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Der böse Walter
Benjamin. Schatten einer Ehe. |
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Wo ist Dora? Es gibt intellektuelle Biographien und es gibt emotionale Biographien. Dies ist eine emotionale, die polarisiert. Eva Weissweiler legt damit zunächst eine längst fällige Veröffentlichung über die Ehe zwischen Dora Kellner und ihrem Mann Walter Benjamin vor, die eine biographisch gehaltene Wertschätzung von Dora geworden ist. Längst überfällig ist jedenfalls eine Beschreibung dieses Verhältnisses aus feministischer Perspektive. Feminismus bedeutet, dass man die reale Frau oder auch das weibliche Prinzip als soziales Konstrukt in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Eva Weissweiler macht daraus ein Engagement. Sie rekonstruiert aus Briefen, Dokumenten und Gesprächen mit ZeitzeugInnen, wie Dora die Last der Beziehung trägt, sie Sekretärin und Trösterin, Ernährerin, ideelles Idol und sexuelles Liebesobjekt ihres Mannes ist. Ihr offizieller Anteil an dieser Gemeinsamkeit bezieht sich aber wesentlich auf Reproduktion, obwohl sie doch auch selbst als Schriftstellerin und als Übersetzerin gearbeitet hat. Sie bleibt auch im Schatten, während das »Genie Walter Benjamin« im Lichte zahlreicher Arbeiten über sein Leben steht. Anders gesagt, wenn es auch die Figur des »armen Walter Benjamins« gibt – als Melancholiker, als Objekt von Horkheimers und Adornos Sadismus, als Selbstmordkandidat, als verfolgter Intellektuellen und missverstandener marxistischer Querdenker – so gibt es doch immer noch jemanden, der noch ärmer dran ist: Es ist auf jeden Fall immer seine Frau Dora, die ihn auch nach der Scheidung 1930 noch oft genug umsorgt, es ist sein Sohn Stefan, dessen Schicksal mit dem der Mutter zusammen gedacht wird und es ist Benjamins Schwester Dora, die in Paris, wenn es ihm ganz schlecht geht, ihm beisteht, seine Texte tippt und ihm trotz Erkrankung seinen Haushalt führt. Wahrscheinlich musste sich Eva Weissweiler, die sich auf feministische Biographien spezialisiert hat, entscheiden, aus wessen Perspektive sie diese schreiben will: aus der Sicht der Schwester oder der Ehefrau. Sie entscheidet sich für Letztere. Einfühlung und Fakten aus weiblicher Sicht Daran ist viel Gutes: die LeserInnen erfahren neues über die Hintergründe der Familie Benjamin, namentlich über den Vater Emil, den Bruder Georg und die Schwester Dora oder die Cousine Gertrud Kolmar. Noch deutlicher aber wird der Hintergrund der jüdischen Familie Kellner im Rayon geschildert: Doras Vater ist Anglistikprofessor an den Universitäten von Czernowitz und Wien, ein Vertrauter und Unterstützer von Theodor Herzl. Die hochbegabte Dora und ihre ein Jahr ältere Schwester Paula werden in Wien in einem Internat von Eugenie Schwarzwald aufgezogen, einer Schule für junge Mädchen, in der es zu anscheinend von der Leitung geduldeten und geförderten sexuellen Übergriffen kommt. Für diese will Frau Weisweiler allerdings irrigerweise en passant auch Sigmund Freud und die Psychoanalyse mit verantwortlich machen.[1] Die Leser erfahren viel über Doras Jugendjahre in Wien, wo sie später Chemie und Philosophie studiert. Nach ihrer arrangierten Heirat mit dem Großindustriellensohn Max Pollak lebt sie in Berlin, wo sie Walter Benjamin kennenlernt und ihn nach der Scheidung von Pollak erneut auf jüdische Art und Weise heiratet. Dieses jüdische Leben stand bisher nicht im Zentrum der entsprechenden Biographie. Diese hier rekonstruiert weniger die intellektuelle Produktion Walters als die emotionale und Familienatmosphäre der Ehe und erlaubt so eine neue Zuordnung von Orten und Zeiten in diesen Ehejahren zwischen 1917 und 1930. Die herkömmlichen Benjamin Biographien werden ent-stellt, in die Mitte dieser neuen Familienaufstellung rückt Dora und ihre Begabungen, ihre Talente und ihr Leben, während Walter nur blass, abstrakt und aus ebendieser familiären Perspektive betrachtet wird. Moderne Verhältnisse Und es ist ein engagiertes