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Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

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Zum Tode von
Hadayatullah Hübsch

Auch er war unser
Von Uve Schmidt

Aus dem zu Schillers Totenfeier am 18.August 1805 von der Lauchstädter Bühne (Bad Lauchstädt, Sachsen, Anm. d.V.) erklungenem Goethischen „Epilog zu Schillers Glocke“ wurden die folgenden Worte der 4. Strophe geflügelt: Denn er war unser!  Büchmann, by Ullstein 1986

Seither wurden und werden mit diesem Anspruch auch unwürdige Poeten und absolute Nullliteraten ins Grablicht einer Bedeutung gehoben, die ihnen durchaus zukommt, sofern man nicht das Schillersche Format auf einen mediokeren Toten herabruft, sondern ein allseits bekannter und beliebter „bunter Hund“ begraben wird. Hinterfragt muss nicht werden, was Goethe sich dachte, als er den verewigten  Freund und Kollegen zum Gemeinbesitz erklärte; Schiller war mit seinen Dramen und Balladen schon zu Lebzeiten eine nationale Denkmalsgröße geworden. Nach ihm und (vor allen) Goethe haben keine deutschen Dichter mehr einzeln oder paarweise die deutschen Marktplätze, Bibliotheken und Lehranstalten geschmückt, nur hie und da der eine oder andere seinen Geburtsort oder  eine ihm gewidmete Baulichkeit, von skulpturellen Kleinformaten in unseren Bürgerstuben ganz zu schweigen; auf meinem Schreibtisch steht ein wodkaglasgroßer Majakowski, Made in USSR. Mit den abstrakten Mahnmalen der Moderne verging der Personenkult in Marmor und Gips, mit den falschen Tränen kamen die Clowns…

Hadayatullah Hübsch in seinem Element:
1990 beim Interview mit William S. Burroughs
Am Vierten dieses Monats starb in Frankfurt am Main der 1946 zu Chemnitz geborene Paul-Gerhardt Hübsch als Hadayatullah Hübsch.
Er war unser – doch als wer oder was? Seine in den allermeisten Nachrufen geraffte oder moritatenhaft nacherzählte Biographie ist in summa die äußerst erfolgreiche Laufbahn eines Glücksuchers. Wer ihn seinerzeit als „Deutschlands Jugendsprecher“, als „Germanys Rockpoet Nr.1“ oder gar als den „deutschen Allen Ginsberg“ feierte, scheute überhaupt keine Vergleiche oder kannte „Pidschie“ Hübsch schlecht bzw. gar nicht. Spätestens von dem Zeitpunkt an, wo er selbst zu seinem treuesten Stoffkunden wurde, gerieten legale Geschäfte und banalste Gefälligkeiten in den Sog der kriminellen Subkultur, d.h. seine zunehmende Unzuverlässigkeit disqualifizierte ihn schließlich auch als Straftäter. Wie immer sich seine Wegbeschreibung zum rechten Glauben liest – Fakt ist, dass Hübsch geflohen war vor dem körperlichen und staatsbürgerlichen Bankrott in die Arme einer rettenden Religion, dem Islam der Ahmadiyya Muslim Jamaat. Den streng erzogenen Protestanten (P.G. steht für Paulus Gerhardt, den erfolgreichsten Liederdichter der Evangelischen Kirche) erreichte der spirituelle Impetus rechtzeitig und keineswegs zufällig im maurischen Knast. Es gibt schlimmere Kerker im katholischen Lateinamerika und im buddhistischen Asien, ebenso beliebten Blumenkinderrouten. Von Stund an änderten sich natürlich die Inhalte seiner Poetry, nicht deren Form, und weil er nun ein geläuterter und glaubensfester Sendbote recte Sänger war, also allen Ernstes ein amusikalischer „deutscher Cat Stevens“ (was diverse Übereinstimmungen bot im Gegenvergleich zu dem viel älteren, jüdischen und homosexuellen Ginsberg), wie gehöhnt und gehuldigt wurde im westdeutschen Kulturbetrieb, der den als Moscheegründer heimgekehrten Hippie zunächst nur exotisch, dann ethnozentrisch und schließlich extremistisch empfand. Auch wenn er sich in fundamentalen Fragen mit blumiger Dialektik zu der Einschätzung verhalf, „für einen liberalen Islam zu stehen“, widerlegten ihn die Statements und Traktate seiner geistlichen Oberen, welche er getreulich übersetzte.

Als ich in den 70er Jahren für den HR (Hörfunk) kritische Skizzen  aus dem kommunalen Kulturleben schrieb, geriet ich mal auf eine Beat Poets Party in Offenbach, wo ca. 250 überwiegend weibliche Teenager unter 16 Jahren fortwährend in Denglisch „PG!PG!PG!!!“ kreischten, obwohl Hübsch gar nicht angesagt war; gleichwohl war er der Scene-Star und als solcher sehr überzeugend (zumal als Deklamator!), äußerst umtriebig und ungemein produktiv. Dass er seinerseits für das Proporzradio arbeitete (HR Jugendfunk), konterkarierte sein Image als junger Rebell keineswegs, denn ein  ausgesprochener Staatsfeind war der entlaufene Kurrendeknabe nie wirklich. Seine schaffensreichste Periode dürften jene Jahrzehnte gewesen sein, als seine muslimische Menschwerdung, die „ollen Kamellen“ seines psychedelischen Vorlebens und die Bedürfnisse der überregionalen Feuilletons an Hadayatullah als Multikulti-Ikone ihn und seine Familie (8 Kinder, 10 Enkel) ernährten; sein Output  an koranesker Lyrik, interkonfessionellen Meditationen und Nachrufen auf nette, aber sehr weltliche Kollegen war beachtlich. Nun ist er unser aller Tullah und als solcher hoffentlich ein Minarettchen im Lyrikkabinettchen wert; sein größtes Verdienst dankt ihm offiziell wahrscheinlich niemand: Den Etappensieg im Heiligen Krieg um die deutschen Hasenherzen und Sakralbauplätze…

Foto © by Glanz&Elend


»Für diese Vision arbeiteten wir ...«

»Genau das war es ja, was wir leben wollten; diesen kurzen, amoralischen, wilden Rausch von der geträumten absoluten Freiheit, den uns der Beat mit seinem Gefolge vorzugaukeln begann, das war es, der Beat bleibt links. Keine verstaubte Herrschaft der Apparatschiks, gleich welchen Lagers, keine dümmliche Sonntagsnachmittags - Hitparaden - Schlagerhelden - Bilder - an - der - Wand - Betäubung, ohne Schallplattenproduzentenknechtschaft, nichts von all dem genormten Zeugs der Tageszeitungen und Illustrierten, sondern pulsierendes, alles ausschöpfendes, hemmungsloses Ja-Sagen zum Leben und seiner ungeheuren Möglichkeit und Schönheit inmitten dieses von Menschen verursachten Grauens, seinen Ursachen in der Jagd nach Mehr, in der Schrecklichkeit dieser abgewirtschafteten, unbarmherzigen, gottlosen Welt in ihrem Todeskampf und dem Jahrtausende alten Wust aufgesetzter Zwänge und Herrschaft des Obermenschen über den Untermenschen. Für diese Vision arbeiteten wir ...« (Aus: Keine Zeit für Trips, 1991, Koren & Debes, Frankfurt/Main)


Nachtrag des Herausgebers:


»Wild Thing«
Von Herbert Debes

Als ich im Frühjahr 1990 Hadayatullah Hübsch kennenlernte, war ich ebenso entsetzt wie begeistert. Dieser merkwürdige, wie aus der Zeit gefallene Typ mit der Persianermütze in seinem schwiemeligen schwarzen Kaftan zitterte merklich, als er die Papiere aus einer abgerissenen Ledertasche herauskramte. Was er mir übergab, war ein Wust von mit Maschine beschriebenen Seiten, eingerissen, durcheinander, bekleckert, mit Flecken & Eselsohren. Es war das Manuskript zu seinem autobiographischen Bericht: »Keine Zeit für Trips«.
Nach wenigen Seiten schon wichen meine Vorurteile einer kindlichen Begeisterung, und mir war klar geworden, daß ich gottloser Gesell unbedingt meine damaligen jüdischen Geschäftspartner davon überzeugen mußte, dieses Buch eines ehemaligen kleinkriminellen Drogendealers, der zum Islam konvertiert war, und nun als Imam
Dschuma in der Nuur-Moschee in Frankfurt-Sachsenhausen die Freitagspredigt hielt, zu machen.
Und siehe, es geschah:
»Keine Zeit für Trips« funktioniert wie eine Zeitmaschine, die uns mit höllischem Tempo in die Aufbruchstimmung der Sixties hineinkatapultiert. Frankfurt, London, Berlin, Almeria, Marrakesch sind nur einige Stationen auf diesem Mammut-Flash-Back, dieser Trip-Odyssee auf der Suche nach Freiheit und Glück. Hübsch erzählt aus dem Leben eines modernen Taugenichts; von seinen euphorischen Höhenflügen bei grünem Tee und marokkanischem Kif, von endzeitlichen Höllenfahrten durch spanische Gefängnisse und geschlossene Anstalten. Sein Bericht ist auch zu lesen als die atemberaubende Chronik einer Generation, von der viele, oft die besten, verlorengegangen sind; hängengeblieben auf dem Marsch durch die Institutionen oder draufgegangen in den Klapsen und Knästen dieses Landes.
Hadayatullah Hübsch, ehemals PiDschi genannt, war es gelungen, diesem Teufelskreis zu entkommen. In seinem Glauben hat er Heimat und eine Familie gefunden, der mein Mitgefühl gilt.
Möge sein Gott ihn aufnehmen. Allahu Akbar


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