Glanz@Elend
Magazin für Literatur und Zeitkritik
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Happy Birthday Sam

 


Zum 100. Mal - Beckett lesen!
Von Arnold Thünker

„Je weiter er geht, desto besser geht es mir. Ich will keine philosophischen Erkenntnisse, keine Traktate, Dogmen, Glaubenssätze, Auswege, Wahrheiten, Antworten, nichts aus dem Sonderangebotskasten. Er ist der mutigste und unbarmherzigste Schriftsteller, den es zur Zeit gibt, und je mehr er meine Nase im Dreck wetzt, um so dankbarer bin ich ihm. Er spielt nicht mit mir herum, er führt mich nicht durch irgendeinen Park, er zwinkert mich nicht zu und will mir kein Mittelchen, keinen Weg, keine Offenbarung, keine Schüssel voll Brotkrummen andrehen, er will mir überhaupt nichts verkaufen, was ich nicht haben will, er gibt keinen Pfifferling darum, ob ich etwas kaufe oder nicht, er legt nicht die Hand aufs Herz. Na ja, aber ich will seine Sachen kaufen, mit allem Drum und Dran, weil er keinen Stein verrückt, und keinen Wurm unbeachtet läßt. Er bringt etwas Schönes hervor. Sein Werk ist schön.“
Das schrieb der derzeitige Nobelpreisträger Harold Pinter zu Samuel Becketts 60. Geburtstag.

In diesem Jahr, am 13. April, jährt sich der 100. Geburtstag von Samuel Beckett.
Auch der Ire Beckett, mit dem eindrucksvollen, schönen, zerfurchten Gesicht, der große Mann mit dem langsamen Schritt erhielt 1969 den Nobelpreis für Literatur. Die achtzehn Mitglieder der schwedischen Akademie hatten ihre Gründe gefunden, klang auch die offizielle Verlautbarung eher wie eine mühevoll erstellte Kurzformel. Samuel Beckett erhielt den Preis „für eine Dichtung, die in neuen Formen des Romans und des Dramas aus der Verlassenheit des modernen Menschen ihre künstliche Überhöhung erreicht.“

Die Tage, an denen die Welt die ehrende Entscheidung erfuhr, war Samuel Beckett unauffindbar. Der dreiundsechzigjährige fuhr nicht nach Stockholm zur Preisverleihung. Nicht aus gesundheitlichen Gründen wie Harold Pinter, sondern eher die Überzeugung, daß nicht der Schriftsteller und Dramatiker im Mittelpunkt zu stehen habe, sondern sein Werk. Was für Beckett zählte war einzig sein Werk, in dem finde sich alles, was er zu sagen habe.
Seine erste Erzählung hat Beckett 1929, im Alter von neunzwanzig Jahren, veröffentlicht. Produktive Jahre folgten. Erst zwanzig Jahre später gelang ihm mit seinem dramatisch - komischen Stück „Warten auf Godot“ der Durchbruch. Kritiker und Publikum waren begeistert. Seither hebt der Chor der Bewunderer einer jeden neuen Generation, zu einer Kakophonie aus nacktem Erstaunen und ratloser Erfurcht an.

Beckett hat sicht von dem Rauschen, das seine Arbeiten begleitete, nicht beeindrucken lassen. Seine Prosa und Theaterstücke sind Wegstücke, die er zu den Endpunkten der Sprache begeht. Die Sprache wird unter Becketts Regie zu eine zeitlosen Bewegung, die Stille fordert, um sich in einem klaren Bewußtsein auszudrücken.
Beckett arbeitete aus einem Materiallager des Konzentrierten und Grotesken heraus, und erzeugte damit, trotz aller aufziehenden Düsternis in seinen Arbeiten, eine klärende Atmosphäre menschlichen Daseins. Dieser Zustand ist keineswegs künstlich überhöht, sondern bestimmt von einem Rhythmus, von einem starken Verlangen nach Rotation der Wörter, von dem Wunsch nach Veränderung, der immerzu die Gewohnheit der Realität einkreist, um sie aufs neue darstellen zu können. Und dies keineswegs humorlos.

Derjenige Leser, der sich in die Welt des Samuel Beckett aufmachen will, sei die Prosasammlung „Dante und der Hummer“ empfohlen. In diesen Arbeiten deutet sich an, was Beckett ein Leben lang als Schriftsteller zu erwirken sucht: mit Worten einkreisen, reduzieren, klingen lassen, um abermals in die Realitäten aufzubrechen. In dem gerade im Suhrkamp Verlag erschienen Sammelband finden sich auch drei deutsche Erstveröffentlichungen: „Das Bild“, „weder noch“ und „Wie soll man sagen“.