Entscheiden: einmal in der Rolle derjenigen, die versucht Dora und den guten Frauen »ihres Clans« Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist Weissweilers Text getragen von heiligem Zorn auf diese verdrehten Verhältnisse der Normalität. Im modernen Patriarchat geht es anders zu als zu anderen Zeiten. Ginge es nach dem, was Bachofen und andere aus den Relikten der historischen Matriarchate herausgeforscht haben, so müsste es die Göttin Deborah sein, die im Mittelpunkt dieser Beziehung stünde. Und Walter wäre ihr Heros, der sich nach Kräften bemühte, sie zu lieben, ihr das Leben zu erleichtern und die Familie für Sie und um sie herum zusammenzuhalten. Aber leider sind diese vormythischen Zeiten, wenn es sie denn historisch jemals gegeben hat, vorbei. Im Mittelpunkt der herrschenden patriarchalen Verhältnisse steht nun aber auch nicht wirklich der Mann, sondern es ist unstrittig, dass das Patriarchat diesen ebenso kastriert wie es der Frau die inferiore Stellung so zuweist, wie den Schatten zum Licht. Auch die Männer stehen unter Konkurrenz und bleiben unterentwickelt. Ihre Heldenseite ist bis heute nicht sehr stark und bleibt, wie bei Friedrich Nietzsche, wesentlich Rhetorik und männliches Säbelrasseln, oft genug für andere Männer. Wenn es wirklich darauf ankommt, sind die Männer im Leben eher Memmen, die sich oft genug hinter der Geliebten, der Frau und der Mutter verstecken, die sie versorgen. Aber es ist die Streitfrage des Jahrhunderts, ob es so etwas wie das Patriarchat heute noch gibt oder ob eine gesellschaftliche Vorherrschaft von Männern oder Frauen nicht abgelöst wird durch einen asexuellen Ökonomismus, der gerade durch seine scheinbare Genderneutralität, die Frauen und die diversen Geschlechter, die anders als die Männer sind, nochmals besonders diskriminiert. Aktualität der feministischen Perspektive und Fragestellung Jedenfalls ist es augenfällig, dass auch die Ehe von Dora Kellner und Walter Benjamin, die 1917 geschlossen und 1930 geschieden wurde, unter ungleichen Vorzeichen steht. Und so sehr wie in den postkolonialen, den gender- und rassismuskritischen Diskursen sich weltweit AutorInnen heute immer wieder auf Walter Benjamins theoretischen Arbeiten beziehen, so gilt doch für seine persönlichen Verhältnisse, dass er auch »nur ein Mann« war. Und kein emanzipierter Mann, wie wir es heute in Skandinavien sehen, wo die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern vermutlich am weitesten fortgeschritten ist mit Frauenquote, gendergerechten Literaturlisten in Universitätsseminaren, obligatorischen Sitzpinklern, veganen Köchen und kindererziehenden Hausmännern. Aber auch dort gibt es nun andere Verwerfungen des Geschlechterverhältnisses, wie man es haarklein aus den Beschreibungen von Karl-Ove Knausgård als Vater oder von Thomas Steinfeld als Korrespondent lesen kann.[2] Das feministische Projekt der Moderne, dass der Frau gesellschaftliche Gerechtigkeit widerfahren ließe, ist 2020 noch keinesfalls eingelöst. Das gilt für die Gegenwart, in der auch in Deutschland einiges vielleicht besser geworden ist, aber nur eben einiges. Es gilt vor allen Dingen aber für die Verhältnisse der ersten drei Dekaden des letzten Jahrhunderts, auf die Eva Weissweiler mit einigem Recht aufmerksam machen will. Die Quadratur des Kreises
So wichtig aber wie eine solche feministische Biographie dieses Paares – und
nicht nur dieses – auf der einen Seite ist, so schwierig ist es auf der anderen
Seite, sich abzugrenzen von den Effekten einer allzu affektiven Parteinahme. Ist
denn aber das eine ohne das andere nicht zu haben – eine engagierte Perspektive,
die das Recht der Frauen gegenüber den Männern einsetzt und zugleich ein
Verständnis für den Anteil des anderen Partners aufweist? In diesem Buch findet
angesichts des Unrechts so etwas wie ein affektiver Hammelsprung statt, ähnlich
wie bei Scheidungen im realen Leben, wo die Freunde eines Paares sich oft genug
gezwungen sehen, sich entweder auf die eine oder die andere Seite zu schlagen.
