»Jeder von uns ist ein
Priester von Christus«, sagt der Gefängnisgeistliche Tomasz (Lukasz Simlat), und
diesen Satz nimmt sich der junge Daniel (Bartosz Bielenia) zu Herzen. Er steht
kurz vor seiner Entlassung und möchte so gerne Priester werden. Doch Vater
Tomasz sagt ihm, kein Priesterseminar in Polen werde einen aufnehmen, der aus
einer Jugendhaftanstalt kommt.
In einem Sägewerk in der Provinz soll sich Daniel bewähren. Im nahegelegenen
Dorf ist allgemein bekannt, dass jugendliche Straftäter dort eine Chance
bekommen. Als Daniel in der Fabrik ankommt, nimmt niemand Notiz von ihm. Da geht
er erst einmal in die Kirche, lernt dort eine junge Frau kennen und gibt sich
bei ihr als Priester aus. Eliza (Eliza Rycembel) staunt nicht schlecht. Einen
Pfarrer hat sie sich anders vorgestellt. Doch der Fremde zieht eine Soutane aus
seiner Reisetasche. Auch im Pfarrhaus wird nicht nach Papieren gefragt, denn dem
alten Vikar macht sein Alkoholismus zu schaffen. Da kommt ein Vertreter für eine
Auszeit gerade recht. Die Kurie muss ja nichts davon erfahren. Überhaupt der
Alkohol! Eine Gruppe junger Leute ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben
gekommen. Alkohol soll im Spiel gewesen sein, heißt es.
Das Dorf gedenkt noch immer der Opfer, Ewa Kobielski (Barbara Kurzaj), die Witwe
des schuldigen Fahrers ist geächtet. Sie bewahrt die Urne ihres Mannes im Haus,
der »Mörder« soll nicht neben seinen Opfern die letzte Ruhe finden. In dieser
brisanten Gemengelage findet sich Daniel ziemlich schnell zurecht. Die erste
Beichte nimmt er mithilfe seines Smartphones ab. Bei seiner ersten Predigt
erinnert er sich einfach an die Worte seines Vorbilds Tomasz, dessen Namen er
sich auch zugelegt hat. Er wolle nicht mechanisch predigen, er hoffe, die
Gläubigen seien nicht hier, um eine Pflicht zu erfüllen, Gott folge ihnen
überall hin.
Die Gemeinde staunt über den neuen Stil, nur die strenge Küsterin Lidia (Aleksandra
Koniecza) behält ihn kritisch im Blick. Um bei der Gemeinde die Trauerarbeit in
Gang zu setzen, setzt Daniel alias »Vater Tomasz« seine Erfahrungen aus den
Selbsterfahrungsgruppen im Knast ein. Vor der Gedenktafel an der Hauptstraße
initiiert er eine Art von Teufelsaustreibung, in der die Angehörigen ihre Trauer
und Wut herauslassen. Erst als sich »Vater Tomasz« mit Bürgermeister Walkiewicz
(Leszek Lichota) anlegt und auf einer Beisetzung des Unfallfahrers im örtlichen
Friedhof besteht, beginnt sich sein Blatt zu wenden. Aber ist Daniel ein
Fake-Priester? Oder ist er ein zeitgemäßer Pfarrer, den sich die Kirche wünschen
sollte? Ein Naturtalent ist er allemal. Einer, der zuhören kann und ein Gespür
für Menschen hat. Dabei kein Heiliger, er trinkt Alkohol (auch er), raucht
Zigaretten, ist einem Joint nicht abgeneigt, und mit der Lidia aus der Kirche
läuft er nicht nur herum, sondern verbringt auch eine Nacht mit ihr, in der es
zur Sache geht. Daniel, den man nur einmal am Anfang beten sieht, ist jedenfalls
kein Suchender. Er ist ein Zerrissener, der den jugendlichen Rebell in sich
spürt.
Aber für eine religiöse Figur ist er zu selbstgewiss. Indem er diesen
selbsternannten Gottesmann das Paradies auf Erden proklamieren lässt, verspielt
der Film seine spirituellen Möglichkeiten. Der Vergleich mit Robert Bresson und
George Bernanos, den der Kritiker des von der Katholischen Film-kommission für
Deutschland herausgegebenen Internetmagazins »Filmdienst« gezogen hat, geht
deshalb in die Irre. »Corpus Christi« verhandelt ein im Grunde religiöses Thema
auf säkularer Ebene und ist gerade deshalb einer der Favoriten für den
Europäischen Filmpreis.
Artikel online seit 07.09.20
Wir danken
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Rhein-Main
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CORPUS CHRISTI
von Jan Komasa, PL/F 2019, 116 Min.
mit Bartosz Bielena, Eliza Rycembel, Aleksandra Konieczna, Tomasz
Zietek, Leszek Lichota, Lukasz Simlat
Start: 03.09.2020
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