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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 

















Peter Handke - Sekundärlese

Rechtzeitig zu seinem 75. Geburtstag liegt nun Peter Handkes
sogenanntes »Letztes Epos«, Die Obstdiebin, vor.
Aber welche Bücher sind zu Handke neu erschienen?
Wo wird sein Werk – womöglich unabhängig vom Geburtstag –
heuer entsprechend neu gedeutet und aufbereitet?
Es gibt einige bemerkenswerte Neuerscheinungen,
die es lohnt, genauer zu beobachten.


Von Lothar Struck
 

Unter dem mehrdeutig zu verstehenden Titel Peter Handke und kein Ende sind im Wallstein Verlag die »Stationen einer Annäherung« von Peter Hamm erschienen. Der Untertitel ist sehr passend und demzufolge wörtlich zu verstehen, denn in den ersten Texten von 1968 und 1969 kritisierte Hamm den fünf Jahre jüngeren jungen literarischen Shootingstar durchaus mit Vehemenz. In einer Erwiderung Handkes zu einem SDS-Manifest der Berliner Gruppe Kultur und Revolution geißelt Hamm denn weniger den Text selber als Handkes Vorgehen »die Sprachlosen [die SDS-Aktivisten sind gemeint – LS] zu beleidigen, nur weil sie keine Sprache haben«: »Daß Handke den SDS-Jargon zum Anlaß nimmt, um seine Sprachbegabung unter Beweis zu stellen, läßt im übrigen auffallenderweise oft genug seine eigenen Sätze verkommen.« Man merkt in diesen Zeilen Hamms Unbehagen über die (vermeintliche?) Inszenierungsgeschicklichkeit Handkes an. Dies verstärkt sich noch im Text Der neueste Fall von deutscher Innerlichkeit: Peter Handke, erschienen erstmals 1969 in »Konkret«: »Nicht der Autor Handke ist 'in', sondern sein Image (dem trägt der Suhrkamp-Verlag ganz offensichtlich Rechnung, wenn er das neueste Buch dieses Autors kurzerhand unter dem Titel 'Peter Handke' anbietet und gleich mit 12 Handke-Fotos den Buchumschlag bestückt).« Aber in diesem Text setzt sich Hamm auch mit der Literatur Handkes auseinander. Den Erstling Die Hornissen (1966) bezeichnet er schlicht als »das Ödeste…, das sich denken läßt« und attestiert dem Autor eine »zwanghafte Artistik«. Zudem macht sich fast lustig über dessen sprachkritischen Gestus. Auch die Kritik sei Handke auf den Leim gegangen, so Hamm damals. »Ergriffen stellen sie deshalb vor jedem neuen Handke-Text neu fest, daß wieder einmal überzeugend bewiesen worden sei, daß wir uns 'in der Zwangsjacke der Sprache' befänden.« Dabei sei »Handkes Mißtrauen« der Sprache gegenüber »auf eine Weise formalisiert, die erkennen läßt, daß er gleichzeitig die Sprache maßlos überschätzt.« Politisch stelle sich Handke »dumm«.

Nahezu alle Betriebsbeteiligten sahen in Handke den Avantgardisten – nur Peter Hamm schwamm gegen den Strom. Für ihn war Handke ein in der »reaktionären Praxis« agierender Provokateur ohne politisches Feingefühl. Tatsächlich hatte Hamm erkannt, dass Handke die linken politischen Implikationen seiner Zeitgenossen fremd waren. Und gerade dies kritisierte er. Unvorstellbar nach dieser Lektüre wie im Laufe der Jahrzehnte eine Freundschaft zwischen den beiden Protagonisten entstehen konnte. Aber schon drei Jahre nach Hamms Innerlichkeits-Beschimpfung deutete sich die Wende an. In einem Text für den »Spiegel« über den Kurzen Brief zum langen Abschied mit dem seufzerischen Titel Jetzt kann er ich sagen überrascht sich der Kritiker selber mit dem entstandenen Wohlwollen: »Ein Lesevergnügen? Wer meint, alles, nur das könne einem nicht zu Handke einfallen, kennt sein neues Buch noch nicht.« Hamm macht eine Kehre bei Handke aus, der sich vom »sprachtheoretischen Ehrgeiz« auf das Erzählen hin konzentriert habe, »so schwer das vorstellbar ist, bedenkt man [Handkes] Attacken gegen das Erzählen.« Hamm ist angetan über den »Umschwung« der sich ihm schon im Tormann gezeigt hatte. Die Annäherung beginnt.

