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Glanz & Elend

Büchertipps

Impressum | Mediadaten | Letzter Stand: 11.02.2015, 15:50

24 Lesetipps
für Herz & Hirn

Artikel online seit 15.03.13

Zeitlos guter Stoff
In seinem opulenten Sittenbild beschreibt Upton Sinclair den Kampf der kalifornischen Ölbarone um das schwarze Gold ebenso detailgenau wie die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Strömungen der amerikanisc
hen Arbeiterbewegung in ihrem Kampf um so etwas wie soziale Gerechtigkeit zu Beginn des 20. Jahhrunderts. Darin eingebettet liest sich die Geschichte des idealistischen Juniorchefs Bunny erstaunlich zeitgemäß, ohne den periodisch immer wieder auftauchenden Vorwurf, das sei doch »Sozialkitsch« auch nur ansatzweise zu rechtfertigen. Let's go boys.
Upton Sinclair - Öl! -
Roman - Mit Nachwort von Ilija Trojanow
Aus dem Amerikanischen von Andrea Ott
Manesse - 978-3-7175-2254-6 - € 34,95 Leseprobe

Ein Tauchgang in die bleierne Zeit
Im Mai 1975 stirbt Philip S. bei einem Schusswechsel mit der Polizei auf einem Kölner Parkplatz. Fast vierzig Jahre später geht Ulrike Edschmid auf die Suche nach den wenigen Spuren, die er hinterlassen hat. Philip S. war ihr Gefährte: ein sensibler, eigenwilliger junger Mensch, der 1967 aus Zürich nach Berlin kam, sich liebevoll um ihr Kind kümmerte und seinen ersten experimentellen Film drehte, während andere gegen den Vietnamkrieg demonstrierten und Institute besetzten. Drei Jahre später wird ihre Fabriketage mehrmals von der Polizei durchsucht. Der sechsjährige Sohn, unbestechlicher Zeuge einer zunehmenden Radikalisierung, tritt den bewaffneten Beamten mit seiner Armbrust entgegen. Als die Mutter und Philip S. verhaftet werden, kann er ihnen nicht mehr beistehen. Ohne es zu wissen, wird er seine Mutter retten. Philip S. dagegen, der sich für die Revolution entschieden hat, setzt sich Schritt für Schritt aus dem gemeinsamen Leben ab.
Ulrike Edschmids Bericht aus der bleiernen Zeit geht gerade deshalb so an die Nieren, weil sie auf jeden sozialromantischen Schnörkel verzichtet. Ein Buch, das unerwartet kraftvoll nach mir gegriffen hat, und beim Lesen begann sich der große, alte Zorn wieder in meinem Bauch zu sammeln...
Ulrike Edschmid - Das Verschwinden des Philip S.
Suhrkamp, 157 Seiten - 15,95 €
ISBN: 978-3-518-42349-3

Eine wahre Geschichte?
New York, Weihnachten 1969. Willie Sutton packt seine Bücher ein und räumt die Zelle. Endlich Freiheit. Nach siebzehn Jahren. Doch die Zeit hat ihre Bedeutung verloren. Mit einem Fotografen und einem Reporter fährt er durch das verschneite New York auf den Spuren seiner legendären Vergangenheit: Die Kindheit im irischen Viertel, der erste Raub, dann 200 Banküberfälle, ohne je einen einzigen Schuss abzufeuern - und immer wieder Bess, die ihm das Herz brach. Wie ein Puzzle setzt sich Seite für Seite Suttons Leben zusammen. Was dabei Wirklichkeit und was Erfindung war, werden wir nie erfahren. Aber was macht das schon. Leseprobe
J.R. Moehringer - Knapp am Herz vorbei
Roman - S. Fischer - € 19,99 - 978-3-10-049603-4

