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Mutters ganzer Stolz
»Frühes Versprechen« von Eric Barbie
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Der deutsche Filmtitel ist eine vielleicht akkurate, aber nicht eben poetische Übersetzung des Titels von Romain Garys autobiographischem Roman »La promesse de l’aube« aus dem Jahr 1960. Er erschließt sich wohl erst richtig durch einen der letzten Sätze: »Mit der Mutterliebe verspricht das Leben dir am Morgen etwas, das es nicht halten kann.« Allerdings: Fast schlimmer ist die Umkehrung. Der Sohn ist das lebende Versprechen, die Wünsche und Träume der Mutter zu erfüllen, und schafft diese lebensschwere Aufgabe erst, als sie schon tot ist. »Frühes Versprechen« jedenfalls handelt von der innigen, manchmal bedrückenden, immer wieder beglückenden Beziehung des Schriftstellers zu seiner Mutter, eine Liebeserklärung zweifelsohne. Gegliedert in drei Abschnitte: Die Kindheit im kalten, (damals) polnischen Wilna, wo die Mutter, beschimpft und denunziert, es aufgrund ihres theatralischen Talents zu einem florierenden Modesalon bringt, dem Sohn die Schriftstellerei nahebringt, weil man, wie die Beispiele zeigen, als Maler arm und früh sterben muss, und ihn schon einmal vorsorglich zum Botschafter des Sehnsuchtslandes Frankreich ausruft. Dann die Jugend in Nizza, wo man in einer Pension mehr oder weniger illustre Gäste beherbergt und wo die Mutter bis zur Erschöpfung arbeitet, um dem Sohn die adäquate Ausbildung zu garantieren.
Hier scheint
eine frühlingshafte Sonne und der Ozean betört die Sinne. Und dann die Zeit als
junger Mann im Krieg, krank, gedemütigt, beinahe tot und noch einmal durch die
Mutter gerettet, Hitze, Blut und Feuer, bis hin zur Rückkehr als Held. Und ans
Grab der Mutter, die ihm in ihren letzten Tagen zweihundertfünfzig Briefe
geschrieben hat, auf Vorrat, so dass er im Glauben an sie weiter kämpfen kann.
Eine strenge Komposition des Films also, die dem episodenreichen Geschehen so viel Halt gibt, wie es von den großartigen drei Romain-Gary-Darstellern und, natürlich, von der noch viel großartigeren Charlotte Gainsbourg in Bewegung gehalten wird. Neben dem dramatischen und dem psychologischen gibt das auch durchaus komisches Material, wie zum Beispiel der kurzfristig dann doch abgeblasene Versuch der Mutter, den Sohn durch ein Attentat auf Adolf Hitler unsterblich werden zu lassen, oder ihr Sturz in die Arme eines fremden Mannes, nachdem sie bis zur Abfahrt des Zuges nach Paris bei ihrem Sohn im Abteil verharrte. Überhaupt: Mutter und Sohn haben zwar eine höchst symbiotische Beziehung zueinander, gestärkt durch die gemeinsamen Erfahrungen beim Überlebenskampf, gefährdet von übertriebenen Ansprüchen und von Eifersucht, sie sind aber auch beide begnadete Schauspieler und Lügner. Romain Gary, der später in diversen Rollen und unter diversen Namen als Schriftsteller und Politiker Karriere machte, entwickelt früh, um die Mutter nicht zu enttäuschen, die Kunst der kleinen und nicht mehr so kleinen Hochstapelei und der gnädigen Lüge. Er spielt ihr lange, bevor er wirklich das Zeug dazu hat, den »Mann von Welt« vor, erfindet lieber ein erotisches Märchen, als ihr zu erklären, dass seine Beförderung zum Offizier an der antisemitischen Haltung der Vorgesetzten und der Kameraden scheitert, und sie verbindet ihren steten Ansporn für den Sohn mit allerlei Opfern und verborgenen Demütigungen. Romain, das soll ihr nicht nur später Triumph, sondern auch Rache sein.
Tatsächlich
geht es ja um zwei miteinander verwobene Träume, den Mutter/Sohn-Traum von der
glänzenden Karriere, von Ruhm und Reichtum, und um den Traum vom
Französisch-Werden, davon, dass die stets vertriebenen und flüchtenden, stets um
ihre Arbeit und ihre Würde betrogenen russischen Juden (»Ich dachte, wir wären
so eine Art Juden«, sagt Romain, als seine Mutter kurzfristig in der
russisch-orthodoxen Kirche Zuflucht sucht) endlich Heimat und Stolz finden. Da
ist, nicht nur im heroischen letzten Drittel, auch Eric Barbiers Film durchaus
patriotisch. Einem diesbezüglichen Einwand kann man mit einem Satz von Romain
Gary selbst begegnen: »Patriotismus ist Liebe zu den Seinen. Nationalismus ist
Hass auf die anderen.« Mutter, Sohn und Vaterland bilden in »Frühes Versprechen«
ein magisches Dreieck, nichts ist ohne das andere zu denken. Und das hat nicht
nur dramatische und komische, sondern zweifellos auch hoch neurotische Züge.
Barbiers Film verhält sich zu seiner literarischen Vorlage ein wenig so, wie
sich Romain Gary (bzw. Kacew, wie der ursprüngliche Familienname lautet) zu
seiner Mutter verhält, mit einem bedingungslosen Vertrauen und der Bereitschaft,
alle Schwächen und Widersprüche hinzunehmen. Diese Sanftmut spiegelt sich auch
in den Bildern, die man wohlwollend pittoresk nennen kann, ganz so, wie der
heranwachsende Held die Welt sehen mochte, immer ein wenig überdeutlich,
manchmal wie in einem Malbuch oder in einer Postkartensammlung. Zur
Überdeutlichkeit gehört auch der Schauspiel-Stil, lieber ein paar ausladende
Gesten, ein melancholischer Augen-Blick, eine Pose zu viel. Solches
Überakzentuieren passt freilich perfekt zu einem Text, der keine Grenze zwischen
Biographie und Roman zieht, so wie ja auch der Film keine Grenze zwischen
Romanadaption und Biopic zieht. So geht es mit den Liebeserklärungen weiter: Aus
der Liebeserklärung an eine kämpfende, träumende, liebende und verpflichtende
Mutter wird eine Liebeserklärung an eine sehr französische Kunst, an die
Schauspieler, an eine Zauberwelt der Set Decoration, eine Liebeserklärung an das
Kino. Nicht umsonst verschmilzt der junge Romain beim Kinobesuch mit der Mutter
mit dem Bild des Stars des vorrevolutionären russischen Kinos, Iwan Mosjoukin,
der in den zwanziger Jahren nach Frankreich kam und als »Casanova« oder »Kurier
des Zaren« gefeiert wurde. Mosjoukin starb verarmt und vergessen, Romain Gary,
der alle Träume seiner Mutter erfüllt hatte, erschoss sich am 2. Dezember 1980.
In seinem Abschiedsbrief spricht er von einer »nervösen Depression«, die ihn
peinigte, seit er das Mannesalter erreicht hat, und die es ihm erlaubte, »mein
literarisches Gesamtwerk zu vollenden«. |
FRÜHES VERSPRECHEN Start: 07.02.2019
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