Glanz@Elend |
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Es war einmal fundamental anders. Theodor W. Adorno rüstete Samuel Beckett zum Säulenheiligen des Postexistenzialismus auf, bescheinigte ihm die avanciertesten, der „Ästhetischen Theorie“ nach nicht zu überbietenden Kunstmittel, die jede künstlerische Anstrengung danach als vergebliches Unterfangen erscheinen lassen möchten. Adorno-Bashing mag eine spätmoderne Mode einstiger Apologeten sein, aber die angestrengteste Beschwörung des überhistorischen Stands der eigenen philosophischen Produktivkräfte mutet dialektischem Verständnis nach inzwischen selbst so antiquiert an, wie es Adorno keinem geringen Teil der zeitgenössischen Kultur vorwarf. Adorno avancierte nicht zur zeitlosen Mode, sondern wurde Moment der Frustration oder des schlechten Gewissens ewiger Bescheidwisser, deren Wirklichkeit mit Luft in Berührung kam und verkümmerte. Was jenseits kulturindustrieller Vermarktung von einem ehrfurchtgebietenden Chefkritiker bleibt, der selbst Gottfried Benn zu gefährlich erschien, um es auf ein öffentliches Streitgespräch mit ihm ankommen zu lassen, sind vornehmlich einige Sentenzen und eine „minima moralia“, die in ihren permanenten Wiederholungen viel von ihrem einstigen Pathos verloren hat. Dieser kärgliche Befund, diese Entzauberung der je so selbstgewissen Kritik, könnte auch den Verdacht gegen Beckett schüren, lediglich jenen vom Existenzialismus getriebenen Zeitgeist für einen kurzen historischen Moment auf die Spitze getrieben zu haben. Adornos Beckett-Verständnis ist in nuce der Kern seiner ästhetischen Theorie und Becketts Figuren sind die lakonischen Zeugen der negativen Dialektik, in der sich jede Hoffnung in bleiche Erinnerungsspuren auflöst. Hinter dem Endspiel kommt negativer Ästhetik zufolge nichts mehr, der Horizont markiert keine Erwartung mehr, sondern wird zur ewigen Grenze des Irrenden. „HAMM: Und der Horizont? Nichts am Horizont? CLOV das Fernglas absetzend, sich Hamm zuwendend, voller Ungeduld: Was soll denn schon am Horizont sein?“ „Qu’est-ce que la littérature?“ fragte Jean-Paul Sartre 1947 agitatorisch bis kämpferisch, um dem gemäß den humanen Horizont zu bestimmen, der nach der traumatischen Kriegserfahrung noch plausibel ist. „Beckett stellt die Existenzialphilosophie vom Kopf auf die Füße“, lautet Adornos Kernthese, die im Existenzialismus noch eine letzte falsche Versöhnung mit den vorgeblichen menschlichen Freiheitsoptionen wittert. Dabei hatte doch gerade Sartre dieser bürgerlichen Gesellschaft vernichtend bescheinigt: "Die Hölle, das sind die anderen." Auch wenn der inzwischen nach seinen schönen wilden Jahren vorsichtig wieder entdeckte Existenzialismus Katastrophen und menschliche Untiefen kennt, hält er hartnäckig am Selbstentwurf der Freiheit fest, auch noch in den bedrängtesten Situationen, die Menschen den Verdammten dieser Erde, also ihren Nächsten und Fernsten, bereiten. Beckett, der zu Sartre einen eher lädierten Kontakt hatte, zielte dagegen auf alles andere als eine littérature engagée, die nicht nur die Literatur erfüllte, sondern auch den Dichter zu politischem Handeln motivierte und Jean-Paul Sartre noch jenseits des Rentenalters als engagierten Hardcore-Aktivisten auswies. Bei Peter Weiss erreichte „la cause du peuple“ dann einen so denkwürdigen wie hoffnungslos wirklichkeitsversessenen Höhepunkt in seinem 1968 uraufgeführten, paradigmatisch formulierten "Diskurs über die Vorgeschichte und den Verlauf des lang andauernden Befreiungskrieges in Vietnam als Beispiel für die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker sowie über die Versuche der Vereinigten Staaten von Amerika, die Grundlagen der Revolution zu vernichten".