Der Band versammelt insgesamt dreizehn Aufsätze, Rezensionen oder Laudationes von Peter Hamm zu Handke. So ist es sehr interessant Hamms fast detektivischen Erkundungen wie etwa in den beiden Texten über den Bildverlust-Roman Satz für Satz zu erspüren. Es sind mehr als nur Feuilletontexte sondern Brückenschläge hin zu (verständlichen) literaturwissenschaftlichen Interpretationen und Einordnungen. Dabei ist Hamms Herangehensweise durchaus auch für Leser geeignet, die Handkes Prosa mit Skepsis begegnen. So lobenswert diese Zusammenstellung der Aufsätze ist, so bedauerlich ist es, dass es keine zusätzliche begleitende Erläuterung gibt.

Für den ambitionierten Handke-Leser ist Tanja Angela Kunz' Studie Sehnsucht nach dem Guten - Zum Verhältnis von Literatur und Ethik im epischen Werk Peter Handkes, erschienen im Wilhelm-Fink-Verlag, empfohlen. Zum einen räumt Kunz wohlbegründet und sanft mit einigen liebgewordenen Einordnungen des Feuilletons aber auch unter den Kollegen der Handke-Forschung auf. So widerlegt sie schlüssig, dass »der gegen Handke erhobene Narzissmus-Vorwurf sich als unhaltbar und stattdessen als ethisch fundiert erweisen lassen muss.« Auch die gängige Phaseneinteilung des Werkes ordnet Kunz neu. Die bei Handke von einigen Exegeten in den späten Texten verstärkt beobachte Hinwendung zum Religiösen präzisiert Kunz zu Gunsten des Begriffs der »Spiritualität« vor » dem Hintergrund der Säkularisierung der Glaubensthematik«.  

Hauptaugenmerk von Kunz' Studie ist jedoch die Frage inwiefern ein künstlerisches Werk »ethische Relevanz erlangen« kann, soll oder darf. Diese Frage erörtert sie exemplarisch an Handkes Werk. In der Einleitung nimmt sie das Ergebnis ihrer Forschungen vorweg: »Peter Handkes Werk zeichnet sich entgegen dem Zeitgeist durch eine erneute Hinwendung zum Wahren, Guten und Schönen aus. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Trias weiterhin als Einheit Bestand hätte. In ambivalenten Kontexten treten ihre Elemente vielmehr einzeln, in den Journalen auch paarweise auf.« Dabei ist das Gute bei Handke immer diaphan. Es geht nicht »vom Perfekten, sondern vom fragmentarischen Defekten aus«. Handkes Werke seien, so Kunz »ganz wesentlich gekennzeichnet durch das Hereinbrechen defizitärer Seinsanteile, welche die Existenz seiner Personen bedrohen.« Daher werden in Handkes Prosa idyllisch aufscheinende Situationen und Augenblicke schnell zerstört und mit der Wirklichkeit bzw. einem historischen Kontext konfrontiert.

Kunz dringt für die Bekräftigung ihrer These tief in Handkes Werk ein. Besonders intensiv analysiert sie Der kurze Brief zum langen Abschied, Langsame Heimkehr und Der Chinese des Schmerzes, weil sich hier ihre Anliegen sehr gut illustrieren lassen. Kunz möchte zeigen »dass in Handkes Werken mehr oder weniger verdeckt ethische Reflexionen vorgenommen werden.« Handke sei »ein am möglichen Guten festhaltender Autor« was sich schließlich auch daran zeige, dass der »Versuch, besser zu werden (und damit auch gut), […] für die Personen der Handke'schen Werke insgesamt grundlegend« sei. Es ist ein bisschen erstaunlich, dass Kunz die Stelle, in der Handke in seiner Kafka-Preis-Rede 1979 diese Programmatik offen eingesteht, nicht zitiert: »Es gibt die Jahreszeiten. Die Natur ist. Die Kunst ist. Und freilich komme ich als Schreibender, in meinem Pflichtbewußtsein, den willigen Lesern von der verborgenen, immer wieder sich verbergenden, der menschenmöglichen, der guten Welt zu erzählen« Damit bilde, so Kunz, Handke den Kontrapunkt zum im Zeitgeist vorherrschenden »gesteigerte[n] Interesse am Bösen«. Nicht zuletzt hierin sieht sie den Grund für die zuweilen recht rüde Ablehnung von Handkes Werk. 

