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Et resurrexit

Salman Rushdie schreibt sich ein Requiem & triumphiert
literarisch über seinen Attentäter

Von Wolfram Schütte
 

»Am 12.August 2022, einem sonnigen Freitagmorgen um viertel vor elf, wurde ich von einem jungen Mann mit einem Messer angegriffen und beinahe getötet, nachdem ich gerade die Bühne des Amphitheaters in Chautauqua betreten hatte, um darüber zu reden, wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern einzusetzen« – mit diesem ironischen Satz, einer lakonisch zwischen Kleist & Kafka formulierten Paradoxie, beginnt Salman Rushdie sein jüngstes Buch »Knife«.

Seine von Bernhard Robben übersetzten »Gedanken nach einem Mordversuch« sind das 23.(!) Buch des 1947 in Bombay zwar geborenen, über Jahrzehnte jedoch in London & ab 2000 in New York lebenden Autors. Ohne Zweifel ist Salman Rushdie, ein Charles Dickens unserer Gegenwart, heute der weltweit bekannteste Schriftsteller unserer Zeit, wozu auch die Fatwa beigetragen hat, die der iranische Ayatolla Khomeini wegen Rushdies Roman »Die satanischen Verse« 1989 gegen ihn erlassen & den Autor mehr als ein Jahrzehnt gezwungen hatte, unter Polizeischutz & in der Anonymität die ständige Bedrohung seines Lebens zu überdauern. Er hat diese Jahre der Klandestinität in seiner brillanten Autobiografie »Joseph Anton« 2012 beschrieben.

Das Attentat des 24 jährigen usamerikanischen Muslim libanesischer Abstammung gegen den 76 jährigen Rushdie, der ein Jahr zuvor seine fünfte Ehe mit der afroamerikanischen Poetin Rachel Eliza Griffith geschlossen hatte, ist die späteste Folge der iranischen Fatwa & des fortdauernden Hasses fundamentalistischer Islamisten gegen die säkulare, liberale Gesellschaft, Lebensweise & Geisteshaltung, als deren Inkarnation der Erzähler & Essayist Salman Rushdie gilt.

Er hat diese Rolle ohne Zögern angenommen: als Person & als Autor, der mit »Knife« über beides ein literarisches Requiem schreibt. »Das Messer«, dessen Wüten er 26 Sekunden lang in einem grauenhaften intimen Massaker mit zigfachen Stichwunden in allen möglichen Körperteilen ausgesetzt war, hatte ihn ein für alle Mal »von meiner Welt getrennt«. Aber, sagt er sich (am 7.Tag im Krankenhaus), »Man kann nicht einfach nur rumliegen und sich davon erholen, dass man fast gestorben wäre. Man muss das Leben finden«. Und als er nach drei Monaten, endlich wieder zuhause, sich seine alten Notizen für seinen nächsten Roman anschaute, fand er sie »geradezu absurd. Das kann ich nicht schreiben«. Zu gerne hätte er sich »aufs Fiktive konzentriert, doch war mir etwas Ungeheures, etwas Nichtfiktives widerfahren«.

Bereits am dritten Tag nach dem Attentat, als Rushdie ahnte, dass er den Anschlag überleben würde, kamen er & seine Frau überein, mit Kamera & Tonband seine schrittweise Rückkehr ins Leben zu dokumentieren. Er wollte »über Wunder nachdenken und darüber, was das Eindringen des Wundersamen in das Leben von jemanden bedeutet, der nicht an Wunder glaubte, der aber dennoch ein Leben damit zugebracht hatte, imaginäre Welten zu schaffen, in denen Wundersames geschah«. Was jedoch im Verlauf dieser existenziellen Nachdenklichkeit nicht dazu führte, dass der erklärte Atheist darob am Ende über seine Lebensrettung »religiös« geworden wäre!

Jedoch der »orientalische« Erzähler wunderbarer fiktiver Wirklichkeiten hatte begriffen, »erst wenn ich mich mit dem Attentat auseinandergesetzt hatte, würde ich mich wieder mit anderem befassen können. Ich würde das Buch schreiben müssen, das Sie jetzt lesen«, wendet er sich an seine Leser, »denn das Schreiben war mein Weg, das Vorgefallene anzuerkennen, die Kontrolle zurückgewinnen, mir das Geschehene anzueignen und nicht ein bloßes Opfer zu sein. Auf Gewalt wollte ich mit Kunst antworten.«

Der Schriftsteller, der zum Opfer eines überindividuellen (islamistischen) Hasses geworden war, betrachtet sich gewissermaßen mit Heines Worten als ein »Enfant Perdu des Freiheitskrieges«, dem er mit allen Mitteln seiner literarischen Kunst zurecht die säkulare Legende eines zwar mannigfach lädierten, aber trotz alledem lebensfrohen Märtyrers schreibt, der gewissermaßen im Prozess des Schreibens von dem ihm zugedachten Tod wiederaufersteht – aber nicht z.B. durch ein Erweckungs-Wunder Jesu (wie Lazarus), sondern allein durch individuellen & kollektiven menschlichen Mut, Phantasie, Geduld – und durch seinen Humor & die Liebe seiner Lebensgefährtin.

