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Zwei Träumende ...

... unter dem Druck der Vergangenheit.
Zum Briefwechsel zwischen Reinhart Koselleck und Carl Schmitt 1953-1985


Von Wolfgang Bock

 

Grossraumtraumzeit und kein Kriegsende in Sicht
Reinhart Koselleck (1923-2006) erweist sich in allen Belangen als ein gelehriger Schüler Carl Schmitts (1888-1985), der ihm bald zu einem gleichrangigen Gesprächspartner wird. Der erste Brief setzt ein mit einer selbstbewussten Reflexion Kosellecks über den Besuch bei Schmitt in Plettenberg am 12. Januar 1953. Da wohnt dieser noch beengt bei seinen beiden Schwestern und hat ihn in seinem Arbeitszimmer übernachten lassen. Die Bereiche Traumschlaf und Bücher fallen hier zusammen. Beide unterhalten sich in den ersten Briefen über Kosellecks sich noch im Werden befindliche Doktorarbeit Kritik und Krise in Heidelberg. Schmitt gibt ihm väterliche Ratschläge und diskutiert mit ihm alle Aspekte der Konzeption durch. Koselleck wiederum macht sich anheischig, in der Kontinuität von Schmitts Nomos der Erde (1950) die Machtsituation zwischen dem europäischen Ancien Regime auf der einen und der Aufklärung und der Revolution auf der anderen Seite zu beurteilen. Es ist danach ein Kampf um die Nahme, d.h. den Willen zur Macht, sich zu nehmen, was man besetzen kann.[1] Werte, Recht, Soziologie und die Kultursphäre im Allgemeinen bilden nur Epiphänomene dieses Kampfes. Ein solcher europäischer Bürgerkrieg erfolge auf der Grundlage des Alten Reichsidee in Einheit von Politik und Religion, die auch in säkularen Staaten sich noch nachweisen ließe. Machtpolitisch gesehen ist die Lage in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg für die geschlagenen Männer mit Ambitionen miserabel, was aber gerade darum Träume von der Macht befeuert. Einhellig reden Schmitt und Koselleck über die Zeit nach 1945 von der „Katastrophe des Untergangs“, nicht von einer Befreiung (Koselleck: „Ich war weder Opfer noch befreit“). Historisch betrachtet ist diese Lage aber nicht unbekannt. Man möchte wie nach dem Ersten Weltkrieg erneut auch aus der zweiten Niederlage gestärkt hervorgehen, wie Phoenix aus der Asche. Einer solchen Überwindung galt Schmitts Streben nach dem Ersten Weltkrieg und Koselleck nimmt diese im Elternhaus auf. Beide Briefschreiber sind sich einig, dass die Epoche der Weimarer Republik auch jetzt noch nicht zu Ende sei, sondern noch andauere. Doch dieses Mal funktioniert es nicht und beide sterben darüber hin, sie wollen die Idee aber nicht aufgeben.

Sich überschneidende revanchistische Kreise
Hier haben sich also zwei gefunden und verweisen gegenseitig auf ihre Netzwerke: der Katholik Carl Schmitt auf Armin Mohler, Ernst Jünger, Ernst Niekisch, Arnold Gehlen, Hans Freyer und die Leute, die er in den fünfziger Jahren in Deutschland aus einer Tätigkeit als NS-Jurist noch kennt; der Protestant Reinhart Koselleck dagegen auf das Netzwerk seines Vaters Arno (1891-1977) als Geschichtsdidaktiker und Leiter der pädagogischen Akademien in Kassel, Saarbrücken und nach dem Krieg in Hannover. Dazu gehören in Heidelberg neben Alfred Weber, Hans-Georg Gadamer, Martin Heidegger, Werner Sombart, Hans Robert Jauß auch Johannes Kühn, der Doktorvater Kosellecks (und zugleich sein Pate), mit ebenfalls entsprechenden Ansichten.[2] Kühns Nachfolger auf der Professur wird 1957 Werner Conze (1910-1986), bei dem Koselleck sich habilitiert 1967 und an dessen Lexikon geschichtlicher Grundbegriffe er maßgeblich mitarbeitet. Auch Conze war Mitglied der SA und der NSDAP, beteiligt am Generalplan Ost mit dem Ziel der „Entjudung Polens“. Nach dem Krieg hielt er sich mit Äußerungen wilden Rassismus zurück, arbeitete für die Organisation Gehlen und gelangte als Professor und später Rektor wieder in Amt und Würden. Beide Kreise zusammen ergeben ein Who's who der rechten Szene im Nachkriegsdeutschland.[3] Der Krieg und seine Propaganda in den Herzen und Köpfen seiner Protagonisten war offenkundig noch nicht zu Ende. Bei den Historikern und den NS-Tiefenpsychologen haben sich die Träume und Phantasmen des Sieges und der Revanche unter dem Deckmantel einer positivistischen Faktenhuberei wohl von allen Berufsgruppen am längsten gehalten. Die einen schieben die eigene Schuld in die Vergangenheit, die anderen den Patienten zu. So verbleiben sie bis zum St. Nimmerleinstag im Traumreich der Phantasmagorien. Schmitts Nomos der Erde wiederholt so die alten Ziele und Methode in Zeiten der Dunkelheit nach der Niederlage. In einer solchen Atmosphäre treffen der 62-jährige Schmitt und der 27-jährige Koselleck 1950 aufeinander. Sie trennen 35 Jahre, aber zwischen ihre grundsätzlichen Ansichten, die offenkundig älter sind, passt anscheinend kein Blatt.

