Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik


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Distanz und Hitze

Steven Soderbergs Versuch, dem Revolutionär »Che« mit den Mitteln des Kinofilms Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Von Georg Seeßlen


Ernesto »Che« Guevara? Ein Mythos der lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen, die heiße Seele der kubanischen Revolution, die Ikone der neuen Linken in Europa, der klassische Sohn aus gutem Haus, der in die Welt zieht, um Abenteuer zu erleben und Gutes zu tun, der humanistische Outlaw mit den klaren Ideen, der verständlichste und genaueste Theoretiker, sexy und ernsthaft zugleich, einer, der sein Leben lang ein Arzt blieb und der die Revolution sah als eine Heilung der Welt von Armut, Ausbeutung und Unterdrückung. Und dann: Dieses Bild mit dem festen Blick dorthin, wo nur eine bessere Welt liegen konnte: Hasta la victoria siempre! Schließlich: Ein Poster-Motiv, Pop-Idol, leeres Markenzeichen (für Zigarillos etwa, die ein Kenner guter Tabacke wie er nie angefaßt hätte), T-Shirt-Print in einem Meer von T-Shirt-Prints.
Nachdem es den Mann ermorden ließ, hat das System, das er bekämpfte, ihm auch das Bild geraubt.

Die weltgeschichtliche Bedeutung von Ernesto Guevara hält sich vermutlich in Grenzen. Ein näherer Blick auf Taten und Entscheidungen mag sogar das große Bild vom menschlichsten und gerechtesten Revolutionär in Zweifel ziehen. Aber die Aura dieses Bildes, die Legende und dann eben doch: die Einsichten eines gebildeten Mannes, der so bedingungslos »das Volk« liebte (das es vermutlich nie gab und nie geben wird) – das alles macht aus »Che« die einzige gültige und gegenwärtige Wahrheit, die Widerspruch und Widersinn von Revolte und Protest bis in die siebziger Jahre überwand. Eine »Wahrheit über Che Guevara«, wie es mancher Dokumentar- und Kompilationsfilm verspricht, gibt es wahrscheinlich nicht, den Versuch Hollywoods, die politische Legende in ein Abenteuer-Melodram zu verwandeln (mit dem Ägypter Omar Sharif in der Rolle des Argentiniers), dürfen wir getrost in die Kuriositäten-Schublade werfen, und um ein Denkmal zu restaurieren, leben wir wohl auch nicht gerade in den richtigen Zeiten. Nein, worum es geht, das ist, die verlorene Würde und Klarheit zurückzugewinnen, Geschichte weder im mythischen Nebel noch in der semiotischen Beliebigkeit versinken zu lassen.
Steven Soderberghs zweiteiliger Film »Che« erklärt nicht viel, bringt keine neuen »Enthüllungen«, stellt Ernesto Guevara in keinen neuen Zusammenhang, experimentiert nicht mit Formen des »politischen Films«. Er macht nur eines, und das ist das beste und schönste was man sich von einem solchen Film erwarten kann: Er arbeitet daran, in jeder Einstellung, in jeder künstlerischen Entscheidung, in jedem Verzicht auch, seinem Gegenstand Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Der Gegenstand dieser Filme ist nicht in erster Linie die »Person« Ernesto Guevaras (Psychologie gibt es so wenig wie erotischen Klatsch) als sein Beruf. Er ist Revolutionär, und die Revolution ist, nach Soderberghs eigenen Worten, eben nicht (nur) das große Abenteuer, sondern der Versuch, eine hochkomplizierte, logistische, kommunikative und militärische Aufgabe zu bewältigen und dabei in jeder einzelnen Aktion die Ziele und die Moral der Revolution ihren Mitteln nicht zu opfern. Guevara, so viel ist klar, hat nie zu den puren Machtmenschen unter den Revolutionären gehört, immer war er bestrebt, vom Wesen der revolutionären Gesellschaft etwas bereits in der Revolution selber zu verwirklichen. Möglicherweise wurde gerade dies ihm zum Verhängnis.
Die Grundlage für beide Filme, den ersten, der die kubanische Revolution nach 1956 zeigt, den zweiten, der die Jahre in Bolivien schildert, sind Guevaras eigene Tagebücher sowie die Biographie von Jon Lee Anderson, der bei dem Projekt auch als historischer Berater fungierte (auch ansonsten merkt man den Filmen durchaus an, wie viel historische Recherche in sie geflossen ist; es gibt, soweit ich sehe, nirgendwo eine Spekulation; was nicht dokumentiert ist, das zeigt der Film auch nicht).
Dabei entsteht eine merkwürdige doppelte Perspektive, die innere Sicht des Revolutionärs und die äußere Sicht der Geschichte. Distanz und Hitze. So etwas bringt nur der Regisseur Soderbergh fertig, der immer wieder nach der Beziehung von Machtstruktur und Bilderzeugung gefragt hat.
Teil eins dieses filmischen Dyptichons zeigt, wie eine Revolution gelingt, Teil zwei zeigt, wie eine Revolution scheitert. Und beides, das Gelingen und das Scheitern einer Revolution, hat ein Ausmaß, für das es in der Geschichte sonst kein Beispiel gibt. Das Gelingen einer Revolution hat seine Wurzeln in der Geschichte, weist in die Welt hinein, bleibt verflochten, widersprüchlich und führt schließlich zu jenen »Mühen der Ebene«, von denen Brecht sprach, und die nichts für einen wie Che Guevara waren. Das Scheitern einer Revolution vollzieht sich dagegen in einem furchtbaren Hier und Jetzt, es ist ein Versinken in Blut, Krankheit, Verrat, Einsamkeit und im Zusammentreffen von Fehlern und Umständen. (Ein Fehler, nur zum Beispiel, ist es, wenn der schwer asthmakranke Guerillero nicht genügend Medikamente auf seine Mission mitnimmt, ein anderer ist es, eine gegnerische Propaganda zu unterschätzen, die die allerdumpfesten Vorurteile etwa gegen »Fremde« aktiviert.)
»Che« ist alles andere als ein Propaganda-, wohl aber ein Lehrstück. Wie in »Traffic« sehen wir in diesem Zweiteiler in der Soderberghschen Doppel-Perspektive zugleich Strukturen von Macht und Abhängigkeit, die nach gleichsam mechanischen Gesetzen ablaufen, und autarke menschliche Subjekte mit Gefühlen, Zweifeln und Ideen. So wird das historische Bild sowohl von der Sentimentalität als auch vom Zynismus befreit. Es öffnet sich in der Beziehung zwischen den Bedingungen einer Revolution und dem Wesen eines Menschen, vieler Menschen.
Nebenbei, um auch dieser filmkritischen Pflicht genüge zu tun: Das Handwerk, vom Schauspiel über die Musik bis zur Kamera (Soderbergh selber, der sich hier Peter Andrews nennt), die Entscheidung, die beiden Teile auch in der ästhetischen Methode voneinander abzusetzen, die Wahl der locations, das alles ist zugleich perfekt und im entscheidenden Moment eigensinnig.
Das ist nicht großes Kino, das ist großer Film. Georg Seeßlen

