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Die ganze Welt eine Bühne |
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The Performer heißt das Buch im Original, und das passt viel besser als der nach einem schwergewichtigen anthropologischen Lehrbuch klingende deutsche Titel. Der Anglizismus gehört zum aktuellen Floskelwortschatz. Man findet ihn im Ratgeber für den Berufsanfänger, hört ihn auf jedem Büromeeting, und Stefan Effenberg nutzt ihn sonntagmorgens auch: Wer aus dem Tabellenkeller in Liga eins rauskommen will, muss endlich mal performen. Sennetts Buch hilft immens, das Resultat der US-Wahl zu verstehen. Die Show von Trump war die bessere. Die Psychologisierung der Politik hat der Demagogie ihren Triumph leicht gemacht. Dem Demagogen ist es gelungen, eine Gesellschaft frei von Institutionen zu malen, in der zwischen Charakteren zu wählen sei. Das individuelle Ich der Kandidaten hat dieser Wahlkampf ins Zentrum gerückt. Aus einer Debatte über politische Strategie ist eine über Charaktereigenschaften geworden. Trump hat sich in der Öffentlichkeit so gegeben, wie man sich im Schutz der Privatsphäre geben kann: unverstellt, rüpelhaft, authentisch, ohne die Barrieren von Höflichkeit, Takt und Respekt. Die Performance der Verrohung hat das Wahlvolk prämiert. Als richtigen Mann will die Mehrheit ihren Präsidenten agieren sehen. Die um die Sphäre der Öffentlichkeit gebrachte Gesellschaft führt nicht zu mehr Humanität, sondern zur Tyrannei der Intimität. So lautet der Untertitel des vor fünfzig Jahren geschriebenen Buchs, dem der Soziologe Sennett seinen Ruhm verdankt. Es war ein gegen die damaligen sogenannten Alternativen und ihre Feier lokaler Gemeinschaften gerichtetes Manifest. Das rituelle Bekennen der eigenen Gefühle und die Selbsterfahrung in Kleingruppen galten einmal als praktizierte Systemkritik. Als alternativ und systemkritisch wollen nun die anderen gelten. Was Sennett befürchtet hatte, ist eingetreten. Wer die Distanz in den sozialen Beziehungen für ein Übel erklärt, landet bei der Feindseligkeit gegen die Fremden. Es gilt, dem Parteivorsitzenden eine Imago zu verschaffen, das ist der Job der PR-Fritzen in den heutigen Wahlkämpfen. Die Imago wird dem Wahlvolk verkauft als zu seinen Konsumvorlieben passend. Sennett zitiert Trumps imaginären Werbeslogan: Kauft ruhig das größte Auto, das ihr euch leisten könnt. Politik wird so dem Lebensstil adaptiert. Des Soziologen Blick gilt dem Einsatz der nichtverbalen Werbemittel, dem Kult um Trumps Person. Die kultische Überhöhung zielt auf ein sich unterwerfendes Publikum, das sich seinen Leidenschaften überlässt und dabei seine Urteilskraft verliert. Der Autor nennt die Dramaturgie der Trumpschen Massenversammlungen virtuos. Vermutlich sind sie es erst im Zusammenschnitt der Videoclips, hält der neue Präsident es doch mit dem Redemarathon eines Fidel Castros. Das unzivilisierte Charisma lautet ein Kapitel des Buchs. Charisma, wörtlich Gnadengabe, ist zu einem kulturindustriellen Fertigungsprodukt geworden. Aber kann seine synthetische Herstellung wirklich gelingen? Sennett hat keinen Zweifel am Erfolg der Manipulation. Unter ihrem Bann geschieht, was die Theaterbühne im Rahmen der Tragödie bietet: Katharsis, Reinigung. Die Realität wird von störender Wahrnehmung gereinigt. Erderwärmung durch die Benzinmotoren von General Motors? Fake News! Sennett zwingt dem Leser die Erkenntnis auf, dass die liberalen, aufgeklärten Heilmittel zur Veränderung der menschlichen Einstellungen – Information und Bildung – sich auf perverse Weise (als) kontraproduktiv erweisen…Die Aufklärung glaubte, wenn die Menschen vollständige Information besäßen, würden sie verlangen, dass entsprechend gehandelt wird. Sich jeder Naivität zu enthalten, ist die Lehre, die die US-amerikanische Politik gerade erteilt. Das geschürte Ressentiment hat der Aufklärung erneut ihre Hilflosigkeit demonstriert. Diese Ernüchterung vor Augen bleibt wenig glaubwürdig, womit Sennett die zerstörte Öffentlichkeit heilen will. Ihre genuine Funktion soll sie wiedererlangen, den Streit um die noch