Ein Zeugnis der Aufklärung. Zur Aktualität der Briefe
Die Bedeutung des Briefwechsels liegt darin, das deutlich zu machen. Die über hundert Briefe aus dreißig Jahren Korrespondenz sind übersichtlich geordnet und kenntnisreich und nüchtern kommentiert. Ein Materialteil u.a. mit Faksimile einiger Manuskripte und einem Nachwort des Herausgebers Jan Eike Dunkhase schließt die gelungene Edition ab. Die beiden Briefeschreiber begleiten sich gegenseitig durch ihr persönliches Leben. Koselleck lernt Schmitt 1950 in Heidelberg in schwerer Zeit kennen, als dessen zweite Frau dort den Aufenthalt in der Klinik nicht überlebt. Er besucht Schmitt ab 1953 gut Zweidutzend Mal im Sauerland und kondoliert im letzten Brief vom 20. November 1983 zum Tode seiner Tochter Anima, die damit zwei Jahre vor ihrem Vater stirbt. Schmitt wiederum begleitet Kosellecks Heirat und die Geburt der fünf Kinder mit Grüßen und Geschenken. Beide schicken sich Fotos und Postkarten hin und her. Den größten Raum aber nehmen die gegenseitigen Stellungnahmen zu ihren Arbeiten und entsprechende Büchersendungen ein. Koselleck findet in Schmitt einen Vaterersatz, was u.a. in seinem Brief an Schmitt vom 31. Dezember 1977 deutlich wird, wo er ihm vom Tod des leiblichen Vaters berichtet. Schmitt erkennt in dem Jüngeren dagegen den Protagonisten einer neuen, aufstrebenden Schülergeneration. Durch den Kontakt mit Koselleck nimmt der isolierte Schmitt am akademischen Betrieb Anteil. Koselleck führt ihm auch weitere junge Studenten zu, die bald eine neue Schülerschar bilden. Zu dieser gehört unter anderen der spätere Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Ernst-Wolfgang Böckenförde. Man trifft sich persönlich auf Ferienseminaren im oberfränkischen Ebrach, die von Schmitts Schüler Ernst Forsthoff (1902-1974), nun Professor für Staatsrecht in Heidelberg, organisiert werden, wie auch in der Arbeitsgruppe Poetik und Hermeneutik, deren Bände der Fink-Verlag dankbar publiziert. Koselleck schickt Schmitt auch die Ausgaben der erscheinende Lexikonbände aus dem Projekt mit Conze. Die Sonderdrucke und Exemplare wandern mit Widmungen hin und her.

Einig gegen die Aufklärung. Die Briefe der Fünfzigerjahre
Die Themen der Korrespondenz gestalten sich übersichtlich. In den Fünfzigerjahren diskutiert Schmitt mit Koselleck dessen Doktorarbeit genau; von ihm stammen Zuschnitt und Titel (den Untertitel Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt steuert Victor von Weizsäcker bei). Derweil arbeitet Schmitt an seinem Hamlet-Vortrag und bringt das Buch über Land und Meer heraus. Es sind Studien zur Melancholie des Besiegten ebenso wie der Aufrechterhaltung des Luftreichs einer „weltumspannenden Großraumordnung“ unter deutscher Vorherrschaft. Diese ist gegen die Landmächte Russland und Frankreich ebenso gerichtet wie gegen die Seemächte Amerika und England. Koselleck arbeitet als Lektor zwei Jahre in Bristol und versorgt den bewunderten Professor mit entsprechender Lektüre für seine Studien über Hobbes und Hamlet.

