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Spröde
Kumunkuluswolken über dem Land
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Die
zweite Erzählung von Barbara Handke spielt in einer norddeutschen Pension in der
Nähe der Nord- oder der Ostsee – in Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder
Mecklenburg also. Für Letzteres spricht einiges; jedenfalls geht es wohl um die
Dekade zwischen dem Fall der Mauer – es gibt bereits Gäste aus dem Westen, die
mit Opel Kadett und VW-Käfer anreisen – und der Einführung des Euros – denn es
gilt noch die D-Mark. Auf dem Buchcover ist der Kosmos des Kammerspiels abgebildet: vorn der hübsche Hubert, im Mittelgrund der Opel Kadett eines immer wiederkehrenden Gästeehepaars samt der von Hubert bewunderten Bikinischönheit Vera, die sein Goldfischglas hält, mit dem es eine besondere Bewandtnis hat und im Hintergrund die etwas biedere Pension der Mutter mit Garten und Schuppen. Auf dieser reduzierten Bühne wird sich wie im epischen oder absurden Theater („ein Baum, ein Stein“ heißt es denkbar knapp zur Szenerie in Sam Becketts Warten auf Godot) alles abspielen: die Anreise und Abreise der verschiedenen Gäste, die Nicklichkeiten und Neidereien, die gegenseitigen Verführungen, der verzweifelten Versuch der Mutter, Hubert unter die Haube zu bekommen, ihre Geburtstagsfeier, schließlich die unerwartete Fortführung der Pension mit alter und neuer Personage.
Ähnlich wie in ihrem ersten Roman Wo ist Norden von 2018 fühlt sich die
Autorin auch hier wieder in ihren männlichen Icherzähler ein, der ein geregeltes
Leben führt: frühs zu Arbeit und früher Feierabend, an dem er der Mutter hilft,
so gut es geht. Er ist nicht sehr helle, hat aber Träume. Er kennt vor allem
seine Grenzen, was bekanntlich nicht jeder kann: er führt eine Liste mit
schwierigen Worten, an der er ständig arbeitet, die er sich erklären lässt und
zu eigenen Ausdrücken zusammenfügt. Entsprechend fällt seine Sprache aus,
einfach, leicht reduziert, privat, aber deutlich. Er ist eigensinnig und
gutmütig, vor allem verlässlich; und darauf kann er sich auch selbst verlassen.
Man fühlt sich vor allem aufgrund der sprachlichen Sprödigkeit, aus der diese
einfach nur scheinende, aber in Wirklichkeit hochkomplexe Welt sich
zusammensetzt, an ähnliche Erzählungen erinnert, vielleicht an Siegfried Lenzes
Schweigeminute (2009), bei der es um die Liebesbeziehung eines
Abiturienten mit seiner Lehrerin geht. Ähnlich droht auch in Barbara Handkes Erzählung dem Protagonisten der Bruch seines Lebens, als seine Mutter schwer erkrankt. Die kleinbürgerliche und fein austarierte Welt der Pension gerät ins Wanken, vor allem aber durch den Versuch der Mutter, den Sohn zu verheiraten, der mit einer kleinen Katastrophe endet. Doch die gemischte Hausgemeinschaft rappelt sich wieder auf und mithilfe seiner Freunde und ihrer Solidarität geling auch nach dieser Wende ein weiterer Neuanfang, in dem die wesentlichen Motive dieses kleinen Lebens bewahrt und weitergeführt werden können, wenn auch ins Ungewisse. Das alles ist meisterhaft und lebendig erzählt, kein Wort wird zu viel gesetzt und so kann das Buch es durchaus auch mit internationalen Vergleichen wie beispielsweise mit Ian McEwans erster Novelle Der Zementgarten (1978) aufnehmen; dort gießen Geschwister ihre Eltern in dem Vorgarten des Bungalows ein. Oder wie im wahren Leben, als der bis dahin biedere Ingo P. und seine böse Frau Stephanie in einer Siedlung in Franken Ingos Eltern, bei denen sie friedlich im Haus wohnten, kurz vor Weihnachten 2017 töteten und anschließend in der Garage einmauerten. Immerhin entpuppt sich auch die von der Mutter ausgewählte Ehefrau für den Sohn als eine Betrügerin, Stephanie nicht unähnlich. So weit geht Barbara Handke in der Ausführung dann aber nicht, bei ihr wird das Motiv nur eben angedeutet und schlägt in eine andere Richtung um, wenn die Atmosphäre in dem Krankenhaus, in dem die Mutter stirbt, solchen Beton atmet. Am Ende gibt es also doch erstmal ein Happyend und der Sohn weiß sich zusammen mit seinen früheren Sommergästen zu helfen – das vormalig zerstrittene Kleinbürgertum wächst in der Krise zu einem solidarischen Kollektiv zusammen. Das macht Freude zu lesen, ebenso wie sich der geneigte Leser über die kleinen norddeutschen Aperçus von der Waterkant freut: so sind zum Beispiel auf dem Buchdeckel deutlich die Segelohren des Protagonisten zu erkennen, die auf diejenigen seines Vaters zurückgehen sollen, den er nicht kannte: er sei aber Seemann gewesen. Und zur Beerdigung kommt der Bestattungsunternehmer mit seinen Totengräbern angereist: das Unternehmen trägt den sinnigen Namen Hein – nach Freund Hein als plattdeutsche Allegorie für den Tod. Und über allem wölbt sich der norddeutsche Himmel – der aber ist, anders noch als bei Christa Wolfs Erstlingsroman Der geteilte Himmel (1963) eben nicht geteilt, sondern er besteht, nach einem schönen Wort aus Huberts Liste der schwierigen Wörter, aus Kumunkuluswolken. Das bezeichnet auch wieder wie bereits in Wo ist Norden? eine andere geschichtsphilosophische Situation. Es ist zudem eine schöne und sprechende Zusammenziehung aus Kummulus = Verdichtung, Versammlung und aus Homunkulus, dem kleinen künstlichen Menschen, beispielsweise in Goethes Faust. Dieser Witz, der sich nach Sigmund Freuds Lachtheorie aus der lustvollen Verdichtung ergibt, bezeichnet vielleicht die Keimzelle des kommenden Menschen als neues Weltkind nach dem Bruch. Diese besitzt eine sinnliche Seite, weil dieser Himmel dann auch auf Vera schaut, die im Bikini im Liegestuhl im Garten sitzt. Diese Schönheit ist nicht chauvinistisch, sondern wird durch den Vorschein der Sprache als eine Welt geschaffen, die eben nur angedeutet wird, die aber zugleich aufgrund eben dieser Sprache ganz deutlich schon da ist.Artikel online seit 01.11.19 |
Barbara Handke
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