Moralischer Kompaß
Jeden Herbst lassen die Männer von Loyalty Island den grünen Nebel der Olympic-Halbinsel hinter sich und fahren auf die Beringsee hinaus. Der vierzehnjährige Cal ist noch zu jung, um seinen Vater zu begleiten, aber alt genug, um zu wissen, dass das Leben aller Familien im Ort vom Schicksal der Krabbenfischer abhängt. Er ist auch alt genug, um die Spannungen zwischen seinen Eltern zu spüren. Ob er in die Fußstapfen seines Vaters treten soll, ist ein steter Streitpunkt -, und das Verhältnis seiner Mutter zu John Gaunt, dem Besitzer der Flotte, wirft Fragen auf. Dann stirbt John Gaunt: ein Schock für Cals Mutter, aber auch eine handfeste Bedrohung für die gesamte eingeschworene Gemeinschaft von Fischerfamilien. Denn nun soll Johns Sohn Richard die Geschäfte übernehmen, der als zynischer Außenseiter gilt und obendrein noch nie einen Fuß auf einen Kutter gesetzt hat. Als Cal zufällig ein Gespräch zwischen seinem Vater und anderen Fischern belauscht, beschleicht ihn ein Verdacht - aber kann es wirklich sein, dass sie Richard aus dem Weg räumen wollen?
Leseprobe
Nick Dybek - Der Himmel über Greene Harbor
- Roman
Aus dem Amerikanischen von Frank Fingerhuth - mare
320 Seiten -
19,90 € - 978-3-86648-160-2

Orwells 1984 war gestern,
Nordkorea ist heute

Pak Jun Do hat noch nie einen Film gesehen, kaum je ein Werbeplakat, er findet es merkwürdig, dass woanders Leute Tiere im Haus halten, und wundert sich über Maschinen, die Geld auswerfen. Er kennt keine Ironie, keine Kunst, keine Mode und keine Magazine. Aufgewachsen im nordkoreanischen Waisenhaus Frohe Zukunft, ist er ein winziges Rädchen im Getriebe der absurd-grausamen Herrschaft des »Geliebten Führers« Kim Jong Il. Nur ein falsches Wort kann jeden sofort ins Lager bringen. Doch mit der Zeit beginnt Jun Do an etwas zu glauben, was stärker ist als Staatstreue: Freundschaft und Liebe. Als er die Schauspielerin Sun Moon trifft, lernt er das bedingungslose Vertrauen in einen anderen Menschen kennen. Und nur dafür lohnt es sich zu überleben. Leseprobe
Adam Johnson - Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
Aus dem amerikanischen Englisch von Anke Caroline Burger
suhrkamp taschenbuch 4425 - 687 Seiten - 22,95 €
ISBN: 978-3-518-46425-0

Afrikanisches Abenteuer
Eigentlich sollte Benjamin von seinem Vater abgeholt werden. Aber stattdessen steht der Dreizehnjährige mitten in der Nacht allein am Flughafen von Monrovia. Ohne Pass und Gepäck, aber mit einem fremden Mantel, in dessen Taschen dicke Geldbündel stecken. Auf dem Weg in die Stadt wird er von zwielichtigen Gestalten verfolgt und steht plötzlich vor dem gleichaltrigen Bo und der vom Wohlstand verwöhnten Brilliant. Haben sie ihn schon erwartet? Auf der Suche nach seinem Vater lernt Benjamin, wie man über sich hinaus wächst, und erlebt ein mitreißendes Abenteuer fürs Leben. Leseprobe
Rainer Merkel - Bo -
Roman - S. Fischer
€ 22,99
- 978-3-10-048444-4

Vom Glück auf See
»Ich spüre, wie der Rausch des Alleinseins in mich eindringt, der süße Rausch der Ruhe, die nichts stören wird, kein weißer Brief, kein blaues Telegramm, nicht die Klingel meiner Tür, noch das Bellen meines Hundes. Ich bin allein, wirklich allein, wirklich frei.«
Und tatsächlich wird Maupassant während einer zehntägigen Kreuzfahrt mit der kleinen Jacht Bel-Ami durch nichts gestört als seine beiden Matrosen, die sich höchstens ab und zu über die Windrichtung streiten. An Bord unternimmt er leidenschaftliche Exkurse ins Reich der Gedanken, sinniert über die Oberflächlichkeit der Welt des Geldes in Cannes und ihr prätentiöses Verhältnis zur Kunst, über die Selbstreflektiertheit des Künstlers, über Glück und Einsamkeit.
Leseprobe
Guy de Maupassant - Auf See
Aus dem Französischen von Cornelia Hasting - Mit einem Nachwort von Julian Barnes - mare - 192 Seiten - Leineneinband mit Lesebändchen im Schuber -
24,00 € - 978-3-86648-166-4