„Wir waren begeistert.“ Die Briefe der Sechziger- und Siebzigerjahre
In den Sechziger- und Siebzigerjahren steht auf Schmitts Seite dessen Buch über den Partisanen und ein Aufsatz über Clausewitz im Mittelpunkt, zu dem er von Koselleck mit Material bedacht wird. Koselleck habilitiert sich 1967 in Heidelberg mit einer Arbeit über Preußen nach dem Wiener Kongress und findet sich nach mehreren Zwischenstufen – jeweils beraten von Schmitt und seinem eigenen Netzwerk – schließlich als Professor der neu gegründeten Gesamthochschule Bielefeld wieder. Die Aufsätze Kosellecks, die später in den Büchern Vergangene Zukunft (1989), Vom Sinn und Unsinn der Geschichte (2010) oder Geronnene Lava (2023) zusammengefasst erscheinen, werden wie immer gründlich durchgesprochen und von Schmitt mit Kommentaren und Hinweisen versehen.[4] Koselleck bewegt sich darin weiter im Horizont von Schmitts Urphänomen der Politik, wie dieser sie als Freund-Feindverhältnis im Begriff des Politischen 1927 entworfen hatte.[5] Die Propagandaschrift des rechten Bürgerkriegs gilt Koselleck gleichwohl als ultima ratio jeder Ansicht der Geschichte. In diesem Zusammenhang weist er auch die Vorstellung einer Kausalität oder einer psychologischen Logik in der Geschichte zurück. An ihre Stelle will er einen der postmodernen Konstruktion nicht unähnlichen Okkasionalismus des Geschehens setzen. Praktisch dient ihm das dazu, die konkrete Genese des NS prinzipiell abzulehnen. Dennoch hält Koselleck an einer Idee der Prophetie in der Geschichte fest, wie diese beispielsweise von Rousseau als negative Utopie beschrieben worden ist. In dem Zusammenhang gilt sein Interesse der frühen antiutopischen Glosse Carl Schmitts, Die Buribunken von 1918, die eine entsprechende Geschichtsphilosophie aufs Korn nimmt. Flankiert wird eine solche Haltung durch die Konstruktion einer hypostasierten „primären Erinnerung“, welche von ihm gegen eine nur angelesene oder gehörte Zweitstruktur gesetzt wird. So kann Koselleck die eigenen Erinnerungen als Kriegsgefangener der Russen gegen die Erzählungen von der Vernichtung in Auschwitz setzen und dennoch an seinem Weltbild festhalten, ohne dass das außerhalb des Kreises der Eingeweihten allzu offensichtlich würde.

Erfolgreiches Tarnen
Freilich hatte bereits Carl Schmitt in seinen Veröffentlichungen und in seinen weiteren Äußerungen Maßnahmen ergriffen, um nicht von „feindlich Eingestellten“ umstandslos als Revanchist und Neonazi erkannt zu werden. Er gehört zur Gruppe der sogenannten Edelnazis, die unter einer Amalgamierung von Bildung und Elite gegenüber der Masse ihre Ideen weitertrieben. Hitler war für Schmitt offiziell ein Versager, der die Realisierung der Revolution, die er mit seinem Nomos und der völkerrechtlichen Verteidigung des Angriffskrieges gegen Polen und England anstrebte, verpatzt hatte. Er selbst identifizierte sich mit Hamlet und dessen realem Vorbild, dem britischen König James I (1566-1625), dann aber will er sich in dem Antlitz einer Figur des Propheten Daniel in der Kirche von Santiago de Compostela wiedererkennen, wie er Koselleck schreibt. Dort hielt er sich häufig bei seiner Tochter auf, die einen spanischen Historiker geheiratet hatte. Die Gegenrevolution ist international. In der „Todeswoche Francos“ 1975 überlegt er schon mal mit Koselleck zusammen, wie die Macht in neu gestifteten Monarchien wie in Spanien erhalten werden könne (S. 277f). Auch Koselleck gibt sich selbst ein polyglottes Image: In den siebziger Jahren knüpft er Verbindungen in viele Länder, erhält Gastprofessuren in Japan und New York, Paris und Chicago. Doch wenn man seine Schriften genauer liest, wird klar, dass er nicht im Traum daran denkt, den Bannkreis des Schmittschen Denkens zu verlassen.

