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Bücher in Flammen

Zum 90. Jahrestag der Nazi-Bücherverbrennung erscheint im Wallstein Verlag
Jürgen Serkes epochales Werk »Die verbrannten Dichter.

Von Helmut Ortner
 

Die Szenerie ist sorgfältig geplant, nichts war dem Zufall überlassen worden: Fackeln waren verteilt worden, auf Kommando zieht die auf mehrere tausend Menschen angewachsene Menge los, vorneweg Professoren im Talar, dahinter NS-Studierende, SA, SS, Burschenschaften und Hitlerjugend. Über das Oranienburger Tor geht es zum Reichstag, dann durchs Brandenburger Tor zum Opernplatz, Auf dem Platz ist ein Holzstoß aufgeschichtet worden. Feuerwehr steht mit Benzinkanistern bereit. Nun karrt ein Lastwagen mehr als 20.000 Bücher herbei. Dann fliegen die ersten Fackeln auf den rasch entflammten Scheiterhaufen. Begleitet von vorgegebenen »Feuersprüchen«: die Bücher stapelweise von den Lastwagen ins Feuer geworfen. „Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque! … Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs. Für die Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit!“. Eine Blaskapelle der SA spielt »Volk ans Gewehr«, anschließend das »Horst-Wessel-Lied« und die Menge stimmt lauthals ein.

Erich Kästner, einer der geächteten Autoren, schreibt später: "Ich stand eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation und sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen." Werke von Heinrich Heine, Sigmund Freud, Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky.

Verbrennen und Verbannen

Am Morgen danach sind Bücher nur noch ein rauchender Aschehaufen. Nicht nur in Berlin. In mehr als zwanzig deutschen Universitätsstädten versammeln sich Studenten, Professoren, Parteigenossen und Bürger zur öffentlichen Bücherverbrennung. Sie sind der Höhepunkt der vierwöchigen Aktion »Wider den undeutschen Geist«, deren Ziel die Vernichtung des deutsch-jüdischen Geisteslebens. Schon Wochen zuvor werden an Universitäten hetzerische Plakate aufgehängt, die jüdische Mitbürger als »Widersacher« des deutschen Volkes bezeichnen, zur Reinerhaltung der deutschen Sprache auffordern und deutsche Hochschulen als »Hort des deutschen Volkstums« preisen. »Schwarze Listen« werden erstellt und die zu verbrennenden Bücher in Bibliotheken und Buchhandlungen ausgesondert. Autorinnen und Autoren ebenso Professoren von Hochschulen, an deren Gesinnung gezweifelt werden denunziert, beispielsweise durch das Aufstellen von öffentlichen Schandpfählen mit ihren Namen und Werken gebrandmarkt. Hetze und Hatz greift um sich. Nirgendwo regt sich hörbarer Protest. Das Verbrennen und das Verbannen vollzieht sich  reibungslos und mit offener oder stiller Zustimmung. Auch nach Monate nach dem 10. Mai 1933 werden unter anderem durch die Hitlerjugend und Schulbehörden weitere Bücher verbrannt. Insgesamt sind 102 Bücherverbrennungen in über 90 deutschen Städten dokumentiert. Eine schauderhafte Bilanz.

Der Buchhandel begrüßt die »nationale Erhebung«

Doch der 10. Mai 1933 war nicht das Finale, es war der Beginn der Auslöschung unliebsamer, »undeutscher« Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Dafür sorgte eine ständig erweiterte »Schwarze Liste«, die im Mai 1933 bereits 131 Namen der »Schönen Literatur« und 141 Autorinnen und Autoren der »Politik- und Staatswissenschaften« umfasste. 1939 enthielt die »Liste Nummer 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« akribisch aufgeführt 4.175 Einzeltitel und 565 Verbote von Gesamtwerken.

Da wollte auch der im »Börsenverein« organisierte deutsche Buchhandel nicht mehr im Abseits stehen. Schon am 12. April hatten deren Vertreter ein »Sofortprogramm des deutschen Buchhandels“ beschlossen, indem es hieß: „Der deutsche Buchhandel begrüßt die nationale Erhebung. Er hat seine Bereitwilligkeit zur Mitarbeit an ihren Zielen alsbald zum Ausdruck gebracht“. Woran die Buchhändler so bereitwillig mitarbeiten wollten, verkündeten sie wenige Tage danach in ihrem Verbandsorgan »Börsenblatt«, das alle unerwünschten, »undeutschen« Schriftstellerinnen und Schriftsteller alphabetisch nannte: Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Arnold Zweig – und weitere 131 Namen. Für alle waren die Folgen verheerend. Schreibverbote wurden verhängt, Vortragstätigkeiten und Lesungen untersagt. Viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller flüchteten ins Exil , andere wurden verhaftet, gefoltert und im KZ ermordet, so Carl von Ossietzky.

Entdeckung und Wiederentdeckung

Alle die Verfemten und ihre Bücher vor dem Vergessen zu bewahren, hatte sich vor bald 50 Jahren der Stern-Autor Jürgen Serke vorgenommen und ein vielbeachtetes Buch geschrieben: »Die verbrannten Dichter«. Serke zeichnete darin ihre Lebensgeschichten nach, die von Irmgard Keun, Walter Mehring, Walter Hasenclever. Johannes R. Becher, von Else Lasker-Schüler, Ernst Toller und anderen. Sie alle, deren Bücher einst auf dem Scheiterhaufen des »undeutschen Geistes« in den Flammen loderten, wurden in präganten Porträts zurückgeholt – eindrücklich, einfühlsam, traurig, tragisch, erhellend und – ja, auch das, ermutigend widerständig.

Nun ist im Wallstein Verlag zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennung eine erweiterte Neuausgabe erschienen, eindrucksvoll bebildert und mit aktualisierten Bibliographien. Serkes Reportagen und Porträts haben nichts an Tiefe und Wirkung verloren, sie sind gegenwärtig. Wir sollten sie lesen, entdecken und wiederentdecken.

Artikel online seit 06.05.23
 

Jürgen Serke
Die verbrannten Dichter
Lebensgeschichten und
Dokumente
Wallstein Verlag
364 Seiten
38,00 €

 

 


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