Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 

Home  Termine   Literatur   Krimi   Biografien, Briefe & Tagebücher   Politik   Geschichte   Philosophie  Impressum & Datenschutz


 









Glücksfall

Das Unikum »Die Wunderkammer der Deutschen Sprache«

Von Wolfram Schütte
 

Darf man als seriöser Rezensent ein Buch empfehlen, das man noch gar nicht ganz gelesen hat?
Eigentlich nicht.
Wann könnte man es wagen, eine Ausnahme zu machen?  Was könnten akzeptable Gründe dafür sein?
Wenn es sich (zeitlich) um einen Ausnahmefall & um ein Ausnahmebuch handelt?
Wenn der Ausnahmefall darin bestände, dass das Ausnahmebuch das originellste Buchgeschenk des gesamten deutschsprachigen Markts wäre - & dieses Faktum augenfällig ist, auch wenn man es noch nicht von A bis Z lesen konnte?

Weil das Ziel der Empfehlung, so schnell wie möglich vor den Feiertagen so viele Menschen wie möglich zu seinem Kauf zu motivieren, einem menschenfreundlicher erscheint, als das gleiche erst nach der vollständigen eigenen Lektüre nach den Feiertagen  zu tun?
»Menschenfreundlicher«? Bist du verrückt?
Ist es denn nicht menschenfreundlicher, allen, die man als Leser, Genießer oder Entzückte eines solchen Buches sich mit Freude & Vergnügen  vorstellt, über seine Existenz zu informieren, damit sie schnell handeln, es verschenken & lesen können – bevor man selbst mit der eigenen vollständigen Lektüre zu Ende gekommen ist?
Wäre ein solches vorauseilendes, hinweisendes, enthusiasmierendes Empfehlen möglicherweise weniger prekär, wenn oder weil das von einem bislang Gelesene so hinreißend oder gelungen erscheint, dass es allein schon die Empfehlung für das literarische Füllhorn vollauf rechtfertigen würde?

Könnte es sein, dass das Ausnahmebuch so etwas Ähnliches wäre wie in der Musik die Diabelli-Variationen oder das Wohltemperierte Klavier?
Könnte man in etwa sagen; nur, dass die »Wunderkammer der deutschen Sprache« zwar nicht so streng durchgeführt & systematisch komponiert wurde wie die beiden Musiken; aber doch mit ihnen die Form einer Versammlung von vielfältigen Variationen teilt, deren Grundlage das gesprochene & geschriebene Deutsch ist.

Sollte man nicht eher in der von Thoms Böhm & Carsten Pfeifer ausgewählten, gesammelten & herausgegebenen & von den Grafikern 2xGoldstein+Schäfer  mit Witz inszenierten »Wunderkammer der deutschen Sprache« die jokose literarische Verwandtschaft (ersten Grades!) mit H.M. Enzensbergers Kinderreim-Sammlung »Allerleirauh« sehen – weil diese Wunderkammer einen so zum stöbernden Betrachten, blätterndem Lesen animiert (& oft so lustig & listig ist) wie einst Enzensbergers heutiger Klassiker von Kinderreimen?

Dann bliebe also nur noch, Lichtenberg zu zitieren: »Wer zwei Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an«?
Ja.
Aber für ein Paar Hosen wird man heute auf dem Flohmarkt nicht mehr so viel wie zu Lichtenbergs Zeiten bekommen; denn für die 300 Seiten der im »Verlag Das kulturelle Gedächtnis«, Berlin 2019, erschienenen »Wunderkammer der deutschen Sprache« wird man schon  28 € locker machen müssen.

Tun Sie´s.   

Artikel online seit 20.12.19
 

Thomas Böhm/Carsten Pfeiffer (Hrsg.):
DIE WUNDERKAMMER DER DEUTSCHEN SPRACHE
Ein Füllhorn
Verlag Das kultuelle Gedächtnis
304 Seiten
28,00€ (D), 28,80 € (A)978-3-946990-31-4

 

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Impressum - Mediadaten