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Herr Brandstifter und seine Biedermänner

Zu Peter Sloterdijks geopolitischen Bekenntnissen vor
Repräsentanten der Schweizer Energiewirtschaft

Von Wolfgang Bock
 

Zauberberge und unterirdische Waldbrände
Peter Sloterdijk befasst sich in einem Vortrag, den er am 6. Oktober 2022 im Salon Public in Luzern, einer gesponserten Veranstaltung des schweizerischen Energieministeriums gehalten hat, mit der Klimakrise. Er entwirft im Rückgriff auf verschiedene Helvetismen ein Programm, das als One-Man-Show einer ideellen Gesamt-Davos-Konferenz alle Ehre macht. Er hangelt sich dafür von der Energiekrise über die Frauenemanzipation und die Putin-Verurteilung bis zu einem China-Bashing als Zivilisations- und Klimakriminellen. Er lässt nichts aus und bringt auf diese Weise seine früheren Texte auf den neuesten Stand. Wirklich neu ist das nicht. Die Ökologie kennt das schlicht als den CO2-Kreislauf, den heute die Kinder in der Schule lernen.

Die wichtigste Figur des sich vom Opfer zum Täter umdrehenden Menschen, der den Göttern das Feuer stiehlt und damit der Natur die Kultur abtrotzt, ist bekanntlich der griechische Prometheus. Er soll sich vom tragischen Heros zum Trauernden mausern, der seine Tat bereuen möchte. Zunächst aber geht es Sloterdijk um die Kontinuität der antiken Sklavengesellschaft in Mitteleuropa als Leibeigenschaften im christlichen Abendland. Die Freisetzung der Sklaven als Arbeiter erfolge dann in der Industrialisierung. Diese werde befeuert durch die Förderung von Kohle, dem unterirdischen Wald. Das bedeute ein Verbrennen auf höherem Niveau. Was heute als Klimawandel erscheine, sei damit die äußere »Permanenz der überschüssigen CO₂-Partikel in der Erdlufthülle«. Daraus entstehe unter Einbeziehung der postindustriellen Perspektive des Abfalls die neue Formel der Industriegesellschaft: »Befehlsgewalt plus Arbeitskraft plus Kraftmaschinensystem plus fossile Energieträger plus Abfälle bzw. Immissionen.«

Wer denkt abstrakt? Die Perspektive der Energiewirtschaft aus alpiner Sicht als schamfreie Zone
Nach einem Unterkapitel über die vermeintliche Autonomie der Forscher kommt Sloterdijk dann zu seinem eigentlichen Anliegen. Es geht um die Perspektive der Energiewirtschaft aus alpiner Sicht. Sloterdijk spricht vor ihren Vertretern, die Sponsorenliste mit »Hauptpartnern, Partnern, Supportern« ist auf der Homepage der Veranstaltung einsehbar. Die Zeiten, zu denen man sich schamhaft verstecken musste, sind vorbei. Da heißt es dann Nietzsche zu erwähnen, der sich selbst als Dynamit bezeichnet, was Sloterdijk wohl nicht zu Unrecht für den phantasmagorischen Ausdruck des Helvetismus im späten 19. Jahrhundert par excellence hält. Das war schließlich das Zeitalter der dunklen Tunnel, aus dem die Schweizer Ingenieurskunst ihr zwiespältiges Prestige ebenso bezieht wie die Schweizer Finanziers das ihre aus dem Schweigen über die trüben Machenschaften ihrer Bankkunden. Prometheus würde sich also, wenn er heute von seinem Felsen im Kaukasus, an den ihn Zeus geschmiedet hatte, herunterstiege, die Augen reiben angesichts des Zustands der Welt. Wohl wahr. Das hatte allerdings, Sloterdijk gibt seine Quelle an, bereits Günther Anders vorhergesehen, wenn er von der »prometheischen Scham« sprach. Scham ist nun allerdings Sloterdijk und seinen Sponsoren fremd.

Die Feuer des Neids und der eitle Konsum
Sloterdijks Hauptkritik gilt lieber klassisch kulturpessimistisch dem Konsum der anderen. Er will die Verschiebung der Industrie in eine endemische Konsumgesellschaft analysieren. Ausgestattet mit der modernen globalisierten Kraft der Industrialisierung im Spätkapitalismus verbrauche jeder Konsument heute das Zwölf- bis Zwanzigfache der vorindustriellen menschlichen Sklavenkraft als Kohle, Öl oder Gas. Das Produktionsverhältnis entwickele sich aus den religionsähnlichen Vorstellungen der Frühsozialisten Henri de Saint-Simon, Charles Fourier und Auguste Comte von der produktiven Klasse. Und auch die marxistisch inspirierte Arbeiterbewegung, an deren Klassenkampf er dann die best practice der Designwissenschaften setzen will, substituiere die Ausbeutung der Menschen durch die der Natur und ihrer Ressourcen wie den weltweiten Gulag der essbaren Tiere. Seine Bilanz fällt insgesamt vernichtend aus.