Prall
»Schreiben Sie, daß ich unbequem war und es auch nach meinem Tod zu bleiben gedenke. Es gibt auch dann noch gewisse Möglichkeiten.«
B. Brecht
Das Leben des Bertolt Brecht, erzählt als die Geschichte eines kritischen Intellektuellen, der sich und sein Werk gegen politische Hindernisse und zwei Weltkriege durchsetzte und der zwischen die ideologischen Stühle geriet. Als erster nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung nimmt Jan Knopf den charismatischen und schwierigen Menschen, den genialen und zerrissenen Künstler in den Blick, der nach sensationellen Erfolgen in den Zwanzigerjahren ins Exil gehen musste und nach dem Scheitern in Hollywood mit dem (Ost-)Berliner Ensemble erneut Triumphe feierte.
Jan Knopf - Bertolt Brecht - Lebenskunst in finsteren Zeiten
Biografie - Hanser - 560 Seiten - Mit Lesebändchen und Register
27,90 € - 978-3-446-24001-8

Eine literarische Delikatesse
Daß Honoré de Balzac Asket und Gourmet in einer Person war, Hungerleider wie Vielfraß, ist gern erzählte Legende. Phasen strengster Arbeitsdisziplin und Abstinenz wechselten sich ab mit orgiastischen Fresszügen durch die Pariser Feinkostläden, Märkte und Bäckereien. Dabei entdeckte er auch eine Einrichtung für sich, die damals als öffentlicher Ort des kulinarischen Genusses gerade in Mode kam, das Restaurant. Und fortan diente es ihm nicht nur als eine ideale Bühne zur Inszenierung seiner Sittenbilder, sondern auch als perfekter Lokation für seine Lust am exzessiven Essen. Mit Die Austern des Monsieur Balzac hat Anka Muhlstein eine wunderbare Liebeserklärung an das Paris des 19. Jahrhunderts geschrieben, die gespickt ist mit biographischen Anekdoten und süffisanten Details aus dem Leben Balzacs und seiner Romane. Ein kulinarisch-literarisches Geschenkbuch erster Güte. HD
Anka Muhlstein -
Die Austern des Monsieur Balzac - Eine delikate Biografie - Aus dem Französischen von Grete Osterwald
insel taschenbuch 4103 - Broschur, 164 Seiten - 8,99 €

»So wurde ihnen die Flucht zur Heimat«
Unter diesem Motto zeigt die Ausstellung des Deutschen Exilarchivs der Deutschen Nationalbibliothek 1933-1945 in Frankfurt/Main, kuratiert von Victoria Lunzer-Talos und Heinz Lunzer, Materialien, welche die Freundschaft von Soma Morgenstern und Joseph Roth eindrucksvoll dokumentieren. Dazu ist im Weidle Verlag ein großformatiger Band erschienen, der neben bisher unbekannten Briefe und Notizen zu Morgensterns Texten und zu den jeweiligen Biographien der Schriftsteller auch zahlreiche Fotos und Faksimiles birgt, die den Leser in die düsterste Epoche deutscher Kulturgeschichte eintauchen lassen, in der einzig die Freundschaften der Verlorenen Lichter im Dunkel der Barbarei waren.
»Eigentlich sollte das, was ich seit Jahren schreibe, den Titel haben: Ein Leben mit Freunden. Aber leider kann ich diesen Titel nicht verwenden, weil ich zu der unglücklichen Generation gehöre, die in einer Flut von Weltgeschichte verunglückte, aus der nur einige ihr Leben gerettet haben, aber keinesfalls ohne Schaden davongekommen sind.«  Soma Morgenstern
Die Ausstellung geht vom 7. November 2012 – 19. Januar 2013
Soma Morgenstern und Joseph Roth. Eine Freundschaft.
120 Seiten, zahlreiche Abbildungen - Weidle Verlag - fadengeheftete Broschur - € 25 - 978-3-938803-47-9