Halbherzige späte Abgrenzung
Die Briefe sprechen in der Hinsicht eine deutliche Sprache, auch wenn Koselleck selbst in dem Materialteil abgedruckten Interview mit Klaus Peppel vom 14. März 1994 sich den Anschein gibt, von diesem abzurücken. Dieses „Abwenden“ folgt einem bestimmten Muster, wonach vordergründig die Beziehung relativiert, im Nachsatz aber weiterhin bestätigt wird. So will er Schmitts wilde antisemitische Ausfälle 1936 erst spät wahrgenommen und es sich zugutehalten, dessen Freund-Feind-Schema anders akzentuiert zu haben. Den Artikel „Der Führer schützt das Recht“, mit dem Carl Schmitt 1934 in der Deutschen Juristenzeitung die Morde Hitlers an Ernst Röhm und der SA gutgeheißen hatte, möchte er „mit einem Akzent auf dem Recht“ lesen: Da habe Schmitt versucht, Hitlers Handeln wieder zurück in die Legalität zu bringen. Das muss man nicht glauben. Koselleck ist und bleibt Schmittianer. Beide bewegen sich, soweit das überhaupt zwischen zwei deutschen Männern der Fall sein kann, die durch eine Generation getrennt sind, auf Augenhöhe. Jeder von beiden trägt von sich aus das Seinige gegen die Aufklärung und zu der großen Sache der Gegenrevolution bei. Genau das legen die Briefe offen.

Auf deutsch gesagt
Dagegen hilft es wenig, dass der Herausgeber des Briefwechsels Koselleck in eine Distanz zu Schmitt zu rücken sich redlich bemüht. Dunkhase zitiert am Ende des Nachworts den Dankesbrief Kosellecks zu Schmitt 90. Geburtstag vom 25. Juli 1978. Darin bringt dieser ihr gemeinsames Vorhaben nochmals zusammengefasst auf eine bündige Formel. Dunkhase lässt diesen dann aber, obwohl er sonst der Autor vieler kluger Anmerkungen der Briefe ist, unkommentiert ausklingen:

Sehr verehrter Herr Professor Schmitt, […] Sie sagten bei meinem letzten Besuch, daß Sie sich als letzten Theoretiker des modernen Staates verstünden, der einer vergehenden Epoche angehört. Ich fürchte, Sie haben nur allzu recht. Nach dem Kriege zielte die ganze Anstrengung der Heimkehrer auf eine nicht utopische Politik, deren Vorbild jenseits des Nationalsozialismus zu finden sei. Aber wer bietet Schutz vor den weltweiten Erlösungsversprechungen, deren Folgen vorhersehbar sind?

Das aber heißt nichts anderes, als dass beide Briefschreiber sich unverbrüchlich in ihrem Antikommunismus einig sehen.

Die Rückkehr der Reiterei. Synchrone Motive in diachroner Zeit
Solche Sätze kehren heute wieder aus dem Munde der Alexander Gaulands, Hubert Aiwangers und Bernd Höckes. Es sind synchrone Motive einer Büchse der Pandora, die anscheinend durch die Zeit reisen und sich, ohne sich an eine Chronologie zu halten, erneut öffnen. In diesem Sinne stimmt Kosellecks These von der Okkasion und der Unableitbarkeit der Geschichte: Schmitts Antisemitismus hat ebenso wenig wie seine rassistische Einteilung des Freund-Feind-Schemas einen realen Grund.[6] Es handelt sich um das Echo einer alten Propaganda, die die heutigen Protagonisten mimetisch nachsprechen. Dagegen besitzt Carl Schmitt den doppeldeutigen Vorzug, sie als eine Art Vorreiter der Faschisten in die Welt gesetzt zu haben. Bürgerlicher Selbsthass heißt das zuweilen auch in Anlehnung an ähnliche Tendenzen bei Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche. Reinhard Koselleck befindet sich da mittendrin, ist aber eine Figur des Übergangs. Er zeigt eine Vorliebe für Reitermetaphern. Bereits am Ende der 1930er Jahre bei der „Reitenden Hitlerjugend“ in Saarbrücken pflegte er diese Vorliebe. Er verwendet später die Bezeichnung „Sattelzeit“ für die Epoche von 1750 bis 1850 und sammelt Fotos von Krieger- und Reiterdenkmälern in seinem Archiv. Auf ihn als Person trifft daher eine andere Metapher im Umkreis des Marstalls zu, die des Steigbügelhalters. Im Briefwechsel mit Schmitt wechselt die Asymmetrie von Reiter und Diener ihre Richtung. In Wirklichkeit sitzen beide auf der alten Mähre des Heiligen Römischen Reiches Deutschen Nation, die sie in der modernen Form des Kommandostaates retten wollen. Sie aber wollen das Pferd und seine Welt in den offenen Heimlichkeiten ihrer Begriffe erneut im Weltenbrand des Krieges zuschanden reiten. Die vage Hoffnung des Kritikers auf Besserung richtet sich auf die junge Historikergeneration, dieses Pferd und diese Herrenreiter stehenzulassen und den Mut aufzubringen, auf eigenen Füßen weiterzugehen. Es ist die einzige Möglichkeit, um die selbstverschuldete Unmündigkeit der Alten zu überbrücken, um damit auch diese postum von ihrem Trotz zu befreien, der an ihnen klebt, sobald sie Ich sagen. Der Traumschlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.

