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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Deutsches Absurdistan

Wider die Hinnahme der Ganzkörperverschleierung

Von Wolfram Schütte

 

Jene deutschen Politiker, die sich derzeit immer noch gegen ein »Verbot der Burka« in Deutschland aussprechen, glauben ein schlüssiges Argument gefunden zu haben, wenn sie äußern, auch ihnen gefalle die Burka nicht, »aber man kann ja nicht alles verbieten, was einem nicht gefällt« – so gleichlautend z.B. CDU-Innenminister Thomas de Maizière & der Hessische Grünen-Politiker Al Wazir.

Eine dümmere, wenngleich liberale Großzügigkeit fingierende Bemerkung ist selten dazu geäußert worden. Der rhetorische Trick, eine singuläre Option zu multiplizieren, um sie dann in ihrer unterstellten Pauschalisierung mit großer liberaler Geste zurückzuweisen, ist jedoch leicht als rhetorische Schaumschlägerei erkennbar.

Sicher: die Sophistik, Scholastik oder Kasuistik des unterschiedlichen  Kopftuch-Gebrauchs mit muslimischen Begründungen kann man unterm Gesichtspunkt sowohl von verbürgter Religionsfreiheit als auch individueller Selbstbestimmung & Identitätsbildung kontrovers diskutieren.  

Mir ist jedoch niemand bei uns bekannt geworden, der z.B. ein Verbot verlangt hätte, weil ihm sowohl Lederhosen als auch Dirndl missfallen. Selbst wer der Meinung wäre, dass die derzeitige Sommerbekleidung in vielen Fällen jedem »interesselosen Wohlgefallen«, das Immanuel Kant als »Schönheit« definierte, aufs brutalste widerspricht, käme doch heute auf die wahnwitzige Idee, eine allgemeine Kleidungsordnung zu fordern, die Kants & seinem ästhetischen Empfinden entspricht.

Die muslimische Ganzkörperverschleierung jedoch, die ja nur für Frauen gilt, ist neben vielen anderen ihr widerstreitenden Argumenten (die ich bewusst gar nicht heranziehe), derart jenseits aller Kleidungsoptionen  in der öffentlichen, liberal-säkularen Gesellschaft - wie es vergleichbar nur noch das radikalste Gegenbild zur Ganzkörperverschleierung wäre: die nudistische Selbstentblößung.

Gäbe es eine religiöse Gruppierung, die von ihren Anhängern deren öffentliche Nacktheit verlangte, dürfte diese Minderheit gewiss nicht ihre religiös begründete Nudität zu Markte tragen. Und würde die Ganzkörperverhüllung auch für Männer gelten, könnte man sicher sein, dass sie längst keine demonstrativ Gleichgültigen mehr fände, die sich auf ihre vermeintliche Toleranz etwas zugutehalten, weil die ihnen missfallende Burka gleichgültig ist, bzw. jedem zu sein habe.

Auch die oft von Politikern u.a. gehörte Begründung von einem Verbot abzusehen, weil es sich ja nur um eine winzige radikale Minderheit handele, die eine weibliche Ganzkörperverschleierung favorisiere, ist absurd. Oder ist schon einmal jemand aufgetreten, der die Abschaffung des Rots auf Verkehrsampeln gefordert hätte, weil nur eine Minderheit dieses Halteverbot ignoriert?

Dagegen haben die Münchner Geschäftsleute & die Ärzte der umliegenden Edel-Kliniken, in denen wahabitische Kundschaft (nach dem Verbot der Ganzkörperverschleierung in Frankreich) Zuflucht gesucht & gefunden hat, geradezu rational nachvollziehbare ökonomische Gründe für ihre Aversion eines deutschen »Burka-Verbots«. Es würde sie ja um die gerade erst glücklich zu ihnen ausgewichene Petro-$-Kundschaft bringen.

Christiane Hoffmann, die »stellvertretende Leiterin des Hauptstadtstudios des Spiegel«, aber ist unbestreitbar »die Gewinnerin des Tages«. Mit der folgenden Begründung schießt sie zum Wochenbeginn den Vogel ab beim derzeitigen rhetorischen Wettkampf um (k)ein Burka-Verbot: »Dass das Burka-Verbot (…) mit so heiligem Ernst diskutiert wird, als ginge es um das Schicksal des Abendlands, ist fast amüsant, wenn es nicht so erschreckend wäre. In Cannes kam es sogar zu blutigen Ausschreitungen, weil sich Frauen dem Burkini-Verbot des Bürgermeisters widersetzten und im Ganzkörperanzug im Mittelmeer badeten. Meine Meinung: Ich mag es einfach prinzipiell nicht, wenn man Frauen Kleidervorschriften macht, ob nun der eigene Ehemann oder der Staat oder irgendwelche selbsternannten Frauenbefreierinnen. Frauen sollten sich kleiden dürfen, wie sie wollen.«

Dergleichen Einfältigkeit  hält sich womöglich auch noch für »post-feministisch«.

Welche »blutigen Ausschreitungen« die Frauen in Cannes wohl von ihren Ehemännern oder Brüdern zu gewärtigen gehabt hätten, wenn sie sich nicht an deren Burkini-Gebot gehalten hätten?

»Frauen sollen sich kleiden dürfen, wie sie wollen«, selbstverständlich. Aber: dürfen sie denn wollen – wo Burka, bzw. Burkini selbstverständlich, bzw. Pflicht ist?

                                             *

Die ganze öffentliche Diskussion krankt daran, dass sich Befürworter & Gegner eines deutschen »Burka-Verbots« nur unter dem Gesichtspunkt streiten, ob es pazifizierende oder reaktivierende Wirkung unter den in Europa lebenden Muslimen hätte. Deshalb mobilisieren die Printmedien derzeit ihre Frankreich-Korrespondenten, um zu erfahren, was das Verbot dort »bewirkt« habe, wie es umgangen werde, in welche Konflikte es die Behörden bringe & dass die anfallenden Strafen – wie ich der SZ entnehme – von einer anonymen Quelle bezahlt werden.

Es ist eine Diskussion über Zweck & Wirkung; nicht über Substanz oder Selbstverständnis der Öffentlichkeit & den Grenzen des Privaten im Öffentlichen Raum. Mein Diskussionsbeitrag legt den Akzent – gewissermaßen im Sinne von Kant – »formalistisch« auf den öffentlichen Raum im Zentrum jeder säkular-liberalen Gesellschaft. Er gehört ideell & materiell allen in ihm sich Aufhaltenden. Begrenzt wird er nur durch die geltenden Gesetze (wie z.B. die Straßenverkehrsordnung). Die laufende Nutzung des öffentlichen Raums setzt bei allen voraus, dass z.B. jeder sich kleiden kann wie er will & alle alles tolerieren  – außer den beiden Extremen: Ganzkörperverschleierung oder Nudismus.

Denn die Ganzkörperverschleierung & der Nudismus sind die äußersten privaten Verhaltensweisen. Beide richten sich kategorial gegen die Gesamtheit aller anderen unterschiedlichen Nutzer des öffentlichen Raums. Ganzkörperverschleierung & Nudismus befinden sich deshalb jenseits der durch sie markierten Grenzen des weiten Felds individuell unterschiedlicher Nutzung, bzw. Begehung des Öffentlichen Raums. (Der Öffentliche Raum, z.B. Straßen & Bürgersteige, kann nur vorübergehend oder teilweise privatisiert werden. Beispiele: Fronleichnamsprozession, Gastronomie auf dem Bürgersteig.)

Artikel online seit 18.08.16
 


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