Die Germanistin nimmt bewusst Partei. Bemerkenswert und erfreulich ist zudem, dass sie entgegen den sonstigen in der Literaturwissenschaft üblichen Usancen – wenn auch erst gegen Ende - die sogenannten Jugoslawien-Texte Handkes als literarische Werke mit »ethischer Integrität« behandelt und ebenfalls in ihr Thesenkonstrukt einbaut: »Die in den Jugoslawien-Schriften beschriebenen Erlebnisse sind unwiderlegbar, da es sich um individuelle Erfahrungen von überzeitlicher Qualität handelt.« Kunz entdeckt in diesen Texten »die Suche nach friedens- und gemeinschaftsstiftenden Bildern«, in der eine »poetische Gerechtigkeit mittels narrativer Zeugenschaft eingefordert« werde. »Dabei steht keine klassische Schuld-Sühne-Konstellation im Fokus, sondern es wird durch Einführung des Dritten versucht, allen Parteien eine Basis für die Überwindung des durch den Krieg entstandenen Leids zu schaffen. Die poetische Gerechtigkeit wird dabei sowohl auf der Textebene als auch auf der Rezeptionsebene als eine verlorene Tugend dargestellt, deren Reaktivierung zur Diskussion gestellt wird.« Kunz untersucht auch die Vehemenz der Ablehnung dieser Jugoslawien-Schriften, die sich »aus der Kluft zwischen den im öffentlichen Diskurs präsentierten moralischen Einstellungen und der Dichtermeinung« speise, wobei man sich hier mehr Beispiele auch aus den essayistischen Schriften wie Rund um das große Tribunal oder Die Tablas von Daimiel erhofft hätte. 

Besonders in Teilaspekten gelingen Kunz sehr instruktive Einsichten. Etwa wenn sie von Handkes »Gutheißungsgesetz« erzählt. Oder den Unterschied zwischen Metamorphose und (Ver-)Wandlung herausarbeitet. Luzide ihre »Untersuchungen zum autobiographischen Schreiben bei Peter Handke«, welches »die jeweiligen Interpreten […] wiederholt zu Analogiebildungen und irritierenden Mutmaßungen über die Autorperson Peter Handke« angetrieben habe. Zur Wirkung von Handkes Prosa (und damit auch unbewusst zur Ablehnung von Teilen der Kritik) weiß sie: »Es ist daher ein weiteres, besonderes Merkmal der Handke'schen Werke, dass sie trotz des Fehlens der klassischen, Identifizierung hervorrufenden Darstellungsmittel dennoch eine Nähe zwischen literarischer Person und Leser aufzubauen vermögen. In den Erzählwerken liegt dies u.a. daran, dass der Leser der Weltwahrnehmung und den dadurch ausgelösten Gemütsbewegungen der Personen beiwohnt. Doch diese Nähe konstruiert sich über den Moment des Erlebens selbst, nicht in Bezug auf die Fakten einer Lebensgeschichte oder die Sympathie bzw. Empathie für einen Charakter.«

Kunz arbeitet einige interessante Parallelen zwischen Handke und Ernst Bloch heraus, grenzt aber Handkes Sehnsuchtsbegriff zu diesem ab: »Die Sehnsucht, die bei Handke nicht passiv, sondern (kontra Bloch) auf ein Sein im Werden gerichtet ist, hat ihr wesentliches Kennzeichen in der beständigen Refiguration von Zielen.« Ausgiebig widmet sie sich dem Wiederholungsmotiv und der Erkenntnis, dass   »das poetische Prinzip bei Handke […] von einer suchenden Bewegung bestimmt [ist], für die der Begriff der Erfahrung zentral ist.« Jener stehe das »Wissen« diametral gegenüber (was dazu führt, dass Handke dem formal-empirischen Wissen skeptisch bis ablehnend gegenübersteht). Auch die in Handkes Werk angelegten Hinweise auf die Suche (und Sehnsucht) nach neuer Gemeinschaftlichkeit werden sehr prägnant herausgearbeitet. Leider geht sie jedoch nicht auf Handkes Schilderungen von Gemeinschaften in Enklaven ein; ein Motiv, das insbesondere in den 2000erJahren sehr dominant und wichtig wird.