Feuer ohne Wasser? Dernièregarde als Avantgarde
Das Thema des Klimawandels ist aber auch in der Schweiz brisant. Schließlich merkt man auch bei den Eidgenossen, dass die Gletscher abschmelzen. Das wohlfeile Gerede also in der Schweiz vor der Crème de la Crème der Energiewirtschaft zwischen Bergdorf, Crédit Suisse und Prada im Fünf-Sterne-Luxus-Hotel Schweizerhof in bester Lage in Luzern vorzutragen, bedarf schon einiger Chuzpe. Sloterdijk hat sie und noch mehr: Er wird seine Botschaft hinaus in die Welt tragen. Die weiteren Tourneedaten seiner Lesereise mit dem Text sind schon fest gebucht.

Kultur, was ist das?
Trittbrett- und Geisterfahrer allesamt also auf dem Klimazug nach Nirgendwo. Was den jungen Straßenklebern und Bilderstürmerinnen Recht ist, die im Rahmen ihrer apokalyptischen Narrative wonach Regen, Wind und Sonne die Erde erodieren ließen, lustig Kunstwerke zerstören, in deren Namen die Kultur doch überhaupt stattfindet, soll den alten weißen Männern und ihren konservativen Erzählungen billig sein.

»Einsichten wie diese sind bereits in druckreifen Versionen vorhanden….«
Gibt es über solche altbekannten Vorschläge, die nun in Sloterdijks entrückender Sprache dargeboten werden, noch etwas anderes in dem Büchlein? Immerhin: nach den Umrechnungen der Pferde- in Sklavenstärke, einem in diesem Milieu obligatorischen LGBTQ-Bashing, das sich danach ausrichtet, dass die neuen Bewegungen keine Kinder mehr machen wollen und damit an einem seiner Lieblingsprojekte einer Eugenik zur Züchtung von edlen Menschen im Sinne einer rechtsradikalen Auslegung Nietzsches anknüpft[1], nach Seitenhieben auf die Kreuzfahrtindustrie und die Saudis, die hauptsächlich als falsche Konservative entlarvt werden sollen, kommt Sloterdijk dann schließlich zu der Frage, was an die Stelle des Abfackelns der unterirdischen Wälder treten könnte?

Hier bedient sich der frühere Designprofessor bei entsprechenden Entwürfen aus der Kiste der Kollegen: BANG-Design - Bio,- Atom-, Nano-, Gentechnik-Vorschläge von Norbert Bolz ebenso inbegriffen wie diejenigen von Ivan Illich, der »Kontraproduktivität« geißelte und (spanische) »Konvivialität« lehrte. Vorher will Sloterdijk aber alle Städte abgeschafft wissen, die mehr als 500.000 Einwohner haben. Das beträfe nicht nur Städte wie Bremen und Nürnberg, sondern zuvor ganze Länder wie China, Indien oder Brasilien. Oswald Spengler lässt grüßen. Deren Megastädte sind freilich Anfang der Sechzigerjahre unter den Parolen der Grünen Revolution als Entwicklungshilfe erst angewachsen.

Liberale Märchen
Schon von Marx hätte Sloterdijk allerdings lernen können, dass die traditionellen Gesellschaften keine Armen kannten, die erst mit der industriellen Revolution entstehen. Das liberale Märchen darüber, wonach jeder seines Glückes Schmied sei, der eine es schaffe und der andere es eben nicht, wiederholen die selbsternannten liberalen Geistesgrößen auf allen Kanälen jeden Tag. Und so will auch Sloterdijk nicht nur, dass jeder freie Bürger die Steuern zahlt, die er selbst für nötig hält, sondern er will auch offen für alle technologischen Möglichkeiten der Zukunft sein.[2]

Mit anderen Worten, es reicht nicht, Marx gleich zu Anfang in der Stoffwechselthese zu erwähnen, man muss ihn am Ende auch profund, nämlich liberal, missverstanden haben. Merke: Zukunft ist nicht überall drin, wo Zukunft draufsteht. Für entsprechende weitere Vorschläge wird Peter Sloterdijk auch nicht benötigt. Zum Glück hat er das schon selbst eingesehen: »Einsichten wie diese sind bereits in druckreifen Versionen vorhanden […]«. An entsprechenden Warnpädagogiken vor technologischen Gefahren wie der Atomkraft hatte sich Sloterdijk auch bereits in Eurotaoismus 1989 abgearbeitet. Auch 2023 will er bei small is beautiful bleiben.

