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Goldrausch |
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Die
Siegener Romanistin Walburga Hülk, bekannt für ihre exzellenten Kenntnisse der
Pariser Moderne, hat ein populärwissenschaftliches und materialreiches Werk über
die Zeit des Zweiten französischen Kaiserreichs verfasst. In dem Buch geht es um
den kulturwissenschaftlichen Hintergrund dieser Epoche, die 1851 mit dem Putsch
von Napoleon III. beginnt und 1871 mit der Eroberung von Paris durch die
preußischen Truppen 1871 endet. Offizieller Taktgeber ist die Sphäre der Politik
und der politischen Ereignisse. Das Hauptaugenmerk der Autorin aber liegt auf
den Bereichen des öffentlichen Lebens, der Einrichtung des modernen Paris durch
den Präfekten Baron Hausmann, der Kunst und vor allem der Literatur. Rauschhaft sind nach dem Buch diese Jahre, in denen das moderne Paris entstand, auch, weil hier der Mythos von Paris als Stadt der Liebe und der Lichter noch einmal beschworen wird. Der Leser soll sich in dem Buch wohl so verwirren wie ein Besucher in der labyrinthische ausgestatteten Möbelausstellung bei Ikea. Wenn er am Ende eines Kapitels seinen Kopf hebt, dann schwirren ihm die Daten und Einzelheiten nur so um die Ohren. In der Sache bietet Buch durchaus Nützliches. Es orientiert sich zunächst an den historischen Daten. Allein diese zu rekapitulieren, ist immer wieder wertvoll, nicht nur für Romanistikstudierende. Dabei kommen der Krimkrieg ebenso zur Sprache wie Louis Napoleons Abenteuer bei der Unterstützung Frankreichs für Italien gegen die Österreicher oder auch der Versuch, die nordafrikanischen Kolonien offiziell nicht mehr als abhängige zu behandeln, sondern im neuen Modus der ökonomischen Ausbeutung im Zusammenhang mit der militärischen Absicherung derselben „als freie Königreiche in einem Handelsbund unter französischer Vorherrschaft“. Ähnliche als altruistisch getarnte Operationen sind später vom englischen Commonwealth – oder heute von den Großmächten China, Russland und Amerika bekannt. Napoleon III. bedient dabei insbesondere einen Orientalismus, den Napoleon I. mit seinem Feldzug nach Ägypten begonnen hatte und der sich nun nach Nordafrika und Syrien erstreckt. Man erkennt hier die Voraussetzung für die aktuelle Misere in diesem Gebiet, an dem die Großmächte seit dieser Zeit immer ein Interesse hatten.
Walburga Hülk macht auch deutlich: Die entsprechenden innenpolitischen Maßnahmen
des Zweiten Kaiserreiches nach der Französischen Revolution und denjenigen von
1830 und 1848 waren solche eines Polizeistaates und einer Diktatur. Napoleon
III. errichtete eine neue feudale und ökonomisch orientierte Dynastie. Er war
aber – da er selbst Exilant und Jahrzehnte durch ganz Europa gereist war, bevor
er durch eine Amnestie zurück nach Frankreich durfte und dann putschte –
europapolitisch durchaus auf der Höhe seiner Zeit. Stärker noch als Napoleon I.,
so lernen wir, schafft er ein ziviles Kaiserreich zweiten oder dritten Grades,
das die ökonomische und gesellschaftliche Notwendigkeit des Adels, der in der
Großen Revolution durch das Bürgertum abgelöst und auf dem Wiener Kongress 1815
wieder eingesetzt worden war, noch weiter zurücktreten lässt. Es ist die Zeit
des Übergangs von den feudalen zu den hochkapitalistischen Strukturen, die in
dieser Regierungsform nicht repräsentiert waren. Diese Ungleichzeitigkeit macht
den Mythos des erneuerten Kaiserreichs aus, der Paris als glanzvolle
Lichterstadt miteinschließt.
Der
Leser bleibt diesen Dingen heute ein weiteres Mal so ausgesetzt, wie der nur an
seinen eigenen Interessen orientierte Bourgeois jener Epoche, der mit anderen
Worten der Ideologie seiner Klasse vollständig ausgeliefert bleibt. Und die
lautet gestern wie heute: „Enrichissez-vous!“ – „Bereichert euch am Fortschritt,
denn jeder ist seines Glückes Schmied“. Man hätte statt solcher Wiederholungen
beispielsweise auch lesen mögen, dass der Ruf von Paris als „Stadt der Liebe“
eben dadurch zustande gekommen ist, dass sich viele alleinerziehende Frauen
prostituieren mussten, um überhaupt etwas zu Essen zu haben. Auch die Kosten der
Modernisierung der Stadt, die Hausmann herstellt, werden zwar angedeutet, sie
fallen aber in der Gewichtung, die die Autorin wählt, leider allzu oft unter den
Tisch.
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Walburga Hülk
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