Das ist nicht nur ungenügender Überblick, sondern es hat auch seine rationalen
Seiten. Schon beim römischen Gott Janus gab es nur die eine oder die andere
Seite, aber keine moderate Mitte als abwägende Verhalten auf der Schwelle.
Möglich, dass es diese auch trotz aller anderslautender Versuche auch nicht für
die Leser dieser Biografie gibt. Die sind dann entweder männlich oder weiblich
oder divers. Der Kritiker jedenfalls ist, man ahnt es schon, ein Mann. Neue Lichter, neue Schatten Ob es also auch noch anders ginge, bleibt angesichts dieser Biographie zunächst insofern müßig zu fragen, weil Eva Weissweiler sich für einen polarisierenden Weg entschieden hat. Und so gibt es nun in ihrem Buch eine eigene lichte Seite, die der entsprechenden Kritik und des selbstgerechten Zorns, zugleich produziert sie eine neue dunkle Seite von nun in dieser Perspektive wiederum unterbelichteten Bereichen. Dieses neue feministische clair-obscure betrifft nicht nur Walter Benjamin, sondern ebenso Doras Konkurrentinnen, gleichsam die Frauen aus dem anderen Clan. Auch das ist aus dem gelebten Feminismus bekannt. Es gibt zwar eine Art Panfeminismus, der sich mit allen Frauen solidarisch erklärt, aber die wirkliche Konkurrenz bewegt sich unter solcher idealistischer Oberfläche (das ist bei Männern bekanntlich andersherum, die tendenziell offen miteinander konkurrieren und sich inoffiziell verbrüdern). Das sind hier in erster Linie die Partnerinnen, die Benjamin während Dora und er noch (oder noch nicht oder emotional schon nicht mehr) verheiratet waren – wie Grete Radt, Julia Cohn, Charlotte Wolff. Die andere Frau Im wesentlichen trifft es aber die Hauptkonkurrentin Doras, die russische Regisseurin und Schauspielerin Asja Lacis, die Benjamin 1924 in Capri kennenlernt. Diese zeichnet die Biographin in den schrecklichsten Farben und nur mühsam zurückgehaltenen Rationalisierungen und Vorurteilen aus der distanzlosen Perspektive einer Kämpferin für Dora. Asja wird ihr nun im doppelten Sinne zur »Professionellen«: als berufsmäßige Schauspielerin zur Simulantin, die notorisch psychische und körperliche Krankheiten vortäuscht und als berufsmäßige femme fatale zur Prostituierten. Asja habe nach Aussage in ihrer Autobiographie mit fast jedem Intellektuellen in Berlin ein Verhältnis gehabt; es wird angedeutet, dass sie sich mit dem Verhältnis zu Benjamin auf Capri »etwas dazuverdiente« und vor allem, dass sie fett und hässlich gewesen sei.[3] Pro bonum – für die Guten Solche Herabwürdigung der Konkurrentinnen, vorzugsweise in den Feldern Schönheit, Gewicht und Intelligenz gehören anscheinend als Rückseite zu dem solidarischen Engagement für den Clan in dieser Biographie hinzu. Entsprechend mild fällt das Urteil über Doras Liebhaber aus, die es ebenfalls in Hülle und Fülle gibt, die aber nun zu den Guten gerechnet werden. Sie sind in der Regel zartfühlend, klug und zurückhaltend und Dora bleibt nichts anderes übrig, als sich ihnen zuzuwenden. Da wird dann auch schon mal eine antisemitische Gesinnung großzügig toleriert wie bei dem amerikanischen Schriftsteller Josef Hergesheimer, dessen Buch Bergblut Dora 1932 übersetzt und zu dem Weissweiler eine offenkundige enthusiastische völkische Blubo-Einschätzung vom damaligen Goebbels Freund Luis Trenker abgedruckt.