Geopolitik und der Untergang des Abendlandes
Man erkennt also, dass auch Sloterdijk auf jeder Welle mitsurfen will. Darum biedert er sich bei den jungen Leuten der Klimabewegung an. Sloterdijk ist selbst anscheinend nie jung gewesen; er wurde schon altklug geboren. Während der 68er-Zeit war er jedenfalls nicht in Berlin, sondern bei Bhagwan in Poona. Politisierung geht anders. Trotz seiner vielen Veröffentlichungen hat er sich daher auch bislang nicht wirklich theoretisch freigeschwommen. Er ist zu Zeiten der späten kritischen Theorie, Foucaults, Bhagwans, von dessen »Dadaismus« er nie wirklich losgekommen ist und der Alternativbewegung mit einem Heideggerschen Schwimmkerl ins literarische Wasser gesprungen. Heute rudert er unter dem Segel der unterirdischen Waldbefreiung zusammen mit Botho Strauß und anderen in Richtung des Wasserfalls mit den völkischen Zuflüssen Kulturerneuerung, Konservative Revolution und dem Kommenden Aufstand gegen einen vorgeblichen linken Strom. Auch wenn er sich mit einer bunten Badehose tarnen will: es bleibt die saugende Drift seiner Denkbewegung hin zum tragischen Weltuntergang. So treibt er auf seinem Floß dem Katarakt des Endes entgegen.

Der Chor der Feuerwehrmänner

Wohin er also wirklich eintauchen will, zeigen die letzten Abschnitte des Essays. Nachdem er noch einmal im Zusammenhang mit dem schwedischen Aktivisten Andreas Malm die Gefahren einer Ökodiktatur mit dickem Pinsel an die Wand gemalt hat, widmet er den Text im Nachgang nun dem französischen Philosophen Bruno Latour. Dieser ist ebenso wie Sloterdijk Jahrgang 1947, aber er stirbt drei Tage nach Sloterdijks Vortrag. Mit ihm fühlt er sich geistesverwandt. Latour verdankt seinen dräuend-erdigen Naturbegriff – er hantiert mit Begriffen wie Gaia und critical zone – der Lektüre von Heideggers Kunstwerk-Aufsatz.[3] Hier entwickelt der Schwarzwaldphilosoph die beiden Grundkräfte Erde und Welt. Auf diesen Ansatz bezieht sich auch Peter Sloterdijk emphatisch. Mit der Terminologie Latours in der Vorder- und der Heideggers in der Hinterhand will er der Jugend ein entsprechendes Programm anbiedern:

»Ein philosophisch besonnener Begriff der Welt hätte diese als Inbegriff der Offenheit aufzufassen — einer Verbindlichkeit fordernden Offenheit, sprich: eines Immersionsraums, in dem wir, ekstatisch eintauchend, in eine Lage geraten, aus der die Gegenstände der Sorge und der Empörung auf uns zutreten, ebenso wie die Anblicke des Schönen oder Erhabenen, die Blitzschläge des Erkennens und die gemeinsamen Fabrikationen des Wahren sowie die Forderungen der Gerechtigkeit. Wer Gaia sagt oder den Ausdruck critical zone verwendet, verzichtet auf die Illusion der ontologischen Distanz. Damit wird ohne weitere Ausrede klar: Das seit 1927 philosophisch so bezeichnete In-der-Welt-Sein ist entweder eine hohle Formel, oder es bedeutet: Auf-Gaia-Sein und Dasein in der sensiblen Zone.«

Die Hinweise sind für die Kenner deutlich genug: 1927 erschien Martin Heideggers Sein und Zeit, darin im dritten Kapitel »Das Umhafte der Umwelt und die ‚Räumlichkeit‘ des Daseins«, zu dessen Ontologie sich Sloterdijk damit distanzlos bekennt. An solchen Sätzen hätten auch andere ihre Freude gehabt. Wenn Sloterdijk am Ende von seinem Berg ruft: »Fire-Fighters aller Länder, dämmt die Brände ein!«, so verbirgt er damit, dass er mit Heidegger das Programm eines zweiten Positivismus vertritt, das man auch als das des zweiten Heizers bezeichnen kann. Er wäre nicht der Erste, der als Brandstifter vor Biedermännern aufträte. Der Professor im Ruhestand Sloterdijk ist ein Wiedergänger der Figur des Dr. phil. aus Max Frischs gleichnamigem Drama von 1958. Sein Publikum imaginiert er sich schon mal als den Chor der Feuerwehrmänner, den er im letzten Satz anruft.

[1] Vgl. Peter Sloterdijk, Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus (1999), Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008.
[2] Vgl. z.B. Sloterdijk, Die Revolution der gebenden Hand. In: Frank Schirrmacher, Thomas Strobl (Hrsg.): Die Zukunft des Kapitalismus. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2010. Braunen
[3] Vgl. z.B. Bruno Latour, »Refugium Europa”, in: Die große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit. Herausgegeben von Heinrich Geiselberger, Berlin: Suhrkamp 2017, S. 135-148.

Artikel online seit 31.03.23
 

Peter Sloterdijk
Die Reue des Prometheus
Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung
edition suhrkamp
80 Seiten
12,00 €
978-3-518-02985-5

Leseprobe und Infos


 


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