Dass sich Kunz gelegentlich in Kleinigkeiten verliert, die der Leser dann ein bisschen mühsam einordnen muss, mag der Profession geschuldet sein. Zwischenzeitlich verfällt sie auch einmal in dem typischen Wissenschaftsjargon. Dies sind jedoch Petitessen. In Summe ist Kunz' Studie bedeutend und sehr aufschlussreich. Und selbst dort, wo man ihr widersprechen möchte, kann man noch etwas lernen. 

Einen anderen Schwerpunkt setzt Alexander Honold mit seinem imposanten Buch Der Erd-Erzähler (Verlag J. B. Metzler). Handke ist für Honold ein »Erzähler der Erde, ein mit fußgängerischer Langmut und penibler Beharrlichkeit vorgehender Chronist von Orten, Räumen und Landschaften. Einer, dem sich die Welt als Erfahrung in doppelter Weise erschließt, durch die eigene Fortbewegung im Raum und durch den sie nach- und umgestaltenden Zug des eigenen Schreibens in der Zeit

Erwähnend, dass ausgerechnet zum 1966 erschienen Erstling Die Hornissen bisher keine umfassende Studie erschienen sei, versucht sich Honold demzufolge zunächst – durchaus nicht frei von Eitelkeit – genau daran und legt einen 50seitigen interpretatorisch interessanten Aufsatz vor, der den sehr ambitioniert gestalteten Text von Handke decodieren hilft. Dabei erläutert er die intensiven Verweise auf Handkes Heimatdorf und seiner Familie. Zum eigentlichen Schwerpunkt des Erd-Erzählers trägt dieser Text jedoch nur rudimentär bei. Zur »road novel« Der kurze Brief zum langen Abschied erläutert Honold Handkes fast schon amerikanophil zu nennende Einstellung. Bei aller Akribie in der Beschäftigung mit dem Cover der Erstausgabe gelingt es allerdings nicht, die Bedeutung der Begegnung Protagonisten mit dem (imaginären) John Ford am Ende der Erzählung herauszuarbeiten.

Sehr viel überzeugender im Kontext von Handkes mit der Zeit immer wichtiger werdenden geologischen Betrachtungen von Land- und Talschaften sind die dann folgenden Kapitel über Langsame Heimkehr und Die Lehre der Sainte-Victoire und dies nicht nur, weil hier im ersten Werk die Hauptprotagonisten Geologen sind bzw. Betrachtungen über die »Vorzeitformen« anstellen. Honold weist schlüssig nach, dass hier Handkes »geologisch informierte Poetik der Landschaftsbeschreibung« dominant (Langsame Heimkehr) bzw. stark ausgeprägt ist (Sainte-Victoire). Dabei gelingen ihm sehr luzide Beobachtungen und – obwohl beide Bücher unterschiedliche Erzählperspektiven haben – erstaunliche Parallelen.

Aufschlussreich das Finden von Parallelen zwischen Handkes phänomenologische Betrachtungen und Kants Kritik der Urteilskraft: »Die Landschaftsbeschreibungen der Langsamen Heimkehr, die erkennbar fokussiert sind auf die sukzessiven Wahrnehmungsleistungen eines beobachtenden und reflektierenden Betrachters, vollziehen über die Beachtung der inkommensurablen Größendimension des Gesamteindrucks … in existentiell konkretisierter Weise die methodisch wichtige 'kopernikanische' Rückwendung der kritischen Philosophie Kants nach.« Die Erfahrung von der Welt wird über die Geologie wenn nicht erzeugt, so doch grundiert. Dies ist von Handke absichtsvoll geschehen, wie im Laufe der Betrachtung vom Verfasser nachgewiesen wird.

