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Dichtungen & Wahrheiten, Saša Stanišić spielt mit den Möglichkeiten seines erzählerischen Musterkoffers
Von Wolfram Schütte |
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Die deutsche
Literaturkritik ist sich einig in erstauntem Entzücken & pauschalem Lob für das
Oeuvre des 1978 im jugoslawischen Visegrad geborenen, 1992 im Alter von 14
Jahren mit seinen Eltern nach Heidelberg geflüchteten Saša Stanišić. Das offenbart erneut seine jüngste Sammlung von Erzählungen, die zumeist von eigenen Lebenserfahrungen ausgeht: als kaum des Deutschen mächtiges Emigrantenkind, als stolzer Vater eines aufgeweckten zehnjährigen Sohnes oder als Autor, der auf einer Lesereise in Heidelberg die Gegend besucht, wo er zusammen mit anderen Emigrantenkindern spielte, »herumhing« oder von »den Bullen« drangsaliert wurde. Die längste & erzählerisch ambitionierteste seiner Erzählungen, die er bittet, hintereinander zu lesen (weil sie von zweien gewissermaßen umrahmt sind) gab den Titel der zwölfteiligen Komposition ab: »Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne«. Dieses diskrete erotische Signalement dürfte ein historisches Relikt aus dem ländlichen Bosnien sein, das zuletzt in seinem (mobilen) Roman »Herkunft« (2019) eine große Rolle spielte – obwohl die Hamburger Witwe Gisel(a), die vor 4 Jahren ihren geliebten Ehemann Hermann verloren hatte, den Wink mit der Gießkanne dem »eigenartigen Völkchen der Saarländer« zuschreibt. Diese vierzig Seiten zumeist assoziativer Prosa versammeln in Nuce ein ganzes deutsches Frauenleben zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie rufen zugleich die existenzielle Einsamkeit der altersschwachen, allein lebenden Menschen am Rande der Armut & der Nähe von Alzheimer im heutigen Deutschland herauf: in komischen Szenen & ernsten Momenten. Eine zweite Erzählung trägt den Titel »Traumnovelle«, hat aber mit dem Schnitzlerschen Erotikon nichts zu tun – außer dass an ihrem Ende jemand unmotiviert nach dem Werk des österreichischen Autors greift & Stanišić eine Passage daraus zitiert. Dieser Jemand ist die türkische Putzfrau Dilek, die tagträumerisch während ihrer Arbeit bei einer reichen Wiener Witwe, über ihre ländliche Vergangenheit & ihre Zukunft mit ihrem erwachsenen Sohn in Österreich nachdenkt. Dabei emanzipiert sich die pensionsreife Frau von ihrem Mann, der hoffte, mit ihr in die türkische Heimat zurückkehren zu können & dort ein Häuschen nach ihren speziellen Wünschen gebaut hatte. Stanišić arbeitet in seiner »Traumnovelle« amüsant & satirisch mit einem hochironischen Erzähler – eine Erzählhaltung, die er besonders auch in den anderen dieser Arbeiten schätzt & geradezu virtuos zu einem Schwindel erregenden Verwirrspiel über seinen fiktiven und/oder autobiografisch realen Besuch der Insel Helgoland – auch noch anhand von Briefzitaten des deutschlandflüchtigen Emigranten Heine ausbaut. Warum er aber in der »Traumnovelle« das Wunder eines Welt-Zeit-Stillstands bemüht, von dem nur die Vögel & seine türkische Heldin ausgenommen sind (alle anderen sind im selben Augenblick erstarrt!), habe ich so wenig als poetischen Einfall wie in seiner undurchdachten literarischen Ausführung begriffen. Ebenso wenig hat mich die Idee eines zehnminütigen Appetizers künftigen Lebens literarisch & als originelles Phantastikum überzeugt, auf die Stanišić einen seiner jugendlichen Spielkameraden kommen lässt. Immer suggerieren die unterschiedlichen Erzählungen genaue historische & lokale Bodenhaftung – so sehr sie sich (wie das ganze Buch auch) zu grotesken & jokosen, assoziativ aufblühenden erzählerischen Luftnummern entwickeln. Deren eigentümlicher Reiz, der weit über ein bloßes sprachspielerisches Unterhaltungsvergnügen hinausgeht & seine dialektalen Ausschweifungen ins Österreichische oder in den heutigen Jugendslang umfasst, eröffnet sich aber erst recht, wenn man die Prosa gewissermaßen Wort für Wort sich einverleibt, weil Stanišić unendlich viel als Sprach-& Erzählkünstler kann. (Was ihn aber auch leider dazu verführt, in zwei Erzählungen zu überziehen: bloße Kopfgeburten.) Vor allem aber ist Saša Stanišić ein veritabler Spieler - besonders in jenem Themenkomplex, der von Georg Horvath, seinem aufgeweckten zehnjährigen Sohn & seiner Ehefrau in Bremen erzählt. Es ist vornehmlich ein Kaleidoskop von Verhaltensweisen & Beziehungen, wie sie zwischen Jungs & Vätern, die bei Videospielen mit ihren Kindern regelmäßig verlieren, heute üblich sein dürften. Ich gestehe, dass mir manche Passagen, die sich offenbar den höchst eigenen Vaterfreuden des Autors verdanken dürften & sich z.B. auf »Memory« oder »Pokemon« beziehen, fremd & unverständlich geblieben sind. Die kleine Hommage an Miro Klose (eine andere gilt Angela Merkel) dagegen ist charmant eingebaut & der Slapstick, den Georg & Paul Horwath zuletzt mit den Pommes-verrückten Bremer Möwen anstellen, ist eine ebenso sardonische wie phantastische Pointe, die man so schnell nicht vergessen dürfte.
Obwohl Stanisics Buch
trotz meiner gelegentlichen Reserven ein großes Lesevergnügen gewesen ist, will
ich noch eine Mutmaßung nicht unerwähnt lassen. Wenn ich in den Erzählungen an
die Ortserwähnung von Bremen, Hamburg, Helgoland, Kaleköy, Trabzon, Wien oder
Winsen an der Luhe denke, so kommt mir dieses Name Dropping vor, als wolle der
stolze Autor seinen Lesern »beweisen«, was er alles weiß, bzw. wo er
schon überall war. Seht her, was für ein toller deutscher Hecht ich doch
bin! Aber dass »er unser ist«, wissen wir ja längst!
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Saša Stanišić
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