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Jenseits der Ökonomie

Ein Kommentar zur Vergabe des Friedensnobelpreises 2012
an die Europäische Gemeinschaft.

Von Lothar Struck
 

Die Reaktionen schwanken zwischen Unverständnis, Häme und einem weihevollem »Seht-wie-wichtig-das-doch-alles ist«: Die Europäische Union hat den Friedensnobelpreis 2012 bekommen. Am Rande interessant ist dabei, dass das Komitee in den letzten Jahren immer, wenn eine Organisation ausgezeichnet wurde auch eine Person, die untrennbar mit dieser Organisation in Verbindung stand, auszeichnete. Bei den Vereinten Nationen 2001 war das Kofi Annan, bei der Internationalen Atomenergiebehörde 2005 Mohammed al Baradei und 2006 wurde der Preis sowohl Muhammad Yunus als auch der Grameen-Bank zugesprochen. Bei der heutigen Auszeichnung blieb es bei der Institution. Wen hätte man auch als Person, als Identifikationsfigur auszeichnen können? Herrn Barroso? Herrn Van Rompuy? Auf eine fast komische Weise zeigt sich wieder einmal, dass Europa keine Telefonnummer hat, die man anrufen kann, wie dies schon vor langer Zeit Henry Kissinger (übrigens auch ein Friedensnobelpreisträger) beklagte.

Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F015892-0010
Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA


Wenn man die kurze Begründung des Komitees gehört hat, wird eigentlich weniger das ausgezeichnet, was man gemeinhin mit der Europäischen Union verbindet, also beispielsweise das sanfte Monster Brüssel (daher sind die Schlagzeilen wie »Nobelpreis für Brüssel« Unsinn). Es war viel von der deutsch-französischen Aussöhnung nach dem Krieg die Rede. Diese Aussöhnung hat ein konkretes Datum: Es ist der 8. Juli 1962 – das Treffen zwischen Charles de Gaulle und Konrad Adenauer. Bezeugt wird dies in einem legendären Bild: die beiden Staatsmänner in der Kathedrale von Reims. Das ist 50 Jahre her; der Preis wurde also mitnichten willkürlich vergeben.

Es geht auch kaum um ein irgendwie mysteriöses Signal an europäische Politiker, sich in der Euro- oder Schuldenkrise in irgendeiner Form zu »verhalten«, wie dies von EU-Lobbyisten vorschnell interpretiert wird. Das Gegenteil dürfte der Fall sein: Der Friedensnobelpreis ist der womöglich verzweifelte Versuch, Europa aus der einseitigen ökonomischen Definition als Wirtschaftsraum zu lösen. Es geht darum, eine neue »Erzählung« Europas zu versuchen, die sich jenseits der vermeintlichen wirtschaftlichen Potenz der Europäischen Union bewegt.

Dabei wird vergessen, dass es vor allem die Aussicht auf wirtschaftliche Prosperität war, die als Triebfeder für eine Zusammenführung dienen sollte. Hierüber sollte die Aussöhnung sozusagen manifest werden. Der erste Zusammenschluß hieß nicht umsonst »Europäische Wirtschaftsgemeinschaft». Das war 1957. Fünf Jahre vor dem Treffen Adenauers mit de Gaulle. Im Grunde genommen wäre dies immer noch die korrektere, ehrliche Bezeichnung für das heutige 27staatige Gebilde.

Ein neues, ergänzendes und irgendwann dominierendes Narrativ, eine über die reine Ökonomie hinausgehende Klammer, dass diese Länder zusammenhält, muss erst noch gefunden werden. Mit dem aktuellen politischen Personal erscheint dies schwieriger denn je. Und ob man dies in der Tradition eines dubiosen »Weltbürgertums« zwanghaft überstülpen muss, ist ebenfalls fraglich.

Nach der Euphorie über den Friedensnobelpreis kehrte allzu oft Ernüchterung ein; die Liste der Enttäuschungen ist sehr lang. Man hofft, dass es dieses Mal anders ist. Mehr nicht.
 

Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft
von 1957 -2007




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