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Seitwert


Die Grablegung des Vigilanten

Christopher Nolans
»The Dark Knight Rises«

Von Peter V. Brinkemper

In der Kritik an «The Dark Knight Rises» (2012) vermischen sich Verwirrung, Zahlen und einmal mehr der Tod. Verwirrung: über ein unübersichtliches, beeindruckendes und stellenweise triviales dramaturgisches Ende der «Batman»-Trilogie Christopher Nolans, in dem der verschollene Bruce Wayne nach Gotham City zurückkehrt, um noch einmal als Batman aufzutauchen und einzugreifen, wo er doch als «Dark Knight» alle Schuld um den wahnsinnig gewordenen Staatsanwalt Harvey Dent/Two-Face auf sich genommen hatte, um Polizei und Justiz bei ihrem massiven und fragwürdigen Antiterrorkampf zu entlasten. Zahlen: zum ehrgeizigen Projekt von Warner und DC Comics und seinen Vertragspartnern Legendary Pictures und Syncopy Films, den Erfolg von Marvel Studios mit ihrem Superhelden-Kompilations-Action-3D-Abenteuer «Marvel’s The Avengers» kommerziell zu überbieten.

Der Tod fordert diesmal kein Opfer unter den Schauspielern wie 2008 den noch jungen, drogenabhängigen Heath Ledger, der den grandiosem Joker im mittleren «Batman»-Teil «The Dark Knight» gab. Der wohlvorbereitete Anschlag auf eine Mitternachts-Premiere von «The Dark Knight Rises» im Century-Kinokomplex in Aurora, Colorado, eine Schießerei durch einen jungen studierten Einzeltäter ins Publikum, eine Viertelstunde nach Filmbeginn, ausdrücklich in Anlehnung an den Joker-Stil, führt zu 12 Toten und zahlreichen Verletzten unter den Zuschauern. Die Filmkampagne wird daraufhin abgedämpft. Und wieder entsteht eine Diskussion darüber, ob die US-Amerikaner sich selbst nicht besser und schärfer kontrollieren und abrüsten sollten, statt Recht und Gesetz durch verfassungsmäßig nahegelegte Waffen-Gewalt notfalls selbst zu verteidigen. Mitten im US-Wahlkampf und «The-Dark-Knight-Rises»-Marketing fordert man ausgerechnet am Ort der imaginären Gewalt, dem US-amerikanischen Mainstream-Kino, eine Form unbedingter Waffenlosigkeit, die der immer weiter krisengeschüttelten Post-Bush-Obama-Nation schlichtweg gut täte: Absagen an die Ideologie des alten Vigilantismus mit dem Finger am Abzug gegen alles Fremde (spätestens seit dem Bürgerkrieg), Waffenverbot und Kostümverzicht für alle Filmtheater. Auch in Deutschland. Zu den Zahlen: Am ersten Wochenende in Nordamerika spielt der in 2D gedrehte Film mit 161 Mio. Dollar einen Großteil des 250 Mio. Budgets ein und liegt damit etwas unter dem 207 Mio. von «Marvel’s The Avengers», der seit Mai 2012 insgesamt weltweit bei rund 1,5 Mrd. Gesamteinnahmen angekommen ist (im Vergleich zu glatt einer Mrd. global für «The Dark Knight»).

Arthouse und Action

Christopher Nolan inszeniert, wie viele andere Regisseure, das Thema Gewalt und Gegengewalt in intensiver Form, gerade auch in seiner «Batman»-Trilogie. Typisch für seine früheren Filme «The Following» und «Memento» ist das Crossing Over von Arthouse, Verstörungs-Psychologie und krude entfesseltem Actionkino. Die Gewalt ist bei ihm immer mehrfach codiert, als irreversible, äußere Tat, als möglicher Irrtum und innerer Wahn, im Zwangssystem von Paranoia oder in der Missachtung entscheidender gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge, als Folge von Furcht und Abwehr tieferer Antriebe und weiterführender Beweggründe. Entsprechend zerstückelt Nolan die äußere Story zu einer gewaltigen Kartographie, einem zerrissenen Kontinent mit vielen, nach Innen abdriftenden Entscheidungsräumen zahlloser realer und virtueller Handlungslinien, die der Held als Märtyrer und Sprachrohr seines eigenen und des kollektiven Unbewussten auf sich nehmen muss, während ihn alle anderen Protagonisten kopfschüttelnd, verständnisvoll oder berechnend einkreisen. Diese schon fast bis zur Unerträglichkeit zerdehnte Existenzialpsychologie hat viel von der schwerfälligen Leitmotiv-Technik Richard Wagners. Mit «Prestige» und vor allem mit «Inception» (2010), seinem bisherigen Meisterwerk, hat Nolan die Poetik der feindlich auseinanderdriftenden psychologischen Handlungsräume weiter ausgebaut und ins Architektonische monumentalisiert. So wie «Inception» zwischen Japan, Mombasa/Tanger, L.A., Kansas und Paris,  unterirdischem Limbus und Tageswelt spielt, ist Batmans Reich überall, auf dem Anwesen der südenglischen Mentmore Towers, in einem in Island wiedererfundenen Bhutan, in Gotham City (nur in «Batman Begins» gutmenschlich hochdigitalisiert), in dem in Teil 2 stärker real entwickelten Chicago und atemberaubenden Hong Kong und im aktuellen dritten Film in der Post-9/11-Fassung Manhattans, angereichert mit einer wichtigen Prise Pittsburgh (vor allem das Football-Stadion), Los Angeles, Newark, Glasgow, London und Jodhpur. All dies verschmolzen zu einem Nirgendwo und Immer-Woanders.

