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Sucher der Stille

Leopold Federmairs Divertimenti
»Schönheit und Schmerz«

Von Lothar Struck

Seit 2002 lebt der österreichische Germanist, Übersetzer, Essayist und Autor Leopold Federmair in Japan, seit 2006 mit Familie in Hiroshima. Neben seiner Professorentätigkeit an der Universität zu Hiroshima ist Federmair äußerst produktiv. Jährlich erscheinen von ihm Buchpublikationen, sei es essayistischer aber auch belletristischer Art. So 2018 (neu gefasst und überarbeitet) die zwischen 2010 und 2017 auf zwei Online-Plattformen erstveröffentlichten "Tokyo Fragmente", Annäherungen eines Flaneurs an eine Fremde; salopp formuliert das Gegenteil dessen, was man "Lost-in-Translation"-Schwulst nennen könnte. Ein Jahr zuvor wurde sein Roman "Monden" veröffentlicht. Und nun, in einem neuen Verlag, "Schönheit und Schmerz" (hier kommt zu Beginn sogar die Hauptfigur aus "Monden" vor). Als Gattungsbezeichnung liest man "Divertimenti". Ich bin ein Musikdilettant und lese, Divertimenti seien heitere, tanzartige Musikstücke. Und dann "Schmerz"? Ein Widerspruch? Oder nur eine Ergänzung?

Um es vorweg zu sagen: Ich bin nicht ganz neutral. 14 der mehr als 200 "Divertimenti" waren zwischen 2015 und 2017 in loser Folge im Weblog "Begleitschreiben" erschienen (hier und da gab es für das Buch, wie ich feststellte, sanfte Korrekturen). Ich rubrizierte sie damals unter "Splitter". Meist füllten sie eine halbe Seite, manchmal weniger, selten mehr. Für einen Blog sind sie ideal – man kann am Computer lesen ohne zu ermüden und sie regen dennoch die Phantasie an. Im Buch nun, als Komposition, blühen sie weiter auf, entwickeln eine neue Dynamik, lösen sich aus dem eher aphoristischen, capriccciohaften. Obwohl scheinbar unzusammenhängend und zwischendurch die Erzählperspektiven wechselnd (vom "ich" zum "er" und auch, nicht ganz so oft, zum "wir"), bilden sie im Buch ein Ganzes, entsteht neben den vordergründigen Impressionen ein Kontinuum ("Story" wäre das falsche Wort). Das ist manchmal grotesk oder surreal, zuweilen sich verstrickend in Abschweifungen oder – selten -  ärgerlichen Allegorien.

Der Dichter, der sich zuweilen selber so nennt (dann wieder Schriftsteller), als Sucher der Stille ("Stille, das heißt Vogelzwitschern, leises Blätterrauschen, ferne Verkehrsgeräusche."), der den Leser zum Zeugen des Beobachtens macht, aus Neigung und Notwendigkeit schreibend und dann, in den besten Momenten, wechselt es, er wird vom Beobachter, dessen "Beobachterneugier […] eigentlich nur auf Bestätigung aus ist, also gar keine echte Neugier" ist, zum Schauer und zum Schauenden. Und dann entsteht ein fast verschwörerischer, Moment zwischen Schreiber und Leser, der ein "Eingeweihter" wird, ein Mitbewohner einer verborgenen Welt, die anderen (warum auch immer) verschlossen ist (und die rein gar nichts mit einem japanischen Exotismus zu tun hat, sondern so etwas wie universell ist).

Dann wird aus einem einfachen Garten ein "Weltgarten, ohne Haus, zu dem er [der Schreiber] gehört". Aus dem Konbini (einer Art Kiosk oder kleiner Laden), "in der Ortschaft am Fuß des heiligen Berges", so etwas wie der Mittelpunkt des Universums. Alles ist plötzlich möglich. Anthropomorphisierungen etwa, wenn er der Schreiber, die Raben oder Krähen grüßt, einen badenden Vogel erspäht, um eine sterbende Hummel trauert, den Schild(kröt)käfer auf der Toilette bestaunt und von den "erschreckenden Schauspielen" auf dem Boden vor ihm erzählt. Momente, die als eine heitere, freundliche Über- oder, besser, Anteilnahme daherkommen, denn ein Herrscher möchte der Schriftsteller nicht sein. "Fundstücke, nein: Sehstücke…"

