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Brückentag |
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Ich komme zu spät. Mein Zug war ausgefallen. Mit meinem am Körper klebenden Hemd betrete ich den Park. Eine Traube von etwa fünfzig Menschen hat sich unter einer gigantischen Eiche zusammengefunden. Ich schleiche mich vorsichtig an. »Herr
Birkholz!«, vernehme ich. Aus der Traube löst sich eine zierliche Frau und eilt
auf mich zu. »Willkommen!« Sie klärt mich schnell darüber auf, das ich nach dem älteren Herrn aus Budapest lese, – eine angebliche Koryphäe der Kurzgeschichte – und zwar nicht hier, sondern an einem anderen Ort, »wo wir gleich alle gemeinsam hin marschieren«. Ich lächle, sage zu allem Ja, und sehne mich nach einer Dusche oder einem Baggersee. Sie eilt wieder zurück und verschwindet in der Traube. Was bleibt mir übrig, als ihr zu folgen, alles andere wäre unhöflich - unter der Eiche ist wenigstens Schatten. Die Leute, zumeist gutsituiert, wie ich vermute, lauschen andächtig den sehr leise vorgetragenen Anekdoten des älteren Herrn, der mit einem Sonnenschutz Kappi, inmitten der Menschenansammlung auf einem Stuhl hockt. Die Menge lacht. Ich versuche zu zu hören. Es scheint um einen Kardiologen zu gehen, der von einem Kollegen ignoriert, oder übergangen wird. Einige lachen wieder, der Text kommt an, bei mir nicht, aber vielleicht bin ich heute bei diesem schwülen Wetter für Budapester Altherrenhumor nicht empfänglich. Ein lustiger Mischlingshund streift durch die Runde und schnuppert die Leute an, irgendwann landet er auch bei mir. Er wittert meine Bockwürste im Rucksack, und blickt mich schmachtend an. Sein Herrchen kommt, nimmt ihn an die Leine und zerrt ihn fort. Plötzlich ertönt Applaus. Opi ist fertig, schön dann bin ich gleich dran. Nein, er wendet sich an die Veranstalterin, flüstert etwas kaum hörbar, sie lächelt falsch und verkündet dann: »Ja also, wenn die anderen noch möchten.« Die Anderen möchten, und schon gibt’s die Zugabe. Opi gibt noch eine Short Story zum Besten. Er hält sich nicht an die Zeit. Die Veranstalterin hat mich am Rand entdeckt, kommt auf mich zu und flüstert: »Das war jetzt eigentlich nicht geplant, aber Herr Warmusz liest wohl etwas länger, dann machen Sie etwas kürzer, wäre das ein Problem für Sie Herr Buch… Entschuldigung Birkholz?« Ich erwidere, dass es für mich kein Problem darstellt. Sie lächelt und huscht wieder davon. Ich falle in eine Art Wachkoma. Ein euphorischer Applaus holt mich zurück ins Jetzt. Opi hat fertig. Die Veranstalterin fordert alle Zuhörer auf ihr in den Park zu folgen. Alle Mann trotten los, bis auf den Meister der Kurzgeschichte, der bleibt zurück und unterhält sich mit einer älteren Frau in betont jugendlicher Garderobe. In der Sonne beginne ich sofort wieder zu schwitzen. Ein Typ mit Fotoapparat tritt von der Seite an mich heran. »Ich
bin der Fotograf«, stellt er sich mir vor. Hätte man mich nicht wenigstens vorher fragen können, naja es geht ja auch nicht um mich, sondern um die Brücke. Ich diene zur Dekoration - eine schweißnasse Dekoration mit abgegrabbelter Lektüre in den Händen. Die Brücke erhebt sich vor uns. Unten fließt kein Bach oder Fluss, sondern ein Fußgängerweg. Also wozu die dämliche Brücke, egal. Sie ist aus Holz, wahrscheinlich sehr schön verarbeitet, und macht den Organisatoren und dem Fotografen viel Freude. Die Zuhörer pflanzen sich auf Wolldecken und Jacken auf den Waldboden oder Fußweg. Die Veranstalterin geht auf die Brücke, erzählt etwas über sie, Entstehungsjahr, Kosten und was für eine zauberhafte Idee es doch sei, dieses kleine Meisterwerk der Archetektur als Lesepodium zu gebrauchen. Der Fotograf knippst wild und ausdauernd. Danach noch zwei Sätze zu mir, und schon muss ich ran. Bevor ich zu Lesen beginne, stelle ich meine 1,5 Liter Flasche Wasser auf den Boden, trete sogleich ungeschickt dagegen, und muss zusehen, wie sie umfällt, die Brücke herunter rollt und gegen einen Baum kracht. Guter Einstieg. Ich beginne mit trockenem Hals meinen Vortrag. Die ganze Lesung hindurch begleitet mich Hundegebell, da ein Zuschauerköter mit meiner Stimme nicht klar kommt, oder sich wundert, dass da jemand von oben auf die Leute herunter brüllt. Irgendwann führt sein Herrchen ihn fort. Zu spät, ich bin fast am Ende, buchstäblich gesprochen. Applaus! Job erledigt. Ich wanke von der Brücke. Wo war der Fotograf, den hatte ich gar nicht mitbekommen – sehr professionell der Mann. Die Veranstalterin trappelt wieder auf die Brücke und weist die Leute auf den letzten Veranstaltungsort hin – ein grasbewachsener Hügel, nicht weit entfernt. Wir marschieren los. Eine Frau ganz in weiß, tritt an mich heran, fehlt nur noch, dass sie sich einhakt. »Das
