Vielleicht ist eine
gewisse Portion Naivität nötig, um an das Gute und den Fortschritt zu glauben,
und den Journalismus für ein machtvolles Mittel im Kampf gegen die Schrecken der
Welt zu halten. Jedenfalls beschreibt Martha Gellhorn in ihrem neu aufgelegten
Buch mit Kriegsreportagen »Das Gesicht des Krieges« aus den Jahren 1937-1987,
das in England zahlreiche Auflagen hatte und 1989 zum ersten Mal auf deutsch
erschien, wie sie am Anfang ihrer Karriere fest davon überzeugt war, mit ihrer
Berichterstattung unmittelbar dazu beizutragen, dass die Übeltäter ihrer
gerechten Strafe zugeführt werden würden, und wie sie sich die Öffentlichkeit
als »einen Tornado« vorstellte, »allzeit bereit, auf der Seite der Engel
loszustürmen«.
Eine große Wirtschaftskrise und einige Kriege in den Dreißigern später war von
ihrem »Glauben an die segensreiche Macht der Presse« nichts mehr übrig. Martha
Gellhorn machte trotzdem weiter, reiste von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz
und sang im 2. Weltkrieg »Loblieder auf die guten, tapferen und großzügigen
Menschen, wohl wissend, daß dies ein völlig zweckloses Unterfangen war.« Martha
Gellhorn war in Spanien, als General Franco putschte, in Finnland, als Rußland
das Land überfiel, in China, als die Japaner Bomben abwarfen, sie beobachtete in
ganz Europa den Krieg gegen die Nazis, auf Java, in Vietnam, in Zentralamerika
und in Palästina den Sechstagekrieg. Und das sind noch nicht alle
Kriegsschauplätze gewesen, von denen sie berichtete, das sind nur die, über die
sie in ihren in dem vorliegenden Buch zusammengetragenen Reportagen schreibt.
Weil sie erfahren mußte, daß kein Hahn nach ihren Arbeiten als
Kriegsberichterstatterin krähte, die immerhin in »Vogue«, im »New Yorker« und in
»Harper‘s Bazaar« erschienen, versuchte sie, ihre Tätigkeit auf eine Weise zu
sehen, die ihr die Sache einigermaßen erträglich machte: »Ich war eine
Kriegsgewinnlerin besonderer Art, denn ich kam immer mit heiler Haut davon und
wurde dafür bezahlt, meine Zeit mit großartigen Menschen zu verbringen.« Und
vielleicht ist das ja auch das wirklich entscheidende Motiv, um die Schrecken
und die Depressionen einigermaßen zu überstehen, die jeder Krieg hervorbringt.
Martha Gellhorn ist gegenüber den Kriegsereignissen nie gleichgültig geworden,
nie abgestumpft in dem Sinne, den man manchmal an sich selbst beobachten kann,
wenn wieder irgendwo ein neuer Kriegsherd mit undurchsichtigen Gründen und
religiösen Motiven ausgebrochen ist. Nachdem Martha Gellhorn ein Leben lang
Kriege beobachtet hatte, kam sie zu dem Schluß, sie »für eine endemische
menschliche Krankheit und die Regierungen für die Überträger« zu halten. Martha
Gellhorn erkannte trotz dieses fast schon anthropologischen Ansatzes, daß es
immer einen Aggressor gibt, eine »ehrgeizige« und »habgierige Regierung«, die
rücksichtslose Expansionspolitik betreibt.
Diese Sichtweise ist heute obsolet, denn der Krieg hat sein Gesicht verändert,
reguläre Kriege zwischen souveränen Staaten gibt es kaum noch, vielmehr sorgt
die »Diffusion der Gewalt«, die Herfried Münkler in »Die neuen Kriege« (2002)
beschrieben hat, dafür, daß die Grenzen zwischen Kombattanten und
Nonkombattanten verschwinden, daß in diesen Kriegen keine »Ziele und Zwecke«
mehr auszumachen sind, »um derentwillen Krieg geführt«, ja daß sogar Anfang und
Ende des Krieges »konturlos« werden. Diese asymmetrischen Kriege sind nicht mehr
zu bewältigen und zu überwinden durch das Eingreifen der westlichen
Zivilisation, die sich ihr Scheitern bei den meisten Konflikten auf der Welt
durch eine Intervention eingestehen mußte, nicht zuletzt deshalb, weil es den
»gerechten Krieg« und eine klare Kriegsfront nicht mehr gibt.
Und insofern sind Martha Gellhorns Reportagen ein Blick in eine vergangene
Epoche, in der sich noch Partei ergreifen ließ, in der die Kräfte des
Fortschritts sich noch deutlich abhoben von denen einer Diktatur. Und auch ihre
Klage, mit ihren »wahren Berichten« nichts bewirken zu können, wurde inzwischen
hinfällig, denn den Medien kommt inzwischen wieder eine entscheidende Rolle zu,
wie bei den militärischen Interventionen in Jugoslawien oder zuletzt in Libyen
zu sehen war.
Die Zeit, als die Konfliktlinien in einem Krieg so deutlich verliefen wie im 2.
Weltkrieg, sind längst Geschichte. Martha Gellhorns Reportagen zeugen davon in
kongenialer Weise. Sie entführen uns weit weg in eine hässliche Welt aus dem
letzten Jahrhundert, als Elend, Krankheit, Tod und Leiden sich noch mitten in
Europa austobten, die inzwischen erfolgreich in die Dritte Welt ausgelagert
werden konnten. Nach wirklichem Fortschritt sieht das nicht aus.
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Marta Gellhorn
Das Gesicht des Krieges
Reportagen 1937–1987
Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring
Originaltitel: The Face of War
Dörlemann Verlag
576 Seiten. Leinen mit Leseband
€ [D] 24.90 / € [A] 25.60 /
SFr. 36.00 (UVP)
ISBN 9783908777779
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