Immer wieder erscheinen Stifter und vor allem Goethe wenn nicht als Vorbilder, so mindestens als Taktgeber. Das Ideal von Handkes Erzählen sei eigentlich die »zugleich wert- und ichhaltige, sich selbst erzählende Deskription«. Hier hätte vielleicht ein Schwenk auf den von Handke zumindest am Beginn seiner Karriere sehr wichtigen Nouveau Roman geholfen. Aber Honolds Herausarbeiten der Wichtigkeit des Handke'schen Wanderns (im Unterschied zum Spazierengehen oder Flanieren), dieser langsamen, sukzessiven »Eroberung« des Raumes mittels Abtastens des Bodens mit Füßen und Augen versöhnt den Leser wieder. Die in der Sainte-Victoire begonnene Entwicklung das Erzählen als »graphisches Projekt der Erfassung und Zeichnung landschaftlicher Erscheinungsformen« zu verstehen sieht Honold in der »landschaftlichen Bilder-Schrift« in der Erzählung Die Wiederholung fortgeschrieben. Etwas ungenau ist er allerdings wenn der Die Wiederholung als eine Liebeserklärung an Slowenien subsumiert. Handelt es sich doch um ein Slowenien, welches in Jugoslawien eingebettet ist.

Wenig überzeugt auch die These vom Erd-Erzähler Handke anhand der Salzburg-Erzählungen Der Chinese des Schmerzes und vor allem Nachmittag eines Schriftstellers. Treten doch im Chinesen immer mehr infrastrukturelle Begebenheiten der Landschaft in den Vordergrund. Honold analysiert diese von Handke als »Zwickelwelt« bezeichnende Lage als »Ensemble aus infrastrukturellen Zurichtungen« recht gut, lässt sich jedoch zu sehr von den geologisch-morphologischen Einsprengseln ablenken. Auch das nachfolgende Kapitel über den Versuch über die Jukebox vermag die These Honolds nicht zu stützen. Zwar gelingen auch hier erhellende Einsichten, aber die Levitationen des Erzählers Handke für bzw. bei der Jukebox werden mit hochtrabenden Interpretationen leider zerredet.

Erstaunlich, dass Honold danach bereits zu den Jugoslawien-Büchern Handkes einschwenkt; das Kapitel zum Niemandsbucht-Epos erfolgt erst danach, obwohl die Chronologie eine andere ist. Honold ist bemüht, sich die Jugoslawien-Texte vom Hals zu halten. Er analysiert die Winterliche Reise noch überzeugend als Vier-Flüsse-Erzählung, distanziert sich dabei aber ständig von Handkes sprach- wie medienkritischen Auslassungen. Zwar übernimmt er gerade nicht die von Gustav Seibt in der FAZ vorgebrachte Diffamierung, Handke sei mit der Winterlichen Reise zu einem Blut-und-Boden-Literaten mutiert. Aber er fügt den Menschenrechtsfunktionär Zülch als Quelle für die Gegenstimmen an, macht sich die Frage, warum Handke nicht nach Bosnien sondern nach Serbien gereist sei, zu eigen, sieht Handkes »ästhetische Glaubwürdigkeit« aufs Spiel gesetzt und entdeckt »trotzige Irrtümer und forcierte Einseitigkeiten«. Den Beleg für diese Urteile bleibt er schuldig. Er müsste es auch keine Begründungen angeben, weil es seine eigentliche These nicht tangiert. Aber das vorauseilende, übervorsichtig daherkommende Distanzieren ist eines Wissenschaftlers wie Honold fast unwürdig.

Honolds These geht davon aus, Handke sei mit seinem Einstehen für Jugoslawien einem »habsburgischen Vielvölker-Mythos« aufgesessen. Handkes (auto-)biographischen Hintergrund, der wesentlich zu diesem Engagement geführt hat, kommt dabei ebenso zu kurz wie auch das Ideal der nahezu autark gegen das Nazi-Regime kämpfenden Partisanenbewegung. Dies in Summe als »jugophil« abzutun greift zu kurz. Ertragreicher ist dann wieder die Deutung der Morawischen Nacht als »elegische Jugoslawien-Replik« mit einer »Rhetorik der Eigentlichkeit«. Hierfür dekryptiert Honold das »Wechselspiel zwischen kontingente und transzendierender Erzählform« mit großer Emphase wenn auch mit zum Teil kühnen Deutungen.

