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»Die Geburt der Gesammelten Schriften
aus dem Geiste des Barrikadenkampfes«


In seiner spannend zu lesenden Recherche
»Umkämpftes Nachleben«
rekonstruiert Robert Pursche die konfliktreiche Editionsgeschichte
Walter Benjamins.

Von Herbert Debes

 

Nachdem Walter Benjamins Flucht vor den Nationalsozialisten 1940 mit seinem Tod am 26. September im französisch spanischen Grenzort Portbou jenes tragische und bis heute von Verschwörungstheorien umschwirrte Ende genommen hatte, war keineswegs abzusehen, welche Bedeutung Walter Benjamins Werk & Persönlichkeit für die Nachwelt einmal haben würde.
Ein »Werk« in klassischen Sinn hatte er nicht hinterlassen, und sein Nachlaß war in alle Welt zerstreut. Einen Teil seiner Manuskripte hatte er vor seiner Flucht nach Lourdes George Bataille anvertraut, der sie in der Pariser Nationalbibliothek verstecken und vor der Vernichtung retten konnte, weitere Teile lagen in Israel bei seinem Freund Gershom Scholem. In New York hielt Theodor W. Adorno im Institute for Social Research Schriften Benjamins hartnäckig unter Verschluß. Hannah Arendt, die mit Benjamin seit Paris befreundet gewesen war und auch ihn finanziell unterstützt hatte, besaß ebenfalls Abschriften und Manuskripte. Darüber hinaus befand sich ein weiterer Teil seiner Arbeiten im Besitz seiner geschiedenen Frau Dora in der Schweiz. Und so
zählte Benjamins Name »zu den verschollensten in der geistigen Welt« (Gershom Scholem).
Eingedenk dieser kritischen Quellenlage darf man die bis heute diversen individuellen Sensibilitäten und Eitelkeiten ausgesetzte Editionsgeschichte der Gesammelten Werke Benjamins als äußerst spannungsgeladen bezeichnen.

Um so erstaunlich erscheint die Tatsache, daß Benjamin am Ende des Kalten Krieges ein global rezipierter Autor war und bis heute nichts von seiner Bedeutung als Philosoph und Kulturkritiker verloren hat. Und auch die Kontroversen um sein Werk, sein tragisches Schicksal und Editionsgeschichte wirken bis heute nach.
Oft ist deshalb immer noch gerne von einem Wunder die Rede, wenn es um Walter Benjamins dynamisches Nachleben geht.
Robert Pursche rekonstruiert in seinem ungemein spannenden Buch »Umkämpftes Nachleben« den wundersamen Aufstieg Walter Benjamins zu einer intellektuellen Ikone des 20. Jahrhundert entlang der abenteuerlichen und konfliktreichen Geschichte seiner zerstreuten Nachlassbestände und Archive, angefangen bei den ersten Rettungsbemühungen seiner Freunde Hannah Arendt, Gershom Scholem und Theodor W. Adorno über die heftigen Marxismus-Debatten um »1968« und die Auseinandersetzungen um Benjamins Nachlassbestände in der DDR.
Dabei kommen nicht nur die großen intellektuellen Figuren wie Adorno, Horkheimer und Sholem in den Blick, sondern auch Archivare, EditorInnen, Verleger, politische Aktivisten, Journalistinnen und Stasi-Mitarbeiter. Die anhaltende Faszination für diesen oft rätselhaften Denker wird so in ihren zeithistorischen Kontexten verständlich.


Artikel online seit 18.11.24
 

Robert Pursche
Umkämpftes Nachleben
Walter Benjamins Archive 1940-1990
Wallstein
427 S., 13 Abb.
49,00 €
978-3-8353-5705-1


 


 

 


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