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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Seitwert


Paradox des Durchhaltens

Ian Kershaw über den
gespenstischen Kampf der Deutschen bis in den Untergang 1945.

Von Klaus-Jürgen Bremm

Gerade die letzten Kriegsmonate waren für Hitlerdeutschland die verlustreichsten, gleichwohl kämpften die Deutschen, anders als 1918 bis zum Untergang und bis zur völligen Zerstörung ihrer Städte und ökonomischen Infrastruktur. Und nicht nur dies.  Aus heutiger Sicht wirkt es geradezu gespenstisch, dass der NS-Staat trotz der überall zusammenbrechenden Fronten und einem ununterbrochenen alliiertem Bombenterror bis in seine letzten Tage erstaunlich gut funktionierte.
Wohin der Feind noch nicht vorgerückt war, ging der Schulbetrieb weiter, wurde Post zugestellt und fuhren Eisenbahnen im zivilen Betrieb, es gab Konzerte und Kinovorstellungen und  noch am 23. April 1945 trug der FC Bayern München ein Fußballspiel gegen den Lokalrivalen TSV 1860 aus. Die verbleibenden Industriestätten im ständig schrumpfenden Reich belieferten die noch fechtenden Wehrmachtsverbände mit kriegswichtigem Gerät und verbuchten wie in Friedenszeiten ihre Kosten und Erträge. Aber auch der Terror des Regimes gegen Randgruppen und wankelmütige Volksgenossen ging unvermindert weiter, ja steigerte sich sogar noch dann zu regelrechten Gewaltorgien, als Hitler und seine Paladine schon in die Scheinwelt des Berliner Führerbunkers abgetaucht waren. Warum aber regte sich nicht wie am Ende des Ersten Weltkrieges überall im Lande Widerstand gegen die Fortsetzung eines eindeutig sinnlosen Kampfes? Warum besaßen Staatsführung und Partei trotz ihres ungeheuren und offenkundigen  Versagens  immer noch so viel Macht über Verwaltung und Bevölkerung?

Der renommierte britische Hitlerbiograph Jan Kershaw ist in seiner neuesten Studie diesem Paradox des Durchhaltens bis zum bitteren Ende nachgegangen und hat dazu die letzten zehn Kriegsmonate nach dem gescheiterten Stauffenberg-Attentat noch einmal analysiert. Weder die alliierte Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation noch der Glaube an neue Wunderwaffen oder die Hoffnung auf ein Auseinanderbrechen der scheinbar  widernatürlichen Koalition aus Kapitalismus und Kommunismus ließen nach seiner Ansicht die Deutschen im Krieg verharren. Auch war es nicht allein der verständliche Wille von Soldaten und Zivilisten, ihre Heimat gegen eine drohende Besetzung zu verteidigen, der im Osten natürlich erheblich ausgeprägter war als im Westen. Tatsächlich spielte für den selbstmörderischen Durchhaltewillen der Deutschen nach Ansicht Kershaws der 20. Juli 1944 eine entscheidende Rolle. Nicht nur im Offizierskorps wurde Stauffenbergs Attentat einhellig als Verrat betrachtet. Gerade diese Haltung führte letztlich dazu, dass viele militärische Führer, obwohl sie Hitlers Kriegführung zunehmend kritisch sahen, sich dennoch gegenseitig  bis fast zuletzt in grotesken Treueschwüren zum „Führer“ überboten. Gleichzeitig gelang es der Partei,- Kershaw nennt hier vor allem Bormann, Goebbels, Himmler und Speer -  im Zeichen einer verzweifelten Totalisierung des Krieges die letzten Refugien des Privaten zu beseitigen und ein beinahe lückenloses System von Mobilisierung und Kontrolle zu etablieren. Das machte Widerstand oder offene Obstruktion gegen das Regime und seinen sinnlosen Krieg beinahe unmöglich.
Auch wenn Kershaw viele neue und oft bizarre Details aus dem untergehenden Dritten Reich anführen kann, eine grundsätzlich neue Perspektive erschließt sich aus seiner Studie nicht. Es war eben eine Mischung aus trotziger Verzweiflung, absurder Loyalität und brutalen Terror, die das Dritte Reich buchstäblich bis zum Ende kämpfen ließ. Ist dies aber wirklich eine völlig neue Erkenntnis?

 








Ian Kershaw
Das Ende
Kampf bis in den Untergang.
NS-Deutschland 1944/45
DVA 2011
704 Seiten
ISBN 978 3 421 05807 2
29,95 €

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