[4] Das aber ist die Seite der vorausgewählten Guten, die zu Doras Clan zählen. Denen lässt die Biographin dann schon mal einiges durchgehen. Contra malum – wider die Bösen Walter Benjamin dagegen wird unter solchem Schema zu einem gehörnten Charles Bovary, der die Liebhaber seiner Frau nicht nur passiv toleriert, sondern aktiv ermuntert, sich welche zu nehmen. Da war die Ehe aber schon am Ende und nach Amerika ist Dora gefahren, um sich von den Strapazen der Scheidung zu erholen. Was auch geklappt hat: Das Kriterium dafür ist für Weissweiler, dass sie stark abgenommen hat (Zwischenkapitelüberschrift Seite 283: »25 Pfund weniger«). Weisweiler resümiert: »Fazit: sie hatte sich durch die Scheidung befreit, er sich nicht.«[6] Das dürfte auch kein Wunder gewesen sein, er hatte den Prozess am 27. März 1930 ja auch mit Pauken und Trompeten verloren. Walter war schuldig gesprochen worden und für den Rest seines Lebens ruiniert, denn er musste alle Kosten übernehmen, auch für die Mitgift, die Dora sich aus ihrer erster (Schein-)Ehe mit dem Industriellensohn Max Pollak erwirtschaftet hatte. Vom Privaten, das politisch ist, zum Privatistischen, dass unpolitisch wird
Ein anderes Element dieses Stils, ist dann, dass Eva Weissweiler ganz natürlich
die Position der Erzählerin einnimmt, die alles weiß. Das ist anders als
beispielsweise die polyphone Erzählstruktur von Olga Tokaczuk, der zweitjüngsten
Nobelpreisträgerin von 2018, die ihrerseits im ausladenden Schatten von Peter
Handke, dem Gewinner von 2019 steht; beide bilden ein weiteres Paar solcher
institutionalisierter Ungerechtigkeit (um von den Vorgängen in der Schwedischen
Akademie gar nicht zu reden). Der Club der Ehebrecher Die Gruppen der jüdischen bürgerlichen Jugendbewegung, der Intellektuellen und der Bohème, zu der das Paar in Berlin und Wien zählt, betreibt ein fleißiges Bäumchen-wechsle-dich-Spiel, eher dem Schnitzlerschen Reigen mit verschiedenen Partnern ähnlich als Goethes Wahlverwandtschaften, die noch mit vier Personen auskommen müssen. Dazu zählt immer das besondere Pathos einer Ehrlichkeit in der Jugendbewegung, was bedeutet, dass die Liebschaften sozial offen gelebt werden. Man lebte in Gruppen zusammen und ménages à trois et plus – der »Club der Ehebrecher« lautet ein kleiner Text von Dora, die diese Verhältnisse ironisch rationalisiert. Die Ebene dieser Beziehungs- und Bettgeschichten nimmt bald soviel Raum ein, dass für anderes kaum noch Platz ist. Irgendwann kann auch die geneigtesten Leserinnen und Leser – und wohl auch die Biographin selbst – es nicht mehr hören, wer mit wem ein Verhältnis gehabt hat oder hätte haben können. Aber sie muss den einmal eingeschlagenen Weg anscheinend konsequent zu Ende gehen. Gas gegen Gas: Genug ist genug. Eine immanente Kritik Ein Höhepunkt dieses Prinzips findet sich in Doras Roman Gas gegen Gas, der 1930 in Fortsetzungen in der Süddeutschen Rundfunkzeitung veröffentlicht wird. Er soll eigentlich das Hauptbeweisstück für Doras Produktivität abgeben, gerät dann aber zum Gegenteil. Nach Weissweilers Zusammenfassung der hanebüchenen Handlung des ersten Teils, muss dann für den zweiten Teil die diesbezüglich hart gesottene Biographin, die sonst in dunklen Stunden immer zu ihrer Heldin hält, nun selbst aufgeben und zähneknirschend zugeben: »Bis hierhin« sei der Roman gelungen – da liest sich die ganze Sache für einen neutralen Beobachter aber schon wie ein furchtbarer Schmachtfetzen.[7] »Doch dann verliert Dora sich in komplizierten Dreier und Vierer Liebesgeschichten, die den Leser ermüden. […] Was ist mit dem politischen Plot? Er verliert sich in langen Problemdialogen über die Liebe.