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Der Rätselhafte Rüdiger Görners Bruckner-Buch
Von Wolfram Schütte |
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In diesem Jahr feiern wir den 200. Geburtstag Anton Bruckners. Unter den großen mitteleuropäischen Symphonikern ist er der seltsamste. Das Rätsel seiner gelebten privaten & künstlerischen Existenz ist undurchsichtiger als bei Haydn & Mozart, Beethoven & Schubert, Schumann & Brahms oder bei (dem Bruckner-Verehrer) Gustav Mahler. Die teilte er allerdings mit Adolf Hitler, der 1937 in der Walhalla bei Regensburg die Büste seines „Lieblingskomponisten“ enthüllte & dessen Adagio aus seiner 7. Symphonie im Reichsrundfunk erklang, bevor die Meldung vom Tod Hitlers verkündet wurde. Rüdiger Görner, Germanistik-Emeritus, der über Jahrzehnte in Großbritannien lehrte, widmet Bruckner – nach Monographien über Rilke, Trakl & Kokoschka – seine erste Musiker-Biographie. Es ist natürlich nicht die erste, die über den in tiefster österreichischer Provinz 1824 geborenen Komponisten geschrieben wurde, aber wohl nun die jüngste. Erst als 40Jähriger, hat der Organist der oberösterreichischen Abtei St. Florian & des Linzer Doms zur Symphonie gefunden – angeblich nachdem er Beethovens Vierte zum ersten Mal gehört habe. Während der passionierte Orgelvirtuose Bruckner, durch Gastspiele in Nancy, London & Paris, wegen seiner Improvisationen & Phantasien auf der Orgel weltberühmt & geschätzt war, wurde der Komponist gewaltig-großformatiger & langer Symphonien zu seinen Lebzeiten lange missachtet, wo nicht gar (z.B. von seinem Konkurrenten Brahms) verachtet & verhöhnt. Allerdings konnte der strenggläubige Katholik, submissester Habsburger Kaiser-Verehrer & Wagner-Bewunderer noch erleben, wie in den letzten Jahren vor seinem Tod 1896 in Wien sein symphonisches Oeuvre – wie schon seine Messen - langsam Anerkennung fand. Ähnlich wie fünf Jahrzehnte später Gustav Mahler dank zahlreicher berühmter Dirigenten auf breiter Front für die Schallplatte „entdeckt“ wurde, wurde Bruckner durch eine Phalanx von damals weltberühmten deutsch-österreichischer Dirigenten in seinen späten Lebensjahren überhaupt erst in den Konzertsälen gespielt. Man darf ja heute nicht vergessen, dass es eine Zeit vor den künstlichen Tonträgern & elektronischen Medien gab, so dass sowohl vor allem das musikaffine Publikum, als aber auch die Komponisten nur kannten, was öffentlich aufgeführt & gehört wurde. Görner führt z.B. die Vielzahl von „Überarbeitungen“ fast aller Brucknerscher Symphonien darauf zurück, dass der Komponist erst durch sein Hörerlebnis sein eigenes Werk verstanden hat. Allerdings war es sowohl Bruckners kompositorischer Skrupulosität als auch den wohlmeinenden Ratschlägen von Freunden geschuldet, dass seine Symphonien nur in korrumpierter Form ihre angebliche „Unspielbarkeit“ überwinden konnten. Erst im 20. Jahrhundert lagen sie in verlässlichen Partituren ihrer Erstfassungen vor. Rüdiger Görner, der seine Lebenserzählung entlang eines Waldes von Fragen zur unbekannten Wirklichkeitserfahrung des authentischen Menschen Anton Bruckner, ist in seiner Beschäftigung mit ihm vor allem an den Lebensumständen des unglückseligen Mannes im Blickfeld der zeitgenössischen Öffentlichkeit interessiert. So gliedert er seine weitgehend chronologische Erzählung als ein stetiges Tätigsein & Werden Bruckners. Es reicht von „Der Gehilfe“ & „Der Geprüfte“ über „Der (begehrt) Geduldete“ & „Der Geforderte“ bis zu „Der Geschätzte“ & „Der Gewordene“. Obwohl Görner zahlreiche „unvorteilhafte“ Anekdoten & Ondits über den einsamen, immer subalternen Provinzler in der zu weiten Kleidung zitiert, liegt seinem heutigen Biographen daran, dass sein Held, der sein Arbeitsethos in den Dienst seines musikalisches Genies stellte & dieses als verpflichtendes „Gottesgeschenk“ betrachtete, als ein sympathischer Eigenbrötler erscheint. Der gebildeten & lasziven großbürgerlichen Wiener Gesellschaft muss der vierschrötig-demütige Organist & armselige Wiener Musikprofessor, der