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Schweigsam und schlaflos

Laura Freudenthaler beschreibt in ihrem dystopischen Roman »Arson«
wie eine Generation an den Verheerungen unserer Umwelt seelischen
Schaden nimmt.

Von Gregor Keuschnig
 

Bereits beim Bachmannpreis 2020 zeigten sich die Juroren von Laura Freudenthalers Prosastück 'Der heißeste Sommer' beeindruckt. Keine geringeren Referenzen als Marlen Haushofer und Ingeborg Bachmann wurden genannt. Den Hauptpreis gewann dann die eher konventionelle Erzählung von Helga Schubert. Drei Jahre später liegt nun mit Arson so etwas wie die ganze Geschichte, der ganze Roman, vor. Wobei man einzelne Szenen wiedererkennt, die jedoch zusammen mit anderen, neuen Motiven, verwoben wurden

Da ist zunächst die Ich-Erzählerin, eine Reporterin, beschäftigt mit "toxische[n] Algenblüten von enormen Ausmaßen" und dem "Massensterben von Fischen." Sie scheint am Beginn einer Depression, kann nicht mehr schreiben, vermisst ihre Träume, hat stattdessen Wach-Halluzinationen, bespricht sich mit ihrer Freundin Andrea, erhält jedoch keine Hilfe, später sogar Ablehnung. Auch Andrea hat Probleme. "Lauter verletzte Kinder" heißt es einmal eher beiläufig, aber treffend.

Sie lernt dann irgendwann Ulrich kennen, einen Wissenschaftler. Er beschäftigt sich mit Waldbränden "seit er auf der Welt ist". Es ist eine ambivalente Faszination: "Schauen, wo es brennt, und das Adrenalin ins Blut bringen, um zu atmen." Und durch das schier ununterbrochene, gebannte Schauen auf die überall flimmernde Zeichen, farbige Rechtecke, "die sich in diesem Maßstab zu großen Flächen verbinden und ganze Gegenden, Landstriche, halbe Kontinente bedecken" und Tabellen mit unzähligen Daten auf dem Computer. Aber Ulrich ist darüber der Schlaf abhanden gekommen. Er besucht eine Schlafforscherin. Die Begegnungen zwischen ihm und der "Konsultantin" sind nicht ohne Konfrontation; Ulrich ist ein schwieriger Patient. "Die Konsultantin verwendet den Begriff misconception."

Die Ebenen im Roman überlagern sich zusehends. Hier Ulrich mit Computer und seinen Schlaftabletten, in den Fängen der von der Konsultantin oktroyierten Schlaf-Aufzeichnungen (es gibt sogar einen seitenlangen Auszug). Und dort die rastlose Ich-Erzählerin, mehrmals den Wohnsitz wechselnd, zeitweilig im Wald campierend. Flirrende Sommerhitze und zunehmende Wasserknappheit. Schließlich stürzt die Erzählerin zu Boden, verletzt sich an den Lippen. Sie kann nicht mehr sprechen. Die Schweigsame und der Schlaflose, ausgeliefert in einer sich apokalyptisch verändernden Welt, die trotz aller Technik nicht mehr kontrolliert werden kann: "Kein Mensch kann all die Messungen überblicken, nicht mental, und auch physisch wären sie nicht in ihrer Gesamtheit darstellbar". Einmal lässt Ulrich in der Nacht "sämtliche Drucker im Institutsgebäude laufen" Am nächsten Morgen ist das Zimmer "dick mit Papier bedeckt."

Ulrich wird zum anthropozänen Prometheus, dem nicht mehr jeden Tag die nachwachsende Leber herausgerissen wird, sondern der schlaflos, mit Brandnarben am ganzen Körper, vor seinem Computer sitzt und die ökologische Vernichtung der Welt zu ertragen hat. Zwar wird als Ursache Brandstiftung ausgemacht, aber die Brände gehen tiefer als sonst, sie sind unlöschbar, der Wald "wird nicht nachwachsen, es ist eine uralte Landschaft, die hier untergeht." Ein unerklärliches Phänomen. Passend dazu ist die Erzählerin zum Schweigen verdammt. "Ein wenig können wir hierbleiben, lange wird es nicht halten", so lautet der vorletzte Satz.

Laura Freudenthaler vermeidet viele ausgeleierte Klischees, die man häufig in Dystopien findet. Stattdessen wird in einer Mischung aus vager Endzeitstimmung, Krankheit, Depression und Mystik erzählt, vorgebracht in ruhigem, bisweilen somnambul anmutenden Sound. Der Roman ist fast ein einziger, monolithischer Block. Der Leser soll nicht aufschauen, soll, wie Ulrich, wach, stets im Bild bleiben. Es dauert ein wenig, bis sich ein Sog einstellt, nicht zuletzt weil die Erzählpositionen zwischen Ich-Erzählerin und Ulrichs personaler Erzählinstanz häufig wechseln. Eine herausfordernde, aber lohnende Lektüre.

Artikel online seit 11.09.23
 

Laura Freudenthaler
Arson
Jung und Jung
256 Seiten
24,00 €
978-3-99027-287-9

 

 


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