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»Als nächstes kaufe ich Coca-Cola«

Anweisung für eine Elite, dargebracht für alle Menschen
»The Billionaire’s Bible« herausgegeben von Matthias Duderstadt

Von Wolfgang Bock
 

Ein kleiner Club
Dieses Büchlein aus dem Eulenspiegel Verlag kommt wie eine reziproke Mao-Bibel daher: Rot, klein und voller flotter Sprüche für alle Lebenslagen. Nur soll damit nicht eine sozialistische Zukunft unterstützt werden, sondern eine liberalistische Gegenwart. Angeblich handelt es sich um ein Regelwerk für Milliardäre, das diese nur unter sich herumreichen. Die Anleitung sei nur durch Zufall in die Hände des Herausgebers gefallen. Und dieser macht sich nun daran, die Öffentlichkeit darüber zu informieren.

Profiteure der Ungerechtigkeit
Eine solche Information tut Not, wenn das Szenario auch, wie man unschwer bemerken kann, gefaked ist. Die Physik kennt den Satz von der Umkehrbarkeit des Lichtwegs: Was angesehen werden kann, vermag zurückzuschauen. Diese Metapher, die in der Naturwissenschaft eine wichtige Rolle als eine Generalklausel spielt, stammt aus der Theologie. Sie ist die aufgeklärte Gegenthese zu Verhältnissen, in denen Gott auf die Welt schaut und den Menschen sieht. Dieser aber erblickt umgekehrt, wenn er in den Himmel schaut, nur Wolken. Diese Sichtweise sollte sich mit der Aufklärung und der Herrschaft des Bürgertums, das statt auf Privilegien und Geburtsrecht nun offiziell auf Bildung und Wissen setzt, umkehren. In dem Maße aber, wie sich in der bürgerlichen Gesellschaft eine neue Form von Geldadel bildet, lösen sich die Gleichheitsversprechungen der demokratischen Gesellschaft auf. Heute haben wir es weltweit mit neoliberalen Verhältnissen zu tun, die von einer Finanzaristokratie zusammengehalten werden, den Milliardären. Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes veröffentlicht seit 1987 eine entsprechende Liste. Die reichsten Männer der Welt sind demnach der Franzose Bernhard Arnauld, gefolgt von den drei amerikanischen Techmilliardären Elon Musk (Tesla), Jeff Bezos (Amazon) und Mark Zuckerberg (Meta). Die Anzahl der Milliardäre hat sich seit dem Jahre 2000 danach mehr als vervierfacht und beträgt heute 2640 Personen.[1]

Zwischen Skylla und Charybdis
In den USA stellt das die Wähler regelmäßig vor die Zwickmühle, sich entweder diesem Neoliberalismus der Demokraten anzuschließen oder den nationalistisch daherkommenden Willen-zur-Macht-Phantasien Trumps. Donald Trump selbst gehört zu beiden Lagern. Als Immobilientycoon zählt er zu den reichsten Männern der Welt und profitiert vom Neoliberalismus der Globalisierung. Als Stimme des Volkes, den Gott angeblich auserwählt hat, um den kleinen Mann in Amerika wieder groß werden zu lassen, nimmt er den Kampf gegen Die da oben auf. Dass er selbst zu Denen da oben gehört, tut seiner Rhetorik keinen Abbruch. Damit ist er der Vorreiter einer nationalistischen populistischen Bewegung geworden, die seit einiger Zeit im Moment die politische Sphäre weltweit umtreibt.[2] Die Internationale der Nationalisten, die mit Vorliebe massenfeindliche Massenbewegungen organisiert, trifft sich bei der Amtseinführung von Jair Bolsonaro in Rio de Janeiro ebenso wie bei der zweiten vom Trump in Washington, mit dabei diesmal Musk, Bezos und Zuckerberg. Dabei sind die Taten der Großen nur die erfüllten Phantasien der Kleinen, die diese bewirkt haben. Die Verhältnisse verhalten sich umgekehrt: Wer groß erscheint, ist nur ein Scheinriese; er kann es nur sein, weil die anderen, die klein sind und klein bleiben, ihm diese Größe erlauben. Wenn im Leviathan von Thomas Hobbes die Einzelnen ihr Naturrecht über sich an den König abgeben, so übernimmt in der Finanzoligarchie das Geld diese Mittlerrolle. Die Ökonomie funktioniert im Großen wie eine Tombola: Nur weil es auf der einen Seite viele Nieten gibt, gibt es auf der anderen die Hauptgewinne. Dieses Prinzip ist alt. Das Versprechen der Reichen des Neoliberalismus bleibt dasjenige der Physiokraten des 19. Jahrhunderts. Ihr politisches Credo ist und bleibt: „Bereichert euch!“ – „Wenn ich es kann, kannst Du‘s auch!“ – „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ Diesen Parolen zu folgen, statt die Gerechtigkeit in die eigene Hand zu nehmen, führen damals wie heute die Menschen auf die Leimrute der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit. An dieser fliegen die einen bei ihrer Karriere buchstäblich vorbei, während die anderen kleben bleiben und nicht vorwärtskommen.