in seinem Leben, jeweils nach kurzer Bekanntschaft neun (9) Mal schriftlich um die Hand wesentlich jüngere Frauen vergeblich angehalten hat, zumindest „komisch“ vorgekommen sein. Anton Bruckner ist wohl gewissermaßen als verschmähte Jungfrau ins Grab gesunken, während man in Wien über die Unverfrorenheit des norddeutschen Protestanten Brahms erstaunt war, der beim Spaziergang über den „Graben“ (Wiens Champs-Elysees) die ihm begegneten bekannten Luxushuren genauso selbstverständlich grüßte wie Damen des Adels & des reichen Bürgertums, die ihn verehrten. Auch Bruckners „nekrophile“ Neigung (die ihn z.B. Schuberts exhumierten Schädel küssen ließ) & seine Affinität zur technischen Moderne (Dampfschiff, Eisenbahn) erwähnt sein heutiger Biograph, um zu demonstrieren, dass der „tiefreligiöse Musikhörige“ keineswegs weltfremd & rückwärtsgewandt gewesen sei. Der Einzelgänger Bruckner habe in seiner existentiellen Isolation den Gemeinschaftsverlust durch „das gigantische Orchestrale“ seiner Symphonien kompensiert. “Als Komponist großer, von >Gemeinschaft< und Zusammenklang bestimmter Werke war er der Einzelgänger schlechthin, dessen Triebleben aus Verdrängung und Projektion bestand“ (Görner). In seinen Symphonien, die Görner als „Sublimationen“ (Freud) von Bruckners nicht erfüllten libidinösen Energien versteht, habe der geniale Organist „den allumfassenden Anspruch der Orgel nach vollständiger Musikalisierung der Welt simuliert: Er lebte für seine Kunst und dabei oft sich selbst zuleide, glaubte sich verfolgt, verschmäht, von Kritikern gepeinigt, und blieb doch seinem Schaffen treu bis zuletzt, als religiöse Wahnvorstellungen seinen Verfolgungswahn ablösten“. Der seelisch gepeinigte Komponist im bauwütigen Wien „wurde aber zu einem Anarch unter den Komponisten, der dem bürgerlichen Musikgeschmack einen radikalen Modernismus zumutet, der vielstimmiger, brüchiger und doch in seinen Brüchen aufeinander eingestimmter zu seiner Zeit nicht vorstellbar war. Bruckner entwickelte sich zu einem Radikalen im Dienste an der musikalischen Kunst.“ So griffig Görner zuletzt die Einzigartigkeit des Symphonikers mit der Paraphrase einer sprichwörtlichen alltagspolitischen Formulierung zu bestimmen scheint, so vage & abstrakt sind aber seine Definitionen von Bruckners „radikaler Modernität“ („auf einander eingestimmte Brüche“?) Die vom späten Jünger auf sich selbst bezogene Figur des „Anarchen“ trifft aber möglicherweise Bruckners musikhistorische Isolation & ästhetische Eigenart allein durch die Befremdlichkeit des Wortes, das selbstbezogene Souveränität gegenüber aller Gesellschaft & Welt ausdrücken soll. Ich hätte mir gewünscht, der Germanist Görner hätte seinen musikalischen Solipsisten noch ein bißchen spekulativ-riskanter diskutiert. Z.B. im Hinblick auf dessen Montagetechnik der Wagner-Zitate in der Dritten Symphonie oder im erhellenden Gegenlicht solcher Späterer wie Gustav Mahler oder Charles Ives. Bedenkenswert ist Görners Widerrede von Thomas Bernhards Bruckner-Verdammung (in „Alte Meister“). Das scheinbar Ausufernde, das der Schriftsteller an den Symphonien des oberösterreichischen Musikers bemängelte, sei doch „keineswegs dem Schweifen und Wiederholen in Bernhards Prosa unähnlich“. Bloß ähnlich? Nein, denke ich, literarisch adäquat! Sehr schön aber sind schließlich die „Poetischen Improvisionen“, die Görner als „Zugabe“ seiner Bruckner-Biographie zum Ende beifügt. Wenn er sich einem Aufsatz Loerkes von 1938, einem Gedicht des polnischen Lyrikers Adam Zagajewski & dem Essay „Bruckner in Venedig“ von dem jungen Rihm-Schüler Boris Joffe zuwendet & alle drei Reflexionen über seinen rätselhaften Schmerzensmann brillant interpretiert, ist der musikalisch begeisterte Philologe ganz bei sich zuhause & in seinem innersten Revier.
Nicht allen seiner
darstellerischen Ausschweifungen folgt man so gerne wie dieser letzten; aber
doch den meisten, stammen sie doch von einem mitfühlenden Enthusiasten. |
Rüdiger Görner
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