«[8] Der Roman wird denn auch nicht zu Ende abgedruckt. »Eigentlich schade« urteilt Weissweiler parataktisch. Wir werten das als eine immanente Kritik der Biographin an ihrem eigenen Projekt, das damit an seine inneren Grenzen gerät. Der vorgetragene Anspruch der Biographin, dass Dora eine gute Schriftstellerin sei und die relativistische Wirklichkeit des Romans stehen schroff nebeneinander. Auch wenn man Doras weitere Tätigkeit als produktive Feuilletonschreiberin und Übersetzerin würdigen will, die Weissweiler anhand anderer Texte belegen will: Das möchte man denn doch nicht zu einer einzigen Arbeit von Walter Benjamin in Beziehung setzen müssen. Und es dürfte auch den letzten Lesern dämmern, dass möglicherweise ein ethischer Familienstandpunkt zur Beurteilung von Kunst und Literatur nicht immer, vorsichtig ausgedrückt, der einzige oder der richtige ist. Die Kunst ist auch grausam, ebenso wie die Wahrheit. Die Biographin als große Revisorin I: Pornographie Die sonst so nüchterne Erzählerin, die beispielsweise die Einzelheiten des Ehevertrags aufzählt und den genauen Geldbetrag der Mitgift nennt, bewegt sich auch selbst zuweilen hart an der Grenze von Klatschgeschichten wie ihr Idol. Das wäre einfacher zu verschmerzen, wenn die Biographin sich nicht zugleich als allwissende Erzählerin mit solchem Feminismus auch noch die Rolle einer moralischen Kunst- und Tugendwächterin aus der Position des Konventionellen aneignen wollte. So erzählt sie davon, dass Dora zu den besten Zeiten ihrer Ehe Benjamin zum Geburtstag eine wertvolle Bibliothek mit Büchern aus dem Barock und anderen wertvollen Sammlerstücken schenkt, darunter auch einmal ein Gemälde von Paul Klee. Walter dagegen überreicht ihr seinerseits zu ihrem Geburtstag ganz uneinfühlsam einen sexistischen Roman von Charles Louis Philippe, Marie Donadieu, 1913, einen Abklatsch von Madame Bovary.[9] Etwas später will Benjamin seine Frau anscheinend dazu bringen, den erotischen Briefroman von John Cleland, über die (fiktive) Geschichte der Prostituierten Fanny Hill, der zuerst 1749 in London erschien, ins Deutsche zu übersetzen. Dafür nimmt er schon Kontakt mit seinem Verleger auf. Dora fährt nach Wien, um ihren Vater zu befragen. In der Tat war das keine ungefährliche Sache, das Buch war bis 1969 in Deutschland verboten. Das empört die Biographin so sehr, dass sie entsprechende Belegstücke aus diesem Buch abgedruckt.[10] So wenig, lesen wir also zwischen den Zeilen, kümmerte sich der böse und vielleicht auch perverse Benjamin um seine arme Göttin Deborah, dass er sie gleichsam auf den literarischen Strich schickt. Allerdings muss man angesichts solcher Rhetorik heute wohl auch sagen: Soviel Moral im Jahre 2020 in einer Gesellschaft, die auch Michel Foucault, George Bataille, Simone Beauvoir oder Charlotte Roche liest, befremdet, es gehört aber anscheinend zu diesem Narrativ wie auch die folgenden Motive. Die Biographin als große Revisorin II: bildende Kunst
Eine ähnliche Haltung nun im Felde der bildenden Kunst finden wir bei der
Biographin angesichts eines Gemäldes von Paul Klee, Die Vorführung des
Wunders, das Dora Benjamin 1920 zum 28. Geburtstag schenkt. Zunächst
schreibt Weissweiler, dass es ihm, der Klee als einen der wenigen Maler
ausgesprochen schätzte, sehr gefallen habe, er es »schön« finde und es »eines
der schönsten Bilder Klees« sei. Das sei allerdings nun eine Gefühlslage, die
sie für nicht angemessen hält, weil Klee das Bild, das 1916 entstanden sei, doch
im Kriege gemalt und es eindeutig einen brutalen Hintergrund besäße.
