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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Kontrollverlust

Slavoj Žižek über »
Der Mut der Hoffnungslosigkeit«

Von Jürgen Nielsen-Sikora

Die Hoffnung, lautet ein Aphorismus aus Friedrich Nietzsches Menschliches Allzumenschliches. Dort schreibt der Philosoph: »Pandora brachte das Faß mit den Übeln und öffnete es. Es war das Geschenk der Götter an die Menschen, von außen ein schönes verführerisches Geschenk und Glücksfaß zubenannt. Da flogen all die Übel, lebendige beschwingte Wesen heraus: von da an schweifen sie nun herum und tun den Menschen Schaden bei Tag und Nacht. Ein einziges Übel war noch nicht aus dem Faß herausgeschlüpft: da schlug Pandora nach Zeus´ Willen den Deckel zu, und so blieb es darin. Für immer hat der Mensch nun das Glücksfaß im Hause und meint Wunder, was für einen Schatz er in ihm habe; es steht ihm zu Diensten, er greift darnach: wenn es ihn gelüstet; denn er weiß nicht, daß jenes Faß, welches Pandora brachte, das Faß der Übel war, und hält das zurückgebliebene Übel für das größte Glücksgut – es ist die Hoffnung. – Zeus wollte nämlich, daß der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen die Hoffnung: sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.«

Ähnlich sieht es der philosophische Tausendsassa Slavoj Žižek und plädiert für einen »Mut der Hoffnungslosigkeit« – eine Vokabel, die Žižek von seinem italienischen Kollegen Giorgio Agamben entlehnt, der sie zur Charakterisierung des Denkens gebrauchte. Denken als Mut der Hoffnungslosigkeit – hier schließt sich der Kreis zu Nietzsches Idee des amor fati, der Liebe zum Schicksal. Žižek schreibt: »Wahrer Mut besteht nicht darin, sich eine Alternative auszumalen, sondern darin, die Konsequenzen der Tatsache zu akzeptieren, dass es keine klar erkennbare Alternative gibt. Der Traum von einer Alternative ist ein Zeichen von theoretischer Feigheit.«

Man könnte nun erwarten, dass auf den folgenden 400 Seiten fröhlich dem Fatalismus gehuldigt wird, wenn es um die fundamentalistisch-terroristische Bedrohung, geopolitische Spannungen, radikal emanzipatorische Bewegungen in Europa, den Flüchtlingsstrom und die Folgen des globalen Kapitalismus geht. Doch dem ist keineswegs so. Denn es ist Žižek, der durchweg in Alternativen denkt, die dem Zeitgeschehen, der verkehrten Welt (Hegel) etwas entgegensetzen könnten (beruhigend ist in diesem Zusammenhang, dass er insofern nicht jene Haltung der Gleichgültigkeit an den Tag legt, die er beispielhaft bei Stalin entdeckt).

Zuvorderst geht es ihm darum, den Kommunismus neu zu erfinden und »eine radikale Veränderung herbeizuführen, die über eine vage Vorstellung von gesellschaftlicher Solidarität weit hinausgeht.« Und wenig später: »Es ist unsere ethisch-politische Pflicht ... unsere Mitverantwortung ... einzugestehen.«

Wie bitte? Wo ist da noch Hoffnungslosigkeit? Man weiß insofern nicht so recht, was er eigentlich will. Denn er ist nicht nur widersprüchlich, sondern vor allem sehr vage. Das »düstere Buch«, das er vorlegt, ist hinsichtlich seiner Argumente, aber auch in Bezug auf sein Themenspektrum und seine Erkenntnisse tatsächlich düster: Von Trump springt Žižek zu Buñuel, Milošević, Hegel und de Quincey. Immer wieder streut er Filmzitate ein, neigt zu allzu flotten Überschriften wie: »Warum lecken sich Hunde an den Eiern?«, zu falsch verstandenen Kant-Interpretationen und elendig langen Zitaten. Dabei gibt es durchaus helle Momente in dem Buch. Doch leider gehen sie in dem Borschtsch aus Anekdoten und feuilletonistischen Einschüben völlig unter.

Die Psychologie definiert die Hoffnungslosigkeit als Folge eines wahrgenommenen Kontrollverlusts. Wer den englischen Originaltitel überliest, könnte meinen, dass Žižek einen solchen selbst erlitten hat. Doch es handelt sich bei dem Buch um »Chronicles of a Year of Acting Dangerously.« Als eine Art Tagebuch mag das literarische Chaos noch durchgehen – leider verschweigt das der deutsche Titel völlig.

Und dennoch bleibt das Bild, das Žižek von der Hoffnungslosigkeit zeichnet, insgesamt verzerrt. Denn es gibt Orte der Hoffnungslosigkeit. Sie heißen Auschwitz, Sarakeb oder Aleppo, Idomeni und ähnlich. Es gibt auch ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit – die Depression.

Mut lässt sich aus diesen Orten und diesem Gefühl der Hoffnungslosigkeit wahrlich nicht mehr gewinnen. Was Žižek beschreibt, ist vielmehr etwas der Hoffnungslosigkeit Vorgelagertes, etwas, das er nicht näher zu bestimmen weiß und sich gerade deshalb im Dickicht seiner Thesen und Themen mit Vergnügen verliert.

Artikel online seit 04.05.18

 

Slavoj Žižek
Der Mut der Hoffnungslosigkeit
Aus dem Englischen von
Frank Born
S. Fischer
448 Seiten
978-3-10-397334-1
20,00 €

Leseprobe

 


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