Fusion mit «Inception»

Nolan hat mit «Inception» eine künstlerische «Erholung» vor dem jetzigen Finale der Batman-Trilogie eingelegt. Vielleicht hat er aber auch sich und seiner Produktion ein Ultimatum gestellt: «Entweder mache ich zwischendurch etwas anderes, oder es geht nicht mehr.» Das künstlerische Selbstbewusstsein, das er speziell mit «Inception» formuliert hat, ist auch bei «The Dark Knight Rises» zu spüren. Der letzte «Batman»-Teil setzt die Nolan-Philosophie auf «Inception»-förmige Weise um, das letzte entscheidende Auftauchen, das angestrebte, aber endlos umkämpfte Ende. Der Zuschauer wird –  wie der gealterte und geschwächte Bruce Wayne (Christian Bale) und wie der um seinen Vater und Konzernpatriarchen trauernde Robert Fischer Jr. (Cilian Murphy in «Inception») – von alten und neuen Handlungssträngen umzingelt, bis die Welt sich für den nach Gotham City zurückgekehrten und an sich zweifelnden Gerechtigkeitssucher Wayne in einer Gefängnissituation verdichtet: mit der unterschwelligen Botschaft, dass nur der Sohn oder die Tochter des Bösen dazu auserwählt seien, von diesem dunklen Ort aus ins Freie, Lichte, Helle zu flüchten. Hier fordert eine letzte Einflüsterung heraus, zum ultimativen Austritt aus den kindlichen Urängsten der Bathöhle und zur erneuten Bindung oder zur Absage an den Rächerkomplex als Folge des gewaltsamen Verlustes der Eltern, Freunde und geliebten Frauen, um die Rettung der Welt vor dem überall lauernden Verfall und der Korruption zu vollenden, eine Prozedur auf Messers Schneide, zwischen Leben und Tod. Wer vom Strukturalismus in «Inception» geschnuppert hat, wird die auffallende Fusions-Besetzung in «The Dark Knight Rises» mit dem Stammpersonal der Trilogie (so Commissioner Gordon: Gary Oldman; Butler und Ersatzvater Alfred: Michael Caine, der auch in «Inception» den ruhenden Pol gab; Lucius Fox: Morgan Freeman) und der neuen Crew aus «Inception» nicht nur als Zufall ansehen, sondern als Methode, um eine veränderte Aussageebene zu gewinnen. Wie ein dritter Teil mit Ledgers Joker ausgesehen hätte, kann man nur ahnen. Ein Figurensplitting, das allenfalls unter oder neben ihm agiert hätte, muss ihn nun ersetzen. Das heutige Sequel ist zugleich stillschweigende Trauerarbeit um Heath Ledger und seinen (nicht gestorbenen, aber unwiederholbaren) Joker, also sein eigener Spin-Off. Und darin liegt auch der tiefere Sinn der Metaphorik, aus den Tunneln ans Tageslicht zu stoßen. Tom Hardy verkörpert jetzt nicht nur den aus der DC-Comicwelt stammenden Höllenhund, den maskierten Wrestler-Bösewicht Bane. Dahinter steckt mehr. In «Inception» spielte Hardy den Eames, einen Identitäten-Fälscher und Traum-Figuren-Simulant, der für jeden gefragten Charakter ein Double stellen kann. Konsequenterweise schiebt sich Hardy wie bei einer Sonnenfinsternis als dunkles Gestirn zwischen die vorherige große Begegnung von Bruce Wayne und Joker. Joker war der Dandy des Terrors, Bane ist sein brachialer Populist. Scheinbar in eigener Regie sorgt Bane aus dem antisozialen und antimoralischen Orkus der immer weniger regierbaren Stadt für allgemeine Anarchie und betreibt den Umsturz. Er unterminiert oder infiltriert Kanäle, Anlagen und Gebäude, lockt die Polizei unter die Erde und überfällt mit seinen Gesellen urbane Orte, sprengt das Stadion und fährt die längst dubios gewordene