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Bildung: Garant der Demokratie!
Tim Engartners Plädoyer für eine Renaissance
der Bildung |
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I Zum Tod der
klassischen Bildungsidee Der Imperativ der Kulturindustrie laute: »du sollst dich fügen.« Das Profitmotiv sei inzwischen auch, so Adorno, »blank auf die geistigen Gebilde« übergegangen. So verwandelten sich auch Kunst, Literatur und Musik zu Waren durch und durch. In der Konsequenz verkommt auch das Denken zur »Halbbildung«, nämlich zu einer oberflächlichen und dem Streben nach Erkenntnis entfremdeten Bildung, die sich erneut nur an das anpasst, was das Konsumenten-Ich als erstrebenswert erachtet. Die klassische Idee der Bildung ist damit gestorben. In ihr ging es noch darum, zu lesen, um sich artikulieren zu können; es ging darum, ein historisches Bewusstsein herauszubilden, um Kontexte einordnen zu können; es ging um das Staunen und die Neugierde, um Selbst(er)kenntnis und nicht zuletzt um moralische Sensibilität. II Die Welt ist alles, was Unterhaltung werden kann In der vom Finanzkapital gesteuerten Welt hingegen dominieren andere Schwerpunkte: Die nuttige Billigkeit der Straße wie Ein-Euro-Läden und Fast Food. Auf die Bildungslandschaft übertragen werden nicht bloß Fußballstadien, sondern folgerichtig auch die Hörsäle an Deutschlands Universitäten nach Discountern benannt. Gründliche Lektüren sind dem Konsum von Tiktok und Instagram gewichen. Die Welt ist alles, was Unterhaltung werden kann, wusste schon Ludwig Wittgenstein: Lang lebe deshalb die Volksmusik, der Heimatfilm und der IKEA-Katalog! Solche »Blödmaschinen« haben Georg Seeßlen und Markus Metz bereits vor einigen Jahren seziert und gezeigt, wie diese funktionieren: Angefangen von den Bildungszombies in den universitären Institutionen bis zum »täglichen Börsenporno im Fernsehen«. Die Mittel dieser Un-Sinnindustrie: Kontrolle, Evaluation, Coaching, Casting und eine »Blubbersprache«, die auf totale Unterhaltung und totalen Markt ausgerichtet ist. Man muss schließlich »forward denken«, wie eine Spar- und Darlehenskasse einmal Glauben und damit deutlich gemacht hat, wie sehr geistige Tätigkeit und Finanzderivate bereits miteinander verquickt sind. III Ein Empire der Empirie und Evaluation Das Dramatische an dieser Situation ist, dass die einstige res publica literaria vom Virus finanzpolitisch gesteuerter Maßnahmen ebenfalls längst befallen ist: Zahlreiche politische Maßnahmen etwa, die schon im Zuge des Bologna-Prozesses eingeleitet wurden und aus den einstigen Universitäten Europas, den Freistätten des Geistes, Verwaltungseinheiten gezimmert haben, die mehr oder weniger wie große Unternehmen funktionieren – mit tausenden von Mitarbeitern, die teils in prekäre Arbeitsverhältnisse gebracht worden sind, legen hiervon Zeugnis ab. Der Soziologe Ulrich Beck charakterisierte dies einst als »McKinsey-Stalinismus« und bescheinigte den Universitäten einen Willen zur Fast Education. Aus der Gemeinschaft der Lernenden ist nur noch der Fetisch einer Corporate Identity übriggeblieben. Gilles Deleuze hat treffend bemerkt: »Entscheidend ist, daß wir am Beginn von etwas Neuem stehen … Formen kontinuierlicher Kontrolle und die Einwirkung der permanenten Weiterbildung, dementsprechend die Preisgabe jeglicher Forschung an der Universität, die Einführung des Unternehmens auf allen Ebenen des Bildungs- und Ausbildungswesens.