Leerstelle Gesellschaft Diese Ernüchterung geht über die Melancholie, die Aristoteles für das Fluidum von Dichtern und Denkern hielt, heilbaren Weltschmerz oder Vanitas-Motive weit hinaus, die noch auf die Entschädigungsinstitution „Paradies“ verweisen. Die Demontage von Menschen, die jeden Halt in der Gesellschaft verlieren, ist in der spätmodernen Literatur kein einzigartiges Motiv Becketts, eher wird es zum Standard, mikroskopische Apokalypsen zu schildern, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt. Bei Louis-Ferdinand Celine, Emile Cioran, Thomas Bernhard ("Alpen-Beckett"), Sarah Kane bis Michel Houellebecq, um nur einige zu nennen, wankt in sehr unterschiedlichen Verelendungsvarianten diese angeschlagene Spezies der letzten Tage auf uns zu. Eine Spezies, die nicht mehr zu retten ist, sondern hoffnungslose Fallstudien der Psychopathologie repräsentiert. Ciorans metaphysisches Leiden an der Schöpfung ist Becketts apathischer Schöpfungskritik besonders nahe, weil auch hier die unbegreifliche Spannung zwischen dem toten und dem unbekannten Gott wider jeden Glauben das Denken antreibt. Für Guido Ceronetti sind beide Mystiker: „Ihre radikale Verneinung der Rettbarkeit des Menschen eröffnet einen Ruheraum in diesem unserem unbewohnbaren Käfig von zusammengepferchten, kranken Affen: einen schwach erhellten Raum wie die Eigernordwand, dürftig, in dem die Begegnung mit Gott, wenngleich für unmöglich befunden, doch wieder annehmbar wird.“ Doch die Differenz beider, die sich auch in der persönlichen Abwendung Becketts von dem mit ihm befreundeten Cioran artikulierte, lag wohl vor allem in Ciorans schwärzestem Pessimismus, den Beckett in seinem Theater mit schwärzester Komik kompensierte. Sollte die Kreatur bei Beckett doch noch zu retten sein? Das könnte ein Umstand sein, den Adorno zu sehr vernachlässigte, um damit Becketts Immunreaktion gegen die Katastrophenkonstruktion „Mensch und Welt“ zu unterschätzen. Der Freud-Leser Beckett suchte nicht den klinisch reflektierten Zugang zu seinen „Fällen“, zu den stammelnden, autistischen, aus alten Reflexen und leer gewordenem Weltwissen Handelnden. Die rettende Rekonstruktion in der Psychoanalyse, die Urbachmachung dieses Seins wäre so vergeblich wie alle klassischen Heilsprospekte. Becketts Figuren sind clowneske Zeugen einer negativen Theodizee, die mit Voltaires „Candide“ beginnt und in Büchners „Woyzeck“ noch drastischer ausgelotet wird. Während aber Büchner in der Anklage den Reim auf bzw. gegen die desolaten gesellschaftlichen Verhältnisse findet, gibt es bei Beckett keine echte Genealogie des Leidens mehr, die gesellschaftliche Schuldzuweisungen, Prophylaxen oder Therapien legitimiert, sondern primär das entschiedene Verdikt gegen eine prästabilierte Disharmonie alles Seienden. Nicht erst auf spektakuläre Gemeinheiten der Schöpfung wie das Erdbeben von Lissabon muss man also noch länger rekurrieren, sondern die Passionsgeschichte des Einzelnen, seine lächerliche Konstitution, sein seit der Geburt kranker Körper in einem Meer von Qualen ist der Beweis gegen Leibniz und die Sinnstifterbande. Leibniz hatte in der Monadologie, §. 71, behauptet: „Also ist nichts unangebauetes / nichts ödes / nichts unfruchtbares / nichts todes in dem ganzen Welt-Gebäude; es ist darinnen kein wüster Klumpen / keine Verwirrung als nur dem äußerlichen Scheine nach.“ Darauf antwortet Beckett mit einer Ironie: „Gesicht und dann Stimme des Kunden: „Goddam, Sir, nein, das ist wirklich unverschämt, so was! In sechs Tagen, hören Sie, in sechs Tagen hat Gott die Welt erschaffen. Ja, mein Herr, jawohl, mein Herr, sage und schreibe die Welt! Und Sie, Sie schaffen es nicht, mir in drei Monaten eine Hose zu nähen!“ Stimme des Schneiders, entrüstet: „Aber Milord! Milord! Sehen Sie sich mal verächtliche Geste, angeekelt die Welt an . . . Pause . . . und sehen Sie da selbstgefällige Geste, voller Stolz meine Hose!“ Friedrich Schelling hatte Ironie als das Wechselspiel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung bezeichnet, bei Beckett konstruiert sich diese Ironie als ständiges Wechselspiel von verstummtem Schöpfungsmythos und elender Wirklichkeit. Was könnte in dieser heillos schlecht konstruierten Welt überhaupt noch retten? Auf Becketts Affinität zu Schopenhauer hat der Dramatiker selbst hingewiesen, aber bei Beckett verwandelt sich die Wut über das vergebliche Sein in die Katastrophe des Subjekts, das sich selbst verliert und allenfalls von ferne noch jene vergeblichen Seinsentwürfe spürt, die ihm einst Erlösung vorgaukelten. Mitleid "die wirkliche Basis aller freien Gerechtigkeit und aller ächten Menschenliebe", wird für Schopenhauer zur ausschließlichen Kategorie der Ethik. Diese individualistische Kategorie der Mitgeschöpflichkeit indes kann nicht zu einer gesellschaftlichen Norm aufschließen, die bessere Verhältnisse im Schlepptau führt. Das Leiden der Kreatur ist ein zentrales Motiv Becketts. Aber das Mitleid als fragile moralische Kraft reicht längst nicht hin, diese existenzielle Leere zu lindern, die zwischen Menschen herrscht.
