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Menschliche Bestialität

Hans Joachim Schädlichs letzte Kurzprosa-Sammlung

Von Wolfram Schütte
 

Sein jüngstes Buch hat der achtundachtzigjährige Hans Joachim Schädlich »in memoriam« einem ehemaligen Kollegen aus der Zeit gewidmet, als der junge Schädlich auf der »Arbeitsstelle für strukturelle Grammatik« der (Ost)Berliner Akademie der Wissenschaften arbeitete, die er quasi automatisch verlor, nachdem er seine erste Sammlung von Erzählungen im westdeutschen Rowohlt-Verlag 1977 publiziert hatte. Wenig später verließ Schädlich die DDR.

Der Titel »Das Tier, das man Mensch nennt« entstammt einem Brief des großen Jonathan Swift, der darin seinen Hass & seine Verachtung für das Menschengeschlecht formuliert, wenngleich er jedoch einzelne Menschen durchaus liebe. Solche fundamentale Misanthropie steht einem deutschen Autor wohl an, der in seinem ersten Roman »Tallhover« (1986) dem gleichnamigen Typus des Denunzianten & Zuträgers der jeweils herrschenden Macht eine überzeitliche Existenz angedichtet hat. Damals ahnte Schädlich noch nicht einmal, was nach dem Ende der DDR ihm erst bekannt wurde – nämlich, dass es der eigene Bruder war, der ihn für die Stasi bespitzelt hatte!

Wenn es eine Steigerungsform von Lakonie in der Literatur gäbe, wäre Hans Joachim Schädlich ihr solitärer Meister – zumindest bei den vier Dutzend Kurz-& Kürzestgeschichten, die unter Swifts Menschheits-Verachtungsworten versammelt sind. Man spürt nicht nur, sondern ist auch als Leser Nutznießer des grimmigen Vergnügens, das dem Autor der virtuose Gebrauch unterschiedlicher Darstellungsformen gemacht hat – um das Erschrecken oder die Irritation über die Taten & Tätlichkeiten des Tiers, das man Mensch nennt im Umgang mit seinesgleichen, künstlerisch zu »bannen«.

Den ästhetischen Reichtum seiner literarischen Minimal Art beim Eindampfen oder Skelettieren der ursprünglichen Vorlagen oder Fakten stellt uns der Autor mit sardonischem Pokerface vor Augen. Zumeist scheint er Belegstücke für die Swiftsche Misanthropie gesammelt zu haben. Hans Joachim Schädlich sucht sich die Beispiele für sein Pitaval sowohl im Mittelalter als auch im 19. & 20. Jahrhundert, wobei letzteres durch die ideologischen Verbrechen des Stalinismus & des Nationalsozialismus besonders grauenhafte Zeugnisse hinterließ.

Deshalb stellt der Autor das Stück »Die Nacht der Poeten« an den Beginn seiner Sammlung, weil sich darin die Spezifika der beiden Systeme im gemeinsamen eliminatorischen Antisemitismus durchdringen (& es sich bei den Opfern  um seinesgleichen Literaten handelt): »Der Pockennarbige ließ die schweinsäugige Halbglatze rufen und befahl, die Schriftstellerjuden auszurotten.(…) Schweinsauge legte am nächsten Tag eine Liste mit dreizehn Namen vor. (…) >Das ist doch nicht alles! <, sagte der Pockennarbige. Schweinsauge sagte: >Die berühmtesten. Eine erste Charge. Es sind Übersetzer dabei, ein Schauspieler, ein Arzt und ein Ex-Stellvertretender Außenminister.<«

Das zweieinviertel Seiten lange Stück, das die Verhaftung, Folterung & Erschießung der namentlich Genannten 1952 summiert, endet mit der Erwähnung ihres Mörders: »Von 1924 bis zum Tod des Pockennarbigen im März 1953 war die Ermordung von Häftlingen Blochins Geschäft. Nebenbei nahm er an Fernkursen des >Instituts zur Erhöhung der Qualifikation ingenieurtechnischer Arbeiter< teil. Bei den Erschießungen trug Blochin eine lederne Metzgerschürze, um seine Uniform vor Blut- und Gehirnspritzern zu schützen. Er schoss mit einer deutschen Walther-Pistole, weil die bei ständigem Feuer nicht klemmte.«