Börse, allem voran Wayne Enterprises, herunter, um in einem Start Up die Gefängnisse zu öffnen, um neue kriminelle Energie und revolutionäre Gewalt sowie willkürliche Augenblicksgerechtigkeit in der verunsicherten und verarmten Bevölkerung zu propagieren und zu entfesseln. Die Menschen sollen sich nicht mehr als Opfer, sondern als Mittäter begreifen. Die Reichen und die letzten aufrechten Bürgerlichen werden getötet, gelyncht oder hinterlistig verurteilt. Dabei geraten unter Bane alle Einwohner Manhattans, nicht nur durch die Sprengung der Brücken, in eine ausweglose Lage. Und Bane droht Batmans und Bruce Waynes Rückgrat zu zerbrechen. Bane benutzt wilde Nuklear-Wissenschaftler, rücksichtslose Spekulanten und andere Größen aus der oberen Klasse sowie eine Meister-Diebin, Selina Kyle, alias Catwoman (Anne Hathaway), die zunächst unentschieden zwischen den Fronten steht. Aber er selbst steht verdeckt im Dienst von Miranda Tate, die zunächst als Wohltäterin Gothams auftritt und als kompetente Energiemanagerin mit Bruce Wayne und seinem dahinschwindenden Konzern sympathisiert. Bane blendet als gemeinsamer Hauptgegner, ist aber auch Ablenker und Antäuscher, ein wuchtiger Charakter, der plötzlich durch die alte Gefängnislegende psychologische Tiefe gewinnt und dann wider Erwarten Profilverlust erleidet und zum allzu treuen Schoßhund mit Maulkorb degradiert wird. Hier vermissen wir Jokers irres Gelächter. Miranda Tate entpuppt sich als Drahtzieherin im Hintergrund. Sie wird von Marion Cotillard gespielt. In «Inception» stellte sie Cobbs (Leonardo di Caprio) verstorbene Frau Mal dar und durchkreuzte als Repräsentantin seines Unbewussten die ehrgeizigen Pläne des Traumagenten, mal mörderisch und mal selbstmörderisch. Das wuchernde Verschwörungs- und Fusionsszenario des Fledermaus-Finales erstreckt sich zurück bis «Batman Begins»: Miranda Tate erklärt, sie sei Talia al Ghul, die Tochter von Ra’s al Ghul (Liam Neeson), die ihren Vater rächen und Gotham endgültig vernichten will. Der Kreis weitet und schließt sich, wenn Bruce Wayne ein letztes Mal als rehabilitierter Batman gegen die Agenten und Anhänger von Ra’s al Ghul (die Liga der Schatten) in einem Endkampf antritt und dabei seine eigene Nuklear-Technologie entschärfen und anscheinend sich selbst opfern muss, um den Bürgern das nackte Überleben zu sichern und ihnen den Glauben an Freiheit, Recht und Ordnung, Frieden und Demokratie wiederzugeben.

Weite und Enge

Während  «Marvel’s The Avengers» seinen zahlreichen Figuren einen beträchtlich naiven Spielraum der Film- und Comic-Varianten einräumt, engt Nolan die Vorgeschichte und Haupthandlung der aus dem späten DC-Reservoir stammenden Figuren zur staatstragenden Abschieds-Tragödie um Batman und um Bruce Wayne stark ein, trotz der immensen Panoramen im Handlungslabyrinth, bis dem Personal der unterhaltsame episodische Atem der Comic-Verwertung in den früher ausfabulierten Paralleluniversen und Reboots ausgeht. Die politisierende Kunst tut der Comic-Gewalt Gewalt an, damit der Vigilanten-Mythos endlich ausgetrieben und beerdigt werden kann. «The Dark Knight Rises» ist ein Film-Ereignis, das sich lohnt, so oder so. Der idealistische Robin John Blake (Joseph Gordon-Levitt) steht als Nachfolger schon bereit. Maskiert oder besser unmaskiert.
 


 


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