umso notwendiger, als die kleinen Brummer, die nur eine äußerste Reichweite von 3 km haben (auf unsereins übertragen entspräche dem eine zehnmalige Erdumrundung!), logistisch schnell & ertragreich zu ihrem Futter gelangen müssen. Denn z.B. die Königin bebrütet ihre Eier wie ein Vogel: ist sie zu lange auf Nahrungssuche, stirbt ihr Nachwuchs in der Kälte, muss sie die »kommagroßen« Eier zu lange bebrüten, verhungert sie selbst.

Als der 1965 geborene nachmalige Biologe, der schon als Achtjähriger tote Tiere sezierte & Schmetterlinge  aufspießte, 1984 zu studieren begann, waren in der Zwischenzeit schon wieder eine ganze Reihe der 250 Hummelarten in GB ausgestorben. Ohnehin war Hitler Schuld am Verschwinden der Erdhummel in Südengland.

Wie das? Weil deren Nahrung – große Blumenwiesen & Hecken - wegen der Isolation Großbritanniens, das zeitweise allein in Westeuropa gegen  Hitler-Deutschland stand, ganz & gar zugunsten der menschlichen Nahrungswirtschaft  in die Monokultur von Weizen- oder Kartoffelfelder umgewandelt wurde.  Zu den erstaunlichsten Geschichten, die uns der Kenner & Liebhaber der Hummel hier erzählerisch auftischt, gehört  seine selbst erlebte & bewerkstelligte Renaturierung einer einst von Südengland ins hummellose Neuseeland zur Bestäubung des roten Klees, den Pferde & Rinder lieben, bewusst exportierten Hummelspezies.

Denn das Insekt stammt ursprünglich aus dem kälteren Norden Asiens, liebt deshalb die Wärme nicht & leidet, wie man eben erst den Wissenschaftsseiten entnehmen konnte, sehr unter der jetzigen Klimaerwärmung in Mitteleuropa. Über Sibirien & die Rocky Mountains ist die Hummel vor ca. 20 Mio. Jahren nach Nord-Amerika gekommen & dank der Kordilleren sogar über den Äquator nach Süd-Amerika. Während die moderne pestizidhaltige & großflächige Landwirtschaft zu unabsehbaren Schäden unter den Honig produzierenden Bienen geführt hat, wurde die Hummel als billige Massenbestäuberin  z.B. für Tomaten erstmals in belgischen Gewächshäusern »eingesetzt«. So wird sie  gewissermaßen als kostengünstige »Gastarbeiterin« in der industriellen Landwirtschaft gern gesehen.

Der 48jährige britische Naturschützer legt mit seinem »Und sie fliegt doch« ein ebenso persönlich-biografisches Buch über alle Fragen zur Hummel, wie einen professoralen Forschungsbericht seiner näheren & ferneren Expeditionen vor, in dem nicht nur seine Frau, sondern auch seine Studenten & Studentinnen namentlich auftreten. Auch ist er ein großzügiger, wahrhaftiger Wissenschaftler, der sich zwar mit den Erkenntnissen seiner Kollegen auffüttert, aber als fairer Berichterstatter jedem namentlich erwähnten Kollegen dessen individuelle Verdienste zuschreibt. Solche Genauigkeit im Umgang mit fremden Federn ist auch eine Charakterfrage.

Als Älterer, der Prof. Bernhard Grzimek noch regelmäßig im Ersten Fernsehen erlebte, fühlt man sich in der öfters zu sehr »menschelnden« Darstellungsprosa des englischen Biologieprofessors an die amüsanten, gelegentlich ironisch unterfütterten Fernsehplaudereien des deutschen Biologen & Zoodirektors erinnert.

Die Hummeldisco & ein Glückspilz von Hummelmännchen 

Nachdem zwei seiner »hübschen Studentinnen«, die er auf die großbritannischen Berge gehetzt hatte, festgestellt hatten, dass verwunderlicher Weise auf den Bergeshöhen des Vereinigten Königreichs eine reiche Hummeldrohnenpopulation haust, lässt er sich auf seine launige Art derart darüber aus: »Bei Spezies, die sich zur Gipfelbalz treffen, fliegen Weibchen, die einen Partner finden wollen, einfach bergaufwärts, überzeugt, dass auf dem Gipfel bereits Unmengen verliebter Freier auf sie warten. So haben Weibchen außerdem die Wahl; sie können rasch eine große Zahl von Männchen vergleichen und sich demjenigen anbieten, der über die vorteilhaftesten Merkmale verfügt. Falls sie es besonders eilig haben, können sie sich einfach mit dem Männchen paaren, das den höchstgelegenen Punkt ergattert und behauptet hat: Dieses Männchen muss das stärkste sein. Mit etwas Glück werden ihre Söhne seine Charakteristika erben und eines Tages selbst Gipfelkönig werden«.

Wer würde hier nicht  an eine samstägliche Disco denken? Obgleich es ja bei den Menschen darauf ankommt, beim sexuellen Vergnügen gerade nicht schwanger zu werden! Dieser kleine Unterschied zwischen sich paarenden Menschen & Hummeln soll jedoch nicht unterschlagen werden! In Dave Goulsons Hummel-Disco geht es jedoch wohl noch promiskuitiver als in der Menschlichen Sexkomödie zu: »Gleich nach der Paarung fliegen die Weibchen rasch davon, um Eier zu legen; manchmal kehren sie ein paar Tage später, wenn sie ihren Spermienvorrat entleert haben, wieder zurück, um sich ein zweites Mal zu paaren«.

Um das zu verstehen, muss man wissen, dass es im Belieben der besamten Königin liegt, ob sie Arbeiterinnen, die aus befruchteten Eiern schlüpfen, in die Welt setzt oder (männlichen) Drohnen (aus unbefruchteten) Eiern das Leben schenkt.

Der Autor macht an einer andern Stelle keinen Hehl daraus, dass er die Spezifika der Hummelwelt mit den Empfindungen eines Mannes betrachtet & er sich in eine Drohne am besten einfühlen kann: »Bei den meisten Hummelspezies paaren sich die Königinnen nur einmal im Leben, bewahren das Sperma in ihrem Körper auf und verwenden es im nächsten Frühling, wenn sie ihr eigenes Nest bauen« (während die Spermienspender wie auch alle Arbeiterinnen schon längst tot sind.) »Die Männchen« fährt der englische Biologe einfühlsam & verständnisvoll fort, »würden sich liebend gerne mehrfach paaren, doch da es im Allgemeinen viel mehr Drohnen als Königinnen gibt, muss ein Hummelmännchen schon ein echter Glückspilz sein, wenn es sich mehr als einmal im Leben paaren darf.«

Es ist dieser angenehm ironische erzählerische Umgang mit seinem Stoff, der das teilweise sehr komische & auch selbstkritische Buch zu einem Lektüre-Vergnügen macht.

Horaz' Diktum, Literatur möge sowohl nützen als auch erfreuen, wird von Dave Goulsons »Kurzer Geschichte der Hummel« auf das schönste erfüllt. Nicht vergessen soll aber auch sein, dass wir das nicht nur dem fabulösen Autor, sondern auch seiner kundigen deutschen Übersetzerin Sabine Hübner verdanken.

Artikel online seit 12.08.15
 

Dave Goulson
Und sie fliegt doch
Eine kurze Geschichte der Hummel
Aus dem Englischen von Sabine Hübner
Carl Hanser Verlag, München 2014.
320 Seiten
19.90 €

Leseprobe

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten