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Gefangen in Idealen?

Zwischen Real- und Idealpolitik:
Das Dilemma von Barack Obamas Politik zeigt sich auch in seinem ersten autobiographischen Bericht: Er will es einfach allen recht machen.

Von Lothar Struck

 

Autobiographien sind ein schwieriges Genre. Zum einen entziehen sie sich der Möglichkeit einer Kritik, weil, sobald man sie formuliert, könnte man dies als Kritik an der Lebensführung des Autors auffassen. Bleiben also die Sachverhalte, die der Autobiograph ausführt und kommentiert – also dessen Lebenserkenntnis - , die einer mehr oder weniger kritischen Widmung unterzogen werden könnten. Hier wird man jedoch schnell der Besserwisserei gescholten, weil man aus der Kenntnis des inzwischen Vergangenen leicht argumentieren kann. Am Ende geht es dann fast nur noch um den Stil: Wie viel Abstand hat der Autor zu sich selber? Stellt er sich in einem besseren oder vielleicht sogar schlechten Licht dar? Hat er das Buch wirklich geschrieben oder schreiben lassen und nur redigiert und freigegeben? Letzteres geschieht ja nicht nur bei Sportlern oder anderen Promisternchen, sondern, zuweilen, auch bei Politikern oder deren Lebenspartner.

Bis zum Beweis des Gegenteils muss man davon ausgehen, dass es sich um ein "ehrliches" Buch handelt. Vor allem vielleicht gerade dann, wenn der Autor Barack Obama heißt, der 44. Präsident der Vereinigten Staaten. Im Laufe der Lektüre des mehr als 1000 Seiten starken Wälzers (inklusive Bilder und einem sehr gepflegten Personen- und Themenregister) hofft man, dass trotz der immensen Anzahl an Personen, denen Obama am Ende dankt, der Kern des Werkes bei ihm zu finden ist. Hierfür gibt es mindestens ein Indiz: Gleich zu Beginn weist er darauf hin, dass er zu Ausschweifungen, "langatmigen Erklärungen" und allzu detailreichen Darstellungen neigt, die Zuhörer langweilen und/oder überfordern können. Und dies tritt tatsächlich auch während der Lektüre dieses Buches auf.

Der Titel könnte patriotischer nicht sein: "Ein verheißenes Land". Im (kurzen) Vorwort erklärt Obama, warum für ihn die USA immer noch diese Zuweisung verdient. Die Vokabel des "amerikanischen Traums" verwendet er zwar nicht direkt, aber sie wird feierlich umschrieben. Und Obama kann auch Pathos, wenn er davon spricht, "die Möglichkeit von Amerika" nicht aufzugeben, und zwar "um der gesamten Menschheit willen". Denn die amerikanische Demokratie taumele, so der Befund der Gegenwart (August 2020; 178.000 Pandemie-Tote in den USA) "am Rand einer Krise". Die jüngsten Bilder verstärken diese Diagnose.

Das Land stand jedoch, als er die Präsidentschaft an seinen Nachfolger, "der in allem das exakte Gegenteil von dem verkörperte, wofür wir standen", besser da als vor seiner Präsidentschaft, so die These. Der Name von Donald Trump fällt lange nicht, erst auf Seite 933 zum ersten Mal. Die Anspielungen sind allerdings deutlich, die Besorgnis auch. Aber sind es mehr als floskelhafte Kassandra-Rufe? Warum hat er nicht das Ergebnis der Wahl abgewartet?

Obama entschuldigt sich gleich zu Beginn für die Fülle des Materials. Und dafür, dass es noch ein zweites Buch geben wird. "Ein verheißenes Land" endet im Mai 2011, unmittelbar nach der Tötung von Osama bin Laden. Das Buch ist in sieben Teile gegliedert, insgesamt 27 Kapitel. Die Zeitachse ist weitgehend chronologisch, wobei Kindheit und Jugend bisweilen Gegenstand für kurze Rückblenden und Reflexionen werden. Gelegentlich greift er Entwicklungen auch voraus, in dem er die Entscheidungen, die getroffen wurden, und deren Folgen nachträglich bewertet. Da er Fuß- und Endnoten nicht mag, gibt es auch in diesem Buch keine.

Mit Sylvia Bieker, Harriet Fricke, Stephan Gebauer, Stephan Kleiner, Elke Link, Thorsten Schmidt, Henriette Zeltner-Shane waren sieben Personen an der deutschen Übersetzung beteiligt, damit das Buch zeitgleich im deutschsprachigen Markt und den USA erscheinen konnte. Leider sind die Zeichen der Gegenwart an der Übersetzung nicht vorüber gegangen. Dann greift man in die Gender-Kiste. Da gibt es dann zum Beispiel "Studierende", "Protestierende" und "Teilnehmende". Störender als dieser dümmliche Neusprech und schlichtweg falsch sind die manchmal eingestreuten Paarformen, wie "Amerikanerinnen und Amerikaner", "Senatorinnen und Senatoren", "Soldatinnen und Soldaten" oder "Köchinnen und Köche" (letzteres im Original: "chiefs"). Bei seinem ersten G-20-Gipfel trifft Obama "Präsidenten, Präsidentinnen, Premierminister, Premierministerinnen, Kanzler, Kanzlerinnen und Könige und Königinnen". Im englischen heißt es: "presidents, prime ministers, chancellors and kings". Aus dem amerikanischen "colleagues" macht wer auch immer "Kameradinnen und Kameraden".