unausgewiesenen politischen Urteile, und dies soll ihr durch Angleichung an eine zivilisierte theatralische Aufführung gelingen. Sennett propagiert Verkehrsformen des Politischen, die es dem Einzelnen erlauben, eine umgängliche Maske anzulegen und den Anderen mit der Last des eigenen Selbst zu verschonen. Der Ort dieser Selbstdistanz ist ihm die Großstadt. Hier begegnen sich die Menschen als Fremde, hier sind sie in keine Identität eingesperrt. Eine Bühne ist aufgeschlagen, auf der jeder mit seiner äußeren Erscheinung und seinem Selbstbild spielen kann, ein Spiel mit dem Vergnügen, sich selbst zu verlieren, statt im eigenen Ich zu schmoren. Ist doch, was jenseits der Psyche und ihrer Sensationen liegt, der Stoff, der uns das gleiche wahrnehmen lässt, was auch den anderen bewegt. Die Öffentlichkeit ist es, die uns der Realität sozialer Klassen und unserer selbst versichert. Das sind Sätze, denen man nur zustimmen kann. Wie aber lässt sich mit klugen Sätzen, mit Aufklärung also, das Geschäftsmodell der Demagogie torpedieren? Ist es doch der herbeigeführte Realitätsverlust, der die um ihre Öffentlichkeit gebrachten und mit privat interest stories wohl versorgten Individuen zu manipulierbaren Objekten der Verführung macht. Ein Kapitel des Buchs heißt Wie Kunst öffnet. Sennett sieht demnach einen Ausweg. Es ist der Glaube an die befreiende Kraft der Aktionskunst. Dieser Glaube ist mit den alt gewordenen Hippies sehr in die Jahre gekommen. Richard Sennett will die Barrieren zwischen Darstellern und Publikum niederreißen, Techniken der Oper für den politischen Protest nutzen, eine Performance befreiender Art auf die Straße bringen. Mobile Theatergruppen im Dienst der Aufklärung – das soll nicht zum Spott reizen. Das ist allemal respektabler, als die Tyrannei der Intimität achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen. Das Buch redet einem pragmatischen Zugang zur Kunst das Wort. Sie soll helfen, soziale Pathologien zu heilen. Dem Autor geht es um die Hereinnahme des Kunstschaffens ins Leben. Das Kunstwerk soll die Menschen offener füreinander machen. Die Sache soll also für etwas gut sein. Der Autor hantiert mit einem soziologischen Kunstbegriff und landet bei Lebkuchensprüchen. Sein Essay geht der vom deutschen Idealismus formulierten und von der kritischen Theorie aufgegriffenen ästhetischen Theorie weiträumig aus dem Weg. Dieser Ästhetik gilt für wahr: In einer Welt, die jedem Gegenstand sein Für-sich-sein verweigert und ihn dem Tauschwert unterwirft, kann sich ein Kunstwerk nur behaupten, indem es sich weigert, ein Mittel zum Zweck darzustellen. Der amerikanische Pragmatismus und mit ihm Sennett sehen dies anders. Mit vielen Ich-Sätzen hat der Autor seinen Text angereichert: Als mein schwuler Freund sterbenskrank mit Aids in der Klinik lag; als ich einmal mit Roland Barthes vierhändig Klavier spielte; als ich mit Norbert Elias in Greenwich Village zu Mittag aß… Auf solche Sätze folgt immer Argumentation, aber man kommt nicht umhin, sie auch für arg eitel zu halten. Die berühmten Namen werden als Brand benutzt, eine Vermarktungslogik der Personalisierung und des Antiintellektualismus, gegen die der junge Sennett Sturm gelaufen wäre und die dem alten zupasskommt. Ungehemmt dringt die Logik des Marktes in den Text ein. Und dazu kommt noch das fehlende Lektorat. Der Autor von Der Eindimensionale Mensch heißt nicht Ludwig, sondern Herbert Marcuse und der Musiker Mahler heißt nicht wie der die Wände weißelnde Handwerker. Der Verlag hat seinem Autor das Aufmotzen des Textes nicht gedankt. Das fehlende Lektorat zeugt vom mangelnden Respekt für ein richtiges Buch.
Und ein richtiges
soziologisches Buch ist es. Es hat wunderbare Passagen über die Geschichte der
Bühne und des Theaterraums. Es vergleicht Wagners Bayreuth mit einem Londoner
Fussballtempel, es macht mit dem Unterleibshumor der Commedia dell’arte bekannt
und es endet in der Gegenwart: Der Kodex der geschlossenen Bühne – schau zu
und füge dich – ist zum Leitprinzip der modernen Politik geworden. |
Richard Sennett
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