Anschließend wirft Weissweiler Benjamin vor, dass er Doras Geschenk Bild 1937 an
die Kunsthandlung, die sich nun in Amerika befand, zurückverkaufte und es heute
Millionen wert sei.[11]
Wir verstehen die Botschaft, dass Benjamin die Gabe nicht nur pietätlos schön
fand, sie überdies nicht zu schätzen gewusst hätte, sondern dass er sie auch –
realitätsuntauglich, wie er sei – weit unter Wert wiederverkauft habe. In einer
weiteren Episode berichtet Weisweiler dann, dass Benjamin sich selbst von Klee
ein weiteres Bild, nämlich den Angelus Novus kaufte. Dieses Werk habe er
dann typischerweise als Ausdruck seines Narzissmus höher eingestuft als »nur« das
Geschenk von Dora. Biographie und Gerechtigkeit: eine widersprüchliche Pionierleistung Zugleich ist diese Verstimmung oft genug durch die Fakten gerechtfertigt, ebenso wie Weissweilers heiliger Zorn. Das stellt ihre Leistungen auf der Seite des Engagements für die zuvor notorisch unterbewertete Dora nicht infrage. Aber es lässt die Erzählsphäre kippen bis in die Ebene des Konzepts hinein. Das nimmt man also mit dem Engagement gleichsam in Kauf. Die Frage, ob das so sein müsste, dass man die Parteinahme für die eine immer mit dem Bashing der anderen Seite verbinden muss, ist, wie gesagt, müßig zu stellen. Jedenfalls ist es bei Frau Weissweiler so und das muss man wissen. Denn die Wahrheit liegt bekanntlich nicht in der Mitte, sondern immer in der Übertreibung. Es ist eine Biographie, die Dora Gerechtigkeit widerfahren lässt; aber nun wird Walter dafür wie in einer kommunizierenden Röhre an den Rand gedrückt. Trotzdem möchte man sich vorstellen, dass es eine dialektische Beschreibung geben kann, die bei allem Engagement und aller Trennschärfe auch beiden Gerechtigkeit widerfahren lassen könnte. Diese steht hier noch aus. Um eine mathematische Bestimmung zu verwenden: was hier vorgelegt wird, ist notwendig, aber nicht hinreichend. Zugleich ist es eine Pionierarbeit, aber wie wir gesehen haben, eine widersprüchliche. Die Mischung aus Neugier und Parteinahme, die Frau Weissweiler an den Tag legt, macht jedenfalls auch Lust auf weitere Forschung, die diesen Zusammenhang jenseits der heute anscheinend noch notwendigen Polemik ernsthaft berücksichtigt. Diese Biographie jedenfalls öffnet dafür eine Tür. Dass die AvantgardistInnen für so etwas beschimpft werden, das kennen sie schon und nehmen sie wahrscheinlich billigend in Kauf. Dafür ernten die nächsten Generationen umso unbedarfter ihre Arbeit. [1] »‚War Schwarzwald hoffnungslos naiv?‘, fragt sich ihre englische Biographin Deborah Holmes. ‚Oder hielt sie die Gefahren, die die aufgeladene Atmosphäre mit sich brachte, für Betriebsunfälle, für einen unvermeidlichen Bestandteil >schöpferischer Bildung?<‘ Nein, sie glaubte wohl zu sehr an Sigmund Freud, der zwar 1896 vor dem Verein für Psychiatrie und Neurologie erklärt hatte, dass ‚Ausschreitungen von Wüstlingen‘ gegenüber Kindern zur ‚lebenslangen seelischen Verstümmelung‘ der Betroffenen führen würden, spätestens 1905 — in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie — aber offiziell davon abgerückt war, indem er behauptete, Kinder hätten eine voll entwickelte sexuelle Libido und das Recht, diese befriedigt zu sehen. Kindliche Berichte über sexuellen Missbrauch seien in der Regel nur imaginiert oder Ausdruck von Wunschphantasien. Freud fand viel Widerspruch, etwa von William Stern, einem Verwandten Walter Benjamins, der die ‚Anwendung der sogenannten >Psychoanalyse<‘ auf Kinder kategorisch ablehnte: ‚Diese Richtung will durch eine fessellose Deuterei in die unbewussten Tiefen der Kinderseele hineinleuchten, in denen sie nichts als >infantile Sexualität<, zu finden meint.