Ständig im Wahlkampf

Auf Seite 125 verkündet der Senator von Illinois, Barack Hussein Obama, seine Kandidatur zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Er nennt es rückblickend seine "magische Reise" – die in Wirklichkeit eine "gewaltige Plackerei" war. Der Wahlkampf innerhalb der Demokraten, die Vorwahlen, sind hart. Obama schildert detailreich das Spendensammeln, Klinkenputzen, Antichambrieren. Schließlich wird fast jeder Caucus, jede Vorwahl analysiert, die Fehler, die er und seine Helfer gemacht haben, die Angriffe, die sie – immer mit zu bedenken: aus dem eigenen Lager - zu überstehen haben. Der kleinste Haspler, die noch so unwichtig erscheinende doppeldeutige Formulierung: alles wird von Gegnern und Medien gleichzeitig ausgewalzt, zerlegt. Gleichzeitig spürt er Zuspruch, eine Politisierung. Seine Reden, die er zu Beginn noch selber schreibt, zünden. Und sie berauschen auch ihn, wie er zugibt.

Obama beginnt mit einer Handvoll Helfer, die mit allen möglichen Details (von der Körperhaltung über den Slang, vor allem jedoch über die Herkunft, die fast immer wichtig ist) vorgestellt werden und von denen am Ende später in seinem "Team" etliche eine ihnen adäquate Position erhalten. Schnell sind es schon 200 und später, gegen Ende, rund 1000 Mitarbeiter; viele arbeiten ehrenamtlich. Man entwickelt neue Kampagnenwege über das Internet, sammelt Kleinspenden ein. Er konsultiert den Doyen der Demokraten, Ted Kennedy, ersucht um Unterstützung. Der will zunächst warten, um es sich nicht zu früh zu verscherzen, sich nicht voreilig vielleicht auf eine falsche Seite schlagen und "Freunde" zu früh zu verprellen. Später wird er zum Mentor.

Am Ende verbleiben nur noch Obama und Hillary Clinton. Diese erweist sich als zähe Gegnerin. Selbst als sie eigentlich verloren hatte, gibt sie nicht auf, chartert sogar Helikopter, um schier aussichtslose Staaten doch noch zu erobern oder einige der "Superdelegierten" auf dem Nominierungsparteitag, die kein imperatives Mandat haben, auf ihre Seite zu ziehen. 80 Seiten später ist Obama nominiert und der eigentliche Wahlkampf gegen den Kandidaten der Republikaner, John McCain, beginnt.

McCain ist für Obama eine Art Held. Fünf Jahre hatte dieser die Gefangenschaft der Vietcong ertragen. Politisch war er hinsichtlich der Einwanderungspolitik moderater als seine Partei. Bisweilen verließ er im Senat die politische Linie der Republikaner, nicht aus Profilierung, sondern aus Überzeugung. Daher ist Obama einigermaßen fassungslos, als McCain die weitgehend unbekannte Sarah Palin zur Vizepräsidentschaftskandidatin ernennt. Palins eher übersichtlichen Fachkenntnisse und ihr demagogischer Stil schockieren ihn. Sein Respekt vor McCain schwindet, als er bemerkt, dass dieser die ökonomischen Probleme der gegen Ende des Wahlkampfs einschlagenden Finanz- und Wirtschaftskrise (Lehman-Pleite, AIG-Taumel) nicht erfasst. Als der amtierende Präsident Bush McCain und Obama zu einem Gespräch einlädt und versucht, ein überparteiliches Rettungskonzept durch Repräsentantenhaus und Senat durchzubringen, macht McCain einen desaströsen Eindruck.

Die Schilderung dieses Treffens mit ihren Einzelheiten liefert einen Vorgeschmack auf das, was Obama erwarten sollte. Staatstragend unterstützt er mit den Demokraten das milliardenschwere "Troubled Asset Relief Program" (TARP). Als er schließlich Präsident ist (gewählt mit komfortabler Mehrheit), bleibt wenig Zeit für Jubel, denn die Volkswirtschaft der USA droht abzustürzen. TARP genügt nicht, Industrieunternehmen wie Autohersteller drohen insolvent zu gehen, Banken knicken ein, Menschen bangen um ihre Jobs. Dabei hatte George W. Bush, den Obama durchaus positiv schildert, ihm allen Ernstes gesagt, er übergebe ein aufgeräumtes Haus.

Blockaden, Deals und die "Tea Party"

Die Entwicklungen zeigen das Gegenteil. Sofort macht sich sein "Team" (die Bezeichnung "Kabinett" kommt selten vor) an die Ausformulierung eines über 700 Milliarden Dollar schweren Wirtschaftsprogramms, "Stimulus" genannt. Wie einst Obama selber wird der Leser tief in die Sumpfgebiete der amerikanischen Gesetzgebung nebst deren zahlreichen Ausnahmen eingeführt. Repräsentantenhaus, Senat, ihre jeweiligen Sprecher, Abgeordnete, die jetzt schon um ihre Wahlkreise bei Midterm-Wahlen in zwei Jahren bangen und mittendrin Nancy Pelosi, für die er nur lobende Worte findet. Seilschaften, Blockaden, "Deals". Man erfährt, was die "Filibuster"-Regel im Senat bedeutet (eine Art Dauerrede, mit der man Entscheidungen unendlich in die Länge ziehen kann) und wie man diese umgehen muss (mit einer Zweidrittelmehrheit) – andernfalls droht der mächtigste Mann der Welt ins Leere zu laufen. Am Rande ist es ein bisschen erstaunlich, dass Obama niemals das durch zahlreiche Ausnahmeregelungen komplizierte und bisweilen etwas antiquiert erscheinende Wahlsystem nicht einmal theoretisch befragt.

Von "Change", einem der eingängigen Schlagworte während der Kampagne, ist man, wie Obama am Ende der Verhandlungen feststellt, weit entfernt. Um Stimmen zu bekommen, muss man bestimmten, zustimmungswilligen Protagonisten, deren Stimmen man benötigt, Zugeständnisse machen, die manchmal mit dem eigentlichen Gesetz nichts zu tun haben. Es gelingt ihm in kurzer Zeit den "American Recovery and Reinvestment Act" zu verabschieden. Man hat zwar 90% des beabsichtigten Inhaltes durchgebracht. Aber der moralische Preis!

Auch bei seinem "Gesundheitsgesetz" (Krankenversicherung für alle) muss Obama Kompromisse machen. Die Blockadehaltung von John Boehner (Fraktionsvorsitzender der Republikaner im Repräsentantenhaus, später dessen Sprecher) und Mitch McConnell wird ihm unverhohlen angekündigt. Also muss man improvisieren. Man findet ein dem eigenen Entwurf ähnlichen Krankenversicherungskonzept von Mitt Romney, einem Republikaner, den dieser als Gouverneur von Massachusetts umsetzte. Was Obama noch nicht wissen konnte: Romney wird 2012 der Kandidat der Republikaner und somit sein Gegenpart werden.

Mit der Zeit werden die Winkelzüge der politischen Gegner immer destruktiver. Aber auch in den eigenen Reihen, speziell bei den Demokraten im Repräsentantenhaus, gibt es Gegner. Man fürchtet, dass eine zu nahe Bindung an die reformistischen Gesetze Obamas dem politischen Gegner im Wahlkreis in die Hände spielen könnte. Denn es gibt zahlreiche umkämpfte Wahlkreise. Diese eher persönlichen Sorgen werden der Regierung gegenüber offen kommuniziert. Obama lässt keine Einzelheit aus, ohne wiederholt darauf hinzuweisen, dass es z. B. darum geht, rd. 40 Millionen Menschen eine kostenlose Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen. Das bisherige Gesundheitssystem der USA bleibt trotz aller Erklärungen eher undurchsichtig - wie auch die Aufregung der Gegner für mitteleuropäische Leser eher unverständlich bleibt. Dass Obama als Anwalt in sozialen Brennpunkten gearbeitet hatte, sich in seinen Wahlkämpfen diesen Menschen besonders verbunden fühlte und für sie Politik machen möchte, wird immer wieder betont. Grob vereinfacht ist Obama in europäischen Verhältnissen denkend sozialdemokratisch. Sich selber bezeichnet er einmal als "Reformer mit konservativem Naturell". In breiten Kreisen des konservativen Mainstreams der USA gilt das jedoch bereits als "sozialistisch" bzw. "kommunistisch".

Kooperationsverweigerung

Es ist die Zeit der "Tea-Party"-Bewegung. Obama entwickelt die Geschichte dieser informellen Gruppe als vorläufiges Endprodukt, die die Republikanische Partei immer mehr kapern sollte. Der Ursprung für die "Kooperationsverweigerung", das Zerschlagen des "Nachkriegskonsens" über Parteigrenzen hinweg, sei, so Obama, in Johnsons Civil Rights Act aus dem Jahr 1964 zu finden. Die Wähler im Süden seien damals massenhaft von den Demokraten abgewandert. Jahr für Jahr "polarisierten sich die amerikanische Wählerschaft und ihre Repräsentanten stärker." Obama skizziert die Stationen:  "Vietnam, Unruhen, Feminismus, …Nixons Strategie im Süden"; unter anderem dann den Fall Roe gegen Wade, aber auch die Affirmative Action oder die "systematische Bekämpfung, Unterdrückung und Sabotage von Gewerkschaften, durch den Obersten Richter und Justizminister Robert Bork." Dann Newt Gingrich und dessen Kampf gegen die Clinton-Präsidentschaft in den 1990er Jahren bis hin zu einem gescheiterten Amtsenthebungsverfahren.

Parteiübergreifende Zusammenarbeit wurde immer mehr aus strategischen Gründen aufgegeben. Obama entwickelt eine Sehnsucht nach "überparteilicher Kooperation" in der Sache, wie dies zu Zeiten der "Greatest Generation" (bspw. Ted Kennedy, Orrin Hatch, John Warner, Robert Byrd) geschehen konnte. Aber diese Zeiten scheinen vorbei: Milliardäre, wie die Koch-Brüder, spenden Unsummen an konservative Republikaner, damit diese kampagnenartig die Politik der Regierung ohne jeglichen Sachbezug bekämpfen können.

Die Überlegung, dass seine Präsidentschaft als erster Afroamerikaner die politische Unversöhnbarkeit noch befördert haben könnte, mag nachträglich den Tatsachen entsprechen. Obama kritisiert in diesem Zusammenhang allerdings nicht nur die Republikaner, sondern auch Teile seiner eigenen Partei, die ihre Werte nur unzureichend vertreten hätten und beispielsweise die Wähler des sogenannten "Rostgürtels" ("Rust Belt") vernachlässigt würden. Man müsse, so Obama, die "Frustration der weißen Wähler…verstehen und nachempfinden, ohne zu verschweigen, mit welcher Leichtigkeit Politiker im Lauf der amerikanischen Geschichte die Frustration der Weißen wegen ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnisse immer wieder auf Menschen mit Schwarzer und brauner Haut umgelenkt haben". Populistische Kräfte hatten dann mit einfachen Parolen ein leichtes Spiel diese frustrierten und am Ende um ihre ökonomische Existenz fürchtenden Wähler für sich zu gewinnen. Überraschend eher sanft gerät dabei seine Kritik an den Medien.

Immerhin gab es während der ersten Jahre der Präsidentschaft Obamas zwei unverhoffte Gelegenheiten, die Blockade auszumanövrieren. Zum einen bot ihm Boehner in Sachen Wall-Street-Reform die Möglichkeit der Zustimmung einiger republikanischer Stimmen an, falls die Reformen einigermaßen maßvoll ausfallen sollten. Was dann auch geschah, weil die Republikaner in den Zeiten der Rezession nicht als Banker-Lobbyisten dastehen wollten. Und dann noch einmal, verblüffenderweise nach der tiefsten Niederlage der Midterm-Wahlen 2010, als die Demokraten 63 Sitze im Repräsentantenhaus verloren. Im Wissen um einen in den nächsten zwei Jahren blockierenden Kongress gelang es der Regierung in den sechs Wochen bis zur neuen Sitzungsperiode insgesamt noch 69 Gesetze durchzubringen.

»Die Hautfarbe ist egal!«

Obama berichtet immer wieder von seinen Erfahrungen mit Rassismus und denkt dabei vor allem an seine verehrten Großeltern, spricht sich aber dezidiert dagegen aus, Weiße generalisierend als Rassisten zu bezeichnen. "Die Hautfarbe ist egal!", heißt es einmal emphatisch. Umso merkwürdiger, dass im Buch "schwarz" ausnahmslos mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben wird – auch, wenn es als Adjektiv Verwendung findet (wie im englischen Original – dort heiß es ausnahmslos "Black"). Dies ist sicherlich unter dem Eindruck der "Black Lives Matter"-Bewegung geschehen und wurde inzwischen Standard in linksliberalen Medien wie der New York Times. Dennoch mutet es schon optisch seltsam an, wenn beispielsweise additiv "weiß, Schwarz und braun" in Bezug auf die Hautfarbe von Menschen die Rede ist.

Zwar entdeckte Obama immer wieder "Inseln rassistischer Feindseligkeit" (insbesondere während der Wahlkämpfe), aber Anschuldigungen, dass seine politischen Gegenspieler aus rassistischen Motiven seine Politik bekämpften, bleiben aus. Kritik an seiner Politik sei, so soll es herüberkommen, nicht pauschal "rassistisch".
Ärgerlich (und dies zu Recht) wird er nur einmal. Es geht um die angeblich unvollständige Geburtsurkunde und die Zweifel, dass Obama ein Amerikaner sei. Frontal greift er Donald Trump an, der 2011 mit großem Getöse, übrigens reproduziert von nahezu allen Medien, Zweifel an Obamas Staatsbürgerschaft und damit an der Legitimität der Präsidentschaft geäußert hatte. Es dauerte lange, bis Obama in die Offensive ging, weil er die Kampagne zunächst für eher lächerlich gehalten hatte und den rassistischen Unterton um seine angeblich nicht-amerikanische Geburt nicht wahrnehmen wollte bzw. unterschätzte. Legendär dann die launige Rede auf dem White House Correspondents' Dinner" 2011, in der er Kübel aus Spott über Trump ausgoss; er lässt es sich nicht nehmen, daraus im Buch zu zitieren.

Wenig Privates

"Ein verheißenes Land" ist primär eine politische Autobiographie. Privates teilt Obama nur sparsam mit. Seine Jugend, der Vater, den er nur für zehn Tage in seinem Leben sieht, sein Aufwachsen bei den Großeltern, die Unternehmungen der Mutter – alles kommt eher nebensächlich vor. Immerhin konnte man den Besuch der besten Privatschule auf Hawaii für Barack einrichten und bezahlen. Manches bleibt anekdotisch, leicht kokettierend, etwa, wenn er sich als Student als "unermüdlichen Partygänger" charakterisiert. Irgendwie erwacht der Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung, gegen Diskriminierungen und versteckte wie offene Demütigungen, der Kampf gegen ungerechte Bildungschancen und wachsende Einkommensdiskrepanzen. Die Wahl von Harold Washington als erstem schwarzen Bürgermeister von Chicago (1983-1987) elektrisiert Obama, der 1985 nach Chicago gezogen war und dort in einer gemeinnützigen Organisation eine Art Sozialarbeiterjob übernahm. Er bemerkt die Hürden, die Washington auch von demokratischen Parteifreunden in den Weg gelegt werden. Rasch erkennt er, dass die politischen und sozialen Mittel für Veränderungen auf lokaler Ebene begrenzt sind. Reformen müssen durch Institutionen von oben erfolgen. Der Keim für eine politische Karriere ist gelegt.

Als Hauptleidtragende in dieser Entwicklung (1997 Senat von Illinois, 2004 Junior Senator, 2009 Präsident) macht er mehr als einmal seine Frau Michelle Obama aus (man heiratet 1992), die ihre eigene Lebensplanung der ihres Mannes mehr oder weniger anpasste. Zwar ist sie bis zur Präsidentschaft immer beruflich tätig, aber die Kampagnen zwingen sie, eindeutig für ihren Mann im Rampenlicht zu stehen. Obama lässt keine Gelegenheit aus, dies lobend und fast ehrfurchtsvoll zu erwähnen. Die beiden Kinder (oft "Mädchen" genannt: Malia, *1998 und Sasha, *2001) engen Michelles Karrierespielräume zusätzlich ein. Michelles Mutter übernimmt häufiger die Kinderbetreuung, auch noch als Michelle First Lady ist. Obama schwärmt von seiner Schwiegermutter, die ihn immer wieder geerdet habe.

Außenpolitik

Der Schwerpunkt des Buches liegt eindeutig auf der amerikanischen Innenpolitik. Die außenpolitische Auftritte werden nicht unterschlagen, aber im Verhältnis zur akribischen Darstellung der diversen amerikanischen Gesetzgebungsverfahren, die man irgendwie zu be- oder überstehen hat, machen sie einen geringeren Teil aus. Bei der großen Premiere auf dem internationalen Parkett beim G20-Treffen 2009 in London übt sich Obama in "Anfängerbescheidenheit", gibt sich große Mühe, allen zuzuhören und nicht, wie er dies bei den anderen sieht, zwischenzeitlich mit seinen Mitarbeitern, die hinter ihm sitzen, zu kommunizieren. Mit der Zeit wird sich auch das ändern. Vorerst lernt er die einzelnen Staats- und Regierungschefs kennen. Erstaunlich, wie er betont, dass sich etliche Staatschefs nach der Führungsrolle der USA sehnen.

Wenn man die Protagonisten von damals liest, ist nur noch Angela Merkel eine aktive Größe. Russischer Präsident war damals Dimitri Medwedew, den Obama kurz darauf besuchen wird (mit Frau und merkwürdigerweise den beiden Kindern). Man versteht sich gut, wobei Obama klar ist, dass Putin (mit dem er ein kurzes Treffen hat), die Fäden zieht. Bilateral gelingen mit Russland kleinere, gute Übereinkünfte. Seine Ansicht, dass Russland keine Supermacht mehr ist, bekräftigt Obama in dem Buch noch einmal (als Hauptindikator nimmt er die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit).

Obama ist eher zurückhaltend, was Charakterisierung und Beurteilung ausländischer Politiker angeht. Den saudi-arabischen Herrscher befragt er, wie man mit zwölf Ehefrauen leben könne. Angela Merkel lobt er fast überschwänglich (außer, wenn es um deren Griechenland-Politik geht – hier gibt es sanfte Kritik). Sarkozy kommt weniger gut weg. Angetan ist er vom damaligen indischen Premierminister Manmohan Singh, der in Bezug auf Pakistan in einer sehr schwierigen Lage ist, weil er von Falken in der eigenen Partei gestützt wird und eigentlich nur als Übergang gilt.

Deutlich wird Obamas politische aber vor allem ökonomische Präferenz für Asien. Mit China versucht er gute Beziehungen aufzubauen bzw. zu erhalten. Dabei macht er sich keinerlei Illusionen über das bisweilen halbseidene Geschäftsgebaren chinesischer Unternehmen – mit Billigung der Regierung. Einer seiner Schwerpunkte liegt auf dem Ausbau der Beziehungen mit den ASEAN-Ländern.

Überrascht vom arabischen Frühling

Die außenpolitischen Kapitel werden in der Regel mit historisiert-einordnenden, bisweilen arg generalisierenden Worten eingeleitet. Auf die Goldwaage gelegt, kann man zum Beispiel seine Ausführungen über Israel und den Nahost-Konflikt als zu freundlich gegenüber den Palästinensern kritisieren. Hier wirken sicherlich die drohenden anti-islamischen Strömungen nicht zuletzt in den USA nach den Anschlägen des 11. September nach, obwohl Obama hier Bush Lob zollt, die Stimmung damals nicht in diese Richtung gelenkt zu haben. Dennoch fühlte sich Obama im Juni 2009 zu einer Rede an die islamische Welt motiviert, vor allem auch um die Einsätze in Irak und Afghanistan nicht als Interventionen gegen den Islam darzustellen. Im Bildteil ist dann interessanterweise eine Familie aus Gaza abgebildet, die seine Rede am Fernseher verfolgt.

Obama balanciert zwischen Bündnistreue gegenüber Israel (wobei er unumwunden zugibt, dass dies in den USA für einige Wählergruppen von großer Wichtigkeit sei) und der Befürwortung einer Zweistaatenlösung, wobei er als Haupthindernis den Siedlungsbau Israels ansieht. Die Unversöhnlichkeiten sieht er allerdings nicht nur in Israel, sondern auch beim mürrisch auftretenden Westjordanland-Herrscher Abbas, der Entgegenkommen Israels ständig als unzureichend ablehnt und in dem Moment, als Netanjahu die Maßnahmen wieder zurücknimmt, genau dies beklagt.

Obama gibt zu, dass die USA in der Vergangenheit unter anderem in der nahöstlichen Welt geopolitische Fehler gemacht habe. Den Sturz Saddam Husseins im Irak hatte er nie befürwortet; bei Afghanistan sah es anders aus. Er erläutert die strategischen Fehler in der Politik zum Iran (Mossadegh, Unterstützung Schah). Einen geheimen Brief mit einem Gesprächsangebot an Teheran unmittelbar nach der Inauguration wurde von dort abschlägig beschieden. Ein bemerkenswertes Eingeständnis. Wichtiges Ziel für Obama, dass der Iran nicht in die Lage gerät, Atomwaffen bauen zu können.

Die Ermunterungen an die muslimische Welt, sich für universelle Menschenrechte einzusetzen, scheinen zwei Jahre später für alle überraschend Gehör zu finden (wobei es fraglich bleibt, ob dies mit Obamas Rede kausal verknüpft ist). Ausgehend von Tunesien gibt es in etlichen muslimischen Ländern Revolten, die sich für mehr demokratische Teilhabe einsetzen. Einige Länder befrieden ihr Volk schnell mit kleinen Konzessionen. In anderen Ländern eskaliert die Lage.
So sehr Obama diese Bewegungen begrüßt, so problematisch stellt sich die Situation in Ägypten dar, einem Verbündeten der USA. Einige Monate zuvor hatte man noch mit Israel und den Palästinensern unter Vermittlungshilfe des ägyptischen Machthabers Hosni Mubarak versucht, einen neuen Friedensprozess anzuschieben. Mubarak, der seit Jahrzehnten autoritär regierte, hatte die bilateralen Friedensvereinbarungen mit Israel stets verlässlich eingehalten.