Die drei Romane „Molloy“, „Malone stirbt“ und „Der Namenlose“, erstmals erschienen zwischen 1951 und 1953, liegen in einem Band vor. In dieser Trilogie deutet sich schon an, was in „Warten auf Godot“ ausbricht, die eigene Zeit des Wartens in der Welt.
„Ich bin im Zimmer meiner Mutter. Ich wohne jetzt selbst darin. Wie ich hierhergekommen bin, weiß ich nicht. In der Ambulanz vielleicht, bestimmt mit irgendeinem Gefährt. Man hat mir geholfen.“
So beginnt „Molloy, der erste Roman. Der zweite, „Malone stirbt“, hebt schon energischer an: „Ich werde endlich doch bald ganz tot sein. Vielleicht nächsten Monat. Es wäre dann April oder Mai. Denn das Jahr ist kaum vorgerückt, tausend kleine Anzeichen, sagen es mir.“
Schließlich im dritten „Der Namenlose“ führt der Kampf um Orientierung, Rechtfertigung und Unterhaltung zum Autor Beckett selbst zurück. „man muß Worte sagen, solange es welche gibt, man muß sie sagen, bis sie mich finden, bis sie mir sagen, seltsame Mühe, seltsame Sünde, man muß weitermachen, es ist vielleicht schon geschehen, sie haben es mir vielleicht schon gesagt, sie haben mich vielleicht bis an die Schwelle meiner Geschichte ertragen, vor die Tür, die sich zu meiner Geschichte öffnet, es würde mich wundern, wenn sie sich öffnet, es wird ich sein, es wird das Schweigens ein, da wo ich bin, ich weiß nicht, ich werde es nie wissen, im Schweigen weiß man nicht, man muß weitermachen, ich werde weitermachen.“

Beckett lebte in Paris, als er dies niederschrieb, sein Brot verdiente er sich mit Übersetzungen. Nicht nur in seinen Arbeiten war Beckett ein Meister der Abwesenheit und Reduktion. Auch in seinem Alltag verlieren sich nicht selten seine Spuren. Im Laufe der Zeit sind mehr und mehr aufgezeichnete Erinnerungen an Beckett erschienen. Das Standardwerk über Beckett ist umfangreiche Biographie von James Knowlson „Samuel Beckett – Ein Biographie, die 2001 in Deutschland erschienen ist. Zum 100. Geburtstag ist nun „Beckett Erinnerung“ ebenfalls von James Knowlson erschienen. Ein Materialband mit Originaltönen, Interviewausschnitten, Aussagen von Freunden und Zeitzeugen. Ein Band für Entdecker, die sich selbst ein Bild von dem Iren machen wollen, der seine Werke in Französisch schrieb und eine enge Zusammenarbeit mit seinen treuen deutschen Übersetzern Elmar und Erika Tophoven pflegte.
Becketts Lebensstationen werden in diesem Band sehr lebendig, nicht zuletzt dadurch, daß sie kaum kommentiert werden. Lebendig kann der Leser Becketts Familie, die Jugendjahre, seine Freundschaft mit James Joyce, seine Deutschlandreisen, seine Tätigkeit im französischen Widerstand, sein Leben als Landarbeiter im südfranzösischen Roussillon und später seine intensive Arbeit am Theater für sich entdecken.

Weitaus persönlicher sind die Aufzeichnungen, die amerikanische Dichterin Anne Atik in ihrem Band „Wie es war, Erinnerungen an Samuel Beckett“ liefert. Das Faszinierende an diesem Buch sind die Porträtzeichnungen von Avigdor Arikha, einem engen Freund von Samuel Beckett und der Ehemann der Autorin. Hier wird an Beckett erinnert, der ganz in der Kunst lebte. Es liebte es mit Freunden über Musik, Malerei und Literatur zu sprechen und zu schweigen.

Eine Überraschung und ein naher Text ist im Berenberg Verlag erschienen. „Becketts Freundschaft“ von André Bernold, mit Fotografien von John Minihan, ist ein Dokument enger Zusammenarbeit und rücksichtsvoller Verbundenheit. Feinfühlig und in einem beeindruckenden Stil versteht es Bernhold die Erinnerungen an seinen Freund Samuel Beckett darzustellen. In Nachwort schreibt Bernhold: „Jeder, der die Erfahrung gemacht hat, weiß, wie schwierig es ist, einen Gegenstand bündig zu behandeln, mit dem man sich den größten Teil seines Lebens beschäftigt hat. Vielleicht liegt hier eine der Gemeinsamkeiten zwischen denen, die schreiben, und denen, die es nicht tun. Und auch zwischen denen, die schreiben, und denen, die zwar nicht schreiben, schließlich aber doch ein – oder zweimal zum Schreiben kommen. Gedanken zu Lebenswichtigem zusammenzufassen fällt schwer. Hier geht es um einen Schriftsteller, den ich schon als sehr junger Mann gelesen und, mit Schrecken, bewundert habe und der mir dann auch schon als sehr jungem Mann ein unverbrüchlicher Freund wurde, unter genau genommen unerklärlichen Umständen; dazu eine Erregung, die wiederum schwer zu beherrschen war, schon zu jener Zeit und auch noch viel später. Ganz besonders weil jener Schriftsteller mir als der größte erschien und immer noch erscheint. Schauen Sie zurück, schauen sich um, betrachten Sie die Frage von allen Seiten: Beckett ist von allen der reinste. Unbestechlich.“

„So ist`s gut.

Ich bin allein.
Im Präsens, als ob ich noch wäre.
Es ist Winter.
Ohne Reise.
Die Zeit vergeht.
Das ist alles.
Verstehe, wer kann.
Ich mach` aus.

Samuel Beckett  in „Was Wo“

Am 22. Dezember 1989 stirbt Samuel Beckett in Paris im Alter von 83 Jahren.

 


 
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