[1] Aus den Anmerkungen: „‘Nehmen —Teilen — Weiden‘: Im ‚Nehmen‘ (Landnahme), ‚Teilen‘ (Verteilung) und ‚Weiden‘ (Produktion) sieht Schmitt die drei Bedeutungen des griechischen Verbums ‚Nemein‘, das dem gewöhnlich als ‚Gesetz‘ übersetzten griechischen Hauptwort ‚Nomos‘ zugrundeliegt, und zugleich die Grundkategorien des menschlichen Zusammenlebens.“ (S. 123) In diesem Sinne wirkt Schmitt auch als Anreger von Kosellecks Arbeit am Lexikon Geschichtliche Grundbegriffe.

[2] Kühn hatte in einem ausführlichen Brief an Carl Schmitt vom 19. Februar 1941 seine Übereinstimmung mit dessen Aufsatz „Raum und Großraum im Völkerrecht“, in: Zeitschrift für Völkerrecht 24 (1940) kundgetan: „Ich denke, was wir heute in Europa und der halben Welt erleben, ist der alte Kampf Patriziat-Plebs, nur ins Globale und Universale gesteigert. Die Plebs, die Demokratie, hat Chancen, die sie früher nicht hatte: die Fülle von Technik und Organisation jeder Art, materiell wie geistig. Aber sie hat auch Schwierigkeiten, die sie früher nicht hatte: die Unendlichkeit und Unübersehbarkeit der Menge und der Räume. Auch bei unserer Revolution wird alles darauf ankommen, ob die Homogenität — Ihr Wesensbegriff— wenigstens annähernd erreicht wird.“ (Koselleck, Schmitt, Briefwechsel, S. 260) Hier ist von dem Projekt „unserer Revolution“ die Rede. Das scheint mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges keinesfalls begraben zu sein.

[3] Vgl. Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main: Fischer 2003.

[5] Vgl. Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. In: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik. Bd. 58 (1927), S. 1-33 und Reinhart Koselleck, „Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe“ (1975), in: ders., Vergangene Zukunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, S. 211-259.

[6] So berichtet Ralph Giordano, dass er, als die Nazis in der Schule Juden und Arier trennten, zuerst bei jenen stand. Warum sollte er sich von seinen Freunden trennen lassen? Das Freund-Feind-Schema folgt der animistischen Logik des Blutes und der Rackets. Es trennt die Jets von den Sharks wie die Clans der Montagues und der Capulets bei Romeo und Julia. Daraus ein überhistorisches Prinzip machen zu wollen, ist eine zentrale Phantasmagorie der Konservativen Revolution.

Artikel online seit 24.10.23
 

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Briefwechsel 1953-1985 und weitere Materialien
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weitere Bücher:

Reinhart Koselleck
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Texte zu politischem Totenkult und Erinnerung
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Siehe auch unseren Beitrag:

Ein Begriff der Geschichte mit Schlagseite zum Bürgerkrieg
Reinhart Koselleck wiedergelesen.
Von Wolfgang Bock
Text lesen
»Die Texte entstanden aus den damaligen Debatten und sind heute selbst historisch. Sie weisen eine deutlich konservative Physiognomie und Hartleibigkeit auf, die bis ins Lager der Holocaustleugner reicht.« Leseprobe & Infos

 

 

 


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