Und nun gibt es sich Unruhen, vor allem in Kairo. In Obamas "Team" sind die Meinungen gespalten: Wie geht man mit den immer grösser werdenden Protesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, weltweit übertragen, um? Die älteren, die seit Jahrzehnten mit Mubarak zusammengearbeitet haben, plädierten für Abwarten (niemand will eine offene Flanke gegenüber Israel). Jüngere Mitarbeiter sind für eine klare Positionierung und ein offensives Eintreten gegen Mubarak. Versuche, Mubarak von einem Rücktritt zu überzeugen, scheitern. Obama holt sich von vielen Seiten Expertise, unter anderem von Samantha Power, "Professor of Human Rights Practice". Deren Buch "A Problem from Hell: America and the Age of Genocide" (nicht ins Deutsche übersetzt), in dem sie sich kritisch mit der Untätigkeit der USA bei Genoziden des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt, hat Obama sehr beeindruckt. Sie gehört nach einem Dinner als "Unrechtserinnerin" dem "Team" an.

Zur Intervention der USA kommt es trotz vieler Toter nicht. Es gehört zu den bemerkenswertesten Stellen in diesem Buch, wenn Obama berichtet, wie der Kontakt des Pentagon zum ägyptischen Militär und deren Entscheidungsträgern schließlich zu einer Deeskalation führt: Das Militär geht irgendwann nicht mehr gegen die Demonstranten vor. Mubarak kann sich nur noch auf eigene Schlägertrupps stützen, aber am Ende muss er beigeben und tritt zurück. Es ist dieser informelle Kontakt, der die normative Kraft des Faktischen befördert und am Ende einen drohenden Bürgerkrieg verhindert. Und Obama begrüßt schließlich Mubaraks Rücktritt. Über die Entwicklung, die danach eintritt, fällt kein Wort.

Und was bedeutet das für die USA und deren Ruf im Nahen Osten? Mubarak wurde hofiert, strategisch benötigt und war demzufolge ein Verbündeter. Obama berichtet von einem Gespräch mit Mohamed bin Zayed, dem "De-facto-Herrscher" der Vereinigten Arabischen Emirate. Was würde passieren, fragt dieser, wenn es ähnliche Entwicklungen wie in Ägypten bei ihm gäbe? Wie würde sich der Verbündete USA verhalten? Zayed erklärt unverhohlen nach den Ereignissen um Mubarak: Die Vereinigten Staaten seien "langfristig kein zuverlässiger Partner". Obama weiß, was das bedeutet.

Unter Menschenrechtlern

Die nächste Krise bahnt sich in Libyen an. Aufstände wurden brutal niedergeschlagen, die Armee rückt gegen Rebellen auf Bengasi zu. Großbritannien und Frankreich drängen auf eine Flugverbotszone und wollen die Unterstützung der USA. Obama empfindet den zeitlichen und moralischen Druck als übergriffig. Nach Rücksprache mit Militärs stuft er eine Flugverbotszone als wirkungslos ein, weil Gaddafis Truppen weiter vom Boden aus Massaker verüben könnten. Was bliebe, wäre eine gezielte Bombardierung. Er ist unschlüssig. Der Unterschied zu Ägypten liegt auf der Hand: Libyen respektive Gaddafi sind weder Bündnispartner der USA noch Stabilitätsanker in der Region; eher im Gegenteil. Wenn Realpolitik auf Idealpolitik stößt, wenn "das Herz" an "strategischen Erwägungen und Analysen gekettet" ist, werden Entscheidungen fällig, deren Konsequenzen schwer vorhersehbar bzw. unangenehm sind. Obama ahnt dies schon, als man ihm 2009 überraschend den Friedensnobelpreis zuspricht (seine erste Reaktion: "Wofür?"). Und dann soll er einen beginnenden Krieg mit Gewalt begegnen?

Er nimmt sich Zeit, erliegt am Ende aber dem Einfluss der "Menschenrechtler" Power und Clinton. Das mit Briten und Franzosen koordinierte Bombardement der libyschen Armee erreicht ohne ein amerikanisches Opfer ihr militärisches Ziel, aber über die weiteren Konsequenzen (den Lynchmord an Gaddafi, den Bengasi-Anschlag und die dauerhafte, durchaus bürgerkriegsähnlich zu nennende Spaltung des Landes) verliert er kein Wort. Dies dürfte mit der zeitlichen Begrenzung des ersten Bandes zu tun haben, wirkt aber recht unprofessionell. Immerhin lernt man aus den Danksagungen am Ende des Buches, dass die später von Obama zur UN-Botschafterin ernannte Samantha Power aus ihm "einen besseren Menschen" (und einen "besseren Autor") gemacht habe. Ob das die Menschen in Libyen auch so sehen, bleibt offen.  

Dass Interventionspolitik mehr ist als nur das Löschen eines Feuers, sondern auch den Neuaufbau der gelöschten Ruinen im Blick haben muss, kommt Figuren wie Power und Clinton nicht in den Sinn. Soweit geht dann der Interventionismus nicht. Obama scheint dies mehr bewusst zu sein, denn das Erbe zweier schier unlösbarer Einmischungen (Afghanistan und Irak), hat er praktisch und täglich vor Augen (abgesehen von den immensen Kosten). Es ist schon fast ein Witz, dass der Friedensnobelpreisträger als einen der ersten außenpolitischen Akte die Präsenz der Soldaten in Afghanistan nahezu verdoppelt hatte.