Géza von Cziffra:
Erinnerungen an Joseph Roth

Der 1900 im ungarischen Arad geborene Géza von Cziffra wurde als Regisseur erfolgreicher Unterhaltungsfilme bekannt. Er war aber auch Reporter, Dramaturg, Bühnen- und Drehbuchautor und veröffentlichte eine Reihe Bücher, darunter mehrere Memoirenbände. Als Flaneur durch die literarischen Cafés von Wien und Berlin lernte er dort neben Else Lasker-Schüler, Egon Erwin Kisch, Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht auch Joseph Roth kennen. Daß, wer sich kurz faßt, häufig mehr mitzuteilen hat als weitschweifige Memoirenverfasser, beweisen diese in bestem Sinne herzzerreißenden Erinnerungen eines Maitre der leichten Muse an einen der ganz großen Dichter des Zwanzigsten Jahrhunderts. Sie sind kurz und doch endlos unterhaltsam. Dabei läßt ihr federleichter Ton nie vergessen, daß hier ein tragisches Leben in sich rasch verfinsternden Zeiten im Mittelpunkt steht:
Joseph Roth, der Dichter des »Radetzkymarschs« und scharfzüngige Journalist, ein von, oft selbst fabrizierten, Geheimnissen umgebener Spötter und Abkömmling des verschwundenen ostjüdischen Kosmos, berühmter Trinker, Hotel- und Caféhausbewohner, Zeitgenosse, Freund und Feind von Egon Erwin Kisch, Alfred Polgar, Bertold Brecht, Heinrich Mann, Irmgard Keun, Ödön von Horváth, expressionistischen Malern – ihnen allen setzt dieser wundervoll gestaltete Halbleinenband von Berenberg ein stilvolles Denkmal. HD

Géza von Cziffra - Der heilige Trinker - Berenberg Verlag - 140 Seiten · Halbleinen, fadengeheftet - EUR 19,00

»Auf Ozeanen und im Wartesaal«
Einer dieser Verlorenen war auch der 1902 geborene Schriftsteller und Publizist Hans Sahl, der als jüdischer Autor 1933 von Berlin aus über Prag und Zürich nach Frankreich flüchten mußte. Von Marseille aus organisierte er mit dem Amerikaner Varian Fry die Flucht von 2400 Intellektuellen vor den Nazis, ehe er selbst über Portugal in die USA entkam. Dort arbeitete er als Schriftsteller, Übersetzer und Journalist.
»Die hellen Nächte« war sein erster Gedichtband, er erschien 1942 im Verlag von Barthold Fles, nachdem es gelungen war, 250 Subskribenten zu werben. Die hier vorliegende Ausgabe bringt die Gedichte erstmals wieder in der von ihm bestimmten Ordnung.
Ebenfalls in diesem Herbst erschien der vierte Band der Werkausgabe, der unter dem Titel »Der Mann, der sich selbst besuchte«, die Erzählungen und Glossen Sahls wieder zugänglich macht. HD
Hans Sahl - Die hellen Nächte - Gedichte aus Frankreich - Mit Beiträgen von Burkhard Baltzer, Momme Brodersen, Stéphane Hessel und Ralph Schock. Weidle Verlag - 100 Seiten - € 16,90 - 978-3-938803-54-7
Hans Sahl - Der Mann, der sich selbst besuchte - Erzählungen - Luchterhand Literaturverlag - 416 Seiten - € 22,99 978-3-630-87293-3
 