»Ich habe nichts gegen Fremde, aber dieser Fremde ist nicht von hier.«
An diesen Verhältnissen spielt Desinformation eine wichtige Rolle, Subjektivität ist darin, wie Rudolf zur Lippe sagt, ein objektiver Faktor. Wenn die Klientel der Mächtigen in den von der Kulturindustrie organisierten Himmel schaut, dann wird ihr Blick angezogen von der politischen Klasse. Die Wutbürger richten ihr Begehren und ihre Emotionen auf die Politiker der Gegenseite, die sie mit Geschrei und Henkersphantasien bedenken. Dass darüber aber in dem Gesellschaftsbau, der einen Wolkenkratzer gleicht, Meinungsmacher am Werk sind, die den status quo in ihrem Sinne interpretieren, entgeht den kleinen Männern und Frauen. Sie toben sich lieber in den sozialen Medien aus, laufen auf der Straße umher und verprügeln mit Vorliebe Fremde und Grüne.

Ein Handbuch
Hier kommt »The Billionaire’s Bible« ins Spiel. Diese gleicht in Wahrheit weniger den Worten des großen Vorsitzenden Mao als vielmehr Ratsgeberwerken zur Lebenskunst – wie etwa das Handorakel von Baltasar Gracián aus dem 17. Jahrhundert, Schopenhauers Eristische Dialektik. Über die Kunst Recht zu behalten oder modernen Lesebüchern für Dialektiker wie die 121 Keunergeschichten von Bertolt Brecht.[3] Sie ist, klein wie sie ist, dennoch verwandt mit der Großen französischen Enzyklopädie von Diderot, Voltaire und d’Alembert. Und so ähnelt die Anlage des Büchleins mit ihren Stichworten mehr dem Materialienteil von Walter Benjamins unvollendet gebliebenen Passagenwerk als allem anderen. Aus der Not Benjamins, der sich in die Materialien gestürzt hat und nicht mehr die Zeit hatte, aus ihnen aufzutauchen, macht der Autor der »Billionaire’s Bible« aber eine Tugend. Vollständigkeit ist ihm kein Ideal, vielmehr: die Anregung. Er malt die Welt der Milliardäre nicht komplett aus, sondern gibt nur die einzelnen Segmente des Kreisbogens ihres Kosmos. Auf diese Weise kann sich jeder Leser und jede Leserin ein eigenes Bild machen.

Wortallegorien
Diese Bilder sind Wortallegorien, der Text ist ein Bilderbuch der Wörter. Die entsprechenden Assoziationen tauchen auf, sobald man eines der 75 Stichworte gelesen hat. Diese teilen sich in Gut und Böse: Börse und Banken, Hedgefonds, Privatisierung, Lieferdienste stehen gleichsam auf der Habenseite, während man von den anderen – wie Kulturleben, Film, Wohnen, Gesundheitsversorgung, Haltbarkeit oder Geflüchtete – in dieser Welt schon nichts mehr wissen will. Jeweils findet sich auf der linken Seite ein Zitat eines Milliardärs und auf der rechten Seite ein entsprechender Kommentar. So lesen wir beispielsweise unter der Nummer 71 ein Zitat von Elon Musk: „Als nächstes kaufe ich Coca-Cola, um das Kokain wieder zurückzubringen“. Und der Kommentar dazu lautet:

»Die Produktion und Distribution von Drogen liegt zum großen Teil in den Händen von Gruppen, die nicht Bestandteil des etablierten und kompetenten Geschäftslebens sind. Die partielle Legalisierung von Marihuana in den USA und anderen Staaten zeigt, welcher Weg einzuschlagen ist. Es geht um die weltweite Legalisierung aller Drogen, um sie zu einem lukrativen Geschäftsfeld zu machen, das in Unternehmen, Konzernen und an der Börse gemanagt wird. Dass zurzeit Milliarden von Dollars in dunklen Kanälen verschwinden, ist ein unhaltbarer Zustand, der in Absprache mit den jeweiligen Regierungen so schnell wie möglich beendet werden muss.«

Advocatus Diaboli
Ob das Verhältnis von informeller und formeller Ökonomie hier richtig wiedergegeben wird, mag in Zweifel stehen. Das Werk ist jedenfalls eine Mischung aus Schreck und Aufklärung. So kann man sich auch in schwierigen Zeiten zumindest grob orientieren, wenn man vor lauter Dementi und dem Hin und Her der Debatten in den Medien nicht mehr weiß, was gesagt worden ist. Deutlich sollte so auch dem Letzten werden, wer die wirkliche Gefahr für die Demokratie darstellt. Es sind weder die bösen Russen noch die brutalen Amerikaner, ja nicht einmal die FDP und die Mächte hinter der AfD und Friedrich Merz in Deutschland. Sondern es ist eine Organisation des Wirtschaftslebens, die nach Karl Marx mit dem tendenziellen Fall der Profitrate ihrem Untergang entgegenstrebt, aber in der Realität anscheinend noch 100.000 Jahre an der Macht bleiben kann. Da aber Unbewusstsein oder Bewusstsein einen Faktor in dieser Machtkonstellation darstellt, ist dem kleinen Büchlein eine große Leserschaft zu wünschen.

[1] Vgl. https://www.forbes.com/billionaires/; zuletzt abgerufen am 1. Februar 2025.

[2] Vgl. etwa Heinrich Geiselberger (Hg.), Die große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit, Berlin: Suhrkamp 2017.

[3] Balthasar Gracian, Handorakel und Kunst der Weltklugheit. Aus dem Spanischen von Arthur Schopenhauer, Berlin: Suhrkamp 2009; Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik oder Die Kunst Recht zu behalten, Zürich: Haffmans Verlag 1983; Bertolt Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner, Berlin: Suhrkamp 2012

Artikel online seit 01.02.25
 

Matthias Duderstadt
The Billionaire’s Bible
Eulenspiegel Verlag
160 Seiten
Nur echt im Mao-Bibel-Format!
10,00 €
978-3-359-03064-5

 


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