In Becketts
geschlossener Endspiel-Welt gibt es keine Gesellschaft, die zu retten
wäre, noch gar eine Gesellschaft, die den verirrten, zum Tode hin
lebenden Einzelnen auffangen könnte. Die Ideologie des besseren Lebens
in einer humanen, sprich: sozialen, sozialistischen, gerechten
Gesellschaft ist keine ernst zu nehmende Alternative zur ewigen
Verfallsgeschichte des Einzelnen. „Und kurz bevor ich nicht mehr sein
werde, gelingt es mir, ein anderer zu sein. Was gar nicht ohne ist.“
(„Malone“). Hier wird ein Motiv radikalisiert, das seit Rimbauds „Ich
ist ein Anderer“ und weiter geführt von der Psychoanalyse
Jacques Lacans zum beherrschenden Motiv
spätmoderner Selbstverfehlung wird, weil das zweifelnde Ich, das an sich
selbst festhält, auch noch diesen Halt der eigenen, wie immer
beschädigten Identität verliert. Rimbaud galt Adorno als „der erste
Künstler obersten Ranges, der Kommunikation verwarf“. Beckett in einem
Interview 1956: „Kein
Ich, kein Haben, kein Sein. Kein Nominativ, kein Akkusativ, kein Verb.
Es gibt keinen Weg weiter.“
Theater und Wirklichkeit Es gibt jedoch kein wahres Theaterleben jenseits der Bühne, selbst wenn in seinen drastischsten Formen, etwa dem in die Jahre gekommenen Orgien-Mysterien-Theater von Nitsch, Mühl et alii, die Kraft der Symbole durch das Reale belegt werden soll. Wenigstens Tierblut soll den Wirklichkeitsschauder des wieder erweckten Rituals belegen, Menschenopfer gibt es bislang nur bei Theaterschließungen. Auch bei Frank Castorf regieren echte Substanzen und drastische Wirklichkeitssurrogate von Kartoffelsalat über Theaterblut bis hin zu unfreiwillig verspritztem echten Blut (Tito-Darsteller Marc Hosemann im Stück „Kokain“). Doch gibt es ein wirkliches Leben im künstlichen? Der "effet de réel" (Roland Barthes) ist längst vor dem so angestrengten Provo-Theater der Körperflüssigkeiten bereits die reale Anwesenheit des Schauspielers. Der Atem des Schauspielers, sein Körper, die Live-Situation sind die ältesten Wirklichkeitsbelege, die Antonin Artaud für das „Theater der Grausamkeit“ reanimieren wollte. Diese Leiblichkeit im realen Raum ist die vorzüglichste Eigenschaft des Theaters, im imperialen Kampf um Aufmerksamkeit gegenüber elektronischen Aufzeichnungs- und Verbreitungsmedien eine Nische zu behaupten.