Jahrhundertgespräch
»Dieses Buch ist Geschichte, Biographie und moralphilosophische Abhandlung. Es ist eine politische Ideengeschichte des 20.Jahrhunderts, in der es um die Themen Macht und Gerechtigkeit geht,...« Mit diesen Worten leitet Timothy Snyder sein Vorwort ein zu einem Buch, das keinen Leser, der noch guten Willens ist, kalt lassen kann. Guten Willens, Verstehen zu lernen und geduldiger Lesezeuge eines langen Gespräches zwischen Snyder und Tony Judt zu werden, das nicht weniger ist, als die kritische Bilanz der großen politischen Ideen der Moderne. Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter der politischen Visionen. Die unversöhnlichen Konflikte zwischen Kommunismus, Liberalismus und Faschismus hinterließen auch in Tony Judts Familie tiefe Spuren: seine Cousine starb in Auschwitz, sein Vater war Marxist, er selbst begeisterte sich für die Kibbuz-Bewegung in Israel, erlebte 1968 in Paris, das neoliberale Großbritannien unter Thatcher und schließlich, 1989, das Ende des Kommunismus in Europa.
 Leseprobe
Ton
y Judt - Nachdenken über das 20. Jahrhundert - Aus dem Englischen von Matthias Fienbork - Hanser Verlag
416 Seiten  - Mit Lesebändchen -
24,90 € - 978-3-446-24139-8

»Wahr ist auch das Gegenteil...«
Hinter der Protestbewegung haben Atomkraft und Raketentriebwerke gesteckt, nicht die Liebe zum Sozialismus. Marx war Darwinist und das Kommunistische Manifest übler Kitsch. Der Kommunismus ist abgelaufen wie altes Badewasser, als der Stöpsel gezogen wurde. Der Mensch als Einzelner ist ein bösartiges Tier und die Menschheit als Ganzes eine wild wuchernde Amöbe. Im Kapitalismus haben die Menschen einen Doppelgänger: Er ist wie sie, sie haben ihn ja auch gemacht. Linksradikale schöpfen aus dem Kapitalismus Lebenssinn und Seelentrost. Die Geschichte ist keine Schatzkammer, sondern eine Leichenhalle, und aus der Vergangenheit kann man nur lernen, dass man sie vergessen soll. Das ist die Wahrheit, aber nicht die ganze, sondern wahr ist auch das Gegenteil. Wie er es damit hält, muss jeder selbst für sich entscheiden. Vorbeter gehören in die Kirche oder ins Politbüro. Leseprobe
Wolfgang Pohrt - Das allerletzte Gefecht
Über den universellen Kapitalismus, den Kommunismus als Episode und die Menschheit als Amöbe
edition tiamat -
Critica Diabolis 205 - Broschur, 160 Seiten
13.- € - 978-3-89320-174-7

Ignorante Zuversicht
Der Kapitalismus steuert auf eine Weltwirtschaftskrise zu. Damit gewinnen die bereits in den achtziger Jahren entwickelten krisentheoretischen Thesen und Analysen von Robert Kurz, die von der vereinigten Restlinken wie vom bürgerlichen Wissenschaftsverständnis stets grundsätzlich zurückgewiesen wurden, weit mehr als bisher an Realitätsgehalt. Das angeblich Unmögliche beginnt wahr zu werden, auch wenn sich das herrschende Bewusstsein gegen die Einsicht sträubt, dass es um etwas anderes geht als um eine bloß zyklische Abwärtsbewegung, die nach ein paar Monaten oder höchstens einem Jahr glücklich überstanden sein wird. Diese auf Ignoranz basierende Zuversichtlichkeit eines irre gewordenen positiven Denkens steht in eigenartigem Kontrast zu den Aussagen der meisten Konjunkturforscher, die an ihrer eigenen Prognosefähigkeit zweifeln. Und auch der offizielle akademische und politische Diskurs sieht die systemischen Grundlagen in Gefahr. Leseprobe
Robert Kurz - Weltkrise und Ignoranz. Kapitalismus im Niedergang - Ausgewählte Schriften 1992 – 2012 - Hrg. Roswitha Scholz & Claus Peter Ortlieb - edition tiamat - Critica Diabolis 204 - Broschur, 240 Seiten - 16.- € 978-3-89320-173-0