Bilanzierend heißt es einmal von Obama: "Und nur, weil ich unsere Menschenrechtsagenda nicht in jedem Fall über andere Erwägungen erheben konnte, bedeutete das nicht, dass ich nicht versuchen sollte, das zu tun, was ich konnte, wenn ich es konnte, um das zu befördern, was ich als die höchsten Werte Amerikas ansah. Aber was ist, wenn eine Regierung nicht Hunderte, sondern Tausende ihrer eigenen Bürger abschlachtet und die Vereinigten Staaten die Macht haben, diesem Gemetzel Einhalt zu gebieten? Was dann?"

Warum Obama im Fall Libyen den Interventionisten erliegt, leuchtet nicht ganz ein. Er ist sich klar, dass die Rolle des Weltpolizisten die USA überfordern würde. Warum soll er in Libyen etwas verhindern, was vielleicht an einem anderen Ort in der Welt ebenfalls droht? Vermutlich hat es mit den Europäern zu tun, die sich und die Medien in Position gebracht hatten. Wie auch immer: Hier wartet man tatsächlich auf den zweiten Band, der die Situation in Syrien zum Gegenstand haben wird.    

Das Ende dieses ersten Bandes von Barack Obamas autobiographischen Schriften ist denn einem Ereignis gewidmet, indem die Überparteilichkeit für kurze Zeit zu Tage tritt: der Tod Osama Bin Ladens im Mai 2011. Auch hier fächert Obama alle Details auf und macht noch einmal deutlich, dass er Bushs Vorgehen, Pakistan wie einen Verbündeten zu behandeln, für falsch hält. Regierung und Geheimdienst Pakistans wurden demzufolge nicht über die Zugriffsaktion informiert, zu sehr fürchtete man Indiskretionen, da es durchaus Elemente in Pakistan gibt, die mit Al-Qaida kooperier(t)en.     

Selbstzweifel und Hybris

Es gibt eine erhellende Passage in diesem Buch, die Obamas Jonglieren zwischen Selbstzweifel und Hybris illustriert. Im Jahr 2010 sinken die Zustimmungswerte der Regierung deutlich. Die Wirtschaftspolitik wird als wirkungslos eingeschätzt, was natürlich durch die Republikaner und deren Medienkanäle befeuert wird. Er beginnt zu hadern und studiert Franklin Roosevelt und dessen neuen, krisenbewältigenden Wirtschaftsplan, den "New Deal".

Er, Roosevelt, "hatte verstanden, dass es weniger darum ging, jede New-Deal-Maßnahme exakt richtig hinzukriegen, um Amerika auf der Großen Depression zu führen, als vielmehr darum, Vertrauen in das Gesamtunternehmen zu schaffen und der Öffentlichkeit einzuhämmern, dass die Regierung die Situation im Griff habe. Genauso wie er gewusst hatte, dass die Leute eine Story brauchten, die ihren Entbehrungen einen Sinn gab und ihre Gefühle ansprach – eine Geschichte mit einer Moral und klar erkennbaren Guten und Bösen und einer Handlung, der man leicht folgen konnte."

Bemerkenswert ist nicht, dass sich Obama mit Roosevelt vergleicht, sondern dass er seinen kollaborativen, diskursiven Regierungsstil befragt. Das Grübeln geht weiter: "Ich ertappte mich dabei, mich zu fragen, ob wir vielleicht irgendwie aus der Tugend ein Laster gemacht hatten, ob ich, gefangen in meinen hohen Idealen, versäumt hatte, dem amerikanischen Volk eine glaubwürdige Geschichte zu erzählen, und ob ich das politische Narrativ, das ich meinen Gegnern überlassen hatte, wieder an mich reißen konnte."

Man erinnert sich: Er neige zu umständlichen Formulierungen und Belehrungen, so Obama über Obama. Er bekennt, sich bisweilen an seinen eigenen Reden zu berauschen. Es sind Reden, die seine Anhänger (plus die Europäer, die weit genug von seinen Entscheidungen entfernt waren), goutieren und wirkmächtig empfinden. Obama erreicht seine Klientel, packt sie auch emotional. Aber Andersdenkende lassen sie eher kalt. Und so beklagt er zu Recht, kein "populäres" Gegengift zu den populistischen Reaktionären der Tea-Party entwickelt zu haben, die zum Beispiel den Bürgern einreden, dass die Regierung die Steuern für die Gesundheitsvorsorge erhöht hätte, obwohl dies nicht der Realität entspricht oder die Räumung des Lagers Guantanamo würde ihre Sicherheit gefährden. Obama spricht an dieser Stelle aus, was im Buch subkutan als eine fast dauerhafte Verzagtheit eingewebt ist, eine Verzweiflung, in der die Faktenverbieger ihre Narrative über (soziale) Medien multiplizieren, während die Faktentreuen mit ihren komplexen Erklärungsversuchen nicht zu überzeugen vermögen.

Man hätte sich mehr solcher Reflexionen gewünscht, aber es gibt nur wenig Zeit, denn die nächsten Katastrophen und Konferenzen, die Rettungstaten verlangen, warten. Wenige Augenblicke nach diesen Überlegungen setzt sich Obama (und mit ihm sein Finanzminister Geithner) für eine "alttestamentarische Gerechtigkeit" gegenüber Griechenland ein – das Land steht praktisch vor dem Bankrott. Man habe, so heißt es jetzt selbstbewusst, den Europäern geholfen, die "Bombe" zu entschärfen (den amerikanischen Druck auf EZB und IWF führt Obama fast triumphatisch an). Für amerikanische Leser mag dies eingängig sein; dennoch ist es nur ein Teil der Wahrheit.