« Tatsächlich ist an den Universitäten ein wahres Empire der Empirie und Evaluation entstanden, welches eine Kommodifizierung des Geistes vorantreibt: Bildung als Tauschobjekt und Brutstätte der Ausbeutung, Verdinglichung des Bewusstseins mittels eingeschliffener Apparaturen der Betriebswirtschaft. Bildung nicht als Wert, sondern als Verwertungsprinzip; nicht als Idee eines lebendigen Geistes, sondern als opportunistisches Geschwätz und Wissenssimulation – inmitten einer Welt, in der die Geisterkunde die Wissenschaftlichkeit ersetzt hat und Beratung und Coaching alles ist: Erziehungsratgeber erklären Eltern den vermeintlich richtigen Umgang mit Kindern. Lobbyisten beraten Exekutive, Legislative und Massenmedien im Hinblick auf politische und öffentliche Entscheidungen. McKinsey, Roland Berger und Co. beraten Unternehmen in Sachen Management und Personal. Die Universitäten lassen den Hochschulrat und Bertelsmann für sich entscheiden. Was aber passiert mit einer Gesellschaft, die das Selber-Denken peu à peu abschafft und die ihre Bildungsinstitutionen mangels politischen Willens durch chronische Unterfinanzierung ausbluten lässt? IV Bildungsinstitutionen als Reparaturbetrieb An dieser Stelle setzt Tim Engartners wichtiges Buch ein. Es seziert die Misere deutscher Bildungspolitik und zeigt auf, welche Konsequenzen es haben wird, wenn wir den Weg des Ausverkaufs der Bildung weiterhin fortschreiben. Lese- und Rechtschreibschwächen, Ekelschulen mit Pilz- und Schimmelbefall (im schlimmsten Fall ist es der Giftstoff Naphtalin, wie in einer Kölner Schule), mangelnde Qualifikationen des pädagogischen Personals und Fachkräftemangel, Notbetreuung, sinnlose Digitalisierung oder Werbebroschüren als Unterrichtsmaterial sind längst keine Einzelfälle mehr, sondern flächendeckend zu beobachten. Im Grunde weiß das jeder, aber das föderale Bildungssystem sowie Tatenlosigkeit seitens der politischen Verantwortlichen sorgen dafür, dass sich an diesem katastrophalen Zustand seit geraumer Zeit überhaupt gar nichts ändert. Die deutschen Bildungsinstitutionen bleiben chronisch unterfinanziert und ein »Reparaturbetrieb«, in dem Konzerne und Lobbyisten immer mehr Einfluss gewinnen, wohingegen die Qualität des Unterrichts durch immer mehr Seiteneinsteiger (die sind billig!) und die der Lehre (es zählen nur Drittmittel!) stetig abnimmt. Aber das wird billigend in Kauf genommen: Opernhäuser, Banken, die Automobilindustrie und die Bundeswehr haben schließlich Priorität. Die Folgen, und das weist Engartner treffend nach, sind dramatisch auch für die Demokratie: Wo es an Bildung mangelt, erodieren am Ende auch rechtsstaatliche Strukturen, weil es letztlich an Aufklärung, kritischem Denken, Argumenten, Reflexion und Wissen um Kontexte mangelt. Eine Gesellschaft, die nicht gelernt hat, selbst zu denken, weil man kein Interesse daran hat, jenes Umfeld zu schaffen, das dafür nötig wäre, ist leicht manipulierbar und lässt sich gerne von politischen Rattenfängern locken: Die jüngsten Wahlergebnisse und politischen Entwicklungen sollten uns eigentlich alle wach rütteln. Doch stattdessen wird ein Vermögensverwalter zum Kanzlerkandidaten gekürt, der mit seiner Idee von Politik für all die gerade beschriebenen Frevel der Bildungspolitik steht – mit welcher Hoffnung eigentlich?
Engartner
selbst hat die Hoffnung trotz allem nicht aufgegeben und skizziert Auswege aus
der Bildungskatastrophe: Die wichtigste Maßnahme wäre, die Bildungslandschaft
weder zu instrumentalisieren noch zu privatisieren, sondern seitens des Staates
für eine grundsolide, finanziell abgesicherte und sozial gerechte Bildung Aller
zu sorgen, um damit auch unsere Demokratie zu retten. Momentan scheint es aber
eher so, dass dazu Mut und Wille fehlen. Möge dies kein böses Ende nehmen! |
Tim Engartner |
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