Bedingungsgeflecht der Genialität
Büchnerjahre hin oder her, Georg Büchner ist bis heute ein Ungeliebter, weil unbequemer Kopf, (18
13–1837) ist bisher vorwiegend als politischer Agitator, Frühsozialist und Vorläufer der 1848er Revolution betrachtet worden. Das Menschliche kam dabei zu kurz, ebenso das Künstlerische, das Romantische, das Psychologische, das Metaphysische und die wildwüchsige Religiosität. Aufsässig und melancholisch, satirisch aggressiv und romantisch verträumt, politisch gescheitert und steckbrieflich gesucht, in mindestens zwei Frauen verliebt, Naturliebhaber und eiserner Arbeiter, im französischen und schweizerischen Exil steile Karriere als Anatom, dann der schreckliche Typhustod mit 23 Jahren, gerade als das erste Berufsziel erreicht war – dieses Leben verschlägt einem den Atem. Die politische Flugschrift, deren Verfasser er war, löst eine Verfolgungs- und Verhaftungswelle aus. Er kann fliehen, fühlt sich aber schuldig, meidet fortan politische Aktionen und steckt seine Kraft in Wissenschaft und Dichtung. Er schreibt seine Dramen (Dantons Tod, Leonce und Lena, Woyzeck) und seine Erzählung (Lenz) autobiographisch und quellengestützt, das erklärt sein Tempo. Die autobiographischen Elemente wurden bisher unterschätzt. Sie bilden die wichtigste Quelle dieses Buchs. Es sucht nach dem Bedingungsgeflecht der Genialität. Die Kräfte, für die das Leben keinen Raum bietet, drängen ins Werk. Hermann Kurzke deutet Büchners Leben und Werk von den geistigen Wurzeln her, die Büchner selbst wichtig waren – wissenschaftlich fundiert und erzählerisch auf höchstem Niveau. Leseprobe
Hermann Kurzke - Georg Büchner - Geschichte eines Genies
C.H. Beck - 591 S.: mit 48 Abbildungen. In Leinen  - 29,95 €
978-3-406-64493-1

Leben & Werk in seiner Zeit
Seit vier Jahrzehnten ist dies die erste große Marx-Biographie – geschrieben von einem exzellenten Kenner auf der Grundlage intensiver Forschungen. Jonathan Sperber zeigt uns Karl Marx genauer als je zuvor im Kontext seines Jahrhunderts und interpretiert ihn nicht, wie die meisten seiner Vorgänger, als eine Art posthumen Zeitgenossen. Dieses Buch macht uns vielmehr bewusst, wie stark Marx sich im Koordinatensystem der eigenen Epoche bewegte – zwischen den Ereignissen der Französischen Revolution und einer kapitalistischen Zukunft.
Kein anderer Denker ist so gründlich in eine permanente Deutungshaftung für die Gegenwart genommen worden wie Karl Marx. Die Biographie folgt den Spuren eines genialen Mannes, der ein Leben lang nach einer neuen und radikaleren Version der Französischen Revolution suchte und schließlich – neben Darwin – zum meistzitierten Denker des 19. Jahrhunderts werden sollte.
Leseprobe
Jonathan Sperber - Karl Marx - Sein Leben und sein Jahrhundert - Aus dem Englischen von Thomas Atzert, Friedrich Griese†, und Karl Heinz Siber - C.H. Beck  - 634 S.: mit 33 Abbildungen. Gebunden - 29,95 € - 978-3-406-64096-4