‘ Aber dennoch: Freuds ‚Erkenntnisse‘ wurden von anderen hoch gepriesen, so auch von dem Kreis um Karl Kraus, der an die revolutionäre Kraft der Drei Abhandlungen glaubte und in ihnen den schlüssigen Beweis sah, ‚dass wir von den biologischen Vorgängen, in denen das Wesen der Sexualität besteht, (noch) lange nicht genug wissen‘. Eugenie Schwarzwald hegte eine große Bewunderung für Karl Kraus. Wahrscheinlich glaubte sie, ihren Schützlingen Gutes zu tun, indem sie Freuds Sexualtheorie in die Tat umsetzte.« (S. 53-54) [2] Vgl. Karl-Ove Knausgård, Lieben (Das autobiographische Projekt, Band 2), Darmstadt: Luchterhand 2013 und Thomas Steinfeld, »Sowas von normal. Die Schweden sollen zur ‚Normkritik‘ erzogen werden. Doch führt die seltsame Mission letztlich nur zum Aussortieren des Abweichenden und zur Banalisierung des Komplexen«, Süddeutsche Zeitung, 20. Januar 2020, S. 11. [3] Über das erste Treffen mit Benjamin auf Capri zitiert Weissweiler aus Lacis Autobiographie, die sie entsprechend kommentiert: »Ihr erster Eindruck von ihm: ‚Brillengläser, die wie kleine Scheinwerfer Lichter warfen, dichtes dunkles Haar, schmale Nase, ungeschickte Hände — die Pakete fielen ihm aus der Hand.‘ Er sah so aus, wie sie sich einen ‚Wohlhabenden‘, einen ‚soliden Intellektuellen‘ vorstellte. Das gefiel ihr. Sie war zwar immer noch Kommunistin, aber gegen etwas Geld hatte sie trotzdem nichts, besonders, wenn sie es nicht selbst zu verdienen brauchte.« (S. 214). Zum späteren Berlinaufenthalt 1928 von Lacis zitiert Weissweiler aus einem Bericht des Dramaturgen Rudolf Frank über eine Aufführung in Berlin, an der diese beteiligt war und gibt abschließend ihre vernichtende Wertung ab: »In diesem Stück trat sie selbst auch als Schauspielerin auf, in der Rolle des jungen Eduard, einer Hosenrolle also. Sehr zum Missfallen des Dramaturgen, Rudolf Frank, der sie für eine grandiose Fehlbesetzung hielt, ‚plump‘, ‚völlig talentlos‘ und des Deutschen kaum mächtig. Immer wieder riet er Brecht von ihr ab, ziemlich deutlich. ‚Lieber Brecht, dieses hässliche Weib kostet Sie mehr, als die schönste Frau Sie je kosten würde.‘ [...] Und dann kam die Premiere. [...] Die dicke Frau Lazis in ihrer Hosenrolle erschien, so, wie Brecht es ihr vorgemacht hatte, mit dem Zeigefinger auf Mortimer deutend und das einzige Wort sprechend, aus der ihr verdammtes Röllchen bestand, das Wort: >Mörder!< Aber aus ihrem des Deutschen unkundigen Mund klang es genau wie: >Merde!< Es gab einen Lacherfolg, fast wie bei Valentins >Christbaumbrettl<, und am Schluss wurde gezischt.‘ Das war 1923, ein Jahr, bevor sie Walter Benjamin begegnete, für den sie das erotische Erlebnis schlechthin gewesen sein soll, jedenfalls nach Ansicht seiner Biographen. […] Auf Bildern von 1912,1915 und 1918 ist Asja Lacis mal als Kindfrau, mal als Gesellschaftsdame, mal als Femme fatale zu sehen. Die Ansichten über ihr Aussehen gingen jedenfalls weit auseinander und waren keineswegs nur positiv, wie der Bericht von Rudolf Frank zeigt.