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Rätselhafter Findlingsblock

Michael Hanekes Drehbücher

Von Wolfram Schütte
 

Im bislang nicht filmaffinen Hoffmann und Campe Verlag muss seit kurzem jemand das Sagen haben, der ein Filmfreund ist. Denn ohne dass es abseh- oder erwartbar gewesen wäre, erhielt im vergangenen Jahr der Autorenfilmer Christian Petzold den von dem Hamburger Verlag seit 2002 gestifteten Julius-Campe-Preis.

Im gleichen Jahr legte der Verlag, ebenso überraschend wie erstaunlich »Die Drehbücher« von Michael Haneke vor. Der Klotz von mehr als 1300 Seiten steht so befremdlich im sonstigen Verlagsprogramm wie der geheimnisvolle Monolith am Rande einer Savannenlandschaft, in der sich eine urtümliche Primatenherde tummelt, am Beginn von Kubricks SF-Film »2001: Odyssee im Weltraum«.

Das ebenso bibel-dicke wie außergewöhnliche Buch enthält 13 Drehbücher, die (bis auf zwei) von ihrem Autor selbst verfilmt worden sind: von »Der Siebente Kontinent« bis zu »Happy End«. Dagegen hat »Der Kopf des Mohren« der österreichische Kollege Paulus Manker adaptiert & »Flashmob« ist bislang noch nicht verfilmt worden. Aufgrund der Anordnung scheinen Hanekes Drehbücher chronologisch angeordnet zu sein. Warum in den separat gesammelten Credits der realisierten Filme deren Produktionsjahre – als seien sie Makel – getilgt wurden, weiß ich nicht.

Ebenso rätselhaft ist Sinn, Zweck & Intention dieser summarischen Monumentalität. Denn ein Drehbuch – so eng der Regisseur sich auch daran gehalten & es von A bis Z realisiert haben mag & der Film genau in dieser Form vorliegt – ist ja nur die intentionale Vorlage, welche der Autor-Regisseur mit allen filmischen Mitteln & darstellenden Personen verwirklicht, will sagen zum Leben im Imaginären verholfen hat. Das Drehbuch ist in unterschiedlich präzisierter Form die konzeptionelle Vorlage für den Film. Im Gegensatz zur eng verwandten Partitur im Musikalischen, die vom Orchester & dem Dirigenten interpretativ unterschiedlich zum (Er-)Klingen gebrachte wird, ist das verfilmte Drehbuch dessen ein für allemal fixierte Interpretation durch den Regisseur. Es kann durchaus sein, dass der fertige Film mehr oder weniger vom Drehbuch abweicht, bzw. nicht alle Drehbuchteile verfilmt oder verfilmte nicht in die endgültige Fassung übernommen wurden. Das scheint bei Haneke nicht der Fall zu sein. Sonst wäre, was uns als Drehbuch annonciert wird, eine Nachschrift.

Wer die Kunst Hanekes in seinen Filmen erblickt & erfahren hat, wird sie – sei's im Kino, sei's auf DVD – wieder sehen & hören wollen. Wenn ich eine Symphonie mir vergegenwärtigen möchte, werde ich ja auch nicht zur Partitur greifen, sondern zu einer ihrer orchestralen Realisierungen. Drehbuch-Lektüre (wenn sie nicht für eine nachträgliche analytische Detailbetrachtung des Films hilfreich sein kann) könnte ja für den Haneke-Kenner - also den, der sein Oeuvre als Film (er)kennen gelernt hatte -, sinn-& zweckvoll sein, wenn ihm die Filme nicht zur Verfügung stehen oder um an sich selbst die imaginative Fähigkeit zu erproben, ob man selbst aufgrund des Drehbuchs den gesehenen Film erinnernd sich vorstellen kann.

Das sind jedoch gewiss sehr spezielle, gewissermaßen »esoterische« Ansprüche, welche eine solche Sammlung von Drehbüchern sinnvoll & zweckhaft machen würde. Da Michael Haneke bei der Präsentation seiner Drehbücher dem Leser kein Surplus an Informationen zur Genealogie seiner Imagination oder zur Film-Produktion gibt & das schriftliche Fundament seiner filmästhetischen Realisationen ebenso »nackt«, bzw. endgültig fixiert vorlegt wie die daraus entstandenen Filme, konnte bei Hoffmann und Campes der Eindruck entstehen, mit den Drehbüchern habe man als bewundernder Verleger die literarische Basis des »Autorenfilmers« bei der Hand. Das zeugt zwar von verständlicher Bewunderung für das Genie des Filmautors Hanekes, aber von Ignoranz gegenüber der Siebten Kunst, in welcher der Österreicher ein Meister ist.

Die »reale Gegenwart« (George Steiner) des außergewöhnlichen, gewissermaßen exzentrischen Backsteins von einem Buch bleibt rätselhaft.

Artikel online seit 08.04.19
 

Michael Haneke
Die Drehbücher
Verlag Hoffmann und Campe
1328 Seiten
54,00 €
 

 

 


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