Klassenkampf & Revolution
Das Kommunistische Manifest ist einer der einflussreichsten politischen Texte, die je geschrieben wurden. Entstanden im Vorfeld der europäischen Revolutionen von 1848 enthält es die Grundzüge des historischen Materialismus und beschreibt Idee und Ziele des Kommunismus. Es bildete den Grundtext der kommunistischen Weltbewegung und prägte das Leben von Millionen Menschen. Noch heute vermag sein Inhalt zu provozieren und Debatten auszulösen über Vergangenheit und Zukunft des Kapitalismus. Das Buch bietet den Originaltext des kommunistischen Manifests zusammen mit den Kommentaren und der berühmten Einleitung von Gareth Stedman Jones. Sie macht seinen Inhalt verständlich, verortet ihn in der politischen Ideengeschichte, seziert die unterschiedlichen Einflüsse, denen Marx und Engels bei der Abfassung unterlagen und fragt nach der gegenwärtigen Relevanz seiner Thesen.
Leseprobe
Gareth Stedman Jones - Das Kommunistische Manifest
von Karl Marx und Friedrich Engels - Einführung, Text, Kommentar Aus dem Englischen von Catherine Davies und Friedrich Engels
Beck`sche Reihe: bsr;6068, 2012 - 
319 S.: Paperback - 14,95 €
978-3-406-63883-1

Eine starke Frau in der Stunde Null
»Ein Bett war nichts gegen eine Tür. Übermäßig hatte sich das Bett in der Wertschätzung des Menschen gespreizt, es hatte eine ganz unangemessene Ausdehnung in seinem Wunschdenken eingenommen. Dabei war wesentlicher Besitz des Menschen die Tür.«
April 1945: Die 27-jährige Elsa Lewinsky ist alleine in der großbürgerlichen Wohnung ihrer Eltern zurückgeblieben und wartet auf das Kriegsende. Der Einmarsch der Russen steht kurz bevor, doch die Zukunft ist ungewiss. Elsa ist eine mutige Einzelkämpferin, die trotz der Schrecken um sie herum mit Hoffnung nach vorne schaut. Lakonisch beschreibt Anemarie Weber die alltäglich gewordenen Erfahrungen von Hunger, Angst, Vergewaltigung und der Auseinandersetzung mit den Alliierten. Ihr präzises Psychogramm der Typen und Charaktere bricht mit den stereotypen Bildern der knoppschen Betrachtung von Geschichte.
Annemarie Weber - Westend - Roman - aviva Verlag - 318 Seiten - 19,90 EUR - 978-3-932338-52-6

»Nicht verflogen ist der Zauber...«
In einem sowjetischen Lazarettzug auf dem Weg von einer Front zur anderen befindet sich auch ein Petersburger Intellektueller, der von Herzanfällen und Todesangst gequält, den Werther liest - und zwar auf deutsch.
Es ist eine jener seltsamen zufälligen Gemeinschaften, wie sie nur Kriege und Naturkatastrophen hervorbringen.
Bei einem längeren Aufenthalt trifft er auf Vera, ein Mädchen, ruhelos und romantisch, grazil und ungestüm – und sie ist jederzeit zur Liebe bereit.
Petrows Erzählung, hat ihre besondere Geschichte: Jedes Jahr an seinem Geburtstag, zu dem die ganze kulturelle Elite Leningrads kam, begann die Feier damit, daß der Gastgeber Auszüge aus seiner Manon vorlas. Er verheimlichte seinen Text nicht, er reichte ihn nur nicht zur Publikation in sowjetischen Zeitschriften und Verlagen ein. So blieb einer der schönsten Prosatexte der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts im klandestinen Raum der Poesie geborgen.« HD
Wsewolod Petrow - Die Manon Lescaut von Turdej - Aus dem Russischen von Daniel Jurjew - Mit einem Kommentar von Olga Martynova & einem Nachwort von Oleg Jurjew - Weidle Verlag - 128 Seiten - Broschur - € 16,90 - 978-3-938803-48-6

