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Nicht versöhnt

Jean-Marie Straub ist gestorben

Eine Erinnerung von Wolfram Schütte
 

Straub-Huillet, Jean-Marie & Danièle, galten einige Jahrzehnte Ende des 20.Jahrhunderts als der gelebte & zugleich provozierendste Widerrruf des narrativen Erzählkinos, wie es sich im Laufe seiner kurzen Geschichte überall auf der Welt, vor allem aber in Hollywood entwickelt & als möglichst universell verkäufliches Unterhaltungsmedium zur Gewinnschöpfung etabliert hatte. „>Massenkunst< ist eine Erfindung der Kapitalisten“ (Godard). Die „Bilder & Töne“ (Godard) waren im Mainstream des universalen Kapitalismus mit Beschlag belegt worden & das lebenslange Tandem Straub-Huillet trat (wie David gegen Goliath oder Don Quichote gegen die Windmühlen) dagegen an.

Man wird solche Vergleiche herbeizitieren dürfen, um sich die Entfernung der beiden französischen Filmemacher vom Film & Kino ihrer Zeit vor Augen zu führen, aber dabei auch nicht die Befremdlichkeit ihres filmischen Werks für den gewöhnlichen Kinogänger aus den Augen zu verlieren. Sie empfanden sich als leninistische Kommunisten, zugleich mit einem mystisch-religiösen Sendungsbewusstsein, ohne das der Lothringer & die Pariserin, die seit 1958 verheiratet waren, ihre jahrzehntelange Existenz am Rande der Armut & Besitzlosigkeit nicht durchgestanden hätten. Rund 30 Filme unterschiedlichster Länge entstanden zwischen 1962 & 2006 – dem Jahr, in dem Danièle Huillet gestorben ist. Danach hat Straub bis 2020 in Italien, wohin sie in den Achtziger Jahren gezogen waren, weitere Kurzfilme gedreht.

Aus Frankreich 1958 geflohen, um der drohenden Einberufung & dem möglichen Einsatz im Algerienkrieg zu entkommen, waren Straub & Huillet jedoch keine Pazifisten. Eher träumten sie von einem radikalen, gewaltsamen, fundamentalen Umsturz der kapitalistischen Welt. Zum Erschrecken des pazifistischen Anarchisten Heinrich Böll, der aus Mitleid den beiden Mittellosen die Rechte an einer Erzählung  & dem Roman „Billard um halbzehn“(1959) geschenkt hatte, nannten Straub-Huillet ihren Film nach dem gerade erschienenen Böll- Roman „Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht“ (1965).

Böll dramaturgisch entkernt & radikalisiert durch Brechts entfremdenden Blick & das Resümee der „heiligen Johanna der Schlachthöfe“: damit hatten Straub-Huillet ihr Lebensthema erstmals gefunden & formuliert: Lange Einstellungen, elliptische Erzählweise, Laiendarsteller, Originalton, hybride Montage von Darstellung (Erzählung) & Dokumentarfilm, von Wort & Musik.

Bekannt wurden Straub-Huillet unter Cinéasten, wirklich geschätzt von nur wenigen (allerdings auf der ganzen Welt), jedoch bewundert von manchen, vor allem aber wegen der ästhetisch-politischen Radikalität ihres solitären Kampfes gegen die Welt-wie-sie-ist, aber nicht sein sollte.

Mit der unausgesprochenen autobiographischen Reflexion der „Chronik der Anna Magdalena Bach“(1968) thematisierten sie die schwierige materielle Lebenssituation Johann Sebastian Bachs in Abhängigkeit von der Macht – gegen die das Genie einzig seine Musik stellen konnte. Indem Bach von dem niederländischen Pianisten Gustav Leonhard dargestellt & Nikolaus Harnoncourt als Dirigent in dem Historischen Film mitwirkte (beide mit Allongeperücke), optierten Straub/Huillet demonstrativ für die damals höchst umstrittene „historische Aufführungspraxis“, deren bekannteste Vertreter die beiden Musiker waren.

Als sie 1974 Arnold Schönbergs Oper „Moses & Aron“ in einem Amphitheater des Apennins filmten, spielte das Orchester zeitgleich (live), wenn auch unsichtbar – damit der Originalton im Originalraum entstand. Für die Adaption von Corneilles „Othon“ – einer altrömischen Machtintrige – (1969) konfrontierten sie die Alexandriner des französischen Klassikers, gesprochen von antikisierten Darstellern auf den Ruinen Roms mit dem aktuellen Verkehrslärmfluß; und in „Geschichtsunterricht“(1972) werden Passagen aus Brechts satirischem Romanfragment „Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“ einer sehr langen Kamerafahrt unterlegt, die entlang einer alten, gewundenen römischen Straße die bescheidene Handwerkerwelt als „ewiges“ Antidot evoziert..

Zu den Eigenarten von Straub/Huillet gehörte, dass sich ihre Arbeiten an bereits künstlerisch formuliertem Kulturgut entzündeten, z.B. (besonders auffällig): „Die Antigone des Sophokles nach der Hölderlinschen Übertragung für die Bühne bearbeitet von Brecht“ (1991). Nicht nur Böll, Hölderlin & Kafka, sondern auch Corneille & Duras, Pavese & Vittorini, J.S.Bach & Schönberg motivierten die beiden französischen Filmemacher zu einem wahrhaft europäischen Filmwerk, das sie in Deutsch, Französisch & Italienisch gedreht haben. Diese Vielsprachigkeit ihres Oeuvres hatte allerdings zur Folge, dass es zu weiten Teilen selbst Liebhabern ihrer Arbeiten verschlossen, bzw. unbekannt geblieben ist, weil die ganz unterschiedlich langen Filme meist über Festivaldebüts nicht hinausgekommen sind. Dieses esoterische Schicksal teilt es mit dem Spätwerk Jean-Luc Godards, der an seinem Wohnort Rolle (Genfer See) am 13.9. durch eigenen Willen aus dem Leben geschieden ist. Dort hatte Jean-Marie Straub, der im Jahrzehnt nach Danièle Huillets Tod in einer italienischen Gemeinde gelebt & gearbeitet hatte, zuletzt in einem Altersheim gelebt. Am 20.11. 2022 ist auch er kurz vor seinem 90.Geburtstag in Rolle gestorben.

P.S. Eine Erinnerung an Leben & Werk Jean-Marie Straubs & Danièle Huillets wäre unvollständig, wenn sie nicht wenigstens vom Namen Klaus Hellwigs begleitet würde. Der Frankfurter Cinéast Klaus Hellwig, dessen Produktions-& Verleihfirma „Janus“ ein anonymes Imprint der „Taurus-Film“ war, fungierte als scheinbar selbstständige Produktion des fränkischen „Medienmoguls“ Leo Kirch für schwierige Qualitätsfilme. Klaus Hellwigs „Janus“ hat eine Reihe von Filmen der beiden französischen Filmemacher produziert. So hat der enge Freund von Franz Joseph Strauß & Helmut Kohl die Karriere der beiden parteilosen „Kommunisten“ ermöglicht. Ein bizarre Pointe aus den Tempi passati…
Artikel online seit 24.11.22

Lange nach Erscheinen meiner obigen Erinnerungen an J.M.S. erfuhr ich, dass ich über seine letzte Zeit im Schweizer Rolle einem falschen Gerücht aufgesessen war. Nicht in einem Altersheim, sondern bei seiner Produzentin Barbara Ulrich, der Lebensgefährtin seiner letzten Jahre, war er gestorben.

Anmerkung vom 04.10.23
 

 

 


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