« (S. 214). [4] »Über Bergblut in der Übersetzung von Dora schrieb der Bergsteiger, Schriftsteller und Filmemacher Luis Trenker: ‚Blut- und bodengebundene Menschen, die von Generation zu Generation durch ihre Landschaft, das Gebirge, gezeichnet, gestählt und gestaltet wurden: ein seltenes Thema in Amerika, dem Land der großen Einwanderung. Dass Hergesheimer es bewältigen konnte, gehört zum Erbteil seiner europäisch-deutschen Abstammung. Darüber hinaus kommt er auch hier, wie in seinen Industrie-Romanen, sehr bald zum sozialen Problem. Die Vernichtung der bäuerlichen Arbeit, die Auflösung und Ablösung des Bodens durch das Geld ist es, was er schildert. [...] Starre Menschen, glühende Sonnenuntergänge, wolkenverhangene Regentage geben dem Buch eine erdige Atmosphäre. Zwischen allem eine phantastische Spielszene, endend in Whisky und Schlägereien. Hergesheimer erzählt stark, einfach und gut.‘« (S. 287. Der Querschnitt 12,1932, Seite 458). [5] S. 289. [6] S. 283. [7] »Zu Beginn wird die Heldin, Camilla von Zellnitz, eingeführt, eine junge Österreicherin, die durch den Krieg ihre Eltern und ihr gesamtes Vermögen verloren hat. Sie hat nichts gelernt außer Singen, Klavierspielen und Französisch. Aber sie hat beste Manieren und gilt als schön. Nach einem missglückten Versuch, sich in Krakau als Sängerin einzuführen, landet sie in einem Bordell auf Korfu. Ein Geschäftsmann namens Oskar Lefevre verspricht, sie zu retten, und nimmt sie mit auf ein Schiff, das sie nach Deutschland bringen soll. Nachdem er sie nachts wiederholt brutal missbraucht hat, beschließt sie, ins Wasser zu gehen. Doch der Versuch misslingt. Ihre inneren Kräfte sind stärker. Sie ist eine gute Schwimmerin und kämpft sich ins Leben zurück. Halb ohnmächtig erreicht sie das Ufer der Insel Lagosta, auf der sich ein Dr. Frey rührend um sie kümmert. Er ist Deutscher, Arzt, ehemaliger Kriegsteilnehmer, und Mitarbeiter eines Chemikers namens Palm, dem die ganze Insel gehört. Die beiden haben dort ein Laboratorium aufgebaut, in dem sie ‚Gas gegen Gas‘, ein Gegengift gegen Giftgas, entwickeln wollen, um der Gefahr künftiger Gaskriege entgegenzuwirken. Frey selbst ist im Krieg schwer verletzt worden.« (S. 270). Gegenüber solchen Klischees, so muss schließlich auch Frau Weissweiler zu geben, fallen die von ihr hervorgehobenen pazifistischen und politisch engagierten Teile gegen den Giftgaskrieg, auf die es der studierten Chemikerin Dora ankam, kaum noch ins Gewicht. [8] S. 272. [9] Nachdem sie aus diesem Werk angewidert zitiert, resümiert Weissweiler: »Fast drei Wochen nach ihrem Geburtstag schrieb Dora an Gershom Scholem, sie habe ‚so viele und so ganz herrliche Dinge‘ bekommen, ‚und so schön aufgebaut.‘ Das klingt, als hätte sie ihre Enttäuschung mit Gewalt verdrängen wollen. Sie hatte Benjamin eine halbe Bibliothek zum Geburtstag beschafft, Gryphius, Catull, Tibull, Properz, Balzac, Flaubert, Verlaine, Gide — und er schenkte ihr einen billigen Sexroman, dessen Lektüre nur Ekel und Kopfschütteln auslösen kann, nicht nur bei weiblichen Lesern.« (S. 137). [10] S. 198. [11] »Tod, Fetzen, Trümmer, Maskerade, ironische Anspielungen auf Picasso und den Kubismus: Man kann aus diesem Bild vieles herauslesen. Nur nicht, dass es ‚schön‘ oder gar ‚eines der schönsten‘ von Klee sei. Hat Benjamin überhaupt richtig hingeschaut? Oder mochte er das Bild nicht, weil es ein Thema berührte, das er unter allen Umständen verdrängen wollte, den Krieg? Nach dem Brief an Scholem hat er es nie wieder erwähnt. 1937 verkaufte er es an die Galerie Neumann zurück, die inzwischen ihren Sitz in den USA hatte. 1940 wurde es von zwei amerikanischen Kunstsammlern erworben. Heute hängt es im Museum of Modern Art in New York und ist Millionen wert.« (S. 179).
Artikel online seit 21.02.20 |
Eva Weissweiler |
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