Die Beschäftigung mit dem Niemandsbucht-Epos Handkes, diese, wie Honold richtig schreibt, »milieutopographische[n] Vermessung der Umgebung« von Chaville, dem Wohnsitz Handkes seit 1990, gelingt nur teilweise. Es ist sehr unterkomplex, das Finden des Schreibplatzes – jener »namenlose Weiher«, vor dem der Dichter nun im Sommer und Herbst schreibend die Erzählung verfasst – als  DAS Ereignis des Jahreslaufes des Helden Gregor Keuschnig auszurufen.

Natürlich findet Honold auch neue Genre-Bezeichnungen für einige Handke-Bücher. Zuweilen kann er sich nicht entscheiden, so etwa bei, Sainte-Victoire-Buch, dass mal eine Novelle ist, dann wieder Essay, dann wieder essayistische Erzählung. Auch Handkes Phobie gegenüber dem Roman-Begriff wird en passant verhandelt. Das ist alles auszuhalten. Schwieriger wird es, wenn der Autor phasenweise im Germanistenjargon einzutauchen beginnt und der geneigte, aber dann schnell erschöpfte Leser wieder einmal nur die Hälfte glaubt zu verstehen, weil er nicht binnen kurzer Zeit zum fünften Mal den Fremdwortduden zur Hand nehmen möchte.  

Nach all den hochfliegenden wissenschaftlichen Gedanken verschafft Der Holunderkönig des deutschen Schriftstellers Rolf Steiner etwas Entspannung. Steiners fröhlich-schelmischer Text, der sich gar nicht erst große Mühe einer Fiktionalisierung macht sondern als autobiographisch daherkommt, erzählt von einer Schwärmerei für den Schriftsteller Peter Handke. Steiner, 1951 geboren, war schon immer ein schwärmerischer Geist. Zunächst galt dies für Jimi Hendrix, dessen Spiel sein »Innerstes nach außen« kehrte. Dann verlagerte sich sein Schwärmen auf Beckett, Henry Miller, Achternbuch. Alles »Lebensabschnittspartner«. Und nun, in der Gegenwart, genauer seit 1990, »ist es Peter Handke, der mir den Rücken stärkt, mir beisteht wie ein Geist aus der Flasche, ich brauche sie nur zu entkorken, und schon zeigt mir sein Beispiel, wo’s lang geht, querfeldein auf Neben- und Abwegen durchs Hinterland auf dem Luftkissen der Sprache.« Handke ist für der »Holunderkönig« (»wenn ich ihn mir als Pflanze vorstelle, dann als Brombeere, unzugänglich, aber wohlschmeckend, nein, besser: als Holunder«). Dabei macht Steiner keinen Hehl aus seiner vielleicht in bestimmten Kreisen belächelten Begeisterungsfähigkeit: »Ja, ich schwärme für das Schwärmen, schwärme aus auf der Suche nach geistigen Verbündeten und, ja, ich bin auch ein begeisterter Bewohner meiner eigenen, elfenbeinernen Existenz.«

Das nimmt zunächst skurril-komödiantische Züge an, etwa wenn er nach Chaville fährt und bar jeder Kenntnis über Handkes Adresse und potentiellem Aufenthalt nach dem Dichter sucht. Die Befragung der Einwohner des Städtchens bringt ernüchternde Ergebnisse – niemand scheint ihn zu kennen. Schließlich bricht er die Suche erfolglos ab. Erst als er mit seiner Frau nochmals nach Chaville kommt findet er Handkes Haus, klemmt ihm ein Manuskript in den Briefkasten und hofft auf eine Reaktion, die auch tatsächlich erfolgt. Im Buch wird nun Korrespondenz wird abgedruckt (die meisten Briefe sind von Steiner, der von seinen Projekten, seinem Schreiben und seinen Walnüssen erzählt) und es kommt – nach fast zehn Jahren – schließlich zu einem Treffen in Handkes Haus und das »Haus steht da, der Garten ist da, und zwei Männer sitzen an einem Tisch, der eine ist Handke, der andere bin ich. Zwischen ihnen ist es wie immer, obwohl es noch nie war.«
Steiners Buch ist immer dann stark, wenn er erzählt und sich nicht in eher prätentiösen Selbstgesprächen verzettelt. Auch die Versuche, das Vorbild zu imitieren (etwa indem er enthusiasmiert eine Fahrradtour durch Paris im Wechsel mit dem Gespräch mit Handke schildert) sind eher enervierend. »Schwärmen ist etwas Gutes, nur: es formen! (Nicht zu sehr)«, schreibt Handke Steiner auf die Zusendung eines neuesten Manuskripts. Die Kritik ist wohl formuliert, aber (leider) zutreffend.

