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Seichte Kost

Barbara von Bechtolsheims Versuch, die Biografie des Paares

Hannah Arendt und Heinrich Blücher zu schreiben
erweist sich
als handwerklich mangelhaft, inhaltlich oberflächlich und spekulativ.

Von Jürgen Nielsen-Sikora
 

Das Buch will die Paarbeziehung von Hannah Arendt und Heinrich Blücher offenlegen sowie den Einfluss des Freigeists Blücher auf das Werk der großen Denkerin nachzeichnen.

Anders als die Rückseite des Schutzumschlags verkündet, wird bei diesem Unterfangen jedoch kein bislang unveröffentlichtes Material verwendet – zumindest beinhaltet die Literaturliste bis auf ein Archiv-Blatt nichts dergleichen: Die Dokumente aus den Archiven des Bard College als auch das Archivmaterial der New School – sollten sie, wie der Danksagung zu entnehmen, für die Bearbeitung des Stoffs in irgendeiner Weise von Relevanz gewesen sein – fehlen in der Literaturliste. Es ist insofern überhaupt nicht nachzuvollziehen, welches unveröffentlichte Material hier zur Geltung gekommen sein soll. Hinweise auf die Archivalien gibt es im Text ebenfalls nicht.

Die Literaturliste ist ohnehin sehr eigenwillig gestaltet: Die Autoren stehen mit den Vornamen voran, teilweise werden statt der Namen aber auch einzelne Titel in die alphabetische Ordnung integriert; und die Kritische Gesamtausgabe der Werke Hannah Arendts taucht allen Ernstes als „Internetquelle“ auf.
Man mag über solche Nachlässigkeiten noch hinwegsehen, doch sie passen sich ins Gesamtbild des Buches ein.

Denn im Text selbst fehlen oftmals Quellenangaben, mitunter auch bei direkten Zitaten wie bei Hans Jonas' Trauerrede kurz nach Arendts Tod. Auch Joe Bidens Brief an Arendt 1975 kommt ohne Quelle aus. Wo genau Arendt den Schriftsteller Walter Benjamin als „Perlentaucher“ bezeichnete, bleibt ebenfalls ein Geheimnis.

Arendt und Blücher werden durchgängig bei ihren Vornamen genannt. Grund sei, dass sie hier als Paar begriffen werden. Man muss das vielleicht nicht verstehen. Ebenso wenig wie die zahlreichen Wiederholungen, Redundanzen, die Allgemeinplätze und Banalitäten, die das Buch durchziehen.

Doch es tauchen auch inhaltliche Fehler auf. Da ist die Rede von der 27-jährigen Arendt und dem 34-jährigen Blücher, obwohl sie sich in dem Alter noch gar nicht kannten; die Beziehung zwischen Arendt und Heidegger dauerte, heißt es, „ein halbes Jahrhundert“ an. Was bedeutet in diesem Zusammenhang wohl „Beziehung“?
Auch Zahlen und Zeiten geraten durcheinander: So verschmelzen Heideggers Begeisterung für den Nationalsozialismus und der Tod Walther Rathenaus zu einem parallel verlaufenden Ereignis.

An anderer Stelle des Buches steht sodann: „Im September 1946 kann sie [Arendt] mit Scholem ihre Freude darüber teilen, dass Schocken Books Benjamins gesammelte Essays herausgeben will …“ Erst ganze 25 Seiten später wird darüber aufgeklärt, dass daraus nichts geworden ist, verschwiegen werden jedoch weiterhin die Rollen von Siegfried Unseld und Theodor W. Adorno bei diesem Projekt. Adorno gab immerhin die Schriften Benjamins 1955, Unseld die Illuminationen 1961 heraus. Erneut wirbeln Zahlen und Zeiten in dem Zusammenhang wild umher und stiften Verwirrung.

Warum lässt sich darüber hinaus ein Buch, das die Paarbeziehung von Arendt und Blücher zum Thema hat, auf 25 Seiten zur Beziehung Arendts zu Heidegger und Anders aus?
Wozu die langen Exkurse zu Walter Benjamin und anderen?

Falls das Buch durch ein Lektorat gelaufen ist, bleibt zu fragen, warum Sätze, die überhaupt keinen Sinn ergeben, stehen geblieben sind. Ein Beispiel: „Inwiefern Blücher tatsächlich Ressentiments gegen Juden hatte, wissen wir nicht, aber zumindest beweisen seine Ehe mit der Jüdin Natascha Jefroykin und die Freundschaft mit Robert Gilbert das Gegenteil.“

Das Buch wirkt insgesamt sehr oberflächlich und spekulativ, nicht zuletzt etwa der Vergleich der „Banalität des Bösen“ mit dem Sturm aufs Capitol.
Oder aber es ist kitschig, so die Auflistung der Kosenamen oder die Zitate, in denen vom „Liebsten“ und den eins seienden Herzen die Rede ist. Ein Satz spiegelt vielleicht ganz gut das Niveau des Buches wider: „Als Hannah und Heinrich sich finden, liegen romantische Beziehungen hinter ihnen, die wie Kontrastfolien für ihre Ehe wirken.“

Man muss das nicht lesen, es sei denn, man nimmt nicht alles so genau und ernst – und ist ein wenig romantisch veranlagt.

Artikel online seit 10.07.23
 

Barbara von Bechtolsheim
Hannah Arendt und Heinrich Blücher
Biografie eines Paares
Insel Verlag
311 Seiten
25,00
978-3-458-64297-8

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