Orgien- und Massakerspiele mögen gut sein, aber
echte Grenzverletzungen, die den Bühnenraum wirklich sprengen, sind
besser. Welche Wirklichkeit inszeniert Beckett? Es wurde gesagt, dass der Dramatiker seine Stücke gegen die Wirklichkeit abdichtet. Der Realismus Balzacs, dessen Wirklichkeitserschließung Karl Marx so sehr bewunderte, war ihm zutiefst zuwider. Bereits die puristischen Bühnenbilder, diese Nichtorte der Leere, signalisieren, dass die Wirklichkeit im „Hier und Jetzt“ auf ein Fast-Nichts geschrumpft ist. Insoweit besitzt diese Wirklichkeit atopischen Charakter, sie findet keinen Ort mehr, oszilliert zwischen verschiedenen Realitätsgraden und ist hüben wie drüben gleich furchtbar. „Jenseits ist... die andere Hölle“, weiß Hamm und definiert damit ein Diesseits, das sich nicht wirklich vom Jenseits unterscheidet. Wirklichkeitsdemontage und Wirklichkeitskonstruktion sind aber keine echten Antinomien, wenn man Francesco de Sanctis folgt, dessen Motto Beckett geläufig war: „Chi non ha la forza di uccidere la realtá, non a la forza di crearla“ (Derjenige, der keine Kraft hat, die Wirklichkeit umzubringen, hat auch keine Kraft, sie zu erschaffen). Beckett kehrt die Wirklichkeitsbeschwörung, die Materialität des späten Theaters um und konstruiert eine illusionsuntaugliche Nichtwirklichkeit. Darin folgt er nach seinem Biograph James Knowlson Demokrits Wissen „Nichts ist wirklicher als Nichts“. Nur ist das „Nichts“ eben nicht als Entität fassbar, es zerstört den Schein, aber entzieht sich zugleich jeder Begrifflichkeit. Bertolt Brecht richtete sich gegen die den Zuschauer einlullende Mimesis, gegen die vorgebliche Theaterwirklichkeit der Illusion. Bei Beckett entsteht der V-Effekt über das Spiel mit dem angeschlagenen Wirklichkeitsstatus der fiktiven Personen und Orte. Die Identifikation mit den clownesken, holzschnittartigen Figuren, mit diesen Schattenexistenzen des Seins ist verstellt. Einfühlung ist unmöglich, auch wenn hier die „conditio humana“ verhandelt wird, bleibt es eine krude Mimesis, die keine Katharsis spendet. Man kann diese Protagonisten nicht lieben oder hassen, weil in ihnen „das Nichts selbst nichtet“ (Martin Heidegger) und schon die Vorstellung eines realen Schicksals metaphysischem Übermut gleich käme. Die Nähe Becketts zu Heidegger ist dabei viel größer, als es Adorno zulassen kann, wenn ihm zufolge die individualistische Position polar zu jedem existenzialistischen Ansatz gehört. Heidegger hat die Auflösung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes geradewegs als zentrales Moment seines ontologischen Verständnisses deklariert. Darin trifft sich Heidegger mit den Zen-Buddhisten, etwa mit Hui-Neng, der die Auflösung des Subjekts mit der Formel „Alles ist Nichts“ kombinierte.
Wo aber Gott nicht ist, wächst die Komik auch Duchamp spielte mit Samuel Beckett Endspiele. Als tendenzieller Profi war Duchamp der bessere Spieler, der ein Schachtheoriebuch (zusammen mit Vitali Halberstadt) „Opposition und Schwesterfelder“ verfasste und an Meisterturnieren teilnahm, die ihm wohl wichtiger wurden als die Kunst, die mit seinem artistischen Spiel ja zum Ende ihrer Geschichte gelangt war. „From my close contact with artists and chess players I have come to the personal conclusion that while all artists are not chess players, all chess players are artists”, erläuterte er 1952 für alle jene, die sein Schweigen für überbewertet hielten.
Wie also Endspiele
spielen, wenn alles schon zu Ende ist? Wird Hamlet auf den Nullpunkt,
wie es Adorno formuliert, heruntergefahren: „Krepieren oder Krepieren,
das ist hier die Frage.“ Solange gespielt wird, auf der Bühne, im
Theater, im Leben, solange wird das Krepieren aufgeschoben, solange muss
gelebt werden, wenn man nicht so stoisch wie folgenlos das Leben selbst
als Sterben bezeichnet. Das „Negativ sinnbezogener Wirklichkeit“
(Adorno) reicht nicht zum wahren Nichts hin, sondern ist eine „tabula
rasa“, die anders, mit komischen, grotesken, absurden, subversiven,
improvisierten Mitteln weiter bespielt werden will. Friedrich Dürrenmatt
beschied der Welt, sie sei zwar grotesk, aber nicht absurd. Zu diesen
Bedingungen muss weitergespielt werden. Es gibt gerade kein letztes
Endspiel, zu dem Adorno Becketts Weltverwerfungen mutieren ließ. Es geht
bei Beckett nicht nur um Spiele, die die Schwundstufe bürgerlicher
Existenzen vorführen, wie es der gesamten Beckett-Interpretation in der
Nachfolge Adornos erschien. Beckett treibt mit Entsetzen Scherz und ist
als genuiner Clown ernst (sic) zu nehmen, ohne dass die Unterscheidung
von „Ernst“ und „Spaß“ noch alten Begriffen folgte. |
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