Dagegen (dagegen? Eher: "Dazu") dann die Begegnungen mit Menschen, die fast immer wie er selber Versprengte sind oder Verirrte ("Die Verirrten und Verwirrten werden reichlich belohnt, sie haben ein schöneres Leben."), denen er sich manchmal anschließen möchte,(aber es bleibt doch meist distanziert. Ein Hundertjähriger, rauchende Arbeiter (stellvertretend für den Schreiber rauchend), ein Mann, den er immer einmal grüßen wollte – und dann ist er plötzlich tot. Oder ein Angler, der auf seinem Schreibplatz sitzt (die Parallelen zwischen Anglern und Schreibern: das Verbindende: die Geduld).

So entstehen Erzählräume. Eine "zufällig gefundene Parabel" etwa. Oder "Berichte" wie diesen: "Eine Krähenfeder liegt im Staub und wird noch eine Weile schillern. Das Wiesenschaumkraut ist nach den Regentagen bis zur Höhe meiner Brust gewachsen." Aber all das vergeht auch, verändert sich. Etwa "nach dem Wärmeeinbruch": Die "Spinnenwelt [ist] zerfallen, das Kunstwerk ein Chaos, Ruinenlandschaft, Fetzen wehen unscheinbar in der Luft." Und eh man sich versieht sind sie vorbei, "die Freuden des Entdeckens, des Studierens, der Genauigkeit. Des Sich-Versenkens. Über alles streifst du hinweg." Und dann Resignation: "Ach, was wir Menschen alles sehen, um unsere behauptete, erhoffte, eingebildete Freiheit zu beweisen."

Manchmal leistet sich Federmair Ausreißer. Analogien, die allzu gewollt daherkommen. Da wird etwas zusammengeführt, was nicht recht passt, "KZ und Kfz" etwa. Keine fruchtbaren Abschweifungen, sondern Überstülpungen (keine weiteren Beispiele, der Leser soll sie selber finden – oder: besser nicht finden).

Natürlich kommt man nicht umhin den Autor als Ich oder Er wahrzunehmen. Und die japanische Kultur spielt dann doch in diese Divertimenti hinein (wie sollte es auch nicht sein). Besonders wenn des Schreibers schulpflichtige Tochter erwähnt wird. Dann zeigt sich eine gewisse Skepsis am auf Leistung ausgerichteten Gesellschaftssystem. Hier wird es essayistisch. Auch im wunderbar leichten und luftigen Text über den verstorbenen Schriftstellerfreund, in dem man Gerd-Peter Eigner zu erkennen glaubt. Und wenn vom "weltberühmten Dichter", der einst auf dem "Stadtberg" lebte, die Rede ist, denkt man sofort an Peter Handke. In diesem Text verknüpft der Schreiber sein Verhältnis mit Handke mit einer Affäre, die der Ich-Erzähler damals mit einer verheirateten Frau hatte. Es ist der längste Text im Buch.

Federmair hat sehr stupende literaturwissenschaftliche Arbeiten über das Werk Handkes verfasst. Er kennt dessen Prosa sehr gut. Und gerade dies merkt man den Texten zuweilen an. Der Konbini und dessen Umgebung wird zur Niemandsbucht, die Naturschilderungen, die, bevor sie zu Idyllen werden, fast immer geerdet, zurechtgestutzt werden, der Wunsch nach Dauer, der bekanntermaßen nie erfüllt werden und dennoch immer wieder neu ersehnt wird, die Wieder-Holungen – alles verwandt mit Handkes Schreib-Impetus. Und dann eben doch anders.

Nein, die einzelnen Divertimenti einfach herunterlesen – das geht nicht. Es braucht (braucht?) Zeit. Zeit und Muße. Wer hat das heute noch? Wer wagt es?

Artikel online seit 11.11.19
 



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Leopold Federmair
Schönheit und Schmerz
Divertimenti
PalmArtPress
300 Seiten
978-3-96258-036-0
24,00 €

 


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