Im nächsten Absatz trifft er sich dann mit den Frauen seines "Teams", um die immer stärker aufkommende Männlichkeit im alltäglichen Umgang untereinander zu bekämpfen. Der Tonfall wäre rau, teilweise zotig, und frau könnte nicht ausreden. Es ist dann geradezu putzig, wenn er den Frauen rät, sie sollen darauf bestehen, ausreden zu können. War es wirklich eine gute Idee, in diesem "Team" etliche ehemalige Rivalen aufgenommen zu haben? Man bekommt den Eindruck, dass Obamas Personalauswahl rückwirkend betrachtet nicht immer glücklich war.

Und es gibt sie ja, die Gelegenheiten, präsidial UND politisch wirksam zu agieren, etwa bei der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009, die Obama nach längerem Zögern für zehn Stunden besucht: Die Erzählung, wie er wenige Minuten vor seinem Rückflug die BRIC-Staatenlenker praktisch "überfällt" und mit den Europäern auf eine Linie bringt, ist wirklich lesenswert – falls es sich wirklich so ereignet hat. Es wäre einer der wenigen weltpolitischen Momente, in dem Obama das Gefühl zu haben schien, etwas Dauerhaftes bewirkt zu haben, und sei es auch nur einen Eimer Wasser auf eine Feuersbrunst geschüttet zu haben (Beschreibung von B. O.)

Rechenschaftsbericht und Vermächtnis

Die ausgiebigen Beschreibungen der Suche nach Mehrheiten für Vorhaben der innenpolitischen Gesetzgebung ermüden den Leser zeitweise. Aber man muss dieses Buch eben auch als Rechtfertigung Obamas und gleichzeitig eine Art Buße für vielleicht (am Ende) enttäuschte Erwartungen lesen. Im Frühjahr 2011 reicht er die Unterlagen für Kandidatur zur Wiederwahl ein und erinnert an sich die Euphorie, als er Jahre zuvor seine Kandidatur bekanntgab. Was war davon geblieben? Hatte der Alltag die Ideale und am Ende auch ihn stumpf gemacht?  

Nicht nur der Titel lässt erkennen, dass Obama sich der gängigen amerikanisch-patriotischen Rhetorik bedient. Die großen Ikonen der US-Geschichte sind auch seine: Zuerst ist da Abraham Lincoln zu nennen, der immer wieder aufscheint. In dem privaten Bereich des Oval Office hatte Obama zahlreiche Erinnerungsstücke gesammelt, unter anderem einen Ziegelstein aus Lincoln Anwaltsbüro in Springfield. Dann noch ein Paar Boxhandschuhe von Muhammad Ali und ein von John Lewis signiertes "Life"-Cover über den Bürgerrechtsmarsch in Selma Mitte der 1960er Jahre. Neben Martin Luther King und Mahatma Gandhi nennt er immer wieder Franklin Delano Roosevelt zu seinen Vorbildern (Gandhis Hitler-Verehrung scheint ihm entweder unbekannt zu sein oder nicht erwähnenswert).

Obama ist sehr darauf bedacht, es allen recht zu machen. Immer wieder erinnert er sich an seine Begegnungen im Wahlkampf mit Industriearbeitern, Farmern und Angestellten, die fürchten, arbeitslos zu werden, an ihren Schulden zu ersticken oder/und ihr Haus verlassen zu müssen. Diesen möchte er helfen. Und dann ist er auch noch gleichzeitig Aktivist, möchte die Bedingungen für eine bessere Welt schaffen und die Kohlendioxidemissionen reduzieren. Aber wie bringt er diese Anliegen dem Automobilarbeiter oder dem Angestellten auf der Bohrplattform bei? Wie erklärt er dem Soldaten, der einen Stellungsbefehl für Afghanistan oder den Irak erhält, dass die Interventionen dort eigentlich beendet werden sollen?

Er wollte, so Obama im Vorwort, "eine ehrliche Darstellung meiner Zeit im Amt" liefern, "nicht bloß ein historisches Protokoll der Schlüsselereignisse". Diesen Anspruch erfüllt "Ein verheißenes Land" nur bedingt. Die Protokollhaftigkeit ist stark ausgeprägt, die Beschreibungen bleiben naturgemäß subjektiv. Bisweilen gerät das Buch in eine Mischung aus Rechenschaftsbericht und Vermächtnis. Sicherlich wird er all diejenigen überzeugen, die ihm wohlgesonnen sind. Sie werden über die Schwächen hinwegsehen und -lesen und sich vielleicht auch noch Obamas Playlist herunterladen, die der Verlag anbietet. Andere werden die Langatmigkeit und den zuweilen redundanten, bisweilen leicht enervierenden Kleriker-Duktus kritisieren.
Am Ende steht die Hoffnung, dass der zweite Band wenigstens etwas spannender wird. Man wird es lesen.

Artikel online seit 13.01.21
 

Barack Obama
Ein verheißenes Land
Aus dem Amerikanischen von Sylvia Bieker, Harriet Fricke, Stephan Gebauer, Stephan Kleiner, Elke Link, Thorsten Schmidt, Henriette Zeltner-Shane
Penguin
1024 Seiten
Mit 32 Seiten Farbbildteil
42,00 €
978-3-328-60062-6
Leseprobe

 

 


Glanz & Elend
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