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Bedingt rettungstauglich

Lisa Herzogs Plädoyer für die Idee der Arbeit
als eines integrativen gesellschaftlichen Faktors


Von Jürgen Nielsen-Sikora


 

Lisa Herzog ist Philosophin an der Hochschule für Politik in München. Ihr politischer Aufruf zur Rettung der Arbeit richtet sich an eine interessierte Öffentlichkeit, die sich um den Zustand der Gesellschaft sorgt. Die zentrale These des Essays lautet, die Arbeitswelt spiele eine viel zu wichtige Rolle, »als dass man sie in Zeiten des digitalen Umbruchs einfach ihrem Schicksal – oder dem ungesteuerten Wirken des Markts – überlassen dürfte.«

Ihr Anliegen ist es, die Solidarität der Arbeitswelt wieder zu stärken und Vorschläge zu erarbeiten, wie Arbeit in Zeiten der Digitalisierung neu gedacht, und die Würde des Einzelnen sichergestellt werden kann. Die Arbeitswelt, so Herzog, sei Teil unserer »gemeinsamen, öffentlichen Welt und muss auch als solche verstanden werden.«

Der Essay richtet sich nicht zuletzt gegen diejenigen, die das Ende der Arbeit heraufbeschwören, als auch gegen jene, die tatenlos dem Wandel der Arbeitswelt zusehen. Nicht zuletzt hegt Herzog Bedenken gegen die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, weil dieses zwar exit ermögliche, »aber nicht voice. Exit steht für die Abstimmung mit den Füßen, die Möglichkeit zu gehen, wenn einem an einer Institution etwas nicht passt ... Voice dagegen bedeutet, mitreden zu können: aussprechen zu können, was einem an einer Institution nicht passt, und im besten Fall auch ein Mitspracherecht dabei zu haben, wie die Sachen geändert werden müssen.«

Dahingegen plädiert Herzog für die Idee der Arbeit als eines integrativen gesellschaftlichen Faktors und öffentlichen Anliegens, welches in Zukunft aktive Gestaltung verlange. Dazu reiche es nicht aus, bloß Start-ups zu preisen als wirkten bestehende Firmen wie ein Bremsklotz am Zug der Arbeitswelt von morgen: »Entscheidend für die Art und Weise, wie menschliche Arbeit heute funktioniert, ist gerade das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure – deshalb ist die übermäßige Glorifizierung Einzelner unangemessen.« Demgegenüber gelte es, die soziale Dimension der Arbeit wieder zu stärken, um dem Einzelnen das Gefühl von Werthaftigkeit innerhalb einer Gemeinschaft zurückzugeben. Erschwerend in diesem Prozess wirke insbesondere die Diffusion von Verantwortung in der Arbeitswelt von heute, die durch die Digitalisierung nur weiter vorangetrieben werde.

Was tun? Laut Herzig ist Rettung nur in Sicht, wenn wir es schaffen, den Schutz grundlegender Rechte von Arbeitnehmern zu gewährleisten und zudem demokratisch strukturierte Unternehmen nach dem Modell von Genossenschaften mit Hilfe von steuerlichen Anreizen und rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen. Konkret plädiert sie etwa dafür, Vorstände in Unternehmen wählen zu lassen (wie dies bereits im Manifest des European Spring angedacht ist).

Hanser kündigt das Buch als »wegweisend« an. Diese Einschätzung kann ich nicht ganz teilen. Problematisch bleibt etwa, was genau Herzog alles unter »Arbeit« subsumiert. Es hat den Anschein, sie fokussiere lediglich Arbeit in großen Betrieben und vernachlässige die verschiedenen Sphären moderner Arbeitswelten bis hinein in den privaten Sektor. Auch mit einer »nüchternen Analyse« der Verantwortlichkeiten ist es kaum getan. Zahlreiche Beschreibungen der Arbeitswelt bleiben zudem ohne wirklich tiefschürfende Vorschläge. Auch der übergeordnete Sinn der Gründung von Start-ups bleibt ihr verschlossen, nämlich die Push-Funktion für einen dynamischen Arbeitsmarkt, der Innovationen garantiert und bestehende Firmen auffordert, Arbeitsabläufe und Prozesse zu überdenken. Schließlich kann ich mit der These, die Arbeitswelt spiele eine viel zu wichtige Rolle, »als dass man sie in Zeiten des digitalen Umbruchs einfach ihrem Schicksal … überlassen dürfte« wenig anfangen. Denn das scheint mir doch selbstredend: Wer sollte das denn auch sein, der die Arbeit dem Schicksal in die Hände gibt? Kein Wunder also, dass kein konkreter Akteur genannt wird …

Artikel online seit 19.05.19
 

Lisa Herzog
Die Rettung der Arbeit
Hanser Berlin
224 Seiten
22,00 €
978-3-446-26206-5

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