Krauts & Tommies in Afrika
Wer Boyds letzten Klopper, seine im Januar dieses Jahres als TB erschienen »Neuen Bekenntnisse« gelesen hat, dem ist nicht nur aufgefallen, daß bloomsbury auf der Welle seines momentanen Erfolges gnadenlos seine frühen Werke raushaut, sondern auch, daß Boyd mit den Jahrzehnten einen markanten Reifeprozess durchlaufen hat. In den Bekenntnissen und jetzt auch wieder im soeben erschienenen Band »Der Eiskrem-Krieg«, dessen Originalausgabe bereits 1982 erschienen ist, erkennt man noch deutlich Einflüsse seiner großen Vorbilder, Greene und Somerset-Maugham. Damit einher gehen gelegentlich durchaus Längen, den Plot verkomplizierende Nebenlinien und eine ausgeprägtes Bedürfnis zur Erklärung historischer Zusammenhänge. Aber, und das ist das Bemerkenswerte bei Boyd, es stört das dadurch lehrreicher gewordene Lesevergnügen nicht, und man wartet auf weitere naturbelassene Perlen aus dem Frühwerk des Meisters. HD
William Boyd - Der Eiskrem-Krieg - Roman - Übersetzt von Hermann Stiehl - Berlin Verlag - 590 Seiten - 9,99 € - 9783833308192

Ein zeitlos gültiges Zeugnis
»Die Welt ist so voller Schwachköpfe und Narren, daß man nicht nötig hat, sie im Tollhause zu suchen.«
Die Niederschrift seiner »Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens« haben Johann Peter Eckermann, den Sohn eines umherziehenden Händlers, aus Winsen an der Luhe literarisch unsterblich gemacht. Obwohl sie bis heute nur zu gerne als eigenes Werk »unseres größten Dichters« angesehen werden, sind Eckermanns Gespräche mit Goethe ein eigenständiges Werk mit großer Wirkung und unerlässliche Quelle für das Verständnis von Goethes Schaffen und Persönlichkeit, ein Monument seines Nachruhms. Nun sind Eckermanns »Gespräche mit Goethe« endlich auch als erschwinglicher Band 50 der Taschenbuchausgabe des Deutschen Klassiker Verlags erschienen. Diese Ausgabe bietet den vollständigen Text nach den Erstausgaben und wertet Eckermanns Vorarbeiten, Fassungen, Fragmente und Pläne, Tagebücher und Korrespondenzen aus. Alle Texte werden durch einen umfangreichen Kommentar erschlossen.
Eckermanns »unmittelbaren Skizzen« haben ihre Originalität und Gültigkeit auch für heutige Leser behalten. Viele Textstellen können als Leitsätze und Lebensweisheiten auch ohne den weiteren Textzusammenhang, für sich genommen, stehen, und nicht wenige dürfen als treffende Kommentare oder kritische Anmerkungen zu Phänomenen unserer Gegenwart gelesen werden und stehenbleiben. Nachfolgende Zitate sollen einen kleinen Eindruck von Themenvielfalt, Orginalität und Witz der Aufzeichnungen Eckermanns vermitteln. HD

Johann Peter Eckermann - Gespräche mit Goethe Herausgegeben von Christoph Michel unter Mitwirkung von Hans Grüters - Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch 50, Broschur - 1390 Seiten - 20,00 € - 978-3-618-68050-5

Transformation der Verhältnisse
Die Krise hält uns in Atem und erzeugt ein diffuses Gefühl der Ratlosigkeit. So ernst die Lage ist, so wenig scheinen wir zu verstehen, was genau vor sich geht. Und wie es dazu kommen konnte. Wolfgang Streeck legt in seiner Frankfurter Adorno-Vorlesung die Wurzeln der gegenwärtigen Finanz-, Fiskal- und Wirtschaftskrise frei, indem er sie als Moment der langen neoliberalen Transformation des Nachkriegskapitalismus beschreibt, die bereits in den 1970er Jahren begann. Im Anschluss an die Krisentheorien der damaligen Zeit analysiert er, wie sich die Spannung zwischen Demokratie und Kapitalismus über vier Jahrzehnte entfaltet hat und welche Konflikte daraus zwischen Staaten, Regierungen, Wählern und Kapitalinteressen resultierten.
Wolfgang Streeck
- Gekaufte Zeit
Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus  -
Suhrkamp - 271 Seiten - 24,95 € - 978-3-518-58592-4


 


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- Magazin für Literatur und Zeitkritik

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