war ja sehr lebensnah«, haucht sie. Ich
beschleunige den Gang etwas, so, dass es nicht auffällt. Jetzt bin ich auf Höhe
der Veranstalterin. Wir kommen aus dem Wald. Vor uns der versprochene Hügel, auf
dem auch ein kleiner Baum steht, der ein wenig Schatten spendet. Die
Veranstalterin stutzt, etwas stört das perfekte Bild – da liegt ein grauhaariger
Mann und schläft. Der Mann schaut etwas verdattert drein, fügt sich aber sofort der Hochkultur. Schade, dass er sich nicht weigert, dann wäre was los, immerhin war er zuerst hier. Ein paar Meter weiter pflanzt er sich wieder auf den Rasen, zündet sich eine Pfeife an und beobachtet das Treiben. Auch ich nehme etwas Abstand, lege mich in die Sonne, beginne wieder zu schwitzen – jetzt auch schon egal - und hole meine Bockwürste raus. Zwei Hunde beobachten mich dabei und lecken ihre Schnauzen. Nach einer kurzen Ankündigung beginnt die junge Frau zu lesen. Bei mir kommen nur Wortfetzen an, obwohl ich nur ein paar Meter entfernt liege. Entweder liest sie zu leise oder der Wind steht ungünstig. Einer der Hunde versucht sich an mich ranzumachen, doch seine Leine hindert ihn daran. Er jault kurz auf und wird von seinem Herrchen augenblicklich zur Ordnung gerufen. Mein Gesicht brennt. Die Sonne gibt alles was sie kann, doch ich bin zu kraftlos mich in den Schatten zu schleppen. Die Frau ist fertig, Applaus. Der vertriebene Opa klatscht nicht, zieht dafür aber genüsslich an seiner Pfeife. Die Veranstalterin drängt sich in den Mittelpunkt, dankt allen Beteiligten und freut sich darüber, dass das Wetter so schön mitgespielt hat. Dann wünscht sie allen Anwesenden eine gute Heimreise. Opi zieht an seiner Pfeife und ist wahrscheinlich froh, dass die Invasion der Kulturtanten vorüber ist. Auch ich erhebe mich und schließe mich der gemächlich davon strömenden Menge an. Kurz schaue ich mich noch einmal um. Der alte Mann hat sich wieder hingelegt. Er ruht in Frieden. »Das
hat doch alles prima geklappt«, höre ich es plötzlich von der Seite. Die
Veranstalterin hat sich zu mir gesellt. Und weg ist sie. Wir kommen wieder an der Eiche vorbei, unter der die Budapester Koryphäe ihre Short Stories zum Besten gegeben hatte. Gleich daneben haben sich jetzt einige Fußballer breit gemacht, die munter grölend drauf los bolzen. Schade, schlechtes Timing, vorhin hätte das sicher lustig werden können. Ich schlendere zum Bahnhof. Den Zug verpasse ich um eine Minute. Ich warte zusammen mit einem Herren, dessen rechtes Bein rot und extrem angeschwollen ist, sein Hosenbein hat er fast bis zum Schritt hochgekrempelt. Zwei Minuten bevor die S-Bahn einfährt füllt sich der Bahnsteig. Im Zug bekomme ich einen Sitzplatz. Kurz vorm Hauptbahnhof schleppt sich das Rotbein durch die Bahn und verkündet, dass er obdachlos sei, ein kaputtes Bein habe – was ich bestätigen kann – dass ihm weh tue, und dass er um eine kleine Spende bittet. Keiner spendet ihm etwas, nicht mal Trost. Ich auch nicht, ich stelle mich schlafend, als er an mit vorbei humpelt – ich bin nicht in der Stimmung für Obdachlose mit rotem Bein, da bin ich nicht anders als die anderen, vermutlich nicht obdachlosen Fahrgäste in der Bahn. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Rotbein, vorhin ganz entspannt am Bahnsteig gestanden hatte. Hätte er mich dort angequatscht, hätte ich ihm wahrscheinlich was gegeben, da hätte es sich spontan aus der Situation heraus ergeben können. Immerhin waren wir zu der Zeit die Einzigen auf dem Bahnhof. Vielleicht hätte ich ihn sogar gefragt, was mit seinem Bein los sei, interessiert hätte es mich schon. Aber er beachtete mich nicht, Pech gehabt, jetzt beachte ich ihn nicht, ich bin halt ein Arsch. In Hamburg erwische ich tatsächlich den Anschlusszug nach Bremen, das passiert nicht oft, fast ein Grund zum Feiern. Mir gegenüber sitzt ein mit unzähligen Farbspritzern besudelter Typ, der drei verpackte Bilder mit sich führt. Er trägt eine gelbe FDP Werbemütze. Ein Künstler mit Humor, sowas gibt’s selten. Nach nur einer Station steigt er aus. Meine Fahrt geht weiter. In Bremen regnets, nichts neues, und mein Fahrrad wurde geklaut, auch nichts neues. Zu Fuß gehts nach Hause.Artikel online seit 05.02.19 |
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