So beginnt Rushdie sein mehrteiliges Memorial mit der minutiösen Darstellung des unerhörten Ereignisses, den Umständen des Attentats: wie er auf offener Bühne gefällt wurde, was er von dem Mordversuch noch bei Bewusstsein mitbekam & wie beherzte Männer den Attentäter überwältigten & den schwer Verletzten retteten. Einer seiner Überlebenshelfer war, was er »den Daumen« nennt: der »pensionierte Feuerwehrmann Mark Perez«, der sich «jedem vorstellte, der ihm zuhören wollte« (wie der auf dem Boden liegende Autor immer wieder hörte), während er auf die gefährlichste Wunde im Nacken Rushdies seinen großen Daumen drückte & damit verhinderte, dass der lebensgefährlich Verletzte zu viel Blut verlor. So wird der Autor auch später seinen wechselnden Ärzten immer wieder allegorische Namen geben, um den Realismus des Faktischen fiktionalistisch zu poetisieren – als erzählte Rushdie ein Märchen oder eine Fortsetzung seines Lieblingsfilms »The Wizard of Oz«.

Über die 27 Sekunden, in denen der mordwütige junge religiöse Attentäter den sechsundsiebzigjährigen Atheisten mit seinem Messer zu zerfleischen suchte, bemerkt der überlebende Schriftsteller ironisch, »in dieser Zeit könnte man - sofern religiös gesinnt – das Vaterunser aufsagen. Oder man könnte, hat man es nicht so mit der Religion, laut ein Sonett von Shakespeare lesen« – womit er, ganz nebenbei, sein (Über-)Lebens-Thema Religion & Poesie engführt..   

Immer wieder schweift der Rekapitulierende assoziativ ab: in sein Leben, seine Kindheit & Familiengeschichte, sowie in bizarre oder amüsante Gedankenspiele & literarische Reminiszenzen. Neben einer Überlegung zum Unterschied von Messer & Schusswaffe als Mordinstrumente findet sich in »Knife« auch der medizinische Fachausdruck »introgene Störung«, den angeblich der Freund Martin Amis erfunden hat, um die von einem Medikament ausgelöste Erkrankung zu bezeichnen, mit der Rushdie im Lauf seine Behandlungen zweimal Bekanntschaft machte.

Er greift aber auch aus in die politische Gegenwart, z.B. der USA, deren Bürger der berühmte Schriftsteller geworden ist & dem nun der amtierende Präsident Joe Biden warmherzige Genesungswünsche schickt, wohingegen Jimmy Carter damals, als die iranische Fatwa gegen ihn ausgesprochen worden war, zu jenen gehörte, die sich mit Rushdie ausdrücklich nicht solidarisierten. Dadurch wird das Buch insgesamt gegenwärtig & historisch, erzählerisch & reflexiv bunt, vielfältig, höchst lebendig & immer wieder jokos.

Vor allem aber inszeniert Salman Rushdie das reale Martyrium seiner vielen leiblichen Schmerzen & traumatischen seelischen Verletzungen & bleibenden Schäden »schonungslos« offen & en detail. Bewusst macht er seine Leser zu befreundeten Mitwissern seiner dramatischen Intim-Erfahrungen. Er tut recht daran, seinen & auch seiner Ärzte Kampf um sein Leben so ausführlich zu beschreiben, wie wir derlei körperliche Schrecken & Heimsuchungen bislang nur aus den christlichen Heiligenlegenden kennen.

Dort gelten die grauenhaften Martyrien als vorbildliche Glaubensbeweise auf dem Weg zu Gott & in einem jenseitiges Leben. Hier aber führt Salman Rushdie, dieser »Held der westlichen Welt«, dem die Freiheit der Kunst als »Essenz unserer Menschlichkeit« gilt, einen stetigen Kampf um sein beschädigtes Leben & schreibt ein Buch, das ein vielstimmiger Hymnus menschlicher Lebens-Liebe, mit dem der Blessierte, Gezeichnete, Halbblinde dennoch glanzvoll  triumphiert über »das Arschloch«, wie er den fanatischen Religiösen nennt, der nun sein ganzes ungelebtes Leben hinter Gittern verbringen müsste.

Statt sich seinem Attentäter im Gefängnis zu konfrontieren – wie es der ebenfalls einst fast erstochene Samuel Beckett tat -, hat Rushdie sich ein Gespräch mit A., wie er ihn nur nennt, in vier Gesprächssituationen ausgedacht. Es gipfelt in seiner abgründigen Erkenntnis: »Ich erkenne Sie jetzt, mein gescheiterter Mörder, mein scheinheiliger Attentäter, mon semblable, mon frère. Sie konnten es mit dem Morden versuchen, weil sie nicht zu lachen wussten«.

Last but not least ist »Knife« vor allem aber auch ein sehr schöner Liebesroman, in dessen Zentrum Rushdies Ehefrau Eliza steht. Kein Name wird öfter zitiert in diesem Buch, das auch des »natürlichen« Todes so vieler enger Lebensfreunde & literarischer -begleiter (wie Milan Kundera oder Martin Amis) gedenkt.

Als die beiden Liebenden an der Stelle stehen, an der Rushdie dem Tod so nahe war, überkommt ihn die »Leichtigkeit« seines wiedergewonnenen Seins: »Ja, wir hatten uns unser Glück aufs Neue erschaffen, wenn auch unvollkommen. Selbst an diesem himmelblauen Tag wusste ich, unser Glück war nicht länger dieses wolkenlose Etwas, das wir zuvor gekannt hatten. Es war ein verletztes Glück, und in einer seiner Ecken lauerte ein Schatten, vielleicht für immer. Trotzdem war es ein starkes Glück, und während wir uns umarmten, wusste ich, es würde genügen. >Komm, wir sind hier fertig<, sagte ich zu Eliza und griff nach ihrer Hand. >Lass uns nach Hause fahren<.«

Artikel online seit 20.05.24
 

Salman Rushdie
Knife
Gedanken nach einem Mordversuch
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Penguin-Verlag
255 Seiten
25,00 €
978-3-328-60327-6
 


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