Und gerade noch rechtzeitig zum Geburtstag ist das Begleitbuch zur neu konzipierten Dauerausstellung über Peter Handke im Stift Griffen fertig geworden. Katharina Pektor legt hier ein hinreissendes, wunderbares »Coffeetable-Book« vor welches eben mehr ist als bloßes Fotoalbum, sondern kenntnisreich, akribisch und sinnlich sowohl über Peter Handkes Leben als auch über sein Werk informiert (Katharina Pektor (Hrsg.) Peter Handke – Dauerausstellung Stift Griffen). Es wird sowohl eine umfangreiche Dokumentation aller Werke Handkes von 1966 bis 2016 vorgenommen als auch Handkes Lebensstationen rekapituliert. Wohltuend die kurzen aber interessanten Aufsätze einiger Handke-Exegeten wie Klaus Amann, Karl Wagner, Dominic Srienc oder auch Thomas Oberender. Grandios Evelyne Polt-Heinzl Text über das Lesen als »Existenzform« bei Handke. Dieses Buch lädt zum Sich-Verlieren ein. Ein Muss für jeden Handke-Leser.

Artikel online seit 05.12.17
 

Erkundungsgang
Von Lothar Struck
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Peter Handke begleitet seine »Obstdiebin« ins Landesinnere
»Und beim Lesen vom »Streunen und Stromern« Alexias und all den Verwandlungen möge man Muße und Geduld haben für all die Pretiosen (der Gottesdienst!, die alternde Lehrerin!, die Platzsuche in einem leeren Lokal!), die es in dieser großen Erzählung so reichhaltig gibt.« Leseprobe

Von unserem Autor
Lothar Struck ist erschienen:

Erzähler, Leser, Träumer.
Begleitschreiben zum Werk von Peter Handke
mit einem Vorwort von Klaus Kastberger
Mirabilis Verlag 2017
224 Seiten
38,- €
978-3-9818484-1-0


Peter Hamm
Peter Handke und kein Ende

Stationen einer Annäherung
Wallstein Verlag
164 S., geb. Schutzumschlag
20,00 €
978-3-8353-3156-3

Rolf Steiner
Der Holunderkönig
Von einem, der auszog Peter Handke zu treffen
Haymon Verlag
200
Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
19,90 €
978-3-7099-3405-0

Alexander Honold
Der Erd-Erzähler

Peter Handkes Prosa der Orte, Räume und Landschaften
Springer Verlag
59,99 €
978-3-476-04536-2

Tanja Angela Kunz
Sehnsucht nach dem Guten
Zum Verhältnis von Literatur und Ethik im epischen Werk Peter Handkes
Wilhelm Fink Verlag
1. Aufl. 2017, 489 Seiten, kart.
69,00 €
978-3-7705-6206-0

Katharina Pektor (Hrsg.)
Peter Handke
Daueraustellung Stift Griffen
Mit Beiträgen von: Klaus Amann, Thorsten Carstensen, Vanessa Hannesschläger, Hans Höller, Günter Krenn, Michael Krüger, Uschi Loigge, Thomas Oberender, Evelyne Polt-Heinzl, Žarko Radakovic, Jan-Heiner Tück, Dominik Srienc, Andreas Unterweger und Karl Wagner
Jung und Jung
304 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Klappenbroschur, Fadenheftung
Format 21 x 29,7,
€ 29,90,
978-3-99027-213-8

 

 

 

 


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