 

Tod und Auferstehung

»Der Tod Che Guevaras gab seinem Leben einen Sinn. Ohne seine Hinrichtung von der Hand des Leutnants Terán in dem dunklen, feuchten und verwahrlosten Schulzimmer in La Higuera hätte er vielleicht noch große Heldentaten vollbringen und ein ruhmreiches Leben führen können, doch sein Gesicht wäre nicht Jahrzehnte später auf Millionen T-Shirts zu sehen gewesen. Er hätte der Sache, für die er kämpfte, zweifellos einen wesentlich größeren Dienst erweisen können, wenn die bolivianische Regierung ihn verschont oder die CIA ihn gerettet hätte, doch die Sage von der Revolution und dem Selbstopfer, das er symbolisieren sollte, hätte sich niemals in dem Maße verbreitet, wie es dann geschah. Der Tod war für Che nicht nur ein erwartetes und vielleicht sogar willkommenes Ereignis. Er bezeichnete auch einen zwangsläufigen, vorhersehbaren Neuanfang; nicht das Ende einer Laufbahn, eines Wegs oder eines Lebens. Jeder Aspekt dieses Todes trug dazu bei, daß er das traurige, aber letzten Endes gewöhnliche Schicksal, dem niemand entgeht, transzendierte; er ließ einen Mythos entstehen, der bis zum Ende des Jahrhunderts andauern würde.«
(Aus: Jorge G. Castaneda; Che Guevara, Biographie, suhrkamp taschenbuch 3592)


Diddelmaus für scheinlinke Halbintellektuelle

Wer der Wirklichkeit hinter dem Mythos Che Guevara näher kommen will, der sollte Jorge Castanedas Biographie lesen. 42 Jahre sind seit der Ermordung Che Guevaras vergangen. Die Hoffnungen, die sich weltweit mit dem Aufbruch der 68er-Generation einst verbunden hatten, haben sich kaum erfüllt und sind neuen existentiellen Ängsten gewichen. Der »Versuch der Befreiung« mutierte zu einer Orgie der Enthemmung und das Primat des Kapitals herrscht heute ungebrochener denn je. Den »Freiheitskampf der unterdrückten Völker« führen inzwischen unangefochten die USA.
Kordas legendäres Che-Foto ist zu einer zernutzten Ikone geworden, die inzwischen alles und nichts bedeutet. Man findet es millionenfach auf T-shirts, Basecaps, Plattencovern & CD-Hüllen. Es gibt Che-Zigaretten, Che-Papiertaschentücher, Tassen, ja sogar eine Swatch-Uhr um die 210 €. Der Reise-Know-How-Verlag bietet eine Che-Büste aus gegossenem Sandstein, Handarbeit (ja, ja) für geizgeile 39,50 € an. Schauen Sie ruhig hin, das tut nicht nur den Augen weh.
Sehen Sie sich Soderbergs zweiteilige grandiose Che Guevara Passion an. Es ist Zeit, von der Diddelmaus für scheinlinke Halbintellektuelle Abschied zu nehmen. Herbert Debes

 


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