Jede der hier zuletzt pointierten Mitteilungen über den staatlichen Killer verdichtet den nackten Bericht eines antisemitischen Auftrags-Mordes ins monströs Groteske. Schädlich hat aber bei »Der Nacht der Poeten« – abweichend von seiner sonstigen realistischen Darstellungsmethode im Buch – von Anfang an sprachlich auf die Groteske gesetzt, indem die beiden handelnden Personen nicht mit Namen (Stalin & Berija) genannt, sondern als »der Pockennarbige« & »die schweinsäugige Halbglatze« zu Protagonisten der Hässlichkeit gemacht werden.

Folgt Schädlich damit dem jüdischen Fluch: »Nicht gedacht soll Deiner werden«? Es würde die Metaphorisierung Stalin/Berijas ebenso erklären wie die namentliche Nennung der erschossenen jüdischen Opfer, derer gedacht (i.e. erinnert) werden soll.

Gleichwohl ist Schädlichs »Die Nacht der Poeten« als literarische Paraphrase eines realen spätstalinistischen antisemitischen Verbrechens nur erkennbar, wenn man die ihm zugrunde liegende Faktizität kennt.

Wahrscheinlich lockt einen aber das Swift-Zitat auf die falsche Fährte. Denn keineswegs lassen sich die meisten der hier versammelten »Anekdoten« – um mit Kleists Terminus aus seinen »Berliner Abendblättern« zu sprechen« - unter das Swiftsche Motto stellen. Es sei denn, Schädlich habe beabsichtigt, z. B. die äußerste, klinische Bestialität, die es unter Menschen ja auch gibt, darzustellen, wie in der »Kurzfassung (der Haarmann-Morde) oder in »So oder ähnlich« (über den sowjetischen Blutsauger Sukletin).

Vor deren düsterem Hintergrund wirken dann andere Stücke wie Palliative, z.B. »Der Sandwich-Insulaner«, »Armenkönig« oder erst Recht das längste Stück des Bandes, »Karl Ditters«, worin der arme Musikus Ditter von Dittersdorf von dem großzügigen Christoph Willibald Gluck auf eine Italienreise mitgenommen & mit den musikalischen Koryphäen der Zeit bekannt gemacht wird. Schädlich hat diese menschenfreundliche Episode aus der Autobiographie Ditter von Dittersdorfs im Wechsel von wörtlichem Zitat & Resümee gestaltet. Ob & wenn nach welchem Ordnungs-Prinzip die rund fünfzig Stücke zusammengestellt sind, ist mir nicht erkennbar geworden.

Hans Joachim Schädlichs Sammlung lakonisch reduzierter menschlicher Merkwürdigkeiten wird ausgeläutet von einem komischen Beschwerdebrief des Lesekreises »Das gute Buch« an die »Leitung der VHS Weilburg«. Moniert wird darin, dass auf einer Schriftstellerlesung »unanständige Ausdrücke« (wie »pissen, furzen, ficken«) gefallen waren & empfohlen wurde: »Man sollte den Mund des Herrn Schriftstellers mit Kernseife auswaschen«. In den »Anmerkungen« dazu wird an den Deutschnationalen Reichstagsabgeordneten Reinhard Mumm erinnert, der 1927 zu den Initiatoren des »Gesetzes zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften« gehörte, gegen das die großen Autoren der Weimarer Zeit  Sturm gelaufen waren. Wahrscheinlich hat Schädlich bei einer seiner Lesungen heute dergleichen Missfallen auch erlebt. Nicht nur Tallhover überdauert die Zeiten, sondern offenbar auch die Mumms, die das »gute Buch« gegen Schund & Schmutz verteidigen.

Artikel online seit 03.04.23
 

Hans Joachim Schädlich
Das Tier, das man Mensch nennt
Rowohlt-Verlag
157 Seiten
23,00 €
978-3-498-00232-9

 

 


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